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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Das Verfassungs-Versprechen.
Sinne versprachen sodann die Besitzergreifungspatente den Schwedisch-
Pommern und, im Wesentlichen gleichlautend, den Sachsen: "die ständische
Verfassung werden Wir erhalten und sie der allgemeinen Verfassung an-
schließen, welche Wir Unserem gesammten Staate zu gewähren beabsich-
tigen." Auch den übrigen neuen Provinzen wurden Provinzialstände und
Theilnahme an den Reichsständen zugesagt. Das königliche Wort war
verpfändet, und stürmisch forderte die patriotische Presse, deren Gedanken
sich allein um das constitutionelle Ideal bewegten, die Einlösung des Ver-
sprechens. Rasches Handeln schien den Ungeduldigen um so mehr ge-
boten, da die interimistische Nationalrepräsentation, welche den alten Pro-
vinzen die letzten Jahre über als gemeinsames ständisches Organ gedient,
im Sommer 1815 endlich aufgelöst wurde. Diese Versammlung selbst
hatte noch kurz vor ihrem Ende, am 7. April, auf den Antrag des ober-
schlesischen Deputirten Elsner v. Gronow beschlossen, den König um
schleunige Einführung einer definitiven Landesrepräsentation und Wieder-
belebung der Provinzialstände zu bitten.*)

Als Hardenberg den König in Wien zur Gewährung jener verhäng-
nißvollen Zusage bewog, stellte man sich die Erfüllung noch sehr leicht
vor; der erste Vorschlag ging dahin, daß schon am 1. Juni unter dem
Vorsitz des Staatskanzlers eine aus Beamten und aus Eingesessenen der
Provinzen gebildete Commission zusammentreten und bis zum 1. Sept.
die preußische Verfassung zu Stande bringen sollte. Dies Aeußerste des
Leichtsinns wurde noch glücklich abgewendet, da der Krieg vor der Thür
stand; die Verordnung schob den Zusammentritt der Verfassungscommission
auf den 1. September hinaus. Aber auch dieser Zeitpunkt konnte nicht
eingehalten werden, weil der König und seine Räthe den Pariser Congreß
nicht verlassen durften. Als sie endlich heimkehrten, da mußten sie nicht
nur die Verfassungsarbeit abermals vertagen wegen der unaufschieblichen
Verwaltungsorganisation; es zeigte sich auch bald, daß jene von den Libe-
ralen so hoch gepriesene Verordnung nichts anders war als eine unver-
antwortliche Leichtfertigkeit Hardenbergs, der schwerste von allen seinen poli-
tischen Fehlern. Im Jahre 1808 hatten allerdings auf Steins Veran-
lassung Vincke, Schön und Staatsrath Rhediger einige Entwürfe und
Vorschläge für die künftige Verfassung niedergeschrieben; doch von Alledem
war wenig mehr zu gebrauchen seit das Staatsgebiet sich verdoppelt hatte.
Die neue Verordnung selber bot auch keinen festen Anhalt, ja sie erwies sich,
sobald man schärfer zusah, als eine Kette von Räthseln und Widersprüchen.
Die Provinzialstände, so befahl sie, sollten hergestellt und aus ihnen der
allgemeine Landtag gewählt werden. Aber bestanden denn wirklich noch
Stände, welche als eine Vertretung der soeben erst neugebildeten Pro-
vinzen gelten konnten? Besaßen sie noch unbestrittene Rechte? Wie sollte

*) Protokolle der Interimistischen Landesrepräsentation, 7. April 1815.

Das Verfaſſungs-Verſprechen.
Sinne verſprachen ſodann die Beſitzergreifungspatente den Schwediſch-
Pommern und, im Weſentlichen gleichlautend, den Sachſen: „die ſtändiſche
Verfaſſung werden Wir erhalten und ſie der allgemeinen Verfaſſung an-
ſchließen, welche Wir Unſerem geſammten Staate zu gewähren beabſich-
tigen.“ Auch den übrigen neuen Provinzen wurden Provinzialſtände und
Theilnahme an den Reichsſtänden zugeſagt. Das königliche Wort war
verpfändet, und ſtürmiſch forderte die patriotiſche Preſſe, deren Gedanken
ſich allein um das conſtitutionelle Ideal bewegten, die Einlöſung des Ver-
ſprechens. Raſches Handeln ſchien den Ungeduldigen um ſo mehr ge-
boten, da die interimiſtiſche Nationalrepräſentation, welche den alten Pro-
vinzen die letzten Jahre über als gemeinſames ſtändiſches Organ gedient,
im Sommer 1815 endlich aufgelöſt wurde. Dieſe Verſammlung ſelbſt
hatte noch kurz vor ihrem Ende, am 7. April, auf den Antrag des ober-
ſchleſiſchen Deputirten Elsner v. Gronow beſchloſſen, den König um
ſchleunige Einführung einer definitiven Landesrepräſentation und Wieder-
belebung der Provinzialſtände zu bitten.*)

Als Hardenberg den König in Wien zur Gewährung jener verhäng-
nißvollen Zuſage bewog, ſtellte man ſich die Erfüllung noch ſehr leicht
vor; der erſte Vorſchlag ging dahin, daß ſchon am 1. Juni unter dem
Vorſitz des Staatskanzlers eine aus Beamten und aus Eingeſeſſenen der
Provinzen gebildete Commiſſion zuſammentreten und bis zum 1. Sept.
die preußiſche Verfaſſung zu Stande bringen ſollte. Dies Aeußerſte des
Leichtſinns wurde noch glücklich abgewendet, da der Krieg vor der Thür
ſtand; die Verordnung ſchob den Zuſammentritt der Verfaſſungscommiſſion
auf den 1. September hinaus. Aber auch dieſer Zeitpunkt konnte nicht
eingehalten werden, weil der König und ſeine Räthe den Pariſer Congreß
nicht verlaſſen durften. Als ſie endlich heimkehrten, da mußten ſie nicht
nur die Verfaſſungsarbeit abermals vertagen wegen der unaufſchieblichen
Verwaltungsorganiſation; es zeigte ſich auch bald, daß jene von den Libe-
ralen ſo hoch geprieſene Verordnung nichts anders war als eine unver-
antwortliche Leichtfertigkeit Hardenbergs, der ſchwerſte von allen ſeinen poli-
tiſchen Fehlern. Im Jahre 1808 hatten allerdings auf Steins Veran-
laſſung Vincke, Schön und Staatsrath Rhediger einige Entwürfe und
Vorſchläge für die künftige Verfaſſung niedergeſchrieben; doch von Alledem
war wenig mehr zu gebrauchen ſeit das Staatsgebiet ſich verdoppelt hatte.
Die neue Verordnung ſelber bot auch keinen feſten Anhalt, ja ſie erwies ſich,
ſobald man ſchärfer zuſah, als eine Kette von Räthſeln und Widerſprüchen.
Die Provinzialſtände, ſo befahl ſie, ſollten hergeſtellt und aus ihnen der
allgemeine Landtag gewählt werden. Aber beſtanden denn wirklich noch
Stände, welche als eine Vertretung der ſoeben erſt neugebildeten Pro-
vinzen gelten konnten? Beſaßen ſie noch unbeſtrittene Rechte? Wie ſollte

*) Protokolle der Interimiſtiſchen Landesrepräſentation, 7. April 1815.
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[279/0293] Das Verfaſſungs-Verſprechen. Sinne verſprachen ſodann die Beſitzergreifungspatente den Schwediſch- Pommern und, im Weſentlichen gleichlautend, den Sachſen: „die ſtändiſche Verfaſſung werden Wir erhalten und ſie der allgemeinen Verfaſſung an- ſchließen, welche Wir Unſerem geſammten Staate zu gewähren beabſich- tigen.“ Auch den übrigen neuen Provinzen wurden Provinzialſtände und Theilnahme an den Reichsſtänden zugeſagt. Das königliche Wort war verpfändet, und ſtürmiſch forderte die patriotiſche Preſſe, deren Gedanken ſich allein um das conſtitutionelle Ideal bewegten, die Einlöſung des Ver- ſprechens. Raſches Handeln ſchien den Ungeduldigen um ſo mehr ge- boten, da die interimiſtiſche Nationalrepräſentation, welche den alten Pro- vinzen die letzten Jahre über als gemeinſames ſtändiſches Organ gedient, im Sommer 1815 endlich aufgelöſt wurde. Dieſe Verſammlung ſelbſt hatte noch kurz vor ihrem Ende, am 7. April, auf den Antrag des ober- ſchleſiſchen Deputirten Elsner v. Gronow beſchloſſen, den König um ſchleunige Einführung einer definitiven Landesrepräſentation und Wieder- belebung der Provinzialſtände zu bitten. *) Als Hardenberg den König in Wien zur Gewährung jener verhäng- nißvollen Zuſage bewog, ſtellte man ſich die Erfüllung noch ſehr leicht vor; der erſte Vorſchlag ging dahin, daß ſchon am 1. Juni unter dem Vorſitz des Staatskanzlers eine aus Beamten und aus Eingeſeſſenen der Provinzen gebildete Commiſſion zuſammentreten und bis zum 1. Sept. die preußiſche Verfaſſung zu Stande bringen ſollte. Dies Aeußerſte des Leichtſinns wurde noch glücklich abgewendet, da der Krieg vor der Thür ſtand; die Verordnung ſchob den Zuſammentritt der Verfaſſungscommiſſion auf den 1. September hinaus. Aber auch dieſer Zeitpunkt konnte nicht eingehalten werden, weil der König und ſeine Räthe den Pariſer Congreß nicht verlaſſen durften. Als ſie endlich heimkehrten, da mußten ſie nicht nur die Verfaſſungsarbeit abermals vertagen wegen der unaufſchieblichen Verwaltungsorganiſation; es zeigte ſich auch bald, daß jene von den Libe- ralen ſo hoch geprieſene Verordnung nichts anders war als eine unver- antwortliche Leichtfertigkeit Hardenbergs, der ſchwerſte von allen ſeinen poli- tiſchen Fehlern. Im Jahre 1808 hatten allerdings auf Steins Veran- laſſung Vincke, Schön und Staatsrath Rhediger einige Entwürfe und Vorſchläge für die künftige Verfaſſung niedergeſchrieben; doch von Alledem war wenig mehr zu gebrauchen ſeit das Staatsgebiet ſich verdoppelt hatte. Die neue Verordnung ſelber bot auch keinen feſten Anhalt, ja ſie erwies ſich, ſobald man ſchärfer zuſah, als eine Kette von Räthſeln und Widerſprüchen. Die Provinzialſtände, ſo befahl ſie, ſollten hergeſtellt und aus ihnen der allgemeine Landtag gewählt werden. Aber beſtanden denn wirklich noch Stände, welche als eine Vertretung der ſoeben erſt neugebildeten Pro- vinzen gelten konnten? Beſaßen ſie noch unbeſtrittene Rechte? Wie ſollte *) Protokolle der Interimiſtiſchen Landesrepräſentation, 7. April 1815.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/293>, abgerufen am 24.11.2024.