manne immer als das Schrecklichste erschien: die Einheit Deutschlands. Bis dahin galt es zu lauern und zu laviren. Die phantastischen Einfälle bajuvarischer Selbstüberschätzung bethörten seinen kühlen Kopf nur auf Augenblicke. Nichts schien ihm kindischer als der Wahn, daß ein Verein von Ohnmächtigen jemals eine Macht bilden könne; darum wies er alle die Entwürfe für einen Sonderbund der deutschen oder der europäischen Mittelstaaten, wie sie in Stuttgart ausgebrütet wurden, lächelnd zurück. Auch die pfälzischen Pläne des Kronprinzen bekämpfte er von vornherein als aussichtslos.
Ein seltsames Freundespaar: der behäbige, aufgeknöpfte, volksthüm- lich schlichte König, und neben ihm die höfische Gestalt des klugen Ministers -- eine ganz altfranzösische Erscheinung, mit gepudertem Haar, in ge- sticktem rothem Galakleid und langen seidenen Strümpfen; scharfe und doch unstete braune Augen, eine überhängende mächtige Nase über dem großen, faunischen Munde, in allen Zügen der Ausdruck durchdringenden Verstandes. An dem frivolen Tone, der die Münchener vornehme Welt beherrschte, trugen Montgelas und seine Gemahlin reichliche Mitschuld; sein kleines Schloß in Bogenhausen am Englischen Garten bot den Skandalsüchtigen unerschöpflichen Stoff. Für die Thaten der neuen deut- schen Literatur und Kunst konnte sich der alte Illuminat niemals recht erwärmen; jedoch er wußte, daß die Wissenschaft für die Reform des Staates unentbehrlich war, und mochte auch bei seinen Tafelfreuden das belebende Gespräch geistreicher Gelehrten nicht missen. Wohl ward er herrschsüchtig durch den langen Genuß der Macht, aber kleinliche Eitelkeit lag ihm fern; neben dem verlogenen Selbstlobe der Aufzeichnungen Metter- nichs hinterläßt das gehaltene Selbstgefühl, das aus Montgelas' Denk- würdigkeiten spricht, einen wohlthuenden Eindruck.
Auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens hatte der despotische Volksbeglücker einen radicalen Umsturz vollzogen; aber die neue Ord- nung zeigte noch überall Lücken und Widersprüche, überall die Spuren überhasteter Arbeit. Noch am glücklichsten war die Reform des Unter- richtswesens gelungen. Die Volksschule war der Herrschaft der römischen Kirche entrissen, die seit 1802 eingeführte allgemeine Schulpflicht begann sich langsam einzubürgern. Die mittleren Unterrichtsanstalten standen unter der Leitung Niethammers, eines wackeren Vorkämpfers der streng- classischen Bildung; auf dem Münchener philologischen Seminar erzog der Thüringer Friedrich Thiersch in vieljähriger treuer Arbeit einen Stamm von tüchtigen Lehrern, so daß ein Hauch von dem idealistischen Geiste dieses praeceptor Bavariae allmählich in die meisten Gymnasien des Landes drang. Zu den Universitäten Landshut und Erlangen trat jetzt noch Würzburg mit dem reichen fürstbischöflichen Juliushospital hinzu, eine wich- tige Pflanzstätte der medicinischen Wissenschaft. Der dumpfe Schlummer der alten Zeiten der Glaubenseinheit war für immer überwunden.
II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe.
manne immer als das Schrecklichſte erſchien: die Einheit Deutſchlands. Bis dahin galt es zu lauern und zu laviren. Die phantaſtiſchen Einfälle bajuvariſcher Selbſtüberſchätzung bethörten ſeinen kühlen Kopf nur auf Augenblicke. Nichts ſchien ihm kindiſcher als der Wahn, daß ein Verein von Ohnmächtigen jemals eine Macht bilden könne; darum wies er alle die Entwürfe für einen Sonderbund der deutſchen oder der europäiſchen Mittelſtaaten, wie ſie in Stuttgart ausgebrütet wurden, lächelnd zurück. Auch die pfälziſchen Pläne des Kronprinzen bekämpfte er von vornherein als ausſichtslos.
Ein ſeltſames Freundespaar: der behäbige, aufgeknöpfte, volksthüm- lich ſchlichte König, und neben ihm die höfiſche Geſtalt des klugen Miniſters — eine ganz altfranzöſiſche Erſcheinung, mit gepudertem Haar, in ge- ſticktem rothem Galakleid und langen ſeidenen Strümpfen; ſcharfe und doch unſtete braune Augen, eine überhängende mächtige Naſe über dem großen, fauniſchen Munde, in allen Zügen der Ausdruck durchdringenden Verſtandes. An dem frivolen Tone, der die Münchener vornehme Welt beherrſchte, trugen Montgelas und ſeine Gemahlin reichliche Mitſchuld; ſein kleines Schloß in Bogenhauſen am Engliſchen Garten bot den Skandalſüchtigen unerſchöpflichen Stoff. Für die Thaten der neuen deut- ſchen Literatur und Kunſt konnte ſich der alte Illuminat niemals recht erwärmen; jedoch er wußte, daß die Wiſſenſchaft für die Reform des Staates unentbehrlich war, und mochte auch bei ſeinen Tafelfreuden das belebende Geſpräch geiſtreicher Gelehrten nicht miſſen. Wohl ward er herrſchſüchtig durch den langen Genuß der Macht, aber kleinliche Eitelkeit lag ihm fern; neben dem verlogenen Selbſtlobe der Aufzeichnungen Metter- nichs hinterläßt das gehaltene Selbſtgefühl, das aus Montgelas’ Denk- würdigkeiten ſpricht, einen wohlthuenden Eindruck.
Auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens hatte der despotiſche Volksbeglücker einen radicalen Umſturz vollzogen; aber die neue Ord- nung zeigte noch überall Lücken und Widerſprüche, überall die Spuren überhaſteter Arbeit. Noch am glücklichſten war die Reform des Unter- richtsweſens gelungen. Die Volksſchule war der Herrſchaft der römiſchen Kirche entriſſen, die ſeit 1802 eingeführte allgemeine Schulpflicht begann ſich langſam einzubürgern. Die mittleren Unterrichtsanſtalten ſtanden unter der Leitung Niethammers, eines wackeren Vorkämpfers der ſtreng- claſſiſchen Bildung; auf dem Münchener philologiſchen Seminar erzog der Thüringer Friedrich Thierſch in vieljähriger treuer Arbeit einen Stamm von tüchtigen Lehrern, ſo daß ein Hauch von dem idealiſtiſchen Geiſte dieſes praeceptor Bavariae allmählich in die meiſten Gymnaſien des Landes drang. Zu den Univerſitäten Landshut und Erlangen trat jetzt noch Würzburg mit dem reichen fürſtbiſchöflichen Juliushospital hinzu, eine wich- tige Pflanzſtätte der mediciniſchen Wiſſenſchaft. Der dumpfe Schlummer der alten Zeiten der Glaubenseinheit war für immer überwunden.
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Bis dahin galt es zu lauern und zu laviren. Die phantaſtiſchen Einfälle
bajuvariſcher Selbſtüberſchätzung bethörten ſeinen kühlen Kopf nur auf
Augenblicke. Nichts ſchien ihm kindiſcher als der Wahn, daß ein Verein
von Ohnmächtigen jemals eine Macht bilden könne; darum wies er alle
die Entwürfe für einen Sonderbund der deutſchen oder der europäiſchen
Mittelſtaaten, wie ſie in Stuttgart ausgebrütet wurden, lächelnd zurück.
Auch die pfälziſchen Pläne des Kronprinzen bekämpfte er von vornherein
als ausſichtslos.
Ein ſeltſames Freundespaar: der behäbige, aufgeknöpfte, volksthüm-
lich ſchlichte König, und neben ihm die höfiſche Geſtalt des klugen Miniſters
— eine ganz altfranzöſiſche Erſcheinung, mit gepudertem Haar, in ge-
ſticktem rothem Galakleid und langen ſeidenen Strümpfen; ſcharfe und
doch unſtete braune Augen, eine überhängende mächtige Naſe über dem
großen, fauniſchen Munde, in allen Zügen der Ausdruck durchdringenden
Verſtandes. An dem frivolen Tone, der die Münchener vornehme Welt
beherrſchte, trugen Montgelas und ſeine Gemahlin reichliche Mitſchuld;
ſein kleines Schloß in Bogenhauſen am Engliſchen Garten bot den
Skandalſüchtigen unerſchöpflichen Stoff. Für die Thaten der neuen deut-
ſchen Literatur und Kunſt konnte ſich der alte Illuminat niemals recht
erwärmen; jedoch er wußte, daß die Wiſſenſchaft für die Reform des
Staates unentbehrlich war, und mochte auch bei ſeinen Tafelfreuden das
belebende Geſpräch geiſtreicher Gelehrten nicht miſſen. Wohl ward er
herrſchſüchtig durch den langen Genuß der Macht, aber kleinliche Eitelkeit
lag ihm fern; neben dem verlogenen Selbſtlobe der Aufzeichnungen Metter-
nichs hinterläßt das gehaltene Selbſtgefühl, das aus Montgelas’ Denk-
würdigkeiten ſpricht, einen wohlthuenden Eindruck.
Auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens hatte der despotiſche
Volksbeglücker einen radicalen Umſturz vollzogen; aber die neue Ord-
nung zeigte noch überall Lücken und Widerſprüche, überall die Spuren
überhaſteter Arbeit. Noch am glücklichſten war die Reform des Unter-
richtsweſens gelungen. Die Volksſchule war der Herrſchaft der römiſchen
Kirche entriſſen, die ſeit 1802 eingeführte allgemeine Schulpflicht begann
ſich langſam einzubürgern. Die mittleren Unterrichtsanſtalten ſtanden
unter der Leitung Niethammers, eines wackeren Vorkämpfers der ſtreng-
claſſiſchen Bildung; auf dem Münchener philologiſchen Seminar erzog
der Thüringer Friedrich Thierſch in vieljähriger treuer Arbeit einen Stamm
von tüchtigen Lehrern, ſo daß ein Hauch von dem idealiſtiſchen Geiſte
dieſes praeceptor Bavariae allmählich in die meiſten Gymnaſien des
Landes drang. Zu den Univerſitäten Landshut und Erlangen trat jetzt noch
Würzburg mit dem reichen fürſtbiſchöflichen Juliushospital hinzu, eine wich-
tige Pflanzſtätte der mediciniſchen Wiſſenſchaft. Der dumpfe Schlummer
der alten Zeiten der Glaubenseinheit war für immer überwunden.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/350>, abgerufen am 22.11.2024.
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