Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.Die Schicksalstragödie. die männliche Kunst der Dramatik einen ganzen Mann verlangt. SeinLeben lang schwankte er friedlos hin und her zwischen wüsten Begierden und überschwänglicher Verzückung, zwischen cynischer Gemeinheit und einer weinerlichen Gefühlsschwelgerei, die sich's nicht versagen konnte am Grabe eines Hundes für den Seelenfrieden des Entschlafenen zu beten. Da sein zerrissenes Gemüth bei "Gott und dem heiligen Rousseau" keinen Trost fand, so flüchtete er sich endlich zu Rom in den Schooß der alten Kirche und klammerte sich in krampfhafter Angst an den Felsen Petri an. Wenn der kritische Verstand des Ostpreußen zuweilen erwachte, wenn ihm das Blutfest des heiligen Januarius wie ein peruanischer Götzendienst vorkam, so betäubte er die Zweifel durch das Getöse ekstatischer Aus- rufungen. Dann kam er nach Wien, in den Tagen da der rührige Pater Hoffbauer in der lebenslustigen Stadt zum ersten male wieder eine streng kirchliche Partei begründet und eine Schaar von Convertiten um sich ge- sammelt hatte; er ging auf alle Anschauungen dieser clericalen Kreise freudig ein und trat den Freiheitsgesängen der norddeutschen Jugend ent- gegen mit dem Liede: "das Feldgeschrei sei: alte Zeit wird neu!" Zur Zeit des Congresses ward er der Modeprediger der vornehmen Welt. Halb zerknirscht, halb ergötzt lauschte das elegante Wien, wenn der lange hagere Priester mit den unheimlichen dunklen Augen seine gewaltige Baßstimme erschallen ließ und bald in glühenden Farben den Schwefelpfuhl der ewigen Verdammniß, bald mit gründlicher Sachkenntniß und schlecht ver- hehltem Behagen die Verirrungen der Sinnlichkeit schilderte. Wie seinem Leben so fehlte auch seinem dichterischen Schaffen die Entwicklung und Läuterung. Seine Jugenddramen bekundeten ein starkes realistisches Ta- lent und lebendigen Sinn für historische Größe; in einzelnen Scenen der "Weihe der Kraft" trat die mächtige Gestalt Martin Luthers, das hoch- gemuthe, farbenreiche Leben unseres sechzehnten Jahrhunderts markig und anschaulich heraus. Dicht daneben lag freilich eine krankhafte Lust am Spukhaften, Scheußlichen und Wilden; jene räthselhafte Verbindung von Glaubenswuth, Wollust und Blutdurst, die uns in den Naturreligionen unreifer Völker anwidert, schien in dem unseligen Menschen wieder lebendig zu werden. Nach seinem Uebertritte nahm er mit bußfertigem Eifer sein bestes Werk zurück und schrieb eine klägliche "Weihe der Unkraft". In seinem letzten Drama "die Mutter der Makkabäer" verrieth sich schon die Gewissenlosigkeit eines halb umnachteten Geistes, der hinter schwülstigen Hymnen und grell gemalten Märtyrerbildern die Armuth seines religiösen Gefühles zu verbergen suchte. Wirksamer als Werners historische Trauerspiele wurde seine im Jahre 2*
Die Schickſalstragödie. die männliche Kunſt der Dramatik einen ganzen Mann verlangt. SeinLeben lang ſchwankte er friedlos hin und her zwiſchen wüſten Begierden und überſchwänglicher Verzückung, zwiſchen cyniſcher Gemeinheit und einer weinerlichen Gefühlsſchwelgerei, die ſich’s nicht verſagen konnte am Grabe eines Hundes für den Seelenfrieden des Entſchlafenen zu beten. Da ſein zerriſſenes Gemüth bei „Gott und dem heiligen Rouſſeau“ keinen Troſt fand, ſo flüchtete er ſich endlich zu Rom in den Schooß der alten Kirche und klammerte ſich in krampfhafter Angſt an den Felſen Petri an. Wenn der kritiſche Verſtand des Oſtpreußen zuweilen erwachte, wenn ihm das Blutfeſt des heiligen Januarius wie ein peruaniſcher Götzendienſt vorkam, ſo betäubte er die Zweifel durch das Getöſe ekſtatiſcher Aus- rufungen. Dann kam er nach Wien, in den Tagen da der rührige Pater Hoffbauer in der lebensluſtigen Stadt zum erſten male wieder eine ſtreng kirchliche Partei begründet und eine Schaar von Convertiten um ſich ge- ſammelt hatte; er ging auf alle Anſchauungen dieſer clericalen Kreiſe freudig ein und trat den Freiheitsgeſängen der norddeutſchen Jugend ent- gegen mit dem Liede: „das Feldgeſchrei ſei: alte Zeit wird neu!“ Zur Zeit des Congreſſes ward er der Modeprediger der vornehmen Welt. Halb zerknirſcht, halb ergötzt lauſchte das elegante Wien, wenn der lange hagere Prieſter mit den unheimlichen dunklen Augen ſeine gewaltige Baßſtimme erſchallen ließ und bald in glühenden Farben den Schwefelpfuhl der ewigen Verdammniß, bald mit gründlicher Sachkenntniß und ſchlecht ver- hehltem Behagen die Verirrungen der Sinnlichkeit ſchilderte. Wie ſeinem Leben ſo fehlte auch ſeinem dichteriſchen Schaffen die Entwicklung und Läuterung. Seine Jugenddramen bekundeten ein ſtarkes realiſtiſches Ta- lent und lebendigen Sinn für hiſtoriſche Größe; in einzelnen Scenen der „Weihe der Kraft“ trat die mächtige Geſtalt Martin Luthers, das hoch- gemuthe, farbenreiche Leben unſeres ſechzehnten Jahrhunderts markig und anſchaulich heraus. Dicht daneben lag freilich eine krankhafte Luſt am Spukhaften, Scheußlichen und Wilden; jene räthſelhafte Verbindung von Glaubenswuth, Wolluſt und Blutdurſt, die uns in den Naturreligionen unreifer Völker anwidert, ſchien in dem unſeligen Menſchen wieder lebendig zu werden. Nach ſeinem Uebertritte nahm er mit bußfertigem Eifer ſein beſtes Werk zurück und ſchrieb eine klägliche „Weihe der Unkraft“. In ſeinem letzten Drama „die Mutter der Makkabäer“ verrieth ſich ſchon die Gewiſſenloſigkeit eines halb umnachteten Geiſtes, der hinter ſchwülſtigen Hymnen und grell gemalten Märtyrerbildern die Armuth ſeines religiöſen Gefühles zu verbergen ſuchte. Wirkſamer als Werners hiſtoriſche Trauerſpiele wurde ſeine im Jahre 2*
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Die Schickſalstragödie.
