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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 6. Süddeutsche Verfassungskämpfe.
Während der bairische Landtag überwiegend aus Grundbesitzern bestand,
ging Nebenius, als echter Sohn eines literarischen Geschlechts, von der
Ansicht aus, daß vornehmlich die Bildung vertreten werden müsse, und
da er wie alle Liberalen die Bildung in den Städten suchte, so gab das
badische Wahlgesetz vierzehn Städten 22 Abgeordnete, den weit stärker be-
völkerten ländlichen Wahlbezirken nur 41 Vertreter. Im Uebrigen ge-
reichte das Werk dem praktischen Sinne des gelehrten Verfassers zur Ehre.
Das Grundgesetz war nicht mit Einzelbestimmungen überladen, so daß
noch Raum blieb für die Lehren der constitutionellen Erfahrung, und
lehnte sich nur äußerlich, in der formellen Anordnung, an das traurige
polnische Vorbild an. Der Adel wurde durch die Errichtung einer ersten
Kammer zufriedengestellt; der Landtag erhielt ein wirksames Recht der
Controle, da ihm aller zwei Jahre das gesammte Budget vorgelegt werden
sollte. Selbst Haller, der Restaurator, mußte das deutsche Rechtsgefühl,
das aus dieser Verfassung sprach, anerkennen, "obschon sie den Haupt-
fehler hat eine Constitution zu sein".

Mit alledem war die Pfalz noch immer nicht gesichert. Die vier
Mächte, denen die Entscheidung zustand, hatten sich verabredet, auf dem
Congresse, der noch in diesem Herbst stattfinden sollte, den Handel endlich
aus der Welt zu schaffen. Die Ungeduld des Münchener Hofs war jedoch
kaum mehr zu bändigen, seit der Zustand des kranken Großherzogs sich
täglich verschlimmerte. Max Joseph und sein Minister Rechberg erklärten
Beide dem preußischen Gesandten: sie seien bereit zu einem Vergleiche;
sollte aber der Großherzog vor ausgemachter Sache sterben, dann werde
Baiern die Pfalz als heimgefallen betrachten und seine Rechte geltend
machen.*) Bald nachher liefen in Karlsruhe von allen Seiten Warnun-
gen ein: Baiern rüste und ziehe seine Truppen an der pfälzischen Grenze
zusammen. Der Großherzog befahl nunmehr die Beurlaubten einzuberufen.
Auch der König von Württemberg fühlte sich schwer bedroht; sein Lieb-
lingsplan, die rein deutsche Trias zerschmolz ihm unter den Händen.
Sein Gesandter Gremp mußte den bairischen Minister (25. September)
schriftlich befragen: ob es denn wirklich wahr sei, daß der König beim
Ableben seines Schwagers einen Handstreich auszuführen denke; ein solcher
Schritt müsse "den faktischen Austritt Baierns aus dem Deutschen Bunde
zur gewissen Folge haben"; eine bestimmte Widerlegung des Gerüchts
scheine dringend geboten "grade im gegenwärtigen Augenblicke, wo ein
aufrichtiges Verständniß der rein-deutschen Bundesstaaten so wichtig ist."
In einer schnöden und herrischen Erwiderung sprach darauf Rechberg
sein äußerstes Befremden aus: "S. Maj. haben bisher den Gedanken
an ein in belobter Note vorhergesehenes Ereigniß, welches Allerhöchst-
dieselben mit dem tiefsten Kummer erfüllen müßte, noch keinen Augenblick

*) Zastrows Berichte, 5., 30. August 1818.

II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe.
Während der bairiſche Landtag überwiegend aus Grundbeſitzern beſtand,
ging Nebenius, als echter Sohn eines literariſchen Geſchlechts, von der
Anſicht aus, daß vornehmlich die Bildung vertreten werden müſſe, und
da er wie alle Liberalen die Bildung in den Städten ſuchte, ſo gab das
badiſche Wahlgeſetz vierzehn Städten 22 Abgeordnete, den weit ſtärker be-
völkerten ländlichen Wahlbezirken nur 41 Vertreter. Im Uebrigen ge-
reichte das Werk dem praktiſchen Sinne des gelehrten Verfaſſers zur Ehre.
Das Grundgeſetz war nicht mit Einzelbeſtimmungen überladen, ſo daß
noch Raum blieb für die Lehren der conſtitutionellen Erfahrung, und
lehnte ſich nur äußerlich, in der formellen Anordnung, an das traurige
polniſche Vorbild an. Der Adel wurde durch die Errichtung einer erſten
Kammer zufriedengeſtellt; der Landtag erhielt ein wirkſames Recht der
Controle, da ihm aller zwei Jahre das geſammte Budget vorgelegt werden
ſollte. Selbſt Haller, der Reſtaurator, mußte das deutſche Rechtsgefühl,
das aus dieſer Verfaſſung ſprach, anerkennen, „obſchon ſie den Haupt-
fehler hat eine Conſtitution zu ſein“.

Mit alledem war die Pfalz noch immer nicht geſichert. Die vier
Mächte, denen die Entſcheidung zuſtand, hatten ſich verabredet, auf dem
Congreſſe, der noch in dieſem Herbſt ſtattfinden ſollte, den Handel endlich
aus der Welt zu ſchaffen. Die Ungeduld des Münchener Hofs war jedoch
kaum mehr zu bändigen, ſeit der Zuſtand des kranken Großherzogs ſich
täglich verſchlimmerte. Max Joſeph und ſein Miniſter Rechberg erklärten
Beide dem preußiſchen Geſandten: ſie ſeien bereit zu einem Vergleiche;
ſollte aber der Großherzog vor ausgemachter Sache ſterben, dann werde
Baiern die Pfalz als heimgefallen betrachten und ſeine Rechte geltend
machen.*) Bald nachher liefen in Karlsruhe von allen Seiten Warnun-
gen ein: Baiern rüſte und ziehe ſeine Truppen an der pfälziſchen Grenze
zuſammen. Der Großherzog befahl nunmehr die Beurlaubten einzuberufen.
Auch der König von Württemberg fühlte ſich ſchwer bedroht; ſein Lieb-
lingsplan, die rein deutſche Trias zerſchmolz ihm unter den Händen.
Sein Geſandter Gremp mußte den bairiſchen Miniſter (25. September)
ſchriftlich befragen: ob es denn wirklich wahr ſei, daß der König beim
Ableben ſeines Schwagers einen Handſtreich auszuführen denke; ein ſolcher
Schritt müſſe „den faktiſchen Austritt Baierns aus dem Deutſchen Bunde
zur gewiſſen Folge haben“; eine beſtimmte Widerlegung des Gerüchts
ſcheine dringend geboten „grade im gegenwärtigen Augenblicke, wo ein
aufrichtiges Verſtändniß der rein-deutſchen Bundesſtaaten ſo wichtig iſt.“
In einer ſchnöden und herriſchen Erwiderung ſprach darauf Rechberg
ſein äußerſtes Befremden aus: „S. Maj. haben bisher den Gedanken
an ein in belobter Note vorhergeſehenes Ereigniß, welches Allerhöchſt-
dieſelben mit dem tiefſten Kummer erfüllen müßte, noch keinen Augenblick

*) Zaſtrows Berichte, 5., 30. Auguſt 1818.
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[374/0388] II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe. Während der bairiſche Landtag überwiegend aus Grundbeſitzern beſtand, ging Nebenius, als echter Sohn eines literariſchen Geſchlechts, von der Anſicht aus, daß vornehmlich die Bildung vertreten werden müſſe, und da er wie alle Liberalen die Bildung in den Städten ſuchte, ſo gab das badiſche Wahlgeſetz vierzehn Städten 22 Abgeordnete, den weit ſtärker be- völkerten ländlichen Wahlbezirken nur 41 Vertreter. Im Uebrigen ge- reichte das Werk dem praktiſchen Sinne des gelehrten Verfaſſers zur Ehre. Das Grundgeſetz war nicht mit Einzelbeſtimmungen überladen, ſo daß noch Raum blieb für die Lehren der conſtitutionellen Erfahrung, und lehnte ſich nur äußerlich, in der formellen Anordnung, an das traurige polniſche Vorbild an. Der Adel wurde durch die Errichtung einer erſten Kammer zufriedengeſtellt; der Landtag erhielt ein wirkſames Recht der Controle, da ihm aller zwei Jahre das geſammte Budget vorgelegt werden ſollte. Selbſt Haller, der Reſtaurator, mußte das deutſche Rechtsgefühl, das aus dieſer Verfaſſung ſprach, anerkennen, „obſchon ſie den Haupt- fehler hat eine Conſtitution zu ſein“. Mit alledem war die Pfalz noch immer nicht geſichert. Die vier Mächte, denen die Entſcheidung zuſtand, hatten ſich verabredet, auf dem Congreſſe, der noch in dieſem Herbſt ſtattfinden ſollte, den Handel endlich aus der Welt zu ſchaffen. Die Ungeduld des Münchener Hofs war jedoch kaum mehr zu bändigen, ſeit der Zuſtand des kranken Großherzogs ſich täglich verſchlimmerte. Max Joſeph und ſein Miniſter Rechberg erklärten Beide dem preußiſchen Geſandten: ſie ſeien bereit zu einem Vergleiche; ſollte aber der Großherzog vor ausgemachter Sache ſterben, dann werde Baiern die Pfalz als heimgefallen betrachten und ſeine Rechte geltend machen. *) Bald nachher liefen in Karlsruhe von allen Seiten Warnun- gen ein: Baiern rüſte und ziehe ſeine Truppen an der pfälziſchen Grenze zuſammen. Der Großherzog befahl nunmehr die Beurlaubten einzuberufen. Auch der König von Württemberg fühlte ſich ſchwer bedroht; ſein Lieb- lingsplan, die rein deutſche Trias zerſchmolz ihm unter den Händen. Sein Geſandter Gremp mußte den bairiſchen Miniſter (25. September) ſchriftlich befragen: ob es denn wirklich wahr ſei, daß der König beim Ableben ſeines Schwagers einen Handſtreich auszuführen denke; ein ſolcher Schritt müſſe „den faktiſchen Austritt Baierns aus dem Deutſchen Bunde zur gewiſſen Folge haben“; eine beſtimmte Widerlegung des Gerüchts ſcheine dringend geboten „grade im gegenwärtigen Augenblicke, wo ein aufrichtiges Verſtändniß der rein-deutſchen Bundesſtaaten ſo wichtig iſt.“ In einer ſchnöden und herriſchen Erwiderung ſprach darauf Rechberg ſein äußerſtes Befremden aus: „S. Maj. haben bisher den Gedanken an ein in belobter Note vorhergeſehenes Ereigniß, welches Allerhöchſt- dieſelben mit dem tiefſten Kummer erfüllen müßte, noch keinen Augenblick *) Zaſtrows Berichte, 5., 30. Auguſt 1818.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/388>, abgerufen am 22.11.2024.