Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates. erschien sie oft hart, verbissen, fanatisch, und zu allermeist hier in Münster,wo die eisernen Käfige mit den Gebeinen der Wiedertäufer noch am Lam- bertithurme hingen und das bekehrte Volk täglich an die gräulichsten Sünden der Ketzerei erinnerten. Grollend rechnete man nach: unter den Ministern sei kein einziger Katholik, unter den Oberpräsidenten nur Einer, Zerboni, unter den Generalen höchstens zwei oder drei, wo bleibe da die Parität? Das Mißverhältniß erklärte sich leicht, da von den höheren Beamten, welche der Eroberer in den neuen Provinzen vorgefunden, nur sehr wenige in den preußischen Dienst übergetreten waren. Aber auch späterhin blieb die Zahl der Katholiken im Civildienst und vornehmlich im Offizierscorps unverhältnißmäßig gering; denn die Polen hielten sich dem Beamtenstande fern, das gebildete Bürgerthum der gewerbfleißigen Westprovinzen erzog seine Kinder häufiger als im Osten üblich war für die wirthschaftlichen Berufe, auch der katholische Adel des Westens ging selten in den Staatsdienst. Am seltensten sicherlich die alten Geschlechter des Münsterlandes, denen der österreichische Kriegsdienst noch immer vor- nehmer schien als der heimische; sie saßen schmollend auf ihren Gütern, nur unter sich und mit dem Clerus verkehrend, und auch wenn sie zur Winterszeit in die Provinzialhauptstadt Münster zogen, blieben ihre Pa- läste den Offizieren und den Beamten fast unzugänglich. Große Schwierigkeiten bot auch das anspruchsvolle Wesen der zahl- Unter allen Arbeiten der preußischen Verwaltung ward keine für die *) Keßler, Denkschrift die Einführung einer ständischen Verfassung betreffend, Münster
12. April 1818. II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates. erſchien ſie oft hart, verbiſſen, fanatiſch, und zu allermeiſt hier in Münſter,wo die eiſernen Käfige mit den Gebeinen der Wiedertäufer noch am Lam- bertithurme hingen und das bekehrte Volk täglich an die gräulichſten Sünden der Ketzerei erinnerten. Grollend rechnete man nach: unter den Miniſtern ſei kein einziger Katholik, unter den Oberpräſidenten nur Einer, Zerboni, unter den Generalen höchſtens zwei oder drei, wo bleibe da die Parität? Das Mißverhältniß erklärte ſich leicht, da von den höheren Beamten, welche der Eroberer in den neuen Provinzen vorgefunden, nur ſehr wenige in den preußiſchen Dienſt übergetreten waren. Aber auch ſpäterhin blieb die Zahl der Katholiken im Civildienſt und vornehmlich im Offizierscorps unverhältnißmäßig gering; denn die Polen hielten ſich dem Beamtenſtande fern, das gebildete Bürgerthum der gewerbfleißigen Weſtprovinzen erzog ſeine Kinder häufiger als im Oſten üblich war für die wirthſchaftlichen Berufe, auch der katholiſche Adel des Weſtens ging ſelten in den Staatsdienſt. Am ſeltenſten ſicherlich die alten Geſchlechter des Münſterlandes, denen der öſterreichiſche Kriegsdienſt noch immer vor- nehmer ſchien als der heimiſche; ſie ſaßen ſchmollend auf ihren Gütern, nur unter ſich und mit dem Clerus verkehrend, und auch wenn ſie zur Winterszeit in die Provinzialhauptſtadt Münſter zogen, blieben ihre Pa- läſte den Offizieren und den Beamten faſt unzugänglich. Große Schwierigkeiten bot auch das anſpruchsvolle Weſen der zahl- Unter allen Arbeiten der preußiſchen Verwaltung ward keine für die *) Keßler, Denkſchrift die Einführung einer ſtändiſchen Verfaſſung betreffend, Münſter
12. April 1818. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0280" n="266"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates.</fw><lb/> erſchien ſie oft hart, verbiſſen, fanatiſch, und zu allermeiſt hier in Münſter,<lb/> wo die eiſernen Käfige mit den Gebeinen der Wiedertäufer noch am Lam-<lb/> bertithurme hingen und das bekehrte Volk täglich an die gräulichſten<lb/> Sünden der Ketzerei erinnerten. Grollend rechnete man nach: unter den<lb/> Miniſtern ſei kein einziger Katholik, unter den Oberpräſidenten nur Einer,<lb/> Zerboni, unter den Generalen höchſtens zwei oder drei, wo bleibe da die<lb/> Parität? Das Mißverhältniß erklärte ſich leicht, da von den höheren<lb/> Beamten, welche der Eroberer in den neuen Provinzen vorgefunden, nur<lb/> ſehr wenige in den preußiſchen Dienſt übergetreten waren. Aber auch<lb/> ſpäterhin blieb die Zahl der Katholiken im Civildienſt und vornehmlich<lb/> im Offizierscorps unverhältnißmäßig gering; denn die Polen hielten ſich<lb/> dem Beamtenſtande fern, das gebildete Bürgerthum der gewerbfleißigen<lb/> Weſtprovinzen erzog ſeine Kinder häufiger als im Oſten üblich war für<lb/> die wirthſchaftlichen Berufe, auch der katholiſche Adel des Weſtens ging<lb/> ſelten in den Staatsdienſt. Am ſeltenſten ſicherlich die alten Geſchlechter<lb/> des Münſterlandes, denen der öſterreichiſche Kriegsdienſt noch immer vor-<lb/> nehmer ſchien als der heimiſche; ſie ſaßen ſchmollend auf ihren Gütern,<lb/> nur unter ſich und mit dem Clerus verkehrend, und auch wenn ſie zur<lb/> Winterszeit in die Provinzialhauptſtadt Münſter zogen, blieben ihre Pa-<lb/> läſte den Offizieren und den Beamten faſt unzugänglich.</p><lb/> <p>Große Schwierigkeiten bot auch das anſpruchsvolle Weſen der zahl-<lb/> reichen mediatiſirten Fürſten, die allein im Regierungsbezirk Münſter die<lb/> volle Hälfte des Bodens beſaßen. Manche von ihnen, die Arenberg, die<lb/> Looz, die Croy, waren Belgier und erwieſen dem deutſchen Staate eine<lb/> geſuchte Mißachtung; aber auch die deutſchen zeigten ſich oft als harte<lb/> Herren. Jahre lang ſtritt ſich die Arnsberger Regierung mit den Fürſten<lb/> des Hauſes Sayn um dem armen Wittgenſteiner Völkchen die Laſten ſeiner<lb/> zweifachen Unterthanenſchaft etwas zu erleichtern; denn die Regierungen<lb/> fühlten ſich alle ſtolz als Beſchützer der kleinen Leute, ſie rühmten, wie<lb/> der wackere Keßler einſt gegen Beyme ausſprach, daß ihnen durch die freie<lb/> collegialiſche Berathung „eine Art von volksthümlichem Charakter gegeben“<lb/> ſei.<note place="foot" n="*)">Keßler, Denkſchrift die Einführung einer ſtändiſchen Verfaſſung betreffend, Münſter<lb/> 12. April 1818.</note> Dieſem Beamtenthum war es auch zu verdanken, daß einige heilſame<lb/> Neuerungen der Fremdherrſchaft, die mit dem preußiſchen Landrecht nicht<lb/> im Einklang ſtanden, dem Lande zum Theil erhalten blieben. Die guts-<lb/> herrliche Polizei wurde blos in den Gebieten der Mediatiſirten und des<lb/> reichsunmittelbaren Adels wieder eingeführt, und die Grundherren ver-<lb/> mißten ſie nicht. So gründlich war die feudale Geſellſchaftsordnung hier<lb/> im Weſten ſchon zerſtört. —</p><lb/> <p>Unter allen Arbeiten der preußiſchen Verwaltung ward keine für die<lb/> Nation ſo fruchtbar wie die ſtille mühevolle Thätigkeit, welche die beiden<lb/> rheiniſchen Provinzen dem deutſchen Leben zurückgewann. Wie zuverſicht-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [266/0280]
II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates.
