Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.II. 6. Süddeutsche Verfassungskämpfe. Landes. Schon seit Jahren pflegte ihn das treue Volk mit dem gutenHerzog Christoph zu vergleichen, weil er gleich diesem unter einem ty- rannischen Vater eine freudlose Jugend verleben mußte. Von der Gut- müthigkeit jenes alten Herzogs lag freilich gar nichts in der herzlosen, kalt verständigen Natur des neuen Königs. Zu Lüben in der preußi- schen Garnison geboren war der Prinz in seiner Jugend so gut preußisch gesinnt wie sein Großvater Karl Eugen; damals schrieb er sich noch Friedrich Wilhelm. Als er nach der Jenaer Schlacht die Preußen miß- achten lernte, blieb er doch noch immer ein stolzer deutscher Offizier und widersetzte sich entschieden der französischen Politik seines Vaters; der heftige Zwist im königlichen Hause wurde bald landkundig und warb dem Kronprinzen viele geheime Verehrer, obschon der Trotz des lieblosen Sohnes an diesen Händeln ebenso viel Schuld trug als die bonapar- tistische Gesinnung des harten Vaters. Da der König dem Protector zu Liebe die Hand der anmuthigen Stephanie Beauharnais für seinen Sohn zu erlangen wünschte, schloß der Prinz plötzlich mit der bairi- schen Prinzessin Karoline Auguste eine Ehe, die für beide Theile unselig wurde. Die Lorbeeren der napoleonischen Siegeszüge reizten ihn nicht; erst als Württemberg zu den Verbündeten übergegangen war, nahm er am Kampfe theil und bewährte sich in dem französischen Winterfeldzuge, namentlich in dem blutigen Treffen von Montereau, als ein tüchtiger Corpsführer, so daß der schwäbische Dichter Wilhelm Hauff den Heim- kehrenden als "Prinz Wilhelm, den edlen Ritter" feierte. Auf seinen Charakter wirkten diese militärischen Erfolge nicht günstig; sie verschärften den Zug menschenverachtender Ueberhebung, den er mit seinem Vater theilte, und da er die kleinstädtischen Vorurtheile seiner Landsleute weit übersah, so ward er auch durch die Erfahrungen des heimischen Ver- fassungskampfes nur bestärkt in dem Wahne, daß er selber Alles am Besten verstehe. Ein unbändiger Ehrgeiz nagte rastlos an seiner Seele; allen deut- II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe. Landes. Schon ſeit Jahren pflegte ihn das treue Volk mit dem gutenHerzog Chriſtoph zu vergleichen, weil er gleich dieſem unter einem ty- ranniſchen Vater eine freudloſe Jugend verleben mußte. Von der Gut- müthigkeit jenes alten Herzogs lag freilich gar nichts in der herzloſen, kalt verſtändigen Natur des neuen Königs. Zu Lüben in der preußi- ſchen Garniſon geboren war der Prinz in ſeiner Jugend ſo gut preußiſch geſinnt wie ſein Großvater Karl Eugen; damals ſchrieb er ſich noch Friedrich Wilhelm. Als er nach der Jenaer Schlacht die Preußen miß- achten lernte, blieb er doch noch immer ein ſtolzer deutſcher Offizier und widerſetzte ſich entſchieden der franzöſiſchen Politik ſeines Vaters; der heftige Zwiſt im königlichen Hauſe wurde bald landkundig und warb dem Kronprinzen viele geheime Verehrer, obſchon der Trotz des liebloſen Sohnes an dieſen Händeln ebenſo viel Schuld trug als die bonapar- tiſtiſche Geſinnung des harten Vaters. Da der König dem Protector zu Liebe die Hand der anmuthigen Stephanie Beauharnais für ſeinen Sohn zu erlangen wünſchte, ſchloß der Prinz plötzlich mit der bairi- ſchen Prinzeſſin Karoline Auguſte eine Ehe, die für beide Theile unſelig wurde. Die Lorbeeren der napoleoniſchen Siegeszüge reizten ihn nicht; erſt als Württemberg zu den Verbündeten übergegangen war, nahm er am Kampfe theil und bewährte ſich in dem franzöſiſchen Winterfeldzuge, namentlich in dem blutigen Treffen von Montereau, als ein tüchtiger Corpsführer, ſo daß der ſchwäbiſche Dichter Wilhelm Hauff den Heim- kehrenden als „Prinz Wilhelm, den edlen Ritter“ feierte. Auf ſeinen Charakter wirkten dieſe militäriſchen Erfolge nicht günſtig; ſie verſchärften den Zug menſchenverachtender Ueberhebung, den er mit ſeinem Vater theilte, und da er die kleinſtädtiſchen Vorurtheile ſeiner Landsleute weit überſah, ſo ward er auch durch die Erfahrungen des heimiſchen Ver- faſſungskampfes nur beſtärkt in dem Wahne, daß er ſelber Alles am Beſten verſtehe. Ein unbändiger Ehrgeiz nagte raſtlos an ſeiner Seele; allen deut- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0332" n="318"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe.</fw><lb/> Landes. Schon ſeit Jahren pflegte ihn das treue Volk mit dem guten<lb/> Herzog Chriſtoph zu vergleichen, weil er gleich dieſem unter einem ty-<lb/> ranniſchen Vater eine freudloſe Jugend verleben mußte. Von der Gut-<lb/> müthigkeit jenes alten Herzogs lag freilich gar nichts in der herzloſen,<lb/> kalt verſtändigen Natur des neuen Königs. 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II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe.
Landes. Schon ſeit Jahren pflegte ihn das treue Volk mit dem guten
Herzog Chriſtoph zu vergleichen, weil er gleich dieſem unter einem ty-
ranniſchen Vater eine freudloſe Jugend verleben mußte. Von der Gut-
müthigkeit jenes alten Herzogs lag freilich gar nichts in der herzloſen,
kalt verſtändigen Natur des neuen Königs. Zu Lüben in der preußi-
ſchen Garniſon geboren war der Prinz in ſeiner Jugend ſo gut preußiſch
geſinnt wie ſein Großvater Karl Eugen; damals ſchrieb er ſich noch
Friedrich Wilhelm. Als er nach der Jenaer Schlacht die Preußen miß-
achten lernte, blieb er doch noch immer ein ſtolzer deutſcher Offizier und
widerſetzte ſich entſchieden der franzöſiſchen Politik ſeines Vaters; der
heftige Zwiſt im königlichen Hauſe wurde bald landkundig und warb
dem Kronprinzen viele geheime Verehrer, obſchon der Trotz des liebloſen
Sohnes an dieſen Händeln ebenſo viel Schuld trug als die bonapar-
tiſtiſche Geſinnung des harten Vaters. Da der König dem Protector
zu Liebe die Hand der anmuthigen Stephanie Beauharnais für ſeinen
Sohn zu erlangen wünſchte, ſchloß der Prinz plötzlich mit der bairi-
ſchen Prinzeſſin Karoline Auguſte eine Ehe, die für beide Theile unſelig
wurde. Die Lorbeeren der napoleoniſchen Siegeszüge reizten ihn nicht;
erſt als Württemberg zu den Verbündeten übergegangen war, nahm er
am Kampfe theil und bewährte ſich in dem franzöſiſchen Winterfeldzuge,
namentlich in dem blutigen Treffen von Montereau, als ein tüchtiger
Corpsführer, ſo daß der ſchwäbiſche Dichter Wilhelm Hauff den Heim-
kehrenden als „Prinz Wilhelm, den edlen Ritter“ feierte. Auf ſeinen
Charakter wirkten dieſe militäriſchen Erfolge nicht günſtig; ſie verſchärften
den Zug menſchenverachtender Ueberhebung, den er mit ſeinem Vater
theilte, und da er die kleinſtädtiſchen Vorurtheile ſeiner Landsleute weit
überſah, ſo ward er auch durch die Erfahrungen des heimiſchen Ver-
faſſungskampfes nur beſtärkt in dem Wahne, daß er ſelber Alles am
Beſten verſtehe.
Ein unbändiger Ehrgeiz nagte raſtlos an ſeiner Seele; allen deut-
ſchen Fürſten glaubte er überlegen zu ſein. Längſt war das Schwaben-
land ſeinen Plänen zu klein; ſchon auf dem Wiener und dem Pariſer
Congreſſe wurde die diplomatiſche Welt mehrmals durch wunderſame Ent-
würfe überraſcht, welche dem Helden von Montereau eine glänzende Ehren-
ſtellung, das Feldherrnamt des Deutſchen Bundes in Mainz oder die
Landesherrſchaft im Elſaß zudachten. Die Träume des Prinzen nahmen
einen noch höheren Flug, als er, nach Auflöſung der Ehe mit der Baierin,
die Schweſter des Czaren, Großfürſtin Katharina heimführte, eine geiſtreiche,
lebhafte, unternehmende Frau, die einſt während des ruſſiſchen Krieges
gleich den tapferſten Männern an der Rüſtung des Heeres gearbeitet
hatte und ſich ungern in die kleinen Verhältniſſe der neuen Heimath
fand. „Wie ſollen, ſchrieb damals Küſter, drei ſo bedeutende, energiſche
und lebhafte Menſchen wie Friedrich, Wilhelm und Katharina ſich ver-
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