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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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König Max Joseph.
bewußte Unwahrheit verpfändete.*) Der rege Verkehr mit dem Protector
des Rheinbunds war durch die Umstände geboten; schimpflich ward er erst
durch die Liebedienerei des Königs, der, oftmals ohne einer Antwort ge-
würdigt zu werden, den Imperator mit unterthänigen Briefen überschüttete,
ihm weit öfter als nöthig war persönlich aufwartete, ihn sogar bei den
Heirathsangelegenheiten der königlichen Prinzen um seine Befehle bat und
den Werkzeugen Napoleons, den Herzögen von Bassano und Cadore jedes
geforderte Trinkgeld unweigerlich gewährte. Dieselbe unkönigliche Haltung
zeigte der furchtsame Fürst späterhin, als der Streit um die badische
Pfalz begann, gegenüber dem Czaren Alexander.

Den Regierungsgeschäften widmete er sich mit achtungswerthem Fleiße;
man hielt ihn für müssiger als er war, weil er seine freien Stunden so
gern auf der Straße verbrachte. Aber alle Ordnung war ihm lästig,
und da er nur die oberflächliche Bildung eines altfranzösischen Offiziers
besaß, so ward er bald abhängig von der überlegenen Sachkenntniß der
Minister und des gewandten Cabinetssekretärs Ringel. Selbst vom Heer-
wesen verstand er wenig, am Abend seines Lebens erschien er nur noch
selten unter seinen Truppen und ließ die Kriegstüchtigkeit des Heeres, das
sich unter Napoleons Führung so trefflich bewährt hatte, im Frieden rasch
verfallen. Dieser unmilitärische Sinn blieb seitdem ein Erbtheil aller
bairischen Könige und sollte dem Staate dereinst noch verhängnißvoll werden.
Leicht bestimmbar, abhängig von den Eindrücken des Augenblicks hielt
Max Joseph doch zwei politische Grundsätze unverbrüchlich fest: er war
als geborener Pfälzer so tief überzeugt von der Unhaltbarkeit der alt-
bairischen Zustände, daß er im Nothfall auch vor radicalen Reformen
nicht zurückschrak, und er haßte aus Herzensgrund die Herrschsucht des
Pfaffenthums. Hier lag seine Stärke: wenn er die norddeutschen Ge-
lehrten in München gegen den bigotten Pöbelwahn beschützte, dann zeigte
er eine ganz ungewohnte Festigkeit. Er wußte, was es bedeutete, daß sein
Haus jetzt 1,200,000 protestantische Unterthanen beherrschte; sie sollten
fühlen, daß sie einem gerechten Staate angehörten. Er freute sich in ge-
mischter Ehe zu leben, und es bleibt sein historischer Ruhm, daß er
diesen Geist duldsamer Milde seinen Kindern und Enkeln vermachte. In
drei Generationen hat das Land seitdem nur protestantische Königinnen
gesehen, und trotz wiederholter Kämpfe und Rückschläge ist der deutsche
Gedanke der kirchlichen Parität, den der gute König Max seinem wider-
strebenden Volke auferlegte, dem bairischen Staate nicht wieder verloren
gegangen.

Seit dem Rieder Vertrage war die Stellung des allmächtigen Mi-
nisters Montgelas etwas erschüttert. Die verbündeten Monarchen be-
trachteten den ersten Staatsmann des Rheinbunds mit begreiflichem Miß-

*) S. I. 221.

König Max Joſeph.
bewußte Unwahrheit verpfändete.*) Der rege Verkehr mit dem Protector
des Rheinbunds war durch die Umſtände geboten; ſchimpflich ward er erſt
durch die Liebedienerei des Königs, der, oftmals ohne einer Antwort ge-
würdigt zu werden, den Imperator mit unterthänigen Briefen überſchüttete,
ihm weit öfter als nöthig war perſönlich aufwartete, ihn ſogar bei den
Heirathsangelegenheiten der königlichen Prinzen um ſeine Befehle bat und
den Werkzeugen Napoleons, den Herzögen von Baſſano und Cadore jedes
geforderte Trinkgeld unweigerlich gewährte. Dieſelbe unkönigliche Haltung
zeigte der furchtſame Fürſt ſpäterhin, als der Streit um die badiſche
Pfalz begann, gegenüber dem Czaren Alexander.

