Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.Die erste Verfassungscommission. sowohl wie neue, als woran sie gewöhnt sind und was jemals sie hatten,so weit es mit der Gegenwart noch verträglich ist."*) Er verlangt also Herstellung der Provinzialstände und erhebliche Erweiterung ihrer Rechte, "nicht etwa, weil der Zeitgeist es gebietet, sondern weil der König will, daß die Wohlfahrt seines Staates und nach dessen Beispiel Deutschland und Europa vorschreite. Durch dieses Mehr wird zugleich eine Ausgleichung oder allgemeine Verfassung für die verschiedenen Länder oder Provinzen sich bilden lassen." Dergestalt bleibe die Selbständigkeit des Landesherrn gesichert, die durch einen allgemeinen Landtag leicht geschädigt werden könne. -- So war denn zum ersten male in einem amtlichen Aktenstücke die Ansicht ausgesprochen, daß eine Verfassung für den Gesammtstaat über- flüssig, ja gefährlich sei; die reactionäre Partei am Hofe wie die Altstän- dischen säumten nicht, die Aeußerungen des ängstlichen Ministers für sich zu benutzen. Hardenberg aber widersprach lebhaft; auch der König war noch nicht gewonnen. Klewiz schlug ferner vor: "Zuerst müßte das Jemals-Bestandene Unter solchen Umständen wurde am 7. Juli 1817 die Verfassungs- *) Klewiz' Denkschrift vom 28. April 1817, dem Staatskanzler eingereicht am 1. Juni.
Die erſte Verfaſſungscommiſſion. ſowohl wie neue, als woran ſie gewöhnt ſind und was jemals ſie hatten,ſo weit es mit der Gegenwart noch verträglich iſt.“*) Er verlangt alſo Herſtellung der Provinzialſtände und erhebliche Erweiterung ihrer Rechte, „nicht etwa, weil der Zeitgeiſt es gebietet, ſondern weil der König will, daß die Wohlfahrt ſeines Staates und nach deſſen Beiſpiel Deutſchland und Europa vorſchreite. Durch dieſes Mehr wird zugleich eine Ausgleichung oder allgemeine Verfaſſung für die verſchiedenen Länder oder Provinzen ſich bilden laſſen.“ Dergeſtalt bleibe die Selbſtändigkeit des Landesherrn geſichert, die durch einen allgemeinen Landtag leicht geſchädigt werden könne. — So war denn zum erſten male in einem amtlichen Aktenſtücke die Anſicht ausgeſprochen, daß eine Verfaſſung für den Geſammtſtaat über- flüſſig, ja gefährlich ſei; die reactionäre Partei am Hofe wie die Altſtän- diſchen ſäumten nicht, die Aeußerungen des ängſtlichen Miniſters für ſich zu benutzen. Hardenberg aber widerſprach lebhaft; auch der König war noch nicht gewonnen. Klewiz ſchlug ferner vor: „Zuerſt müßte das Jemals-Beſtandene Unter ſolchen Umſtänden wurde am 7. Juli 1817 die Verfaſſungs- *) Klewiz’ Denkſchrift vom 28. April 1817, dem Staatskanzler eingereicht am 1. Juni.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0301" n="287"/><fw place="top" type="header">Die erſte Verfaſſungscommiſſion.</fw><lb/> ſowohl wie neue, als woran ſie gewöhnt ſind und was jemals ſie hatten,<lb/> ſo weit es mit der Gegenwart noch verträglich iſt.“<note place="foot" n="*)">Klewiz’ Denkſchrift vom 28. April 1817, dem Staatskanzler eingereicht am 1. Juni.</note> Er verlangt alſo<lb/> Herſtellung der Provinzialſtände und erhebliche Erweiterung ihrer Rechte,<lb/> „nicht etwa, weil der Zeitgeiſt es gebietet, ſondern weil der König will,<lb/> daß die Wohlfahrt ſeines Staates und nach deſſen Beiſpiel Deutſchland<lb/> und Europa vorſchreite. Durch dieſes Mehr wird zugleich eine Ausgleichung<lb/> oder allgemeine Verfaſſung für die verſchiedenen Länder oder Provinzen<lb/> ſich bilden laſſen.“ Dergeſtalt bleibe die Selbſtändigkeit des Landesherrn<lb/> geſichert, die durch einen allgemeinen Landtag leicht geſchädigt werden<lb/> könne. — So war denn zum erſten male in einem amtlichen Aktenſtücke<lb/> die Anſicht ausgeſprochen, daß eine Verfaſſung für den Geſammtſtaat über-<lb/> flüſſig, ja gefährlich ſei; die reactionäre Partei am Hofe wie die Altſtän-<lb/> diſchen ſäumten nicht, die Aeußerungen des ängſtlichen Miniſters für ſich<lb/> zu benutzen. Hardenberg aber widerſprach lebhaft; auch der König war<lb/> noch nicht gewonnen.</p><lb/> <p>Klewiz ſchlug ferner vor: „Zuerſt müßte das Jemals-Beſtandene<lb/> einzeln ausgemittelt werden;“ Abgeſandte des Staatsraths ſollten die ein-<lb/> zelnen Provinzen bereiſen, um die altſtändiſchen Verhältniſſe kennen zu<lb/> lernen und an Ort und Stelle mit den Eingeſeſſenen über die Verfaſſungs-<lb/> wünſche der Provinzen ſich zu beſprechen; die Einberufung von Notabeln<lb/> in die Verfaſſungscommiſſion ſelbſt, wie ſie in der Verordnung vom 22. Mai<lb/> befohlen war, erſcheine hochbedenklich Angeſichts der württembergiſchen Er-<lb/> eigniſſe. Der Rathſchlag war wohlgemeint; denn allerdings konnte bei der<lb/> zerfahrenen Unſicherheit der öffentlichen Meinung eine Notabelnverſamm-<lb/> lung in Berlin leicht zum Tummelplatze ſocialer Leidenſchaften und parti-<lb/> culariſtiſcher Gelüſte werden. Da aber das Miniſterium ſich noch nicht<lb/> einmal über die Grundzüge der Verfaſſung verſtändigt hatte, ſo erwuchs<lb/> aus der vorgeſchlagenen Bereiſung der Provinzen eine andere kaum geringere<lb/> Gefahr. Aus den Debatten einer Notabelnverſammlung mußte doch irgend<lb/> eine Durchſchnittsmeinung hervorgehen; befragte man dagegen einige hundert<lb/> Notabeln einzeln in ihrer Heimath, ſo ergab ſich nothwendig ein Durch-<lb/> einander grundverſchiedener ſubjectiver Anſichten, das den ſchwankenden<lb/> Entſchluß der Krone zu verwirren und zu lähmen drohte. Dieſe Gefahr<lb/> wurde nicht erkannt, es überwog die Sorge vor den Wirren einer conſti-<lb/> tuirenden Verſammlung. Der König genehmigte die Bereiſung der Pro-<lb/> vinzen. —</p><lb/> <p>Unter ſolchen Umſtänden wurde am 7. Juli 1817 die Verfaſſungs-<lb/> commiſſion zum erſten und einzigen male verſammelt. Sie bildete, wie ſich<lb/> von ſelbſt verſtand, eine Abtheilung des Staatsraths und beſtand aus zwei-<lb/> undzwanzig Mitgliedern deſſelben. Hardenberg theilte ihr mit, der König<lb/> halte für einfacher und ſicherer, ſtatt die Eingeſeſſenen nach Berlin zu be-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [287/0301]
Die erſte Verfaſſungscommiſſion.
ſowohl wie neue, als woran ſie gewöhnt ſind und was jemals ſie hatten,
ſo weit es mit der Gegenwart noch verträglich iſt.“ *) Er verlangt alſo
Herſtellung der Provinzialſtände und erhebliche Erweiterung ihrer Rechte,
„nicht etwa, weil der Zeitgeiſt es gebietet, ſondern weil der König will,
daß die Wohlfahrt ſeines Staates und nach deſſen Beiſpiel Deutſchland
und Europa vorſchreite. Durch dieſes Mehr wird zugleich eine Ausgleichung
oder allgemeine Verfaſſung für die verſchiedenen Länder oder Provinzen
ſich bilden laſſen.“ Dergeſtalt bleibe die Selbſtändigkeit des Landesherrn
geſichert, die durch einen allgemeinen Landtag leicht geſchädigt werden
könne. — So war denn zum erſten male in einem amtlichen Aktenſtücke
die Anſicht ausgeſprochen, daß eine Verfaſſung für den Geſammtſtaat über-
flüſſig, ja gefährlich ſei; die reactionäre Partei am Hofe wie die Altſtän-
diſchen ſäumten nicht, die Aeußerungen des ängſtlichen Miniſters für ſich
zu benutzen. Hardenberg aber widerſprach lebhaft; auch der König war
noch nicht gewonnen.
Klewiz ſchlug ferner vor: „Zuerſt müßte das Jemals-Beſtandene
einzeln ausgemittelt werden;“ Abgeſandte des Staatsraths ſollten die ein-
zelnen Provinzen bereiſen, um die altſtändiſchen Verhältniſſe kennen zu
lernen und an Ort und Stelle mit den Eingeſeſſenen über die Verfaſſungs-
wünſche der Provinzen ſich zu beſprechen; die Einberufung von Notabeln
in die Verfaſſungscommiſſion ſelbſt, wie ſie in der Verordnung vom 22. Mai
befohlen war, erſcheine hochbedenklich Angeſichts der württembergiſchen Er-
eigniſſe. Der Rathſchlag war wohlgemeint; denn allerdings konnte bei der
zerfahrenen Unſicherheit der öffentlichen Meinung eine Notabelnverſamm-
lung in Berlin leicht zum Tummelplatze ſocialer Leidenſchaften und parti-
culariſtiſcher Gelüſte werden. Da aber das Miniſterium ſich noch nicht
einmal über die Grundzüge der Verfaſſung verſtändigt hatte, ſo erwuchs
aus der vorgeſchlagenen Bereiſung der Provinzen eine andere kaum geringere
Gefahr. Aus den Debatten einer Notabelnverſammlung mußte doch irgend
eine Durchſchnittsmeinung hervorgehen; befragte man dagegen einige hundert
Notabeln einzeln in ihrer Heimath, ſo ergab ſich nothwendig ein Durch-
einander grundverſchiedener ſubjectiver Anſichten, das den ſchwankenden
Entſchluß der Krone zu verwirren und zu lähmen drohte. Dieſe Gefahr
wurde nicht erkannt, es überwog die Sorge vor den Wirren einer conſti-
tuirenden Verſammlung. Der König genehmigte die Bereiſung der Pro-
vinzen. —
Unter ſolchen Umſtänden wurde am 7. Juli 1817 die Verfaſſungs-
commiſſion zum erſten und einzigen male verſammelt. Sie bildete, wie ſich
von ſelbſt verſtand, eine Abtheilung des Staatsraths und beſtand aus zwei-
undzwanzig Mitgliedern deſſelben. Hardenberg theilte ihr mit, der König
halte für einfacher und ſicherer, ſtatt die Eingeſeſſenen nach Berlin zu be-
*) Klewiz’ Denkſchrift vom 28. April 1817, dem Staatskanzler eingereicht am 1. Juni.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |