Monatelang ward darüber hin- und hergestritten, und um die Ver- wirrung zu vollenden, griff Wangenheims doctrinärer Eifer auch noch das Einzige an, worüber bisher beide Theile einig waren: das im bürger- lichen Württemberg althergebrachte Einkammersystem. Ohne zwei Kammern konnte die Idee der heiligen Dreizahl sich doch nimmermehr verwirk- lichen; das aristokratische Element mußte durchaus "das Hypomochlion" bilden, das zwischen der Demokratie und der Autokratie "ein oscillirendes Gleichgewicht herstellt"! Der König ging auf diese theoretischen Grillen, welche Wangenheim in einer neuen Druckschrift ausführlich entwickelte, um so williger ein, weil sie mit den Berechnungen seiner nüchternen Real- politik übereinstimmten. Gleich den meisten Rheinbundsfürsten beargwöhnte er den Adel als den gefährlichsten Feind der Krone und hielt für nöthig, die vornehmen Demagogen in einer ersten Kammer abzusperren damit sie den Bürger und Bauer nicht verführten. Aus so wunderlichen Beweg- gründen entstand der Plan, in einem Kleinstaate, der für eine kräftige Pairie offenbar keinen Raum bot, gleichwohl eine Adelskammer zu bilden. Die Altrechtler widersprachen lebhaft; sie trauten ihren aristokratischen Genossen wenig, aber sie glaubten sich der adlichen Sonderbestrebungen am sichersten, wie bisher, in einer ungetheilten Ständeversammlung er- wehren zu können. Leichter verständigte man sich über eine andere deutsche Eigenthümlichkeit, welche die Macht unserer kleinen Landtage noch schwer schädigen sollte, über die Diäten. Daß der Volksvertreter für sein Ehren- amt bezahlt werden müsse, schien Allen selbstverständlich. Die Rücksicht auf die bittere Armuth der gebildeten Klassen wirkte zusammen mit der Standesanschauung der Beamten; ohne Tagegelder konnte sich der Bureau- krat der alten Schule eine außerordentliche Mühewaltung nicht vorstellen. Währenddem brach die despotische Natur des Königs immer von Neuem durch: bald wurden die Unterzeichner einer Adresse an den Landtag, bald ein hitzköpfiger Abgeordneter vor das Strafgericht geladen. Aber auch die Stände erlaubten sich gewaltsame Uebergriffe. Sie behaupteten alle die Befugnisse, welche ihnen die künftige Verfassung erst zugestehen sollte, schon jetzt zu besitzen und verwahrten feierlich ihre Rechte, als der König abermals Steuern ausschreiben ließ, ja sie drohten im Falle der Wieder- holung die Unterthanen zur Steuerverweigerung aufzufordern.
So zog sich der Streit, mit jedem neuen Tage langweiliger und unfruchtbarer, abermals durch ein volles Jahr. Im August 1816 richtete Graf Waldeck auf eigene Faust eine zweite Zuschrift an die drei Garanten und an Kaiser Franz als das vormalige Reichsoberhaupt -- ein Akten- stück, das in classischen Worten den unbelehrbaren Trotz der Götzendiener des alten Rechts aussprach. "Die altwürttembergische Verfassung, hieß es da, ist durch den Ausspruch des deutschen Kaiserhofs und der hohen Garanten, durch die einhellige Stimme Deutschlands und die Segnungen dreier Jahrhunderte so bündig als ein Werk menschlicher Vollkommen-
II. 6. Süddentſche Verfaſſungskämpfe.
Monatelang ward darüber hin- und hergeſtritten, und um die Ver- wirrung zu vollenden, griff Wangenheims doctrinärer Eifer auch noch das Einzige an, worüber bisher beide Theile einig waren: das im bürger- lichen Württemberg althergebrachte Einkammerſyſtem. Ohne zwei Kammern konnte die Idee der heiligen Dreizahl ſich doch nimmermehr verwirk- lichen; das ariſtokratiſche Element mußte durchaus „das Hypomochlion“ bilden, das zwiſchen der Demokratie und der Autokratie „ein oscillirendes Gleichgewicht herſtellt“! Der König ging auf dieſe theoretiſchen Grillen, welche Wangenheim in einer neuen Druckſchrift ausführlich entwickelte, um ſo williger ein, weil ſie mit den Berechnungen ſeiner nüchternen Real- politik übereinſtimmten. Gleich den meiſten Rheinbundsfürſten beargwöhnte er den Adel als den gefährlichſten Feind der Krone und hielt für nöthig, die vornehmen Demagogen in einer erſten Kammer abzuſperren damit ſie den Bürger und Bauer nicht verführten. Aus ſo wunderlichen Beweg- gründen entſtand der Plan, in einem Kleinſtaate, der für eine kräftige Pairie offenbar keinen Raum bot, gleichwohl eine Adelskammer zu bilden. Die Altrechtler widerſprachen lebhaft; ſie trauten ihren ariſtokratiſchen Genoſſen wenig, aber ſie glaubten ſich der adlichen Sonderbeſtrebungen am ſicherſten, wie bisher, in einer ungetheilten Ständeverſammlung er- wehren zu können. Leichter verſtändigte man ſich über eine andere deutſche Eigenthümlichkeit, welche die Macht unſerer kleinen Landtage noch ſchwer ſchädigen ſollte, über die Diäten. Daß der Volksvertreter für ſein Ehren- amt bezahlt werden müſſe, ſchien Allen ſelbſtverſtändlich. Die Rückſicht auf die bittere Armuth der gebildeten Klaſſen wirkte zuſammen mit der Standesanſchauung der Beamten; ohne Tagegelder konnte ſich der Bureau- krat der alten Schule eine außerordentliche Mühewaltung nicht vorſtellen. Währenddem brach die despotiſche Natur des Königs immer von Neuem durch: bald wurden die Unterzeichner einer Adreſſe an den Landtag, bald ein hitzköpfiger Abgeordneter vor das Strafgericht geladen. Aber auch die Stände erlaubten ſich gewaltſame Uebergriffe. Sie behaupteten alle die Befugniſſe, welche ihnen die künftige Verfaſſung erſt zugeſtehen ſollte, ſchon jetzt zu beſitzen und verwahrten feierlich ihre Rechte, als der König abermals Steuern ausſchreiben ließ, ja ſie drohten im Falle der Wieder- holung die Unterthanen zur Steuerverweigerung aufzufordern.