Den Regierungsgeſchäften widmete er ſich mit achtungswerthem Fleiße;
man hielt ihn für müſſiger als er war, weil er ſeine freien Stunden ſo
gern auf der Straße verbrachte. Aber alle Ordnung war ihm läſtig,
und da er nur die oberflächliche Bildung eines altfranzöſiſchen Offiziers
beſaß, ſo ward er bald abhängig von der überlegenen Sachkenntniß der
Miniſter und des gewandten Cabinetsſekretärs Ringel. Selbſt vom Heer-
weſen verſtand er wenig, am Abend ſeines Lebens erſchien er nur noch
ſelten unter ſeinen Truppen und ließ die Kriegstüchtigkeit des Heeres, das
ſich unter Napoleons Führung ſo trefflich bewährt hatte, im Frieden raſch
verfallen. Dieſer unmilitäriſche Sinn blieb ſeitdem ein Erbtheil aller
bairiſchen Könige und ſollte dem Staate dereinſt noch verhängnißvoll werden.
Leicht beſtimmbar, abhängig von den Eindrücken des Augenblicks hielt
Max Joſeph doch zwei politiſche Grundſätze unverbrüchlich feſt: er war
als geborener Pfälzer ſo tief überzeugt von der Unhaltbarkeit der alt-
bairiſchen Zuſtände, daß er im Nothfall auch vor radicalen Reformen
nicht zurückſchrak, und er haßte aus Herzensgrund die Herrſchſucht des
Pfaffenthums. Hier lag ſeine Stärke: wenn er die norddeutſchen Ge-
lehrten in München gegen den bigotten Pöbelwahn beſchützte, dann zeigte
er eine ganz ungewohnte Feſtigkeit. Er wußte, was es bedeutete, daß ſein
Haus jetzt 1,200,000 proteſtantiſche Unterthanen beherrſchte; ſie ſollten
fühlen, daß ſie einem gerechten Staate angehörten. Er freute ſich in ge-
miſchter Ehe zu leben, und es bleibt ſein hiſtoriſcher Ruhm, daß er
dieſen Geiſt duldſamer Milde ſeinen Kindern und Enkeln vermachte. In
drei Generationen hat das Land ſeitdem nur proteſtantiſche Königinnen
geſehen, und trotz wiederholter Kämpfe und Rückſchläge iſt der deutſche
Gedanke der kirchlichen Parität, den der gute König Max ſeinem wider-
ſtrebenden Volke auferlegte, dem bairiſchen Staate nicht wieder verloren
gegangen.

Seit dem Rieder Vertrage war die Stellung des allmächtigen Mi-
niſters Montgelas etwas erſchüttert. Die verbündeten Monarchen be-
trachteten den erſten Staatsmann des Rheinbunds mit begreiflichem Miß-

*) S. I. 221.
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[333/0347] König Max Joſeph. bewußte Unwahrheit verpfändete. *) Der rege Verkehr mit dem Protector des Rheinbunds war durch die Umſtände geboten; ſchimpflich ward er erſt durch die Liebedienerei des Königs, der, oftmals ohne einer Antwort ge- würdigt zu werden, den Imperator mit unterthänigen Briefen überſchüttete, ihm weit öfter als nöthig war perſönlich aufwartete, ihn ſogar bei den Heirathsangelegenheiten der königlichen Prinzen um ſeine Befehle bat und den Werkzeugen Napoleons, den Herzögen von Baſſano und Cadore jedes geforderte Trinkgeld unweigerlich gewährte. Dieſelbe unkönigliche Haltung zeigte der furchtſame Fürſt ſpäterhin, als der Streit um die badiſche Pfalz begann, gegenüber dem Czaren Alexander. Den Regierungsgeſchäften widmete er ſich mit achtungswerthem Fleiße; man hielt ihn für müſſiger als er war, weil er ſeine freien Stunden ſo gern auf der Straße verbrachte. Aber alle Ordnung war ihm läſtig, und da er nur die oberflächliche Bildung eines altfranzöſiſchen Offiziers beſaß, ſo ward er bald abhängig von der überlegenen Sachkenntniß der Miniſter und des gewandten Cabinetsſekretärs Ringel. Selbſt vom Heer- weſen verſtand er wenig, am Abend ſeines Lebens erſchien er nur noch ſelten unter ſeinen Truppen und ließ die Kriegstüchtigkeit des Heeres, das ſich unter Napoleons Führung ſo trefflich bewährt hatte, im Frieden raſch verfallen. Dieſer unmilitäriſche Sinn blieb ſeitdem ein Erbtheil aller bairiſchen Könige und ſollte dem Staate dereinſt noch verhängnißvoll werden. Leicht beſtimmbar, abhängig von den Eindrücken des Augenblicks hielt Max Joſeph doch zwei politiſche Grundſätze unverbrüchlich feſt: er war als geborener Pfälzer ſo tief überzeugt von der Unhaltbarkeit der alt- bairiſchen Zuſtände, daß er im Nothfall auch vor radicalen Reformen nicht zurückſchrak, und er haßte aus Herzensgrund die Herrſchſucht des Pfaffenthums. Hier lag ſeine Stärke: wenn er die norddeutſchen Ge- lehrten in München gegen den bigotten Pöbelwahn beſchützte, dann zeigte er eine ganz ungewohnte Feſtigkeit. Er wußte, was es bedeutete, daß ſein Haus jetzt 1,200,000 proteſtantiſche Unterthanen beherrſchte; ſie ſollten fühlen, daß ſie einem gerechten Staate angehörten. Er freute ſich in ge- miſchter Ehe zu leben, und es bleibt ſein hiſtoriſcher Ruhm, daß er dieſen Geiſt duldſamer Milde ſeinen Kindern und Enkeln vermachte. In drei Generationen hat das Land ſeitdem nur proteſtantiſche Königinnen geſehen, und trotz wiederholter Kämpfe und Rückſchläge iſt der deutſche Gedanke der kirchlichen Parität, den der gute König Max ſeinem wider- ſtrebenden Volke auferlegte, dem bairiſchen Staate nicht wieder verloren gegangen. Seit dem Rieder Vertrage war die Stellung des allmächtigen Mi- niſters Montgelas etwas erſchüttert. Die verbündeten Monarchen be- trachteten den erſten Staatsmann des Rheinbunds mit begreiflichem Miß- *) S. I. 221.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/347>, abgerufen am 22.11.2024.