erſchien ſie oft hart, verbiſſen, fanatiſch, und zu allermeiſt hier in Münſter,
wo die eiſernen Käfige mit den Gebeinen der Wiedertäufer noch am Lam-
bertithurme hingen und das bekehrte Volk täglich an die gräulichſten
Sünden der Ketzerei erinnerten. Grollend rechnete man nach: unter den
Miniſtern ſei kein einziger Katholik, unter den Oberpräſidenten nur Einer,
Zerboni, unter den Generalen höchſtens zwei oder drei, wo bleibe da die
Parität? Das Mißverhältniß erklärte ſich leicht, da von den höheren
Beamten, welche der Eroberer in den neuen Provinzen vorgefunden, nur
ſehr wenige in den preußiſchen Dienſt übergetreten waren. Aber auch
ſpäterhin blieb die Zahl der Katholiken im Civildienſt und vornehmlich
im Offizierscorps unverhältnißmäßig gering; denn die Polen hielten ſich
dem Beamtenſtande fern, das gebildete Bürgerthum der gewerbfleißigen
Weſtprovinzen erzog ſeine Kinder häufiger als im Oſten üblich war für
die wirthſchaftlichen Berufe, auch der katholiſche Adel des Weſtens ging
ſelten in den Staatsdienſt. Am ſeltenſten ſicherlich die alten Geſchlechter
des Münſterlandes, denen der öſterreichiſche Kriegsdienſt noch immer vor-
nehmer ſchien als der heimiſche; ſie ſaßen ſchmollend auf ihren Gütern,
nur unter ſich und mit dem Clerus verkehrend, und auch wenn ſie zur
Winterszeit in die Provinzialhauptſtadt Münſter zogen, blieben ihre Pa-
läſte den Offizieren und den Beamten faſt unzugänglich.
Große Schwierigkeiten bot auch das anſpruchsvolle Weſen der zahl-
reichen mediatiſirten Fürſten, die allein im Regierungsbezirk Münſter die
volle Hälfte des Bodens beſaßen. Manche von ihnen, die Arenberg, die
Looz, die Croy, waren Belgier und erwieſen dem deutſchen Staate eine
geſuchte Mißachtung; aber auch die deutſchen zeigten ſich oft als harte
Herren. Jahre lang ſtritt ſich die Arnsberger Regierung mit den Fürſten
des Hauſes Sayn um dem armen Wittgenſteiner Völkchen die Laſten ſeiner
zweifachen Unterthanenſchaft etwas zu erleichtern; denn die Regierungen
fühlten ſich alle ſtolz als Beſchützer der kleinen Leute, ſie rühmten, wie
der wackere Keßler einſt gegen Beyme ausſprach, daß ihnen durch die freie
collegialiſche Berathung „eine Art von volksthümlichem Charakter gegeben“
ſei. *) Dieſem Beamtenthum war es auch zu verdanken, daß einige heilſame
Neuerungen der Fremdherrſchaft, die mit dem preußiſchen Landrecht nicht
im Einklang ſtanden, dem Lande zum Theil erhalten blieben. Die guts-
herrliche Polizei wurde blos in den Gebieten der Mediatiſirten und des
reichsunmittelbaren Adels wieder eingeführt, und die Grundherren ver-
mißten ſie nicht. So gründlich war die feudale Geſellſchaftsordnung hier
im Weſten ſchon zerſtört. —
Unter allen Arbeiten der preußiſchen Verwaltung ward keine für die
Nation ſo fruchtbar wie die ſtille mühevolle Thätigkeit, welche die beiden
rheiniſchen Provinzen dem deutſchen Leben zurückgewann. Wie zuverſicht-
*) Keßler, Denkſchrift die Einführung einer ſtändiſchen Verfaſſung betreffend, Münſter
12. April 1818.
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