So zog ſich der Streit, mit jedem neuen Tage langweiliger und unfruchtbarer, abermals durch ein volles Jahr. Im Auguſt 1816 richtete Graf Waldeck auf eigene Fauſt eine zweite Zuſchrift an die drei Garanten und an Kaiſer Franz als das vormalige Reichsoberhaupt — ein Akten- ſtück, das in claſſiſchen Worten den unbelehrbaren Trotz der Götzendiener des alten Rechts ausſprach. „Die altwürttembergiſche Verfaſſung, hieß es da, iſt durch den Ausſpruch des deutſchen Kaiſerhofs und der hohen Garanten, durch die einhellige Stimme Deutſchlands und die Segnungen dreier Jahrhunderte ſo bündig als ein Werk menſchlicher Vollkommen-
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Monatelang ward darüber hin- und hergeſtritten, und um die Ver-
wirrung zu vollenden, griff Wangenheims doctrinärer Eifer auch noch
das Einzige an, worüber bisher beide Theile einig waren: das im bürger-
lichen Württemberg althergebrachte Einkammerſyſtem. Ohne zwei Kammern
konnte die Idee der heiligen Dreizahl ſich doch nimmermehr verwirk-
lichen; das ariſtokratiſche Element mußte durchaus „das Hypomochlion“
bilden, das zwiſchen der Demokratie und der Autokratie „ein oscillirendes
Gleichgewicht herſtellt“! Der König ging auf dieſe theoretiſchen Grillen,
welche Wangenheim in einer neuen Druckſchrift ausführlich entwickelte,
um ſo williger ein, weil ſie mit den Berechnungen ſeiner nüchternen Real-
politik übereinſtimmten. Gleich den meiſten Rheinbundsfürſten beargwöhnte
er den Adel als den gefährlichſten Feind der Krone und hielt für nöthig,
die vornehmen Demagogen in einer erſten Kammer abzuſperren damit ſie
den Bürger und Bauer nicht verführten. Aus ſo wunderlichen Beweg-
gründen entſtand der Plan, in einem Kleinſtaate, der für eine kräftige
Pairie offenbar keinen Raum bot, gleichwohl eine Adelskammer zu bilden.
Die Altrechtler widerſprachen lebhaft; ſie trauten ihren ariſtokratiſchen
Genoſſen wenig, aber ſie glaubten ſich der adlichen Sonderbeſtrebungen
am ſicherſten, wie bisher, in einer ungetheilten Ständeverſammlung er-
wehren zu können. Leichter verſtändigte man ſich über eine andere deutſche
Eigenthümlichkeit, welche die Macht unſerer kleinen Landtage noch ſchwer
ſchädigen ſollte, über die Diäten. Daß der Volksvertreter für ſein Ehren-
amt bezahlt werden müſſe, ſchien Allen ſelbſtverſtändlich. Die Rückſicht
auf die bittere Armuth der gebildeten Klaſſen wirkte zuſammen mit der
Standesanſchauung der Beamten; ohne Tagegelder konnte ſich der Bureau-
krat der alten Schule eine außerordentliche Mühewaltung nicht vorſtellen.
Währenddem brach die despotiſche Natur des Königs immer von Neuem
durch: bald wurden die Unterzeichner einer Adreſſe an den Landtag, bald
ein hitzköpfiger Abgeordneter vor das Strafgericht geladen. Aber auch die
Stände erlaubten ſich gewaltſame Uebergriffe. Sie behaupteten alle die
Befugniſſe, welche ihnen die künftige Verfaſſung erſt zugeſtehen ſollte,
ſchon jetzt zu beſitzen und verwahrten feierlich ihre Rechte, als der König
abermals Steuern ausſchreiben ließ, ja ſie drohten im Falle der Wieder-
holung die Unterthanen zur Steuerverweigerung aufzufordern.
So zog ſich der Streit, mit jedem neuen Tage langweiliger und
unfruchtbarer, abermals durch ein volles Jahr. Im Auguſt 1816 richtete
Graf Waldeck auf eigene Fauſt eine zweite Zuſchrift an die drei Garanten
und an Kaiſer Franz als das vormalige Reichsoberhaupt — ein Akten-
ſtück, das in claſſiſchen Worten den unbelehrbaren Trotz der Götzendiener
des alten Rechts ausſprach. „Die altwürttembergiſche Verfaſſung, hieß
es da, iſt durch den Ausſpruch des deutſchen Kaiſerhofs und der hohen
Garanten, durch die einhellige Stimme Deutſchlands und die Segnungen
dreier Jahrhunderte ſo bündig als ein Werk menſchlicher Vollkommen-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/330>, abgerufen am 22.11.2024.
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