er mit beflissenem Eifer theil, weil die Stärke Baierns, wie er sie ver- stand, durch die Schwäche der deutschen Großmächte bedingt war; aber die Vernichtung der beiden Staaten wünschte er nie, denn auch die All- macht Frankreichs konnte der bairischen Selbständigkeit bedrohlich werden. Zweimal verhinderte er -- und er rühmte sich dessen -- den Ausbau der Verfassung des Rheinbunds; immer wieder beschwor er seinen königlichen Freund, nicht durch würdelose Unterthänigkeit gegen den Protector die Freiheit des Staates zu gefährden.
Die Erhebung Deutschlands war dem nüchternen Rechner unwill- kommen, da sie ihm jede Hoffnung auf weitere Gebietserwerbungen ab- schnitt, und nur zögernd entschloß er sich das sinkende Schiff des Bona- partismus zu verlassen. Eine Zeit lang schmeichelte er sich dann noch mit der Hoffnung, daß Baiern innerhalb der großen Allianz den Kern einer süddeutschen Liga bilden und Wrede die Rolle eines anderen Tilly spielen werde.*) Als diese Hoffnung trog, suchte er zunächst die Souverä- nität der Wittelsbacher gegen Hardenbergs dualistische Pläne sicherzustellen und schürte insgeheim den Unfrieden zwischen den beiden Großmächten. Daher Baierns Eifer für die Wiederherstellung der Krone Sachsen. Zur Zeit des zweiten Pariser Friedenscongresses konnte Montgelas sogar vor dem preußischen Gesandten Küster seine Schadenfreude kaum verbergen: welch ein Glück, wenn der Streit um Elsaß-Lothringen ein dauerndes Zerwürfniß zwischen Oesterreich und Preußen herbeiführte!**) Auch diese Erwartung erwies sich als irrig, und nunmehr blieb ihm vorderhand nur übrig, die Thätigkeit des deutschen Bundes zu lähmen und das bai- rische Volk vor den gefährlichen Lehren der norddeutschen Jacobiner sorg- lich zu bewahren. Mit Genugthuung bemerkte er bald, wie wenig von der Ohnmacht des Bundestags zu fürchten war; die Handvoll Patrioten im Lande aber hielt er mit rücksichtsloser Strenge nieder. Selbst ein Liebling des Königs, Anselm Feuerbach ward als preußischer Emissär angeschwärzt und in die Provinz versetzt, weil er in seiner Schrift "über teutsche Freiheit" den Sturz der Fremdherrschaft verherrlicht und die For- derung aufgestellt hatte: durch die Freiheit des Repräsentativsystems müsse das Blut so vieler Edlen bezahlt werden. Ueber die Unhaltbarkeit der neuen deutschen Zustände täuschte sich der weltkundige Minister nicht; bei der nächsten europäischen Krisis -- dies blieb noch im späten Alter seine Hoffnung -- konnten vielleicht mit Hilfe einer auswärtigen Macht die kleinsten deutschen Fürsten mediatisirt, Baden und Württemberg in Italien abgefunden und der ganze Südwesten dem Hause Wittelsbach unter- worfen werden; mochte dann Preußen immerhin sich im Norden ver- größern, wenn nur das Eine verhindert ward was dem bairischen Staats-
*) Montgelas an Wrede, 21. Okt. 1813, bei Heilmann, Fürst Wrede, S. 268.
**) Küsters Bericht, München 28. August 1815.
Montgelas.
er mit befliſſenem Eifer theil, weil die Stärke Baierns, wie er ſie ver- ſtand, durch die Schwäche der deutſchen Großmächte bedingt war; aber die Vernichtung der beiden Staaten wünſchte er nie, denn auch die All- macht Frankreichs konnte der bairiſchen Selbſtändigkeit bedrohlich werden. Zweimal verhinderte er — und er rühmte ſich deſſen — den Ausbau der Verfaſſung des Rheinbunds; immer wieder beſchwor er ſeinen königlichen Freund, nicht durch würdeloſe Unterthänigkeit gegen den Protector die Freiheit des Staates zu gefährden.
Die Erhebung Deutſchlands war dem nüchternen Rechner unwill- kommen, da ſie ihm jede Hoffnung auf weitere Gebietserwerbungen ab- ſchnitt, und nur zögernd entſchloß er ſich das ſinkende Schiff des Bona- partismus zu verlaſſen. Eine Zeit lang ſchmeichelte er ſich dann noch mit der Hoffnung, daß Baiern innerhalb der großen Allianz den Kern einer ſüddeutſchen Liga bilden und Wrede die Rolle eines anderen Tilly ſpielen werde.*) Als dieſe Hoffnung trog, ſuchte er zunächſt die Souverä- nität der Wittelsbacher gegen Hardenbergs dualiſtiſche Pläne ſicherzuſtellen und ſchürte insgeheim den Unfrieden zwiſchen den beiden Großmächten. Daher Baierns Eifer für die Wiederherſtellung der Krone Sachſen. Zur Zeit des zweiten Pariſer Friedenscongreſſes konnte Montgelas ſogar vor dem preußiſchen Geſandten Küſter ſeine Schadenfreude kaum verbergen: welch ein Glück, wenn der Streit um Elſaß-Lothringen ein dauerndes Zerwürfniß zwiſchen Oeſterreich und Preußen herbeiführte!**) Auch dieſe Erwartung erwies ſich als irrig, und nunmehr blieb ihm vorderhand nur übrig, die Thätigkeit des deutſchen Bundes zu lähmen und das bai- riſche Volk vor den gefährlichen Lehren der norddeutſchen Jacobiner ſorg- lich zu bewahren. Mit Genugthuung bemerkte er bald, wie wenig von der Ohnmacht des Bundestags zu fürchten war; die Handvoll Patrioten im Lande aber hielt er mit rückſichtsloſer Strenge nieder. Selbſt ein Liebling des Königs, Anſelm Feuerbach ward als preußiſcher Emiſſär angeſchwärzt und in die Provinz verſetzt, weil er in ſeiner Schrift „über teutſche Freiheit“ den Sturz der Fremdherrſchaft verherrlicht und die For- derung aufgeſtellt hatte: durch die Freiheit des Repräſentativſyſtems müſſe das Blut ſo vieler Edlen bezahlt werden. Ueber die Unhaltbarkeit der neuen deutſchen Zuſtände täuſchte ſich der weltkundige Miniſter nicht; bei der nächſten europäiſchen Kriſis — dies blieb noch im ſpäten Alter ſeine Hoffnung — konnten vielleicht mit Hilfe einer auswärtigen Macht die kleinſten deutſchen Fürſten mediatiſirt, Baden und Württemberg in Italien abgefunden und der ganze Südweſten dem Hauſe Wittelsbach unter- worfen werden; mochte dann Preußen immerhin ſich im Norden ver- größern, wenn nur das Eine verhindert ward was dem bairiſchen Staats-
*) Montgelas an Wrede, 21. Okt. 1813, bei Heilmann, Fürſt Wrede, S. 268.
**) Küſters Bericht, München 28. Auguſt 1815.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0349"n="335"/><fwplace="top"type="header">Montgelas.</fw><lb/>
er mit befliſſenem Eifer theil, weil die Stärke Baierns, wie er ſie ver-<lb/>ſtand, durch die Schwäche der deutſchen Großmächte bedingt war; aber<lb/>
die Vernichtung der beiden Staaten wünſchte er nie, denn auch die All-<lb/>
macht Frankreichs konnte der bairiſchen Selbſtändigkeit bedrohlich werden.<lb/>
Zweimal verhinderte er — und er rühmte ſich deſſen — den Ausbau der<lb/>
Verfaſſung des Rheinbunds; immer wieder beſchwor er ſeinen königlichen<lb/>
Freund, nicht durch würdeloſe Unterthänigkeit gegen den Protector die<lb/>
Freiheit des Staates zu gefährden.</p><lb/><p>Die Erhebung Deutſchlands war dem nüchternen Rechner unwill-<lb/>
kommen, da ſie ihm jede Hoffnung auf weitere Gebietserwerbungen ab-<lb/>ſchnitt, und nur zögernd entſchloß er ſich das ſinkende Schiff des Bona-<lb/>
partismus zu verlaſſen. Eine Zeit lang ſchmeichelte er ſich dann noch<lb/>
mit der Hoffnung, daß Baiern innerhalb der großen Allianz den Kern<lb/>
einer ſüddeutſchen Liga bilden und Wrede die Rolle eines anderen Tilly<lb/>ſpielen werde.<noteplace="foot"n="*)">Montgelas an Wrede, 21. Okt. 1813, bei Heilmann, Fürſt Wrede, S. 268.</note> Als dieſe Hoffnung trog, ſuchte er zunächſt die Souverä-<lb/>
nität der Wittelsbacher gegen Hardenbergs dualiſtiſche Pläne ſicherzuſtellen<lb/>
und ſchürte insgeheim den Unfrieden zwiſchen den beiden Großmächten.<lb/>
Daher Baierns Eifer für die Wiederherſtellung der Krone Sachſen. Zur<lb/>
Zeit des zweiten Pariſer Friedenscongreſſes konnte Montgelas ſogar vor<lb/>
dem preußiſchen Geſandten Küſter ſeine Schadenfreude kaum verbergen:<lb/>
welch ein Glück, wenn der Streit um Elſaß-Lothringen ein dauerndes<lb/>
Zerwürfniß zwiſchen Oeſterreich und Preußen herbeiführte!<noteplace="foot"n="**)">Küſters Bericht, München 28. Auguſt 1815.</note> Auch dieſe<lb/>
Erwartung erwies ſich als irrig, und nunmehr blieb ihm vorderhand<lb/>
nur übrig, die Thätigkeit des deutſchen Bundes zu lähmen und das bai-<lb/>
riſche Volk vor den gefährlichen Lehren der norddeutſchen Jacobiner ſorg-<lb/>
lich zu bewahren. Mit Genugthuung bemerkte er bald, wie wenig von<lb/>
der Ohnmacht des Bundestags zu fürchten war; die Handvoll Patrioten<lb/>
im Lande aber hielt er mit rückſichtsloſer Strenge nieder. Selbſt ein<lb/>
Liebling des Königs, Anſelm Feuerbach ward als preußiſcher Emiſſär<lb/>
angeſchwärzt und in die Provinz verſetzt, weil er in ſeiner Schrift „über<lb/>
teutſche Freiheit“ den Sturz der Fremdherrſchaft verherrlicht und die For-<lb/>
derung aufgeſtellt hatte: durch die Freiheit des Repräſentativſyſtems müſſe<lb/>
das Blut ſo vieler Edlen bezahlt werden. Ueber die Unhaltbarkeit der<lb/>
neuen deutſchen Zuſtände täuſchte ſich der weltkundige Miniſter nicht; bei<lb/>
der nächſten europäiſchen Kriſis — dies blieb noch im ſpäten Alter ſeine<lb/>
Hoffnung — konnten vielleicht mit Hilfe einer auswärtigen Macht die<lb/>
kleinſten deutſchen Fürſten mediatiſirt, Baden und Württemberg in Italien<lb/>
abgefunden und der ganze Südweſten dem Hauſe Wittelsbach unter-<lb/>
worfen werden; mochte dann Preußen immerhin ſich im Norden ver-<lb/>
größern, wenn nur das Eine verhindert ward was dem bairiſchen Staats-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[335/0349]
Montgelas.
