Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.II. 6. Süddeutsche Verfassungskämpfe. Die rheinbündische Politik entsprach nicht blos seinem dynastischen Inter-esse, sondern auch seiner persönlichen Neigung, und nur ungern gab er sie wieder auf, obschon ihm längst das Herz blutete über alle die Opfer, welche der Protector dem bairischen Lande abforderte. Die Frage, ob er nicht auch politische Pflichten gegen Deutschland habe, kam ihm niemals in den Sinn; die Erhebung von 1813 war ihm ein Räthsel, und willig lieh er den Anklägern der preußischen Jacobiner sein Ohr. Dabei blieb er doch, gleich vielen anderen Rheinbundsfürsten, auf seine Weise eine deutscher Landesvater, ehrlich gewillt sein Volk zu beglücken und mit ihm in Frieden zu leben. Ueberall wo er erschien gewann er durch seine zu- thuliche Gutmüthigkeit die Herzen der Menge; selbst in Berg, das ihm nur wenige Jahre angehörte, blieb sein Andenken gesegnet. In Altbaiern ward er als Retter des Landes sofort mit überströmender Freude em- pfangen und fühlte sich bald von Herzen glücklich. Er lebte sich ein in den gemüthlichen Landesbrauch, der seiner eigenen derben Natürlichkeit zusagte, trug große Ohrringe gleich einem echten Bajuvaren und liebte die rüstigen Mannen des Hochgebirgs, auch die Tyroler Rebellen, wie seine Kinder: das konnte er den Franzosen lange nicht vergeben, daß sie ihm seinen Andree Hofer erschossen hatten. In seinen letzten Jahren pflegte er sein Sommerlager in Tegernsee aufzuschlagen, in der alten Abtei am stillen Waldsee, wo Alles was altbairische Herzen liebten unter einem Dache vereinigt lag: ein Königsschloß, eine Kirche und ein Bräu; da war weitum, bis hinauf zu dem einsamen Wildbade Kreuth, kein Bauernhof, wo Vater Max nicht einmal mit seinen anmuthigen Töchtern zum Besuch erschien oder Gevatter stand oder überreichliche Wohlthaten spendete. Wäre nur dies unerschöpfliche Wohlwollen nicht mit so viel ge- II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe. Die rheinbündiſche Politik entſprach nicht blos ſeinem dynaſtiſchen Inter-eſſe, ſondern auch ſeiner perſönlichen Neigung, und nur ungern gab er ſie wieder auf, obſchon ihm längſt das Herz blutete über alle die Opfer, welche der Protector dem bairiſchen Lande abforderte. Die Frage, ob er nicht auch politiſche Pflichten gegen Deutſchland habe, kam ihm niemals in den Sinn; die Erhebung von 1813 war ihm ein Räthſel, und willig lieh er den Anklägern der preußiſchen Jacobiner ſein Ohr. Dabei blieb er doch, gleich vielen anderen Rheinbundsfürſten, auf ſeine Weiſe eine deutſcher Landesvater, ehrlich gewillt ſein Volk zu beglücken und mit ihm in Frieden zu leben. Ueberall wo er erſchien gewann er durch ſeine zu- thuliche Gutmüthigkeit die Herzen der Menge; ſelbſt in Berg, das ihm nur wenige Jahre angehörte, blieb ſein Andenken geſegnet. In Altbaiern ward er als Retter des Landes ſofort mit überſtrömender Freude em- pfangen und fühlte ſich bald von Herzen glücklich. Er lebte ſich ein in den gemüthlichen Landesbrauch, der ſeiner eigenen derben Natürlichkeit zuſagte, trug große Ohrringe gleich einem echten Bajuvaren und liebte die rüſtigen Mannen des Hochgebirgs, auch die Tyroler Rebellen, wie ſeine Kinder: das konnte er den Franzoſen lange nicht vergeben, daß ſie ihm ſeinen Andree Hofer erſchoſſen hatten. In ſeinen letzten Jahren pflegte er ſein Sommerlager in Tegernſee aufzuſchlagen, in der alten Abtei am ſtillen Waldſee, wo Alles was altbairiſche Herzen liebten unter einem Dache vereinigt lag: ein Königsſchloß, eine Kirche und ein Bräu; da war weitum, bis hinauf zu dem einſamen Wildbade Kreuth, kein Bauernhof, wo Vater Max nicht einmal mit ſeinen anmuthigen Töchtern zum Beſuch erſchien oder Gevatter ſtand oder überreichliche Wohlthaten ſpendete. Wäre nur dies unerſchöpfliche Wohlwollen nicht mit ſo viel ge- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0346" n="332"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe.</fw><lb/> Die rheinbündiſche Politik entſprach nicht blos ſeinem dynaſtiſchen Inter-<lb/> eſſe, ſondern auch ſeiner perſönlichen Neigung, und nur ungern gab er<lb/> ſie wieder auf, obſchon ihm längſt das Herz blutete über alle die Opfer,<lb/> welche der Protector dem bairiſchen Lande abforderte. Die Frage, ob er<lb/> nicht auch politiſche Pflichten gegen Deutſchland habe, kam ihm niemals<lb/> in den Sinn; die Erhebung von 1813 war ihm ein Räthſel, und willig<lb/> lieh er den Anklägern der preußiſchen Jacobiner ſein Ohr. Dabei blieb<lb/> er doch, gleich vielen anderen Rheinbundsfürſten, auf ſeine Weiſe eine<lb/> deutſcher Landesvater, ehrlich gewillt ſein Volk zu beglücken und mit ihm<lb/> in Frieden zu leben. Ueberall wo er erſchien gewann er durch ſeine zu-<lb/> thuliche Gutmüthigkeit die Herzen der Menge; ſelbſt in Berg, das ihm<lb/> nur wenige Jahre angehörte, blieb ſein Andenken geſegnet. In Altbaiern<lb/> ward er als Retter des Landes ſofort mit überſtrömender Freude em-<lb/> pfangen und fühlte ſich bald von Herzen glücklich. Er lebte ſich ein in<lb/> den gemüthlichen Landesbrauch, der ſeiner eigenen derben Natürlichkeit<lb/> zuſagte, trug große Ohrringe gleich einem echten Bajuvaren und liebte<lb/> die rüſtigen Mannen des Hochgebirgs, auch die Tyroler Rebellen, wie<lb/> ſeine Kinder: das konnte er den Franzoſen lange nicht vergeben, daß ſie<lb/> ihm ſeinen Andree Hofer erſchoſſen hatten. In ſeinen letzten Jahren<lb/> pflegte er ſein Sommerlager in Tegernſee aufzuſchlagen, in der alten<lb/> Abtei am ſtillen Waldſee, wo Alles was altbairiſche Herzen liebten unter<lb/> einem Dache vereinigt lag: ein Königsſchloß, eine Kirche und ein Bräu;<lb/> da war weitum, bis hinauf zu dem einſamen Wildbade Kreuth, kein<lb/> Bauernhof, wo Vater Max nicht einmal mit ſeinen anmuthigen Töchtern<lb/> zum Beſuch erſchien oder Gevatter ſtand oder überreichliche Wohlthaten<lb/> ſpendete.</p><lb/> <p>Wäre nur dies unerſchöpfliche Wohlwollen nicht mit ſo viel ge-<lb/> dankenloſer Schwäche gepaart geweſen! Der Hof ward nicht leer von<lb/> Gaunern und Bettlern, ganz München kannte die Vorliebe des Königs<lb/> für liebenswürdige Schuldenmacher; ein Heer von Schmarotzern, darunter<lb/> ſogar ein königlicher Hofnarr, empfing ſtattliche Penſionen. Die Geldver-<lb/> legenheiten der Krone nahmen kein Ende, und der Hofbankier Selig-<lb/> mann-Eichthal ward immer reicher, obwohl der König für ſich ſelbſt<lb/> kaum mehr brauchte als vor Jahren, da er aus Straßburg geflüchtet<lb/> zu Rohrbach an der Bergſtraße ſeinen bürgerlichen Haushalt führte.<lb/> Wenn die Furcht dieſen weichen Gemüthsmenſchen überkam, dann ver-<lb/> leugnete er Mannesſtolz und Fürſtenwürde und ſcheute ſich nicht zu<lb/> kriechen und zu lügen. Alle die Unwürdigkeiten der jüngſten Jahre, alle<lb/> die Erniedrigungen des Hauſes Wittelsbach, die von dem prahleriſchen<lb/> Dünkel des neuen Königthums ſo häßlich abſtachen, gingen von dem<lb/> Monarchen unmittelbar aus. Baierns zweizüngige Politik beim Ausbruch<lb/> des Krieges von 1805 ließ ſich durch die Noth entſchuldigen; verächtlich<lb/> ward ſie erſt als König Max dem Kaiſer Franz ſein Ehrenwort für eine<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [332/0346]
II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe.
Die rheinbündiſche Politik entſprach nicht blos ſeinem dynaſtiſchen Inter-
eſſe, ſondern auch ſeiner perſönlichen Neigung, und nur ungern gab er
ſie wieder auf, obſchon ihm längſt das Herz blutete über alle die Opfer,
welche der Protector dem bairiſchen Lande abforderte. Die Frage, ob er
nicht auch politiſche Pflichten gegen Deutſchland habe, kam ihm niemals
in den Sinn; die Erhebung von 1813 war ihm ein Räthſel, und willig
lieh er den Anklägern der preußiſchen Jacobiner ſein Ohr. Dabei blieb
er doch, gleich vielen anderen Rheinbundsfürſten, auf ſeine Weiſe eine
deutſcher Landesvater, ehrlich gewillt ſein Volk zu beglücken und mit ihm
in Frieden zu leben. Ueberall wo er erſchien gewann er durch ſeine zu-
thuliche Gutmüthigkeit die Herzen der Menge; ſelbſt in Berg, das ihm
nur wenige Jahre angehörte, blieb ſein Andenken geſegnet. In Altbaiern
ward er als Retter des Landes ſofort mit überſtrömender Freude em-
pfangen und fühlte ſich bald von Herzen glücklich. Er lebte ſich ein in
den gemüthlichen Landesbrauch, der ſeiner eigenen derben Natürlichkeit
zuſagte, trug große Ohrringe gleich einem echten Bajuvaren und liebte
die rüſtigen Mannen des Hochgebirgs, auch die Tyroler Rebellen, wie
ſeine Kinder: das konnte er den Franzoſen lange nicht vergeben, daß ſie
ihm ſeinen Andree Hofer erſchoſſen hatten. In ſeinen letzten Jahren
pflegte er ſein Sommerlager in Tegernſee aufzuſchlagen, in der alten
Abtei am ſtillen Waldſee, wo Alles was altbairiſche Herzen liebten unter
einem Dache vereinigt lag: ein Königsſchloß, eine Kirche und ein Bräu;
da war weitum, bis hinauf zu dem einſamen Wildbade Kreuth, kein
Bauernhof, wo Vater Max nicht einmal mit ſeinen anmuthigen Töchtern
zum Beſuch erſchien oder Gevatter ſtand oder überreichliche Wohlthaten
ſpendete.
Wäre nur dies unerſchöpfliche Wohlwollen nicht mit ſo viel ge-
dankenloſer Schwäche gepaart geweſen! Der Hof ward nicht leer von
Gaunern und Bettlern, ganz München kannte die Vorliebe des Königs
für liebenswürdige Schuldenmacher; ein Heer von Schmarotzern, darunter
ſogar ein königlicher Hofnarr, empfing ſtattliche Penſionen. Die Geldver-
legenheiten der Krone nahmen kein Ende, und der Hofbankier Selig-
mann-Eichthal ward immer reicher, obwohl der König für ſich ſelbſt
kaum mehr brauchte als vor Jahren, da er aus Straßburg geflüchtet
zu Rohrbach an der Bergſtraße ſeinen bürgerlichen Haushalt führte.
Wenn die Furcht dieſen weichen Gemüthsmenſchen überkam, dann ver-
leugnete er Mannesſtolz und Fürſtenwürde und ſcheute ſich nicht zu
kriechen und zu lügen. Alle die Unwürdigkeiten der jüngſten Jahre, alle
die Erniedrigungen des Hauſes Wittelsbach, die von dem prahleriſchen
Dünkel des neuen Königthums ſo häßlich abſtachen, gingen von dem
Monarchen unmittelbar aus. Baierns zweizüngige Politik beim Ausbruch
des Krieges von 1805 ließ ſich durch die Noth entſchuldigen; verächtlich
ward ſie erſt als König Max dem Kaiſer Franz ſein Ehrenwort für eine
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |