Seinem Landtage trat der König mit ungeheuchelter Versöhnlichkeit entgegen. Alle geheimen Pläne seines Ehrgeizes beruhten ja zunächst auf der Hoffnung, daß die Nation ihn als den liberalsten aller deutschen Fürsten feiern sollte. Mochten die landständischen Formen immerhin lästig sein, er fühlte sich stark genug mit diesen Schreibern fertig zu werden und auch als constitutioneller Fürst am letzten Ende seinen Willen durchzusetzen. Darum beließ er auch Wangenheim an der Spitze der Geschäfte, obwohl diese beiden grundverschiedenen Naturen eigentlich nur Eins gemein hatten, die Träume der Triaspolitik, und der Minister bald bemerkte, daß der König ihn mit stillem Groll, nicht immer ganz ehrlich behandelte.*) Sofort wurde mit Benutzung des ständischen Ent- wurfs ein neuer Verfassungsplan ausgearbeitet -- es war bereits der dritte in diesem endlosen Streite -- und dem Landtage am 3. März 1817 übergeben. Die Erbietungen des Sohnes gingen noch weit über die letzten Vorschläge des Vaters hinaus. Gleichwohl entbrannte von Neuem der hartnäckige Kampf um die alten Streitfragen: Einkammersystem, Steuer- kasse, stehende Ausschüsse; und nochmals bekundete der Stuttgarter Pöbel in lärmenden Aufläufen seine Theilnahme für die Altrechtler.
Als dies Treiben wieder ein Vierteljahr gewährt hatte, konnte der König seine soldatische Barschheit nicht mehr bemeistern. Er berieth sich hinter dem Rücken der Minister mit seinem Freunde, dem Freiherrn v. Maucler, dem Führer der einheimischen Bureaukratie, und legte den Ständen ein binnen acht Tagen anzunehmendes und in der That annehmbares Ul- timatum vor. Neue stürmische Entrüstung über dies kurz angebundene Verfahren. Am 2. Juni verwarf der Landtag auch dies letzte Aner- bieten; die Altwürttemberger, der größte Theil des Adels und eine kleine klerikale Partei bildeten die Mehrheit. Während fast alle besonnenen Politiker außerhalb des Landes jetzt auf die Seite des Königs traten, war die Erbitterung der Landtagsmehrheit von Tag zu Tag gestiegen. Die Altwürttemberger beanspruchten gradezu die itio in partes, so daß sie sich ihre alten Sonderrechte selbst gegen den Willen der neuen Lan- destheile vorbehalten dürften. Freiherr v. Varnbüler versicherte bei der Schlußabstimmung kurzab: er wolle das Volk unter der gegenwärtigen Regierung lieber ohne Verfassung sehen, als ihm für die Zukunft den Anspruch auf seine alte Verfassung vergeben. Mit dem konnte der Hof nicht fertig werden; als man ihm den Kammerherrnschlüssel abforderte, sendete er das Kleinod durch die Post zurück und schrieb auf den Um- schlag: "Sachen ohne Werth." Unter allen Zeichen königlicher Ungnade wurde der Landtag aufgelöst und den auswärtigen Mitgliedern sogar der Aufenthalt in der Hauptstadt verboten. Ein Versuch, den königlichen Ent- wurf durch eine Volksabstimmung durchzusetzen, mißlang gänzlich, und
*) Wangenheim an Hartmann, 3. Februar 1832.
Treitschke, Deutsche Geschichte. II. 21
König Wilhelms Verfaſſungspläne.
Seinem Landtage trat der König mit ungeheuchelter Verſöhnlichkeit entgegen. Alle geheimen Pläne ſeines Ehrgeizes beruhten ja zunächſt auf der Hoffnung, daß die Nation ihn als den liberalſten aller deutſchen Fürſten feiern ſollte. Mochten die landſtändiſchen Formen immerhin läſtig ſein, er fühlte ſich ſtark genug mit dieſen Schreibern fertig zu werden und auch als conſtitutioneller Fürſt am letzten Ende ſeinen Willen durchzuſetzen. Darum beließ er auch Wangenheim an der Spitze der Geſchäfte, obwohl dieſe beiden grundverſchiedenen Naturen eigentlich nur Eins gemein hatten, die Träume der Triaspolitik, und der Miniſter bald bemerkte, daß der König ihn mit ſtillem Groll, nicht immer ganz ehrlich behandelte.*) Sofort wurde mit Benutzung des ſtändiſchen Ent- wurfs ein neuer Verfaſſungsplan ausgearbeitet — es war bereits der dritte in dieſem endloſen Streite — und dem Landtage am 3. März 1817 übergeben. Die Erbietungen des Sohnes gingen noch weit über die letzten Vorſchläge des Vaters hinaus. Gleichwohl entbrannte von Neuem der hartnäckige Kampf um die alten Streitfragen: Einkammerſyſtem, Steuer- kaſſe, ſtehende Ausſchüſſe; und nochmals bekundete der Stuttgarter Pöbel in lärmenden Aufläufen ſeine Theilnahme für die Altrechtler.
Als dies Treiben wieder ein Vierteljahr gewährt hatte, konnte der König ſeine ſoldatiſche Barſchheit nicht mehr bemeiſtern. Er berieth ſich hinter dem Rücken der Miniſter mit ſeinem Freunde, dem Freiherrn v. Maucler, dem Führer der einheimiſchen Bureaukratie, und legte den Ständen ein binnen acht Tagen anzunehmendes und in der That annehmbares Ul- timatum vor. Neue ſtürmiſche Entrüſtung über dies kurz angebundene Verfahren. Am 2. Juni verwarf der Landtag auch dies letzte Aner- bieten; die Altwürttemberger, der größte Theil des Adels und eine kleine klerikale Partei bildeten die Mehrheit. Während faſt alle beſonnenen Politiker außerhalb des Landes jetzt auf die Seite des Königs traten, war die Erbitterung der Landtagsmehrheit von Tag zu Tag geſtiegen. Die Altwürttemberger beanſpruchten gradezu die itio in partes, ſo daß ſie ſich ihre alten Sonderrechte ſelbſt gegen den Willen der neuen Lan- destheile vorbehalten dürften. Freiherr v. Varnbüler verſicherte bei der Schlußabſtimmung kurzab: er wolle das Volk unter der gegenwärtigen Regierung lieber ohne Verfaſſung ſehen, als ihm für die Zukunft den Anſpruch auf ſeine alte Verfaſſung vergeben. Mit dem konnte der Hof nicht fertig werden; als man ihm den Kammerherrnſchlüſſel abforderte, ſendete er das Kleinod durch die Poſt zurück und ſchrieb auf den Um- ſchlag: „Sachen ohne Werth.“ Unter allen Zeichen königlicher Ungnade wurde der Landtag aufgelöſt und den auswärtigen Mitgliedern ſogar der Aufenthalt in der Hauptſtadt verboten. Ein Verſuch, den königlichen Ent- wurf durch eine Volksabſtimmung durchzuſetzen, mißlang gänzlich, und
*) Wangenheim an Hartmann, 3. Februar 1832.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 21
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König Wilhelms Verfaſſungspläne.
Seinem Landtage trat der König mit ungeheuchelter Verſöhnlichkeit
entgegen. Alle geheimen Pläne ſeines Ehrgeizes beruhten ja zunächſt
auf der Hoffnung, daß die Nation ihn als den liberalſten aller deutſchen
Fürſten feiern ſollte. Mochten die landſtändiſchen Formen immerhin
läſtig ſein, er fühlte ſich ſtark genug mit dieſen Schreibern fertig zu
werden und auch als conſtitutioneller Fürſt am letzten Ende ſeinen Willen
durchzuſetzen. Darum beließ er auch Wangenheim an der Spitze der
Geſchäfte, obwohl dieſe beiden grundverſchiedenen Naturen eigentlich nur
Eins gemein hatten, die Träume der Triaspolitik, und der Miniſter
bald bemerkte, daß der König ihn mit ſtillem Groll, nicht immer ganz
ehrlich behandelte. *) Sofort wurde mit Benutzung des ſtändiſchen Ent-
wurfs ein neuer Verfaſſungsplan ausgearbeitet — es war bereits der
dritte in dieſem endloſen Streite — und dem Landtage am 3. März 1817
übergeben. Die Erbietungen des Sohnes gingen noch weit über die letzten
Vorſchläge des Vaters hinaus. Gleichwohl entbrannte von Neuem der
hartnäckige Kampf um die alten Streitfragen: Einkammerſyſtem, Steuer-
kaſſe, ſtehende Ausſchüſſe; und nochmals bekundete der Stuttgarter Pöbel
in lärmenden Aufläufen ſeine Theilnahme für die Altrechtler.
Als dies Treiben wieder ein Vierteljahr gewährt hatte, konnte der
König ſeine ſoldatiſche Barſchheit nicht mehr bemeiſtern. Er berieth ſich hinter
dem Rücken der Miniſter mit ſeinem Freunde, dem Freiherrn v. Maucler,
dem Führer der einheimiſchen Bureaukratie, und legte den Ständen ein
binnen acht Tagen anzunehmendes und in der That annehmbares Ul-
timatum vor. Neue ſtürmiſche Entrüſtung über dies kurz angebundene
Verfahren. Am 2. Juni verwarf der Landtag auch dies letzte Aner-
bieten; die Altwürttemberger, der größte Theil des Adels und eine kleine
klerikale Partei bildeten die Mehrheit. Während faſt alle beſonnenen
Politiker außerhalb des Landes jetzt auf die Seite des Königs traten,
war die Erbitterung der Landtagsmehrheit von Tag zu Tag geſtiegen.
Die Altwürttemberger beanſpruchten gradezu die itio in partes, ſo daß
ſie ſich ihre alten Sonderrechte ſelbſt gegen den Willen der neuen Lan-
destheile vorbehalten dürften. Freiherr v. Varnbüler verſicherte bei der
Schlußabſtimmung kurzab: er wolle das Volk unter der gegenwärtigen
Regierung lieber ohne Verfaſſung ſehen, als ihm für die Zukunft den
Anſpruch auf ſeine alte Verfaſſung vergeben. Mit dem konnte der Hof
nicht fertig werden; als man ihm den Kammerherrnſchlüſſel abforderte,
ſendete er das Kleinod durch die Poſt zurück und ſchrieb auf den Um-
ſchlag: „Sachen ohne Werth.“ Unter allen Zeichen königlicher Ungnade
wurde der Landtag aufgelöſt und den auswärtigen Mitgliedern ſogar der
Aufenthalt in der Hauptſtadt verboten. Ein Verſuch, den königlichen Ent-
wurf durch eine Volksabſtimmung durchzuſetzen, mißlang gänzlich, und
*) Wangenheim an Hartmann, 3. Februar 1832.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 21
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/335>, abgerufen am 22.11.2024.
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