Diese beiden Briefe wurden einigen befreundeten Höfen im tiefsten Ver- trauen mitgetheilt; bald darauf erschienen sie gedruckt in einer Hamburger liberalen Zeitung, zur Freude aller Lästerzungen, der Radikalen daheim und der Feinde Deutschlands im Auslande.
Der Verräther war Varnhagen von Ense, der eitelste und unzuver- lässigste aller Diplomaten Preußens. Der jugendliche Gatte der gefeierten Rahel brannte vor Begier, durch staatsmännische Thaten sich des Ruhmes seiner Frau würdig zu zeigen. Er hatte während des Wiener Congresses der Sache Preußens seine Feder gewidmet und dann von dem dank- baren Staatskanzler, der sich durch geistreiches Gespräch und vielseitige Bildung leicht blenden ließ, den schwierigen Karlsruher Posten angewiesen erhalten. Mit der ganzen Unbefangenheit des literarischen Schöngeists begann er hier sogleich Politik auf eigene Faust zu treiben, überschüttete den badischen Hof mit unerbetenen Rathschlägen, vertheidigte radikale Doktrinen, welche der Meinung Hardenbergs gradeswegs zuwider liefen, und trat mit der liberalen Partei in einen vertrauten Verkehr, der sich mit seiner Amtspflicht nicht vertrug. Dieser kühne Freisinn hinderte ihn jedoch keineswegs, vor dem Staatskanzler in byzantinischer Ergebenheit unterthänigst zu ersterben, beständig um eine Rangerhöhung zu bitten und mit umständlichem Behagen zu erzählen, wie lange Großherzog und Großherzogin sich mit ihm zu unterhalten geruht hätten. Nichts süßlicher als seine Briefe an den Minister Berstett, den er haßte und nachher in seinen Denkwürdigkeiten verleumdete; eine wohlgedrechselte Riesenperiode von zwanzig Zeilen genügt ihm kaum um auszudrücken, wie inbrünstig er "den erwünschten und, ich darf sagen, mit steigendem Antheil in mir zum Voraus belebten Zeitpunkt" der Rückkehr aus dem Urlaube und des erneuten Verkehrs mit dem hochverehrten Manne "erwarten und be- schleunigen mag".*) In endlosen Berichten theilte er dem Staatskanzler seine Urtheile über die große Politik und seine tiefgeheimen Nachrichten mit, fast durchweg werthlose Klatschereien, ganz im Stile seiner späteren Tagebücher. Zuverlässige Nachrichten über die geheimen Vorgänge am Karlsruher Hofe erhielt er nur selten, da Niemand der Katzenfreundlich- keit des glatten Mannes recht traute; als die Constitution endlich zu Stande kam, wußte Varnhagen nicht einmal wer ihr Verfasser war und nannte dem Staatskanzler zuversichtlich zwei falsche Namen.**)
Sein Verhalten in den bairisch-badischen Händeln war ihm von Berlin aus genau vorgeschrieben: er sollte dem Großherzog versichern, daß Preußen keine Gewaltthat gegen Baden dulden werde, doch im Uebrigen sich zurückhalten und vor Allem verhindern, daß der häßliche Streit in einen offenbaren Skandal ausarte. Demgemäß berichtete er zuerst über
*) Varnhagen an Berstett, 8. Okt. 1817.
**) Varnhagens Bericht, 26. August 1816.
II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe.
Dieſe beiden Briefe wurden einigen befreundeten Höfen im tiefſten Ver- trauen mitgetheilt; bald darauf erſchienen ſie gedruckt in einer Hamburger liberalen Zeitung, zur Freude aller Läſterzungen, der Radikalen daheim und der Feinde Deutſchlands im Auslande.
Der Verräther war Varnhagen von Enſe, der eitelſte und unzuver- läſſigſte aller Diplomaten Preußens. Der jugendliche Gatte der gefeierten Rahel brannte vor Begier, durch ſtaatsmänniſche Thaten ſich des Ruhmes ſeiner Frau würdig zu zeigen. Er hatte während des Wiener Congreſſes der Sache Preußens ſeine Feder gewidmet und dann von dem dank- baren Staatskanzler, der ſich durch geiſtreiches Geſpräch und vielſeitige Bildung leicht blenden ließ, den ſchwierigen Karlsruher Poſten angewieſen erhalten. Mit der ganzen Unbefangenheit des literariſchen Schöngeiſts begann er hier ſogleich Politik auf eigene Fauſt zu treiben, überſchüttete den badiſchen Hof mit unerbetenen Rathſchlägen, vertheidigte radikale Doktrinen, welche der Meinung Hardenbergs gradeswegs zuwider liefen, und trat mit der liberalen Partei in einen vertrauten Verkehr, der ſich mit ſeiner Amtspflicht nicht vertrug. Dieſer kühne Freiſinn hinderte ihn jedoch keineswegs, vor dem Staatskanzler in byzantiniſcher Ergebenheit unterthänigſt zu erſterben, beſtändig um eine Rangerhöhung zu bitten und mit umſtändlichem Behagen zu erzählen, wie lange Großherzog und Großherzogin ſich mit ihm zu unterhalten geruht hätten. Nichts ſüßlicher als ſeine Briefe an den Miniſter Berſtett, den er haßte und nachher in ſeinen Denkwürdigkeiten verleumdete; eine wohlgedrechſelte Rieſenperiode von zwanzig Zeilen genügt ihm kaum um auszudrücken, wie inbrünſtig er „den erwünſchten und, ich darf ſagen, mit ſteigendem Antheil in mir zum Voraus belebten Zeitpunkt“ der Rückkehr aus dem Urlaube und des erneuten Verkehrs mit dem hochverehrten Manne „erwarten und be- ſchleunigen mag“.*) In endloſen Berichten theilte er dem Staatskanzler ſeine Urtheile über die große Politik und ſeine tiefgeheimen Nachrichten mit, faſt durchweg werthloſe Klatſchereien, ganz im Stile ſeiner ſpäteren Tagebücher. Zuverläſſige Nachrichten über die geheimen Vorgänge am Karlsruher Hofe erhielt er nur ſelten, da Niemand der Katzenfreundlich- keit des glatten Mannes recht traute; als die Conſtitution endlich zu Stande kam, wußte Varnhagen nicht einmal wer ihr Verfaſſer war und nannte dem Staatskanzler zuverſichtlich zwei falſche Namen.**)
Sein Verhalten in den bairiſch-badiſchen Händeln war ihm von Berlin aus genau vorgeſchrieben: er ſollte dem Großherzog verſichern, daß Preußen keine Gewaltthat gegen Baden dulden werde, doch im Uebrigen ſich zurückhalten und vor Allem verhindern, daß der häßliche Streit in einen offenbaren Skandal ausarte. Demgemäß berichtete er zuerſt über
*) Varnhagen an Berſtett, 8. Okt. 1817.
**) Varnhagens Bericht, 26. Auguſt 1816.
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II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe.
Dieſe beiden Briefe wurden einigen befreundeten Höfen im tiefſten Ver-
trauen mitgetheilt; bald darauf erſchienen ſie gedruckt in einer Hamburger
liberalen Zeitung, zur Freude aller Läſterzungen, der Radikalen daheim
und der Feinde Deutſchlands im Auslande.
Der Verräther war Varnhagen von Enſe, der eitelſte und unzuver-
läſſigſte aller Diplomaten Preußens. Der jugendliche Gatte der gefeierten
Rahel brannte vor Begier, durch ſtaatsmänniſche Thaten ſich des Ruhmes
ſeiner Frau würdig zu zeigen. Er hatte während des Wiener Congreſſes
der Sache Preußens ſeine Feder gewidmet und dann von dem dank-
baren Staatskanzler, der ſich durch geiſtreiches Geſpräch und vielſeitige
Bildung leicht blenden ließ, den ſchwierigen Karlsruher Poſten angewieſen
erhalten. Mit der ganzen Unbefangenheit des literariſchen Schöngeiſts
begann er hier ſogleich Politik auf eigene Fauſt zu treiben, überſchüttete
den badiſchen Hof mit unerbetenen Rathſchlägen, vertheidigte radikale
Doktrinen, welche der Meinung Hardenbergs gradeswegs zuwider liefen,
und trat mit der liberalen Partei in einen vertrauten Verkehr, der ſich
mit ſeiner Amtspflicht nicht vertrug. Dieſer kühne Freiſinn hinderte ihn
jedoch keineswegs, vor dem Staatskanzler in byzantiniſcher Ergebenheit
unterthänigſt zu erſterben, beſtändig um eine Rangerhöhung zu bitten
und mit umſtändlichem Behagen zu erzählen, wie lange Großherzog und
Großherzogin ſich mit ihm zu unterhalten geruht hätten. Nichts ſüßlicher
als ſeine Briefe an den Miniſter Berſtett, den er haßte und nachher in
ſeinen Denkwürdigkeiten verleumdete; eine wohlgedrechſelte Rieſenperiode
von zwanzig Zeilen genügt ihm kaum um auszudrücken, wie inbrünſtig
er „den erwünſchten und, ich darf ſagen, mit ſteigendem Antheil in mir
zum Voraus belebten Zeitpunkt“ der Rückkehr aus dem Urlaube und des
erneuten Verkehrs mit dem hochverehrten Manne „erwarten und be-
ſchleunigen mag“. *) In endloſen Berichten theilte er dem Staatskanzler
ſeine Urtheile über die große Politik und ſeine tiefgeheimen Nachrichten
mit, faſt durchweg werthloſe Klatſchereien, ganz im Stile ſeiner ſpäteren
Tagebücher. Zuverläſſige Nachrichten über die geheimen Vorgänge am
Karlsruher Hofe erhielt er nur ſelten, da Niemand der Katzenfreundlich-
keit des glatten Mannes recht traute; als die Conſtitution endlich zu
Stande kam, wußte Varnhagen nicht einmal wer ihr Verfaſſer war und
nannte dem Staatskanzler zuverſichtlich zwei falſche Namen. **)
Sein Verhalten in den bairiſch-badiſchen Händeln war ihm von
Berlin aus genau vorgeſchrieben: er ſollte dem Großherzog verſichern, daß
Preußen keine Gewaltthat gegen Baden dulden werde, doch im Uebrigen
ſich zurückhalten und vor Allem verhindern, daß der häßliche Streit in
einen offenbaren Skandal ausarte. Demgemäß berichtete er zuerſt über
*) Varnhagen an Berſtett, 8. Okt. 1817.
**) Varnhagens Bericht, 26. Auguſt 1816.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/384>, abgerufen am 22.11.2024.
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