Weit unfertiger erschien die Neugestaltung der Rechtspflege und der Verwaltung. Allerdings ward das Gewirr der alten Territorien zu na- poleonischen Departements zusammengeballt, und die Beamten erhielten durch eine verständige Dienstpragmatik eine ebenso gesicherte Stellung wie die preußischen; doch in der untersten Instanz blieben Justiz und Verwaltung vereinigt, und der Schrecken der Bauern, "Gnaden Herr Landrichter" hauste auf dem flachen Lande mit schrankenloser Gewalt. Auf den großen Landgütern bestanden noch die Patrimonialgerichte, und nicht selten geschah es, daß der Staat seine eigenen Grundholden an begünstigte Edelleute abtrat um diesen die Bildung selbständiger Gerichts- bezirke zu ermöglichen. Das Evangelium der Bureaukratie, das Straf- gesetzbuch von 1813, gereichte dem juristischen Scharfsinn seines Verfassers Feuerbach zur Ehre; aber das heimliche Verfahren und die überstrengen Strafen nährten den Geist herrschsüchtiger Härte, der dies Beamtenthum auszeichnete; vornehmlich die barbarischen Zwangsmittel gegen hartnäckig leugnende Angeklagte wurden von den Landrichtern oft mit empörender Roheit gehandhabt. Dazu die Späherkünste und die Brieferbrechungen der ganz nach napoleonischem Muster geschulten geheimen Polizei. Der Druck der Beamten lastete um so schwerer, da Montgelas die Selbstän- digkeit der Gemeinden noch vollständiger vernichtet hatte als der erste Consul. Welch ein Abstand zwischen der Städteordnung Steins und dem fast gleichzeitig verkündigten bairischen Gemeindegesetze: hier war den Municipalitäten sogar die Verwaltung ihres Vermögens genommen, schlechterdings nichts durften sie beschließen ohne Genehmigung des kö- niglichen Polizeibeamten. Obgleich die neuen Steuergesetze sich gut be- währten, so herrschten doch in der Finanzverwaltung Verwirrung und Unterschleif; der Minister selbst arbeitete viel aber mit der Unregelmäßig- keit des großen Herrn. Für die Jahre 1812--17 ergab sich ein Deficit von 8,8 Millionen Fl., und den wirklichen Betrag der hohen Staatsschuld kannte Niemand.
Dies Alles war für die Massen des Volks noch erträglicher als die völlig verunglückten wirthschaftlichen Reformversuche des Ministers. Hier zeigte sich erst, wie weit die Begabung Montgelas' hinter der staats- männischen Kraft Steins und Hardenbergs zurückstand. Die sociale Freiheit hatte durch alle die gewaltsamen Neuerungen und pomphaften Verheißungen dieser fünfzehn Jahre nahezu nichts gewonnen. Nur die Leibeigenschaft war beseitigt, aber die lückenhaften Gesetze über die Ab- lösung der Zinsen und Zehnten gelangten nicht zur Ausführung, neun Zehntel der Bauern blieben noch zinspflichtige Grundholden. Das alte Zunftwesen, das nirgendwo ärger entartet war, als in Altbaiern, sollte durch die Einführung polizeilicher Gewerbscheine verdrängt werden, und mit der landesüblichen Ruhmredigkeit verkündete der Gesetzgeber, daß er den alten deutschen Grundsatz "Kunst erbt nicht" wieder zu Ehren bringen
Treitschke, Deutsche Geschichte. II. 22
Montgelas’ Reformen.
Weit unfertiger erſchien die Neugeſtaltung der Rechtspflege und der Verwaltung. Allerdings ward das Gewirr der alten Territorien zu na- poleoniſchen Departements zuſammengeballt, und die Beamten erhielten durch eine verſtändige Dienſtpragmatik eine ebenſo geſicherte Stellung wie die preußiſchen; doch in der unterſten Inſtanz blieben Juſtiz und Verwaltung vereinigt, und der Schrecken der Bauern, „Gnaden Herr Landrichter“ hauſte auf dem flachen Lande mit ſchrankenloſer Gewalt. Auf den großen Landgütern beſtanden noch die Patrimonialgerichte, und nicht ſelten geſchah es, daß der Staat ſeine eigenen Grundholden an begünſtigte Edelleute abtrat um dieſen die Bildung ſelbſtändiger Gerichts- bezirke zu ermöglichen. Das Evangelium der Bureaukratie, das Straf- geſetzbuch von 1813, gereichte dem juriſtiſchen Scharfſinn ſeines Verfaſſers Feuerbach zur Ehre; aber das heimliche Verfahren und die überſtrengen Strafen nährten den Geiſt herrſchſüchtiger Härte, der dies Beamtenthum auszeichnete; vornehmlich die barbariſchen Zwangsmittel gegen hartnäckig leugnende Angeklagte wurden von den Landrichtern oft mit empörender Roheit gehandhabt. Dazu die Späherkünſte und die Brieferbrechungen der ganz nach napoleoniſchem Muſter geſchulten geheimen Polizei. Der Druck der Beamten laſtete um ſo ſchwerer, da Montgelas die Selbſtän- digkeit der Gemeinden noch vollſtändiger vernichtet hatte als der erſte Conſul. Welch ein Abſtand zwiſchen der Städteordnung Steins und dem faſt gleichzeitig verkündigten bairiſchen Gemeindegeſetze: hier war den Municipalitäten ſogar die Verwaltung ihres Vermögens genommen, ſchlechterdings nichts durften ſie beſchließen ohne Genehmigung des kö- niglichen Polizeibeamten. Obgleich die neuen Steuergeſetze ſich gut be- währten, ſo herrſchten doch in der Finanzverwaltung Verwirrung und Unterſchleif; der Miniſter ſelbſt arbeitete viel aber mit der Unregelmäßig- keit des großen Herrn. Für die Jahre 1812—17 ergab ſich ein Deficit von 8,8 Millionen Fl., und den wirklichen Betrag der hohen Staatsſchuld kannte Niemand.
Dies Alles war für die Maſſen des Volks noch erträglicher als die völlig verunglückten wirthſchaftlichen Reformverſuche des Miniſters. Hier zeigte ſich erſt, wie weit die Begabung Montgelas’ hinter der ſtaats- männiſchen Kraft Steins und Hardenbergs zurückſtand. Die ſociale Freiheit hatte durch alle die gewaltſamen Neuerungen und pomphaften Verheißungen dieſer fünfzehn Jahre nahezu nichts gewonnen. Nur die Leibeigenſchaft war beſeitigt, aber die lückenhaften Geſetze über die Ab- löſung der Zinſen und Zehnten gelangten nicht zur Ausführung, neun Zehntel der Bauern blieben noch zinspflichtige Grundholden. Das alte Zunftweſen, das nirgendwo ärger entartet war, als in Altbaiern, ſollte durch die Einführung polizeilicher Gewerbſcheine verdrängt werden, und mit der landesüblichen Ruhmredigkeit verkündete der Geſetzgeber, daß er den alten deutſchen Grundſatz „Kunſt erbt nicht“ wieder zu Ehren bringen
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 22
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Montgelas’ Reformen.
Weit unfertiger erſchien die Neugeſtaltung der Rechtspflege und der
Verwaltung. Allerdings ward das Gewirr der alten Territorien zu na-
poleoniſchen Departements zuſammengeballt, und die Beamten erhielten
durch eine verſtändige Dienſtpragmatik eine ebenſo geſicherte Stellung
wie die preußiſchen; doch in der unterſten Inſtanz blieben Juſtiz und
Verwaltung vereinigt, und der Schrecken der Bauern, „Gnaden Herr
Landrichter“ hauſte auf dem flachen Lande mit ſchrankenloſer Gewalt.
Auf den großen Landgütern beſtanden noch die Patrimonialgerichte, und
nicht ſelten geſchah es, daß der Staat ſeine eigenen Grundholden an
begünſtigte Edelleute abtrat um dieſen die Bildung ſelbſtändiger Gerichts-
bezirke zu ermöglichen. Das Evangelium der Bureaukratie, das Straf-
geſetzbuch von 1813, gereichte dem juriſtiſchen Scharfſinn ſeines Verfaſſers
Feuerbach zur Ehre; aber das heimliche Verfahren und die überſtrengen
Strafen nährten den Geiſt herrſchſüchtiger Härte, der dies Beamtenthum
auszeichnete; vornehmlich die barbariſchen Zwangsmittel gegen hartnäckig
leugnende Angeklagte wurden von den Landrichtern oft mit empörender
Roheit gehandhabt. Dazu die Späherkünſte und die Brieferbrechungen
der ganz nach napoleoniſchem Muſter geſchulten geheimen Polizei. Der
Druck der Beamten laſtete um ſo ſchwerer, da Montgelas die Selbſtän-
digkeit der Gemeinden noch vollſtändiger vernichtet hatte als der erſte
Conſul. Welch ein Abſtand zwiſchen der Städteordnung Steins und
dem faſt gleichzeitig verkündigten bairiſchen Gemeindegeſetze: hier war
den Municipalitäten ſogar die Verwaltung ihres Vermögens genommen,
ſchlechterdings nichts durften ſie beſchließen ohne Genehmigung des kö-
niglichen Polizeibeamten. Obgleich die neuen Steuergeſetze ſich gut be-
währten, ſo herrſchten doch in der Finanzverwaltung Verwirrung und
Unterſchleif; der Miniſter ſelbſt arbeitete viel aber mit der Unregelmäßig-
keit des großen Herrn. Für die Jahre 1812—17 ergab ſich ein Deficit
von 8,8 Millionen Fl., und den wirklichen Betrag der hohen Staatsſchuld
kannte Niemand.
Dies Alles war für die Maſſen des Volks noch erträglicher als die
völlig verunglückten wirthſchaftlichen Reformverſuche des Miniſters. Hier
zeigte ſich erſt, wie weit die Begabung Montgelas’ hinter der ſtaats-
männiſchen Kraft Steins und Hardenbergs zurückſtand. Die ſociale
Freiheit hatte durch alle die gewaltſamen Neuerungen und pomphaften
Verheißungen dieſer fünfzehn Jahre nahezu nichts gewonnen. Nur die
Leibeigenſchaft war beſeitigt, aber die lückenhaften Geſetze über die Ab-
löſung der Zinſen und Zehnten gelangten nicht zur Ausführung, neun
Zehntel der Bauern blieben noch zinspflichtige Grundholden. Das alte
Zunftweſen, das nirgendwo ärger entartet war, als in Altbaiern, ſollte
durch die Einführung polizeilicher Gewerbſcheine verdrängt werden, und
mit der landesüblichen Ruhmredigkeit verkündete der Geſetzgeber, daß er
den alten deutſchen Grundſatz „Kunſt erbt nicht“ wieder zu Ehren bringen
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 22
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/351>, abgerufen am 22.11.2024.
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