die männliche Kunſt der Dramatik einen ganzen Mann verlangt. Sein
Leben lang ſchwankte er friedlos hin und her zwiſchen wüſten Begierden
und überſchwänglicher Verzückung, zwiſchen cyniſcher Gemeinheit und einer
weinerlichen Gefühlsſchwelgerei, die ſich’s nicht verſagen konnte am Grabe
eines Hundes für den Seelenfrieden des Entſchlafenen zu beten. Da
ſein zerriſſenes Gemüth bei „Gott und dem heiligen Rouſſeau“ keinen
Troſt fand, ſo flüchtete er ſich endlich zu Rom in den Schooß der alten
Kirche und klammerte ſich in krampfhafter Angſt an den Felſen Petri an.
Wenn der kritiſche Verſtand des Oſtpreußen zuweilen erwachte, wenn ihm
das Blutfeſt des heiligen Januarius wie ein peruaniſcher Götzendienſt
vorkam, ſo betäubte er die Zweifel durch das Getöſe ekſtatiſcher Aus-
rufungen. Dann kam er nach Wien, in den Tagen da der rührige Pater
Hoffbauer in der lebensluſtigen Stadt zum erſten male wieder eine ſtreng
kirchliche Partei begründet und eine Schaar von Convertiten um ſich ge-
ſammelt hatte; er ging auf alle Anſchauungen dieſer clericalen Kreiſe
freudig ein und trat den Freiheitsgeſängen der norddeutſchen Jugend ent-
gegen mit dem Liede: „das Feldgeſchrei ſei: alte Zeit wird neu!“ Zur
Zeit des Congreſſes ward er der Modeprediger der vornehmen Welt. Halb
zerknirſcht, halb ergötzt lauſchte das elegante Wien, wenn der lange hagere
Prieſter mit den unheimlichen dunklen Augen ſeine gewaltige Baßſtimme
erſchallen ließ und bald in glühenden Farben den Schwefelpfuhl der
ewigen Verdammniß, bald mit gründlicher Sachkenntniß und ſchlecht ver-
hehltem Behagen die Verirrungen der Sinnlichkeit ſchilderte. Wie ſeinem
Leben ſo fehlte auch ſeinem dichteriſchen Schaffen die Entwicklung und
Läuterung. Seine Jugenddramen bekundeten ein ſtarkes realiſtiſches Ta-
lent und lebendigen Sinn für hiſtoriſche Größe; in einzelnen Scenen der
„Weihe der Kraft“ trat die mächtige Geſtalt Martin Luthers, das hoch-
gemuthe, farbenreiche Leben unſeres ſechzehnten Jahrhunderts markig und
anſchaulich heraus. Dicht daneben lag freilich eine krankhafte Luſt am
Spukhaften, Scheußlichen und Wilden; jene räthſelhafte Verbindung von
Glaubenswuth, Wolluſt und Blutdurſt, die uns in den Naturreligionen
unreifer Völker anwidert, ſchien in dem unſeligen Menſchen wieder lebendig
zu werden. Nach ſeinem Uebertritte nahm er mit bußfertigem Eifer ſein
beſtes Werk zurück und ſchrieb eine klägliche „Weihe der Unkraft“. In
ſeinem letzten Drama „die Mutter der Makkabäer“ verrieth ſich ſchon die
Gewiſſenloſigkeit eines halb umnachteten Geiſtes, der hinter ſchwülſtigen
Hymnen und grell gemalten Märtyrerbildern die Armuth ſeines religiöſen
Gefühles zu verbergen ſuchte.
Wirkſamer als Werners hiſtoriſche Trauerſpiele wurde ſeine im Jahre
1815 veröffentlichte Schickſalstragödie „der vierundzwanzigſte Februar“,
ein auf die Erregung körperlichen Schauders berechnetes Virtuoſenſtück.
Das tragiſche Schickſal ergab ſich hier nicht mit innerer Nothwendigkeit
aus dem Charakter der Handelnden, ſondern aus dem räthſelhaften Zauber
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