Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.Czar Alexander als Führer des Liberalismus. endet, den Nebenbuhler in dem großen Wettlaufe um eine Kopflänge über-holt! Aengstlichen Gemüthern klang der dröhnende Beifallsruf der libe- ralen Welt schon wie das Grabgeläute des Hauses Zähringen. Max Joseph aber hielt es nicht für unköniglich, eben jetzt zur Kur nach Baden- Baden zu reisen, wo er dann nach seiner lustigen Art gegen Jedermann äußerte: wie schön, daß Baiern mit seiner Verfassung früher fertig ge- worden! Großherzog Karl verließ, als ihm der freundnachbarliche Besuch angekündigt wurde, sofort sein Schloß in Baden und ging in das stille Schwarzwaldbad Griesbach; auch die gesammte Hofgesellschaft zog sich aus Baden zurück. Nur Einer blieb -- natürlich Varnhagen. Der konnte sich's nicht versagen, sein politisches Licht auch vor dem bairischen Könige, bei dem er gar nicht beglaubigt war, leuchten zu lassen; er drängte sich an Max Joseph heran und gab ihm, abermals eigenmächtig, so taktlose und unrichtige Erklärungen über die Absichten des preußischen Hofes, daß ein großer diplomatischer Streit entstand; ein scharfer Verweis aus Ber- lin brachte die böse Zunge endlich zur Ruhe.*) Mittlerweile hatte der Großherzog am Abend seines traurigen Lebens Genug, am 22. August 1818 wurde die Verfassung unterzeichnet, und *) Weisungen an Varnhagen, 22. Juli, 22. August 1818. **) F. v. Weech, Geschichte der badischen Verfassung. S. 93 f.
Czar Alexander als Führer des Liberalismus. endet, den Nebenbuhler in dem großen Wettlaufe um eine Kopflänge über-holt! Aengſtlichen Gemüthern klang der dröhnende Beifallsruf der libe- ralen Welt ſchon wie das Grabgeläute des Hauſes Zähringen. Max Joſeph aber hielt es nicht für unköniglich, eben jetzt zur Kur nach Baden- Baden zu reiſen, wo er dann nach ſeiner luſtigen Art gegen Jedermann äußerte: wie ſchön, daß Baiern mit ſeiner Verfaſſung früher fertig ge- worden! Großherzog Karl verließ, als ihm der freundnachbarliche Beſuch angekündigt wurde, ſofort ſein Schloß in Baden und ging in das ſtille Schwarzwaldbad Griesbach; auch die geſammte Hofgeſellſchaft zog ſich aus Baden zurück. Nur Einer blieb — natürlich Varnhagen. Der konnte ſich’s nicht verſagen, ſein politiſches Licht auch vor dem bairiſchen Könige, bei dem er gar nicht beglaubigt war, leuchten zu laſſen; er drängte ſich an Max Joſeph heran und gab ihm, abermals eigenmächtig, ſo taktloſe und unrichtige Erklärungen über die Abſichten des preußiſchen Hofes, daß ein großer diplomatiſcher Streit entſtand; ein ſcharfer Verweis aus Ber- lin brachte die böſe Zunge endlich zur Ruhe.*) Mittlerweile hatte der Großherzog am Abend ſeines traurigen Lebens Genug, am 22. Auguſt 1818 wurde die Verfaſſung unterzeichnet, und *) Weiſungen an Varnhagen, 22. Juli, 22. Auguſt 1818. **) F. v. Weech, Geſchichte der badiſchen Verfaſſung. S. 93 f.
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Czar Alexander als Führer des Liberalismus.
endet, den Nebenbuhler in dem großen Wettlaufe um eine Kopflänge über-
holt! Aengſtlichen Gemüthern klang der dröhnende Beifallsruf der libe-
ralen Welt ſchon wie das Grabgeläute des Hauſes Zähringen. Max
Joſeph aber hielt es nicht für unköniglich, eben jetzt zur Kur nach Baden-
Baden zu reiſen, wo er dann nach ſeiner luſtigen Art gegen Jedermann
äußerte: wie ſchön, daß Baiern mit ſeiner Verfaſſung früher fertig ge-
worden! Großherzog Karl verließ, als ihm der freundnachbarliche Beſuch
angekündigt wurde, ſofort ſein Schloß in Baden und ging in das ſtille
Schwarzwaldbad Griesbach; auch die geſammte Hofgeſellſchaft zog ſich aus
Baden zurück. Nur Einer blieb — natürlich Varnhagen. Der konnte
ſich’s nicht verſagen, ſein politiſches Licht auch vor dem bairiſchen Könige,
bei dem er gar nicht beglaubigt war, leuchten zu laſſen; er drängte ſich
an Max Joſeph heran und gab ihm, abermals eigenmächtig, ſo taktloſe
und unrichtige Erklärungen über die Abſichten des preußiſchen Hofes, daß
ein großer diplomatiſcher Streit entſtand; ein ſcharfer Verweis aus Ber-
lin brachte die böſe Zunge endlich zur Ruhe. *)
Mittlerweile hatte der Großherzog am Abend ſeines traurigen Lebens
noch einen perſönlichen Freund gefunden, den kecken ruſſiſchen Reiterführer
aus dem Befreiungskriege, General Tettenborn, ein badiſches Landeskind.
Der lebensluſtige Landsknecht wurde der tägliche Begleiter des Kranken
und verwendete ſeinen Einfluß zum Heile des Landes; durchaus kein Freund
der Liberalen beſaß er doch den ſicheren Soldatenblick für das Nothwendige.
Ihm und dem treuen Reitzenſtein war es zu verdanken, daß der Fürſt den
Nebenius’ſchen Entwurf ernſtlich prüfte und ihn ſchließlich, bis auf einen
einzigen Paragraphen, gänzlich unverändert annahm. **) Noch in den
letzten Wochen fehlte es nicht an peinlichen Zwiſchenfällen. Das neue
Wahlgeſetz mußte der geplagte Nebenius zweimal ausarbeiten, weil der
Großherzog das Aktenſtück verſchloſſen hatte und ſich nicht entſchließen
konnte die Kiſte öffnen zu laſſen.
Genug, am 22. Auguſt 1818 wurde die Verfaſſung unterzeichnet, und
die Wirkung dieſes Entſchluſſes war hier faſt noch ſtärker als kurz zuvor
in Baiern. Die Unzufriedenen in den neuen Landestheilen verſtummten
augenblicklich; an das Krankenlager des ſterbenden Fürſten drangen noch
die Freudenrufe eines dankbaren Völkchens, das ſich von der neuen Frei-
heit ein unbeſtimmtes, wunderbares Glück verſprach. Die untrügliche
Richterin aber, die öffentliche Meinung Deutſchlands, das will ſagen die
liberale Preſſe, gab ihren Wahrſpruch über den beendeten Wettkampf dahin
ab: Baiern habe ſich zwar flinker gezeigt in der Erfüllung der Volkswünſche,
doch der Preis gebühre dem freiſinnigen Baden. Allerdings trug das badiſche
Grundgeſetz, dem Charakter des Landes gemäß, einen modernen Anſtrich.
*) Weiſungen an Varnhagen, 22. Juli, 22. Auguſt 1818.
**) F. v. Weech, Geſchichte der badiſchen Verfaſſung. S. 93 f.
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