Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.II. 6. Süddeutsche Verfassungskämpfe. mit der norddeutschen Bildung nie verloren; wie sollte das Franzosenthumdes Ueberrheins hier Wurzeln schlagen, wo man die Hunde mit den Namen der gallischen Mordbrenner Duras und Melac rief? Von badischer Staats- gesinnung aber zeigte sich noch keine Spur; auch die alte Hochschule wollte immer nur dem ganzen Vaterlande angehören, obgleich sie ihre neue Blüthe dem badischen Fürstenhause verdankte. In Mannheim, der Re- sidenz der letzten Kurfürsten, bestand noch eine starke Wittelsbachische Partei, die den begehrlichen Plänen des Münchener Hofes willig entgegenkam. Die alten pfalzbairischen Beamten und der sittenlose Adel sehnten sich zurück nach dem frivolen Hofe Karl Theodors; auch die Bürgerschaft hatte in jenen lustigen Tagen viel verdient und beklagte überdies den Verfall ihres Theaters, das einst unter Dalbergs und Ifflands Leitung mit den besten Bühnen Deutschlands gewetteifert und Schillers Räuber zuerst aufgeführt hatte. Die neue Landeshauptstadt Karlsruhe wollte in der Pfalz Niemand gelten lassen. Der langweilige Ort, hundert Jahre zuvor durch die Laune des Markgrafen Karl Wilhelm gerade an der häßlichsten Stelle des schönen Landes gegründet, wuchs noch immer sehr langsam aus den Alleen des Hardtwaldes heraus; die eintönigen Häuserzeilen des regelrechten Straßenfächers erschienen nur noch öder, seit Weinbrenner sie mit seinen Tempelbauten schmückte und den Beweis führte, daß unter allen Formen des Zopfstils keine so geistlos ist wie der classische Zopf. So starke widerstrebende Kräfte im Frieden einem neuen Gemein- II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe. mit der norddeutſchen Bildung nie verloren; wie ſollte das Franzoſenthumdes Ueberrheins hier Wurzeln ſchlagen, wo man die Hunde mit den Namen der galliſchen Mordbrenner Duras und Melac rief? Von badiſcher Staats- geſinnung aber zeigte ſich noch keine Spur; auch die alte Hochſchule wollte immer nur dem ganzen Vaterlande angehören, obgleich ſie ihre neue Blüthe dem badiſchen Fürſtenhauſe verdankte. In Mannheim, der Re- ſidenz der letzten Kurfürſten, beſtand noch eine ſtarke Wittelsbachiſche Partei, die den begehrlichen Plänen des Münchener Hofes willig entgegenkam. Die alten pfalzbairiſchen Beamten und der ſittenloſe Adel ſehnten ſich zurück nach dem frivolen Hofe Karl Theodors; auch die Bürgerſchaft hatte in jenen luſtigen Tagen viel verdient und beklagte überdies den Verfall ihres Theaters, das einſt unter Dalbergs und Ifflands Leitung mit den beſten Bühnen Deutſchlands gewetteifert und Schillers Räuber zuerſt aufgeführt hatte. Die neue Landeshauptſtadt Karlsruhe wollte in der Pfalz Niemand gelten laſſen. Der langweilige Ort, hundert Jahre zuvor durch die Laune des Markgrafen Karl Wilhelm gerade an der häßlichſten Stelle des ſchönen Landes gegründet, wuchs noch immer ſehr langſam aus den Alleen des Hardtwaldes heraus; die eintönigen Häuſerzeilen des regelrechten Straßenfächers erſchienen nur noch öder, ſeit Weinbrenner ſie mit ſeinen Tempelbauten ſchmückte und den Beweis führte, daß unter allen Formen des Zopfſtils keine ſo geiſtlos iſt wie der claſſiſche Zopf. So ſtarke widerſtrebende Kräfte im Frieden einem neuen Gemein- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0372" n="358"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe.</fw><lb/> mit der norddeutſchen Bildung nie verloren; wie ſollte das Franzoſenthum<lb/> des Ueberrheins hier Wurzeln ſchlagen, wo man die Hunde mit den Namen<lb/> der galliſchen Mordbrenner Duras und Melac rief? Von badiſcher Staats-<lb/> geſinnung aber zeigte ſich noch keine Spur; auch die alte Hochſchule wollte<lb/> immer nur dem ganzen Vaterlande angehören, obgleich ſie ihre neue<lb/> Blüthe dem badiſchen Fürſtenhauſe verdankte. In Mannheim, der Re-<lb/> ſidenz der letzten Kurfürſten, beſtand noch eine ſtarke Wittelsbachiſche Partei,<lb/> die den begehrlichen Plänen des Münchener Hofes willig entgegenkam.<lb/> Die alten pfalzbairiſchen Beamten und der ſittenloſe Adel ſehnten ſich zurück<lb/> nach dem frivolen Hofe Karl Theodors; auch die Bürgerſchaft hatte in<lb/> jenen luſtigen Tagen viel verdient und beklagte überdies den Verfall<lb/> ihres Theaters, das einſt unter Dalbergs und Ifflands Leitung mit den<lb/> beſten Bühnen Deutſchlands gewetteifert und Schillers Räuber zuerſt<lb/> aufgeführt hatte. Die neue Landeshauptſtadt Karlsruhe wollte in der<lb/> Pfalz Niemand gelten laſſen. Der langweilige Ort, hundert Jahre zuvor<lb/> durch die Laune des Markgrafen Karl Wilhelm gerade an der häßlichſten<lb/> Stelle des ſchönen Landes gegründet, wuchs noch immer ſehr langſam<lb/> aus den Alleen des Hardtwaldes heraus; die eintönigen Häuſerzeilen<lb/> des regelrechten Straßenfächers erſchienen nur noch öder, ſeit Weinbrenner<lb/> ſie mit ſeinen Tempelbauten ſchmückte und den Beweis führte, daß unter<lb/> allen Formen des Zopfſtils keine ſo geiſtlos iſt wie der claſſiſche Zopf.</p><lb/> <p>So ſtarke widerſtrebende Kräfte im Frieden einem neuen Gemein-<lb/> weſen einzufügen konnte nur dem perſönlichen Anſehen des ehrwürdigen<lb/> alten Karl Friedrich gelingen. Der greiſe Herr galt ſeit Langem als das<lb/> Muſter eines kleinen Landesvaters. Durchaus aufgeklärt und duldſam, ein<lb/> Freund Karl Auguſts von Weimar, hielt er doch ſeinen altväteriſchen<lb/> Chriſtenglauben feſt und begünſtigte unter den Talenten der neuen Lite-<lb/> ratur vornehmlich jene, die ein warmes religiöſes Gefühl zeigten, Klopſtock,<lb/> Herder, Lavater, Jung Stilling; empfänglich für die Ideen des neuen<lb/> Frankreichs, ein Bewunderer der phyſiokratiſchen Wirthſchaftslehre, blieb<lb/> er doch ein kerndeutſcher Mann, immer darauf bedacht, wie durch einen<lb/> Fürſtenbund dem wankenden alten Reiche neues Leben gebracht, durch<lb/> eine deutſche Akademie „der Allgemeingeiſt“ der Nation geweckt werden<lb/> könne, und es war wahrlich ein unverdientes, grauſames Schickſal, daß<lb/> dieſer treue Patriot am Abend ſeines Lebens den Fluch der Kleinſtaaterei<lb/> erfahren und ſchweren Herzens die Feſſeln des Fremdlings tragen mußte.<lb/> Er förderte die Bildung und den Wohlſtand ſeines Landes durch eine<lb/> umſichtige Geſetzgebung, die in Süddeutſchland ohne Gleichen daſtand,<lb/> und verſtand ſich auch auf jene Sprache des Herzens, welche dem patriar-<lb/> chaliſchen Völkchen unſerer Kleinſtaaten von jeher noch werthvoller war<lb/> als das politiſche Verdienſt. In jedem altbadiſchen Wirthshauſe hing<lb/> die „Badiſche Landestafel“: das Bild des Fürſten und darunter ſeine<lb/> väterliche Antwort auf die Dankſagungen, welche ihm ſein Land nach der<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [358/0372]
II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe.
mit der norddeutſchen Bildung nie verloren; wie ſollte das Franzoſenthum
des Ueberrheins hier Wurzeln ſchlagen, wo man die Hunde mit den Namen
der galliſchen Mordbrenner Duras und Melac rief? Von badiſcher Staats-
geſinnung aber zeigte ſich noch keine Spur; auch die alte Hochſchule wollte
immer nur dem ganzen Vaterlande angehören, obgleich ſie ihre neue
Blüthe dem badiſchen Fürſtenhauſe verdankte. In Mannheim, der Re-
ſidenz der letzten Kurfürſten, beſtand noch eine ſtarke Wittelsbachiſche Partei,
die den begehrlichen Plänen des Münchener Hofes willig entgegenkam.
Die alten pfalzbairiſchen Beamten und der ſittenloſe Adel ſehnten ſich zurück
nach dem frivolen Hofe Karl Theodors; auch die Bürgerſchaft hatte in
jenen luſtigen Tagen viel verdient und beklagte überdies den Verfall
ihres Theaters, das einſt unter Dalbergs und Ifflands Leitung mit den
beſten Bühnen Deutſchlands gewetteifert und Schillers Räuber zuerſt
aufgeführt hatte. Die neue Landeshauptſtadt Karlsruhe wollte in der
Pfalz Niemand gelten laſſen. Der langweilige Ort, hundert Jahre zuvor
durch die Laune des Markgrafen Karl Wilhelm gerade an der häßlichſten
Stelle des ſchönen Landes gegründet, wuchs noch immer ſehr langſam
aus den Alleen des Hardtwaldes heraus; die eintönigen Häuſerzeilen
des regelrechten Straßenfächers erſchienen nur noch öder, ſeit Weinbrenner
ſie mit ſeinen Tempelbauten ſchmückte und den Beweis führte, daß unter
allen Formen des Zopfſtils keine ſo geiſtlos iſt wie der claſſiſche Zopf.
So ſtarke widerſtrebende Kräfte im Frieden einem neuen Gemein-
weſen einzufügen konnte nur dem perſönlichen Anſehen des ehrwürdigen
alten Karl Friedrich gelingen. Der greiſe Herr galt ſeit Langem als das
Muſter eines kleinen Landesvaters. Durchaus aufgeklärt und duldſam, ein
Freund Karl Auguſts von Weimar, hielt er doch ſeinen altväteriſchen
Chriſtenglauben feſt und begünſtigte unter den Talenten der neuen Lite-
ratur vornehmlich jene, die ein warmes religiöſes Gefühl zeigten, Klopſtock,
Herder, Lavater, Jung Stilling; empfänglich für die Ideen des neuen
Frankreichs, ein Bewunderer der phyſiokratiſchen Wirthſchaftslehre, blieb
er doch ein kerndeutſcher Mann, immer darauf bedacht, wie durch einen
Fürſtenbund dem wankenden alten Reiche neues Leben gebracht, durch
eine deutſche Akademie „der Allgemeingeiſt“ der Nation geweckt werden
könne, und es war wahrlich ein unverdientes, grauſames Schickſal, daß
dieſer treue Patriot am Abend ſeines Lebens den Fluch der Kleinſtaaterei
erfahren und ſchweren Herzens die Feſſeln des Fremdlings tragen mußte.
Er förderte die Bildung und den Wohlſtand ſeines Landes durch eine
umſichtige Geſetzgebung, die in Süddeutſchland ohne Gleichen daſtand,
und verſtand ſich auch auf jene Sprache des Herzens, welche dem patriar-
chaliſchen Völkchen unſerer Kleinſtaaten von jeher noch werthvoller war
als das politiſche Verdienſt. In jedem altbadiſchen Wirthshauſe hing
die „Badiſche Landestafel“: das Bild des Fürſten und darunter ſeine
väterliche Antwort auf die Dankſagungen, welche ihm ſein Land nach der
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |