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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates.
sprochen, und das Wort muß gelöst werden. Auch so bald als möglich,
weil die Fortdauer großer Lasten doch Unzufriedenheit nährt und bei den
Waffen in der Hand des Volks gar zu leicht gefährlich werden kann."*)

In den Marken viel Klagen, weil "die alte Verfassung unter die
Füße getreten sei", viel Angst vor der drohenden Uebermacht der Bürger
und Bauern. Am freisinnigsten zeigte sich der Adel der Altmark; er hatte
unter der westphälischen Herrschaft manches alte Vorurtheil verlernt und
sprach zumeist für die Vertretung des Bauernstandes. Die Bauern der
Kurmark aber, stolz auf die neuen Kreisversammlungen, bezweifelten gar
nicht, daß sie auch in den Ständen ihren Mann stehen würden. Der
Führer der Feudalen, Minister v. Voß-Buch, hielt sich noch behutsam
zurück: eine Constitution nach dem Geiste der Zeit sei fast unvermeidlich,
man könne aber vorerst nur mit einer ständischen Verfassung beginnen;
also Provinzialstände nach Anhörung der alten Stände. -- Nirgends er-
schien der alte Klassenhaß so schroff wie in Sachsen. Hier wurde die "Reife"
der Bauern von den Meisten bezweifelt, von Allen aber das Steuerbe-
willigungsrecht für die Provinz verlangt. Man erinnerte wehmüthig an
die Verschwendung der polnischen Auguste; ein tüchtiger Mann, v. Berlepsch,
erklärte, diese Geldsorge sei in Sachsen der einzige politische Gedanke. Wie
schwierig das Verfassungswerk auch weltkundigen Männern erschien, das
lehrt ein Votum des Grafen Wintzingerode-Bodenstein. Der hatte einst
mitgeholfen, als Friedrich von Württemberg die schwäbischen Territorien
zu einem "Reiche" zusammenschlug; doch in einem Großstaate sei ein
solches Verfahren nicht anwendbar, hier müßten die alten Landschaften her-
gestellt, die kurmainzische Landtagsordnung für das Eichsfeld mit einigen
Verbesserungen wieder aufgerichtet werden.

Nur einer der drei Minister, Beyme, fügte den Reiseberichten eine
Darlegung seiner eigenen Ansicht hinzu. Er spricht in Hardenbergs Sinne,
bekämpft die alten Stände als "eine Geburt der finsteren Zeiten des
Mittelalters, welche das helle Tageslicht nicht vertragen könnte." Er sieht
in Amerika "das Ideal einer Verfassung", fordert für Preußen eine Ver-
tretung der drei Stände, vorläufig in einer Kammer, bis sich dereinst ein
lebensfähiger Adel bilde, rühmt die Bauern als den jugendlichsten und
gesündesten der Stände, das Rheinland als die aufgeklärteste Provinz.
Volle Oeffentlichkeit für Reichstag, Provinzialstände und Kreistage. Dazu
Grundrechte, den heute bestehenden fast gleich, auch Schwurgerichte für
Preßvergehen. -- Gewissenhaft wurde von allen drei Abgesandten die Auf-
gabe gelöst, "das Jemals-Bestandene" zu erforschen. Altenstein ließ sich's
nicht verdrießen, in den zahlreichen Territorien, welche die neuen westlichen
Provinzen bildeten, die Syndici und andere Würdenträger der alten Land-
tage aufzusuchen. Es waren zumeist ehrwürdige Herren, hoch in den

*) Yorks Votum, Klein-Oels 12. Sept. 1817.

II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates.
ſprochen, und das Wort muß gelöſt werden. Auch ſo bald als möglich,
weil die Fortdauer großer Laſten doch Unzufriedenheit nährt und bei den
Waffen in der Hand des Volks gar zu leicht gefährlich werden kann.“*)

In den Marken viel Klagen, weil „die alte Verfaſſung unter die
Füße getreten ſei“, viel Angſt vor der drohenden Uebermacht der Bürger
und Bauern. Am freiſinnigſten zeigte ſich der Adel der Altmark; er hatte
unter der weſtphäliſchen Herrſchaft manches alte Vorurtheil verlernt und
ſprach zumeiſt für die Vertretung des Bauernſtandes. Die Bauern der
Kurmark aber, ſtolz auf die neuen Kreisverſammlungen, bezweifelten gar
nicht, daß ſie auch in den Ständen ihren Mann ſtehen würden. Der
Führer der Feudalen, Miniſter v. Voß-Buch, hielt ſich noch behutſam
zurück: eine Conſtitution nach dem Geiſte der Zeit ſei faſt unvermeidlich,
man könne aber vorerſt nur mit einer ſtändiſchen Verfaſſung beginnen;
alſo Provinzialſtände nach Anhörung der alten Stände. — Nirgends er-
ſchien der alte Klaſſenhaß ſo ſchroff wie in Sachſen. Hier wurde die „Reife“
der Bauern von den Meiſten bezweifelt, von Allen aber das Steuerbe-
willigungsrecht für die Provinz verlangt. Man erinnerte wehmüthig an
die Verſchwendung der polniſchen Auguſte; ein tüchtiger Mann, v. Berlepſch,
erklärte, dieſe Geldſorge ſei in Sachſen der einzige politiſche Gedanke. Wie
ſchwierig das Verfaſſungswerk auch weltkundigen Männern erſchien, das
lehrt ein Votum des Grafen Wintzingerode-Bodenſtein. Der hatte einſt
mitgeholfen, als Friedrich von Württemberg die ſchwäbiſchen Territorien
zu einem „Reiche“ zuſammenſchlug; doch in einem Großſtaate ſei ein
ſolches Verfahren nicht anwendbar, hier müßten die alten Landſchaften her-
geſtellt, die kurmainziſche Landtagsordnung für das Eichsfeld mit einigen
Verbeſſerungen wieder aufgerichtet werden.

Nur einer der drei Miniſter, Beyme, fügte den Reiſeberichten eine
Darlegung ſeiner eigenen Anſicht hinzu. Er ſpricht in Hardenbergs Sinne,
bekämpft die alten Stände als „eine Geburt der finſteren Zeiten des
Mittelalters, welche das helle Tageslicht nicht vertragen könnte.“ Er ſieht
in Amerika „das Ideal einer Verfaſſung“, fordert für Preußen eine Ver-
tretung der drei Stände, vorläufig in einer Kammer, bis ſich dereinſt ein
lebensfähiger Adel bilde, rühmt die Bauern als den jugendlichſten und
geſündeſten der Stände, das Rheinland als die aufgeklärteſte Provinz.
Volle Oeffentlichkeit für Reichstag, Provinzialſtände und Kreistage. Dazu
Grundrechte, den heute beſtehenden faſt gleich, auch Schwurgerichte für
Preßvergehen. — Gewiſſenhaft wurde von allen drei Abgeſandten die Auf-
gabe gelöſt, „das Jemals-Beſtandene“ zu erforſchen. Altenſtein ließ ſich’s
nicht verdrießen, in den zahlreichen Territorien, welche die neuen weſtlichen
Provinzen bildeten, die Syndici und andere Würdenträger der alten Land-
tage aufzuſuchen. Es waren zumeiſt ehrwürdige Herren, hoch in den

*) Yorks Votum, Klein-Oels 12. Sept. 1817.
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[292/0306] II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates. ſprochen, und das Wort muß gelöſt werden. Auch ſo bald als möglich, weil die Fortdauer großer Laſten doch Unzufriedenheit nährt und bei den Waffen in der Hand des Volks gar zu leicht gefährlich werden kann.“ *) In den Marken viel Klagen, weil „die alte Verfaſſung unter die Füße getreten ſei“, viel Angſt vor der drohenden Uebermacht der Bürger und Bauern. Am freiſinnigſten zeigte ſich der Adel der Altmark; er hatte unter der weſtphäliſchen Herrſchaft manches alte Vorurtheil verlernt und ſprach zumeiſt für die Vertretung des Bauernſtandes. Die Bauern der Kurmark aber, ſtolz auf die neuen Kreisverſammlungen, bezweifelten gar nicht, daß ſie auch in den Ständen ihren Mann ſtehen würden. Der Führer der Feudalen, Miniſter v. Voß-Buch, hielt ſich noch behutſam zurück: eine Conſtitution nach dem Geiſte der Zeit ſei faſt unvermeidlich, man könne aber vorerſt nur mit einer ſtändiſchen Verfaſſung beginnen; alſo Provinzialſtände nach Anhörung der alten Stände. — Nirgends er- ſchien der alte Klaſſenhaß ſo ſchroff wie in Sachſen. Hier wurde die „Reife“ der Bauern von den Meiſten bezweifelt, von Allen aber das Steuerbe- willigungsrecht für die Provinz verlangt. Man erinnerte wehmüthig an die Verſchwendung der polniſchen Auguſte; ein tüchtiger Mann, v. Berlepſch, erklärte, dieſe Geldſorge ſei in Sachſen der einzige politiſche Gedanke. Wie ſchwierig das Verfaſſungswerk auch weltkundigen Männern erſchien, das lehrt ein Votum des Grafen Wintzingerode-Bodenſtein. Der hatte einſt mitgeholfen, als Friedrich von Württemberg die ſchwäbiſchen Territorien zu einem „Reiche“ zuſammenſchlug; doch in einem Großſtaate ſei ein ſolches Verfahren nicht anwendbar, hier müßten die alten Landſchaften her- geſtellt, die kurmainziſche Landtagsordnung für das Eichsfeld mit einigen Verbeſſerungen wieder aufgerichtet werden. Nur einer der drei Miniſter, Beyme, fügte den Reiſeberichten eine Darlegung ſeiner eigenen Anſicht hinzu. Er ſpricht in Hardenbergs Sinne, bekämpft die alten Stände als „eine Geburt der finſteren Zeiten des Mittelalters, welche das helle Tageslicht nicht vertragen könnte.“ Er ſieht in Amerika „das Ideal einer Verfaſſung“, fordert für Preußen eine Ver- tretung der drei Stände, vorläufig in einer Kammer, bis ſich dereinſt ein lebensfähiger Adel bilde, rühmt die Bauern als den jugendlichſten und geſündeſten der Stände, das Rheinland als die aufgeklärteſte Provinz. Volle Oeffentlichkeit für Reichstag, Provinzialſtände und Kreistage. Dazu Grundrechte, den heute beſtehenden faſt gleich, auch Schwurgerichte für Preßvergehen. — Gewiſſenhaft wurde von allen drei Abgeſandten die Auf- gabe gelöſt, „das Jemals-Beſtandene“ zu erforſchen. Altenſtein ließ ſich’s nicht verdrießen, in den zahlreichen Territorien, welche die neuen weſtlichen Provinzen bildeten, die Syndici und andere Würdenträger der alten Land- tage aufzuſuchen. Es waren zumeiſt ehrwürdige Herren, hoch in den *) Yorks Votum, Klein-Oels 12. Sept. 1817.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/306>, abgerufen am 22.11.2024.