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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 6. Süddeutsche Verfassungskämpfe.

Ueberaus eifrig als Soldat, ein Verwaltungsmann von sicherem
Blick und großer Arbeitsamkeit, ein trefflicher Landwirth und ausge-
zeichneter Pferdezüchter, in seinen Lebensgewohnheiten einfach, geregelt und,
obwohl keineswegs sittenstreng, doch frei von der Schamlosigkeit des Vaters
-- so war der neue König allen den praktischen Geschäften des Lebens,
welche durch Klugheit und Energie bewältigt werden können, vollauf ge-
wachsen. Was darüber hinaus liegt war seinem Geiste verschlossen. Die
Kirche betrachtete er gleich seinem Vater mit dem Spotte des Voltairianers,
nur daß ihm die Religion unentbehrlich schien um den dummen Haufen
in Zucht zu halten; die "Ideologie" der freien Wissenschaft blieb ihm ein
unbequemes Räthsel, halb lächerlich, halb furchtbar, wie er denn auch als
ein echter rheinbündischer Berufssoldat den freien Geist des preußischen
Heeres nie verstehen lernte; seine Kunstliebe endlich erhob sich, gleich dem
Mäcenatenthum vieler anderen Kleinfürsten, niemals über jene Bildungs-
stufe, welche das Ideal allein in nackten Weibergestalten findet. Ein solcher
Mann, zu unruhig für das Stillleben eines Kleinstaats und doch zu
selbstisch um die Hohlheit einer Souveränität ohne Macht einzusehen,
konnte in die verschlungenen Fäden der deutschen Bundespolitik nur einige
hemmende Knoten mehr einknüpfen; dem gemüthvollen Tiefsinn der schwä-
bischen Volksnatur blieb er innerlich ebenso fremd wie einst König Friedrich.
Der herkömmliche Jubel der ersten Wochen verrauschte schnell. In einer
langen Regierung wurde der König, trotz seiner unbestreitbaren Ver-
dienste um den Wohlstand des Landes, nie wieder wahrhaft volksbeliebt;
man konnte sich kein Herz zu ihm fassen und lernte auch bald den häß-
lichsten Zug seines Charakters fürchten, die nachtragende Unversöhnlichkeit.

Das neue Regiment begann sofort mit dankenswerthen Reformen:
der tolle Prunk und der Jagdunfug des Hofes wurden beseitigt, mehrere
Steuern herabgesetzt, zahlreiche Gefangene begnadigt, einige Günstlinge
des verstorbenen Fürsten in der Stille entfernt. Während der Hungers-
noth der nächsten Monate bewährte die Königin ihre männliche Willens-
kraft im weiblichsten Berufe; treu ihrem Ausspruch: "helfen ist der hohe
Beruf des Weibes in der Gesellschaft" überspannte sie das ganze Land
mit einem Netze von Frauenvereinen, Sparkassen, gemeinnützigen Stif-
tungen aller Art und zeigte sich bei diesem Liebeswerke so menschlich groß,
daß bald nachher ihr früher Tod in jedem Dorfe Schwabens wie ein
Landesunglück beweint wurde. Selbst Uhland, der Verächter der Höfe, legte
der Volksmutter einen duftigen Kranz auf den Sarg, und Kerner klagte:

Wie sie früh von Gott erlesen,
Eine Heil'ge, uns verschwand.

Auf der Höhe, wo einst die Stammburg des Fürstenhauses gestanden
hatte, fand die hochherzige Fürstin ihr Grab, und die Württemberger
wallfahrteten zu der Kapelle des Rothenbergs mit ähnlichen Empfin-
dungen wie die Preußen zu dem Charlottenburger Tempel.

II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe.

Ueberaus eifrig als Soldat, ein Verwaltungsmann von ſicherem
Blick und großer Arbeitſamkeit, ein trefflicher Landwirth und ausge-
zeichneter Pferdezüchter, in ſeinen Lebensgewohnheiten einfach, geregelt und,
obwohl keineswegs ſittenſtreng, doch frei von der Schamloſigkeit des Vaters
— ſo war der neue König allen den praktiſchen Geſchäften des Lebens,
welche durch Klugheit und Energie bewältigt werden können, vollauf ge-
wachſen. Was darüber hinaus liegt war ſeinem Geiſte verſchloſſen. Die
Kirche betrachtete er gleich ſeinem Vater mit dem Spotte des Voltairianers,
nur daß ihm die Religion unentbehrlich ſchien um den dummen Haufen
in Zucht zu halten; die „Ideologie“ der freien Wiſſenſchaft blieb ihm ein
unbequemes Räthſel, halb lächerlich, halb furchtbar, wie er denn auch als
ein echter rheinbündiſcher Berufsſoldat den freien Geiſt des preußiſchen
Heeres nie verſtehen lernte; ſeine Kunſtliebe endlich erhob ſich, gleich dem
Mäcenatenthum vieler anderen Kleinfürſten, niemals über jene Bildungs-
ſtufe, welche das Ideal allein in nackten Weibergeſtalten findet. Ein ſolcher
Mann, zu unruhig für das Stillleben eines Kleinſtaats und doch zu
ſelbſtiſch um die Hohlheit einer Souveränität ohne Macht einzuſehen,
konnte in die verſchlungenen Fäden der deutſchen Bundespolitik nur einige
hemmende Knoten mehr einknüpfen; dem gemüthvollen Tiefſinn der ſchwä-
biſchen Volksnatur blieb er innerlich ebenſo fremd wie einſt König Friedrich.
Der herkömmliche Jubel der erſten Wochen verrauſchte ſchnell. In einer
langen Regierung wurde der König, trotz ſeiner unbeſtreitbaren Ver-
dienſte um den Wohlſtand des Landes, nie wieder wahrhaft volksbeliebt;
man konnte ſich kein Herz zu ihm faſſen und lernte auch bald den häß-
lichſten Zug ſeines Charakters fürchten, die nachtragende Unverſöhnlichkeit.

Das neue Regiment begann ſofort mit dankenswerthen Reformen:
der tolle Prunk und der Jagdunfug des Hofes wurden beſeitigt, mehrere
Steuern herabgeſetzt, zahlreiche Gefangene begnadigt, einige Günſtlinge
des verſtorbenen Fürſten in der Stille entfernt. Während der Hungers-
noth der nächſten Monate bewährte die Königin ihre männliche Willens-
kraft im weiblichſten Berufe; treu ihrem Ausſpruch: „helfen iſt der hohe
Beruf des Weibes in der Geſellſchaft“ überſpannte ſie das ganze Land
mit einem Netze von Frauenvereinen, Sparkaſſen, gemeinnützigen Stif-
tungen aller Art und zeigte ſich bei dieſem Liebeswerke ſo menſchlich groß,
daß bald nachher ihr früher Tod in jedem Dorfe Schwabens wie ein
Landesunglück beweint wurde. Selbſt Uhland, der Verächter der Höfe, legte
der Volksmutter einen duftigen Kranz auf den Sarg, und Kerner klagte:

Wie ſie früh von Gott erleſen,
Eine Heil’ge, uns verſchwand.

Auf der Höhe, wo einſt die Stammburg des Fürſtenhauſes geſtanden
hatte, fand die hochherzige Fürſtin ihr Grab, und die Württemberger
wallfahrteten zu der Kapelle des Rothenbergs mit ähnlichen Empfin-
dungen wie die Preußen zu dem Charlottenburger Tempel.

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[320/0334] II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe. Ueberaus eifrig als Soldat, ein Verwaltungsmann von ſicherem Blick und großer Arbeitſamkeit, ein trefflicher Landwirth und ausge- zeichneter Pferdezüchter, in ſeinen Lebensgewohnheiten einfach, geregelt und, obwohl keineswegs ſittenſtreng, doch frei von der Schamloſigkeit des Vaters — ſo war der neue König allen den praktiſchen Geſchäften des Lebens, welche durch Klugheit und Energie bewältigt werden können, vollauf ge- wachſen. Was darüber hinaus liegt war ſeinem Geiſte verſchloſſen. Die Kirche betrachtete er gleich ſeinem Vater mit dem Spotte des Voltairianers, nur daß ihm die Religion unentbehrlich ſchien um den dummen Haufen in Zucht zu halten; die „Ideologie“ der freien Wiſſenſchaft blieb ihm ein unbequemes Räthſel, halb lächerlich, halb furchtbar, wie er denn auch als ein echter rheinbündiſcher Berufsſoldat den freien Geiſt des preußiſchen Heeres nie verſtehen lernte; ſeine Kunſtliebe endlich erhob ſich, gleich dem Mäcenatenthum vieler anderen Kleinfürſten, niemals über jene Bildungs- ſtufe, welche das Ideal allein in nackten Weibergeſtalten findet. Ein ſolcher Mann, zu unruhig für das Stillleben eines Kleinſtaats und doch zu ſelbſtiſch um die Hohlheit einer Souveränität ohne Macht einzuſehen, konnte in die verſchlungenen Fäden der deutſchen Bundespolitik nur einige hemmende Knoten mehr einknüpfen; dem gemüthvollen Tiefſinn der ſchwä- biſchen Volksnatur blieb er innerlich ebenſo fremd wie einſt König Friedrich. Der herkömmliche Jubel der erſten Wochen verrauſchte ſchnell. In einer langen Regierung wurde der König, trotz ſeiner unbeſtreitbaren Ver- dienſte um den Wohlſtand des Landes, nie wieder wahrhaft volksbeliebt; man konnte ſich kein Herz zu ihm faſſen und lernte auch bald den häß- lichſten Zug ſeines Charakters fürchten, die nachtragende Unverſöhnlichkeit. Das neue Regiment begann ſofort mit dankenswerthen Reformen: der tolle Prunk und der Jagdunfug des Hofes wurden beſeitigt, mehrere Steuern herabgeſetzt, zahlreiche Gefangene begnadigt, einige Günſtlinge des verſtorbenen Fürſten in der Stille entfernt. Während der Hungers- noth der nächſten Monate bewährte die Königin ihre männliche Willens- kraft im weiblichſten Berufe; treu ihrem Ausſpruch: „helfen iſt der hohe Beruf des Weibes in der Geſellſchaft“ überſpannte ſie das ganze Land mit einem Netze von Frauenvereinen, Sparkaſſen, gemeinnützigen Stif- tungen aller Art und zeigte ſich bei dieſem Liebeswerke ſo menſchlich groß, daß bald nachher ihr früher Tod in jedem Dorfe Schwabens wie ein Landesunglück beweint wurde. Selbſt Uhland, der Verächter der Höfe, legte der Volksmutter einen duftigen Kranz auf den Sarg, und Kerner klagte: Wie ſie früh von Gott erleſen, Eine Heil’ge, uns verſchwand. Auf der Höhe, wo einſt die Stammburg des Fürſtenhauſes geſtanden hatte, fand die hochherzige Fürſtin ihr Grab, und die Württemberger wallfahrteten zu der Kapelle des Rothenbergs mit ähnlichen Empfin- dungen wie die Preußen zu dem Charlottenburger Tempel.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/334>, abgerufen am 22.11.2024.