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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Die Stände für das alte gute Recht.
ihre Zustimmung zu der Adresse zurück, und ein Theil der Mediatisirten
trat aus, um zunächst die Entscheidung des Wiener Congresses über die
Rechte der vormaligen Reichsstände abzuwarten. Die Form der Bera-
thungen entsprach noch ganz dem altväterischen Brauche: die Abgeordneten
verlasen zumeist lange schriftliche Vota und verstiegen sich nur selten, beim
Austausch persönlicher Gehässigkeiten, zur freien Rede. Seinen vier Bevoll-
mächtigten stellte der Landtag einen Ausschuß von 25 Mitgliedern an die
Seite, der die Stelle des alten großen Ausschusses vertreten sollte und auf
jeden Vorschlag der Regierung ein umständliches Gegenbedenken folgen ließ.
Und doch konnte selbst die langweilige Förmlichkeit des schriftlichen Ver-
fahrens nicht verhindern, daß die furchtbare Erbitterung gegen den König
sich oft in stürmischen Auftritten entlud. Die Stände beantworteten das
Entgegenkommen des Monarchen durch eine Zusammenstellung der Lan-
desbeschwerden. Welch ein Eindruck, als dies endlose Schriftstück verlesen
wurde und die unglaubliche Willkür der Landvögte, die frevelhafte Ver-
schwendung des Königs selbst an den Tag kam: fünf Millionen Gulden,
ein volles Drittel der Landeseinkünfte, hatte der Hofhalt jährlich ver-
schlungen. Alles schwieg erschüttert, Manchem stürzten die Thränen aus
den Augen; es war, als ob das tief beleidigte Gewissen des Volks zu
Gericht säße über die Sünden dieser neun Jahre. Unterdessen rückte das
Verfassungswerk nicht von der Stelle. In den schärfsten Worten erinnerten
die Stände den König an seinen gebrochenen Eid; sie wiederholten un-
ablässig, daß all' das "namenlose Elend" der letzten Jahre allein von der
"Verachtung des geprüften Alten" komme, und erklärten für den werth-
vollsten Bestandtheil der alten Verfassung grade jene beiden Institutionen,
welche sich mit der Einheit der modernen Monarchie am wenigsten ver-
trugen: den stehenden Ausschuß und die landständische Kasse. Getreu der
altständischen Ueberlieferung betrachteten sie das Verhältniß zwischen Fürst
und Volk als einen natürlichen Kriegszustand und scheuten sich nicht dem
Könige ins Gesicht zu sagen: für den Fall eines neuen Streites müsse
der Landtag eigene Geldmittel besitzen um verfolgte Beamte zu unterstützen.

Nach einem halben Jahre unfruchtbaren Streites riß dem Könige
endlich die Geduld. Er beschloß die Versammlung zu vertagen, forderte
sie auf, einige Bevollmächtigte zur Fortsetzung der Verhandlungen über
das Grundgesetz zurückzulassen und versprach in der Zwischenzeit die Landes-
beschwerden streng zu untersuchen. Die Mehrheit des Landtags aber kam
von den Formeln des altwürttembergischen Staatsrechts nicht los; sie be-
stand darauf, daß ein großer Ausschuß als Vertreter der Rechte des
Landes zurückbleiben müsse, und als der Monarch diese ständische Neben-
regierung zurückwies, gingen die Stände trotzig auseinander ohne Bevoll-
mächtigte für die Verfassungsarbeit zu ernennen. Bevor der Landtag sich
trennte spielte er noch seinen höchsten Trumpf aus und wendete sich
(26. Juli) an die Bürgen des alten Erbvergleichs, Dänemark, England

Die Stände für das alte gute Recht.
ihre Zuſtimmung zu der Adreſſe zurück, und ein Theil der Mediatiſirten
trat aus, um zunächſt die Entſcheidung des Wiener Congreſſes über die
Rechte der vormaligen Reichsſtände abzuwarten. Die Form der Bera-
thungen entſprach noch ganz dem altväteriſchen Brauche: die Abgeordneten
verlaſen zumeiſt lange ſchriftliche Vota und verſtiegen ſich nur ſelten, beim
Austauſch perſönlicher Gehäſſigkeiten, zur freien Rede. Seinen vier Bevoll-
mächtigten ſtellte der Landtag einen Ausſchuß von 25 Mitgliedern an die
Seite, der die Stelle des alten großen Ausſchuſſes vertreten ſollte und auf
jeden Vorſchlag der Regierung ein umſtändliches Gegenbedenken folgen ließ.
Und doch konnte ſelbſt die langweilige Förmlichkeit des ſchriftlichen Ver-
fahrens nicht verhindern, daß die furchtbare Erbitterung gegen den König
ſich oft in ſtürmiſchen Auftritten entlud. Die Stände beantworteten das
Entgegenkommen des Monarchen durch eine Zuſammenſtellung der Lan-
desbeſchwerden. Welch ein Eindruck, als dies endloſe Schriftſtück verleſen
wurde und die unglaubliche Willkür der Landvögte, die frevelhafte Ver-
ſchwendung des Königs ſelbſt an den Tag kam: fünf Millionen Gulden,
ein volles Drittel der Landeseinkünfte, hatte der Hofhalt jährlich ver-
ſchlungen. Alles ſchwieg erſchüttert, Manchem ſtürzten die Thränen aus
den Augen; es war, als ob das tief beleidigte Gewiſſen des Volks zu
Gericht ſäße über die Sünden dieſer neun Jahre. Unterdeſſen rückte das
Verfaſſungswerk nicht von der Stelle. In den ſchärfſten Worten erinnerten
die Stände den König an ſeinen gebrochenen Eid; ſie wiederholten un-
abläſſig, daß all’ das „namenloſe Elend“ der letzten Jahre allein von der
„Verachtung des geprüften Alten“ komme, und erklärten für den werth-
vollſten Beſtandtheil der alten Verfaſſung grade jene beiden Inſtitutionen,
welche ſich mit der Einheit der modernen Monarchie am wenigſten ver-
trugen: den ſtehenden Ausſchuß und die landſtändiſche Kaſſe. Getreu der
altſtändiſchen Ueberlieferung betrachteten ſie das Verhältniß zwiſchen Fürſt
und Volk als einen natürlichen Kriegszuſtand und ſcheuten ſich nicht dem
Könige ins Geſicht zu ſagen: für den Fall eines neuen Streites müſſe
der Landtag eigene Geldmittel beſitzen um verfolgte Beamte zu unterſtützen.