er mit befliſſenem Eifer theil, weil die Stärke Baierns, wie er ſie ver-
ſtand, durch die Schwäche der deutſchen Großmächte bedingt war; aber
die Vernichtung der beiden Staaten wünſchte er nie, denn auch die All-
macht Frankreichs konnte der bairiſchen Selbſtändigkeit bedrohlich werden.
Zweimal verhinderte er — und er rühmte ſich deſſen — den Ausbau der
Verfaſſung des Rheinbunds; immer wieder beſchwor er ſeinen königlichen
Freund, nicht durch würdeloſe Unterthänigkeit gegen den Protector die
Freiheit des Staates zu gefährden.
Die Erhebung Deutſchlands war dem nüchternen Rechner unwill-
kommen, da ſie ihm jede Hoffnung auf weitere Gebietserwerbungen ab-
ſchnitt, und nur zögernd entſchloß er ſich das ſinkende Schiff des Bona-
partismus zu verlaſſen. Eine Zeit lang ſchmeichelte er ſich dann noch
mit der Hoffnung, daß Baiern innerhalb der großen Allianz den Kern
einer ſüddeutſchen Liga bilden und Wrede die Rolle eines anderen Tilly
ſpielen werde. *) Als dieſe Hoffnung trog, ſuchte er zunächſt die Souverä-
nität der Wittelsbacher gegen Hardenbergs dualiſtiſche Pläne ſicherzuſtellen
und ſchürte insgeheim den Unfrieden zwiſchen den beiden Großmächten.
Daher Baierns Eifer für die Wiederherſtellung der Krone Sachſen. Zur
Zeit des zweiten Pariſer Friedenscongreſſes konnte Montgelas ſogar vor
dem preußiſchen Geſandten Küſter ſeine Schadenfreude kaum verbergen:
welch ein Glück, wenn der Streit um Elſaß-Lothringen ein dauerndes
Zerwürfniß zwiſchen Oeſterreich und Preußen herbeiführte! **) Auch dieſe
Erwartung erwies ſich als irrig, und nunmehr blieb ihm vorderhand
nur übrig, die Thätigkeit des deutſchen Bundes zu lähmen und das bai-
riſche Volk vor den gefährlichen Lehren der norddeutſchen Jacobiner ſorg-
lich zu bewahren. Mit Genugthuung bemerkte er bald, wie wenig von
der Ohnmacht des Bundestags zu fürchten war; die Handvoll Patrioten
im Lande aber hielt er mit rückſichtsloſer Strenge nieder. Selbſt ein
Liebling des Königs, Anſelm Feuerbach ward als preußiſcher Emiſſär
angeſchwärzt und in die Provinz verſetzt, weil er in ſeiner Schrift „über
teutſche Freiheit“ den Sturz der Fremdherrſchaft verherrlicht und die For-
derung aufgeſtellt hatte: durch die Freiheit des Repräſentativſyſtems müſſe
das Blut ſo vieler Edlen bezahlt werden. Ueber die Unhaltbarkeit der
neuen deutſchen Zuſtände täuſchte ſich der weltkundige Miniſter nicht; bei
der nächſten europäiſchen Kriſis — dies blieb noch im ſpäten Alter ſeine
Hoffnung — konnten vielleicht mit Hilfe einer auswärtigen Macht die
kleinſten deutſchen Fürſten mediatiſirt, Baden und Württemberg in Italien
abgefunden und der ganze Südweſten dem Hauſe Wittelsbach unter-
worfen werden; mochte dann Preußen immerhin ſich im Norden ver-
größern, wenn nur das Eine verhindert ward was dem bairiſchen Staats-
*) Montgelas an Wrede, 21. Okt. 1813, bei Heilmann, Fürſt Wrede, S. 268.
**) Küſters Bericht, München 28. Auguſt 1815.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/349>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.