lich hatten noch auf dem Wiener Congresse alle Gegner Preußens die Hoff- nung ausgesprochen: an diesem deutschfranzösischen Sonderleben müsse sich der norddeutsche Staat die Stirn einrennen. Der König verbarg sich die gefahrvolle Lage der entlegenen Westmark nicht und erklärte bei der Besitzergeifung offen: "die höhere Rücksicht auf das gesammte deutsche Vaterland entschied meinen Entschluß; diese deutschen Urländer müssen mit Deutschland vereinigt bleiben, sie sind die Vormauer der Freiheit und Unabhängigkeit Deutschlands." Das Rheinland wurde für ein Menschen- alter das Schooßkind der preußischen Krone, aus dem nämlichen Grunde wie einst Schlesien unter Friedrich II. Auch die Mehrzahl der in den Westen berufenen altständischen Beamten ging voll Besorgniß ans Werk und erkannte erst allmählich, wie dünn der gallische Firniß war, der über diesen kernhaften deutschen Stämmen lag.
Am sprödesten hatten die niederrheinischen Landschaften abwärts von Köln ihre deutsche Eigenart behauptet. Auf dem rechten Ufer in dem freien Lande der Berge erschienen die Preußen nicht als Fremde; hatte doch seine protestantische Kirche mehr denn hundert Jahre lang unter dem Schutze der preußischen Krone, sein Landtag mit dem benachbarten märkischen in ständischer Union gelebt. Der vaterländische Geist, den die bergischen Landstürmer im Jahre 1814 bewährt, stammte nicht von gestern. Noch erzählte man sich gern, wie der "bergische Held" Stücker und seine tapferen Bauern einst beim ersten Einfall der Ohnehosen, gegen den Willen des bairischen Landesherrn, den kleinen Krieg geführt hatten; noch kannte jedes Kind im Lande das Schelmen-Vaterunser, das schon während der fridericianischen Kriege den französischen Plünderern zum Schimpf entstanden war. Der rührige, schon längst an die überseeische Ausfuhr gewöhnte Gewerbefleiß und die bunte Mannichfaltigkeit der kirch- lichen Gegensätze gaben hier dem Leben einen freien, großstädtischen Zug. Die Fabrikanten des Wupperthales nannten ihre Doppelstadt Elberfeld- Barmen bereits das deutsche Manchester, die Solinger sprachen mit Selbstgefühl von dem Weltruhm ihrer Klingen, Alle fühlten sich stolz ihren Wohlstand allein sich selber zu verdanken und traten gutes Muths in die großen Verhältnisse des preußischen Staats hinüber, der ihrer rüstigen Kraft ein weites Arbeitsfeld eröffnete. Wohl keine andere Land- schaft des Nordens besaß so viele volksthümliche Männer, die auf eigene Faust für das gemeine Wohl, für die Erweckung deutschen Geistes arbeiteten. Da war der allbekannte Eremit von Gauting, Freiherr v. Hallberg, ein wüthender Franzosenfeind, während des Krieges Feldhaupt- mann des Landsturms an der Sieg und jetzt stets bei der Hand wenn es galt die französische Partei zu bekämpfen; dann der Herr Rath zu Opladen, Deycks, der allgemeine Rechtsbeistand für die Wupperlande, der Pfleger des Gartenbaus und der Ackerbauschulen; dann Zuccalmaglio, der Doctor zu Schlebusch: der hatte noch unter der Fremdherrschaft die
Berg. Cleve.
lich hatten noch auf dem Wiener Congreſſe alle Gegner Preußens die Hoff- nung ausgeſprochen: an dieſem deutſchfranzöſiſchen Sonderleben müſſe ſich der norddeutſche Staat die Stirn einrennen. Der König verbarg ſich die gefahrvolle Lage der entlegenen Weſtmark nicht und erklärte bei der Beſitzergeifung offen: „die höhere Rückſicht auf das geſammte deutſche Vaterland entſchied meinen Entſchluß; dieſe deutſchen Urländer müſſen mit Deutſchland vereinigt bleiben, ſie ſind die Vormauer der Freiheit und Unabhängigkeit Deutſchlands.“ Das Rheinland wurde für ein Menſchen- alter das Schooßkind der preußiſchen Krone, aus dem nämlichen Grunde wie einſt Schleſien unter Friedrich II. Auch die Mehrzahl der in den Weſten berufenen altſtändiſchen Beamten ging voll Beſorgniß ans Werk und erkannte erſt allmählich, wie dünn der galliſche Firniß war, der über dieſen kernhaften deutſchen Stämmen lag.
Am ſprödeſten hatten die niederrheiniſchen Landſchaften abwärts von Köln ihre deutſche Eigenart behauptet. Auf dem rechten Ufer in dem freien Lande der Berge erſchienen die Preußen nicht als Fremde; hatte doch ſeine proteſtantiſche Kirche mehr denn hundert Jahre lang unter dem Schutze der preußiſchen Krone, ſein Landtag mit dem benachbarten märkiſchen in ſtändiſcher Union gelebt. Der vaterländiſche Geiſt, den die bergiſchen Landſtürmer im Jahre 1814 bewährt, ſtammte nicht von geſtern. Noch erzählte man ſich gern, wie der „bergiſche Held“ Stücker und ſeine tapferen Bauern einſt beim erſten Einfall der Ohnehoſen, gegen den Willen des bairiſchen Landesherrn, den kleinen Krieg geführt hatten; noch kannte jedes Kind im Lande das Schelmen-Vaterunſer, das ſchon während der fridericianiſchen Kriege den franzöſiſchen Plünderern zum Schimpf entſtanden war. Der rührige, ſchon längſt an die überſeeiſche Ausfuhr gewöhnte Gewerbefleiß und die bunte Mannichfaltigkeit der kirch- lichen Gegenſätze gaben hier dem Leben einen freien, großſtädtiſchen Zug. Die Fabrikanten des Wupperthales nannten ihre Doppelſtadt Elberfeld- Barmen bereits das deutſche Mancheſter, die Solinger ſprachen mit Selbſtgefühl von dem Weltruhm ihrer Klingen, Alle fühlten ſich ſtolz ihren Wohlſtand allein ſich ſelber zu verdanken und traten gutes Muths in die großen Verhältniſſe des preußiſchen Staats hinüber, der ihrer rüſtigen Kraft ein weites Arbeitsfeld eröffnete. Wohl keine andere Land- ſchaft des Nordens beſaß ſo viele volksthümliche Männer, die auf eigene Fauſt für das gemeine Wohl, für die Erweckung deutſchen Geiſtes arbeiteten. Da war der allbekannte Eremit von Gauting, Freiherr v. Hallberg, ein wüthender Franzoſenfeind, während des Krieges Feldhaupt- mann des Landſturms an der Sieg und jetzt ſtets bei der Hand wenn es galt die franzöſiſche Partei zu bekämpfen; dann der Herr Rath zu Opladen, Deycks, der allgemeine Rechtsbeiſtand für die Wupperlande, der Pfleger des Gartenbaus und der Ackerbauſchulen; dann Zuccalmaglio, der Doctor zu Schlebuſch: der hatte noch unter der Fremdherrſchaft die
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Berg. Cleve.
lich hatten noch auf dem Wiener Congreſſe alle Gegner Preußens die Hoff-
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der norddeutſche Staat die Stirn einrennen. Der König verbarg ſich
die gefahrvolle Lage der entlegenen Weſtmark nicht und erklärte bei der
Beſitzergeifung offen: „die höhere Rückſicht auf das geſammte deutſche
Vaterland entſchied meinen Entſchluß; dieſe deutſchen Urländer müſſen
mit Deutſchland vereinigt bleiben, ſie ſind die Vormauer der Freiheit und
Unabhängigkeit Deutſchlands.“ Das Rheinland wurde für ein Menſchen-
alter das Schooßkind der preußiſchen Krone, aus dem nämlichen Grunde
wie einſt Schleſien unter Friedrich II. Auch die Mehrzahl der in den
Weſten berufenen altſtändiſchen Beamten ging voll Beſorgniß ans Werk
und erkannte erſt allmählich, wie dünn der galliſche Firniß war, der über
dieſen kernhaften deutſchen Stämmen lag.
Am ſprödeſten hatten die niederrheiniſchen Landſchaften abwärts von
Köln ihre deutſche Eigenart behauptet. Auf dem rechten Ufer in dem
freien Lande der Berge erſchienen die Preußen nicht als Fremde; hatte
doch ſeine proteſtantiſche Kirche mehr denn hundert Jahre lang unter
dem Schutze der preußiſchen Krone, ſein Landtag mit dem benachbarten
märkiſchen in ſtändiſcher Union gelebt. Der vaterländiſche Geiſt, den
die bergiſchen Landſtürmer im Jahre 1814 bewährt, ſtammte nicht von
geſtern. Noch erzählte man ſich gern, wie der „bergiſche Held“ Stücker
und ſeine tapferen Bauern einſt beim erſten Einfall der Ohnehoſen, gegen
den Willen des bairiſchen Landesherrn, den kleinen Krieg geführt hatten;
noch kannte jedes Kind im Lande das Schelmen-Vaterunſer, das ſchon
während der fridericianiſchen Kriege den franzöſiſchen Plünderern zum
Schimpf entſtanden war. Der rührige, ſchon längſt an die überſeeiſche
Ausfuhr gewöhnte Gewerbefleiß und die bunte Mannichfaltigkeit der kirch-
lichen Gegenſätze gaben hier dem Leben einen freien, großſtädtiſchen Zug.
Die Fabrikanten des Wupperthales nannten ihre Doppelſtadt Elberfeld-
Barmen bereits das deutſche Mancheſter, die Solinger ſprachen mit
Selbſtgefühl von dem Weltruhm ihrer Klingen, Alle fühlten ſich ſtolz
ihren Wohlſtand allein ſich ſelber zu verdanken und traten gutes Muths
in die großen Verhältniſſe des preußiſchen Staats hinüber, der ihrer
rüſtigen Kraft ein weites Arbeitsfeld eröffnete. Wohl keine andere Land-
ſchaft des Nordens beſaß ſo viele volksthümliche Männer, die auf eigene
Fauſt für das gemeine Wohl, für die Erweckung deutſchen Geiſtes
arbeiteten. Da war der allbekannte Eremit von Gauting, Freiherr v.
Hallberg, ein wüthender Franzoſenfeind, während des Krieges Feldhaupt-
mann des Landſturms an der Sieg und jetzt ſtets bei der Hand wenn
es galt die franzöſiſche Partei zu bekämpfen; dann der Herr Rath zu
Opladen, Deycks, der allgemeine Rechtsbeiſtand für die Wupperlande, der
Pfleger des Gartenbaus und der Ackerbauſchulen; dann Zuccalmaglio,
der Doctor zu Schlebuſch: der hatte noch unter der Fremdherrſchaft die
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/281>, abgerufen am 18.06.2024.
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