Nach einem halben Jahre unfruchtbaren Streites riß dem Könige
endlich die Geduld. Er beſchloß die Verſammlung zu vertagen, forderte
ſie auf, einige Bevollmächtigte zur Fortſetzung der Verhandlungen über
das Grundgeſetz zurückzulaſſen und verſprach in der Zwiſchenzeit die Landes-
beſchwerden ſtreng zu unterſuchen. Die Mehrheit des Landtags aber kam
von den Formeln des altwürttembergiſchen Staatsrechts nicht los; ſie be-
ſtand darauf, daß ein großer Ausſchuß als Vertreter der Rechte des
Landes zurückbleiben müſſe, und als der Monarch dieſe ſtändiſche Neben-
regierung zurückwies, gingen die Stände trotzig auseinander ohne Bevoll-
mächtigte für die Verfaſſungsarbeit zu ernennen. Bevor der Landtag ſich
trennte ſpielte er noch ſeinen höchſten Trumpf aus und wendete ſich
(26. Juli) an die Bürgen des alten Erbvergleichs, Dänemark, England

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[311/0325] Die Stände für das alte gute Recht. ihre Zuſtimmung zu der Adreſſe zurück, und ein Theil der Mediatiſirten trat aus, um zunächſt die Entſcheidung des Wiener Congreſſes über die Rechte der vormaligen Reichsſtände abzuwarten. Die Form der Bera- thungen entſprach noch ganz dem altväteriſchen Brauche: die Abgeordneten verlaſen zumeiſt lange ſchriftliche Vota und verſtiegen ſich nur ſelten, beim Austauſch perſönlicher Gehäſſigkeiten, zur freien Rede. Seinen vier Bevoll- mächtigten ſtellte der Landtag einen Ausſchuß von 25 Mitgliedern an die Seite, der die Stelle des alten großen Ausſchuſſes vertreten ſollte und auf jeden Vorſchlag der Regierung ein umſtändliches Gegenbedenken folgen ließ. Und doch konnte ſelbſt die langweilige Förmlichkeit des ſchriftlichen Ver- fahrens nicht verhindern, daß die furchtbare Erbitterung gegen den König ſich oft in ſtürmiſchen Auftritten entlud. Die Stände beantworteten das Entgegenkommen des Monarchen durch eine Zuſammenſtellung der Lan- desbeſchwerden. Welch ein Eindruck, als dies endloſe Schriftſtück verleſen wurde und die unglaubliche Willkür der Landvögte, die frevelhafte Ver- ſchwendung des Königs ſelbſt an den Tag kam: fünf Millionen Gulden, ein volles Drittel der Landeseinkünfte, hatte der Hofhalt jährlich ver- ſchlungen. Alles ſchwieg erſchüttert, Manchem ſtürzten die Thränen aus den Augen; es war, als ob das tief beleidigte Gewiſſen des Volks zu Gericht ſäße über die Sünden dieſer neun Jahre. Unterdeſſen rückte das Verfaſſungswerk nicht von der Stelle. In den ſchärfſten Worten erinnerten die Stände den König an ſeinen gebrochenen Eid; ſie wiederholten un- abläſſig, daß all’ das „namenloſe Elend“ der letzten Jahre allein von der „Verachtung des geprüften Alten“ komme, und erklärten für den werth- vollſten Beſtandtheil der alten Verfaſſung grade jene beiden Inſtitutionen, welche ſich mit der Einheit der modernen Monarchie am wenigſten ver- trugen: den ſtehenden Ausſchuß und die landſtändiſche Kaſſe. Getreu der altſtändiſchen Ueberlieferung betrachteten ſie das Verhältniß zwiſchen Fürſt und Volk als einen natürlichen Kriegszuſtand und ſcheuten ſich nicht dem Könige ins Geſicht zu ſagen: für den Fall eines neuen Streites müſſe der Landtag eigene Geldmittel beſitzen um verfolgte Beamte zu unterſtützen. Nach einem halben Jahre unfruchtbaren Streites riß dem Könige endlich die Geduld. Er beſchloß die Verſammlung zu vertagen, forderte ſie auf, einige Bevollmächtigte zur Fortſetzung der Verhandlungen über das Grundgeſetz zurückzulaſſen und verſprach in der Zwiſchenzeit die Landes- beſchwerden ſtreng zu unterſuchen. Die Mehrheit des Landtags aber kam von den Formeln des altwürttembergiſchen Staatsrechts nicht los; ſie be- ſtand darauf, daß ein großer Ausſchuß als Vertreter der Rechte des Landes zurückbleiben müſſe, und als der Monarch dieſe ſtändiſche Neben- regierung zurückwies, gingen die Stände trotzig auseinander ohne Bevoll- mächtigte für die Verfaſſungsarbeit zu ernennen. Bevor der Landtag ſich trennte ſpielte er noch ſeinen höchſten Trumpf aus und wendete ſich (26. Juli) an die Bürgen des alten Erbvergleichs, Dänemark, England

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/325>, abgerufen am 22.11.2024.