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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 7. Die Burschenschaft.
Vortrat zu der Freiheit Rennlaufbahn,
Da folgt' ihm ein wehrlich Geschlechte.
Hei wie schwungen sich die Jungen
Frisch, froh, fromm, frei!
Hei wie sungen da die Jungen:
Juchhei!

Wenn die Ferienzeit nahte, dann nahm Jahn gern seine Axt auf
die Schulter und brach mit einer kleinen Schaar von Getreuen zu einer
weiten Turnfahrt auf; über Stock und Stein ging es dann vorwärts bei
Wind und Wetter, in gewaltigen Märschen, bis nach Rügen oder ins
schlesische Gebirge. Nachts lagerten sich die Graujacken gern beim Wach-
feuer unter freiem Himmel, Alles zur Mehrung der frommen Deutsch-
heit, und stolz erklang das Turnwanderlied des biderben Maßmann:

Stubenwacht, Ofenpacht,
hat die Herzen weich gemacht.
Wanderfahrt, Turnerart
Macht sie frank und hart.

Zur Nahrung diente oft nur trockenes Brot, und selten ward etwas
Anderes als Milch oder Wasser getrunken; denn auch die Mäßigkeit
rechnete der Turnvater zu den eigenthümlichen Tugenden der Deutschen,
was vor ihm noch nie ein Sterblicher behauptet hatte. Langsame Köpfe
durften nicht murren, wenn ihnen der jähzornige Meister durch Verab-
reichung einer "Dachtel" die Gedankenarbeit beschleunigte; das war keine
gemeine Ohrfeige, sondern hing, nach Jahns Etymologie, mit "Denken"
zusammen. Verging sich aber Einer gar zu gröblich gegen die Grund-
sätze des Deutschthums oder begegnete der waidlichen Schaar sonst etwas
Anstößiges, etwa eine französische Inschrift oder ein geputzter Modegeck,
ein "Schnürling", dann wurde "Entsatz gemacht", dann kauerten sich die
jungen Unholde im Kreise um den Gegenstand des Entsetzens, reckten die
Zeigefinger vor und brüllten: äh äh!

In tapferen Völkern müssen alle schulmäßigen Leibesübungen kriege-
rischen Zwecken dienen, wenn sie nicht zu läppischer Spielerei ausarten
sollen. Eingefügt in den regelmäßigen Schulunterricht konnte das Turnen
der überfeinerten Bildung der Zeit ein heilsames Gegengewicht bieten und
die Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht erleichtern. In diesem
Sinne hatte Gneisenau schon vor Jahren die kriegerische Ausbildung der
gesammten Jugend empfohlen; ähnlich, wenngleich etwas überschwänglich,
äußerte sich noch jetzt ein Breslauer Turnfreund, Hauptmann v. Schme-
ling in seiner Schrift "Turnen und Landwehr". Jener wunderliche Heilige
aber, der sich schon bei Lebzeiten durch seine Eulenspiegeleien zu einer
sagenhaften Person erhoben sah, konnte auch das Vernünftige nur auf
närrische Weise betreiben. Er war aufgewachsen im Hasse gegen den
Kamaschendienst des alten Heeres und besaß weder die Bildung noch die

II. 7. Die Burſchenſchaft.
Vortrat zu der Freiheit Rennlaufbahn,
Da folgt’ ihm ein wehrlich Geſchlechte.
Hei wie ſchwungen ſich die Jungen
Friſch, froh, fromm, frei!
Hei wie ſungen da die Jungen:
Juchhei!

Wenn die Ferienzeit nahte, dann nahm Jahn gern ſeine Axt auf
die Schulter und brach mit einer kleinen Schaar von Getreuen zu einer
weiten Turnfahrt auf; über Stock und Stein ging es dann vorwärts bei
Wind und Wetter, in gewaltigen Märſchen, bis nach Rügen oder ins
ſchleſiſche Gebirge. Nachts lagerten ſich die Graujacken gern beim Wach-
feuer unter freiem Himmel, Alles zur Mehrung der frommen Deutſch-
heit, und ſtolz erklang das Turnwanderlied des biderben Maßmann:

Stubenwacht, Ofenpacht,
hat die Herzen weich gemacht.
Wanderfahrt, Turnerart
Macht ſie frank und hart.

Zur Nahrung diente oft nur trockenes Brot, und ſelten ward etwas
Anderes als Milch oder Waſſer getrunken; denn auch die Mäßigkeit
rechnete der Turnvater zu den eigenthümlichen Tugenden der Deutſchen,
was vor ihm noch nie ein Sterblicher behauptet hatte. Langſame Köpfe
durften nicht murren, wenn ihnen der jähzornige Meiſter durch Verab-
reichung einer „Dachtel“ die Gedankenarbeit beſchleunigte; das war keine
gemeine Ohrfeige, ſondern hing, nach Jahns Etymologie, mit „Denken“
zuſammen. Verging ſich aber Einer gar zu gröblich gegen die Grund-
ſätze des Deutſchthums oder begegnete der waidlichen Schaar ſonſt etwas
Anſtößiges, etwa eine franzöſiſche Inſchrift oder ein geputzter Modegeck,
ein „Schnürling“, dann wurde „Entſatz gemacht“, dann kauerten ſich die
jungen Unholde im Kreiſe um den Gegenſtand des Entſetzens, reckten die
Zeigefinger vor und brüllten: äh äh!

In tapferen Völkern müſſen alle ſchulmäßigen Leibesübungen kriege-
riſchen Zwecken dienen, wenn ſie nicht zu läppiſcher Spielerei ausarten
ſollen. Eingefügt in den regelmäßigen Schulunterricht konnte das Turnen
der überfeinerten Bildung der Zeit ein heilſames Gegengewicht bieten und
die Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht erleichtern. In dieſem
Sinne hatte Gneiſenau ſchon vor Jahren die kriegeriſche Ausbildung der
geſammten Jugend empfohlen; ähnlich, wenngleich etwas überſchwänglich,
äußerte ſich noch jetzt ein Breslauer Turnfreund, Hauptmann v. Schme-
ling in ſeiner Schrift „Turnen und Landwehr“. Jener wunderliche Heilige
aber, der ſich ſchon bei Lebzeiten durch ſeine Eulenſpiegeleien zu einer
ſagenhaften Perſon erhoben ſah, konnte auch das Vernünftige nur auf
närriſche Weiſe betreiben. Er war aufgewachſen im Haſſe gegen den
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[386/0400] II. 7. Die Burſchenſchaft. Vortrat zu der Freiheit Rennlaufbahn, Da folgt’ ihm ein wehrlich Geſchlechte. Hei wie ſchwungen ſich die Jungen Friſch, froh, fromm, frei! Hei wie ſungen da die Jungen: Juchhei! Wenn die Ferienzeit nahte, dann nahm Jahn gern ſeine Axt auf die Schulter und brach mit einer kleinen Schaar von Getreuen zu einer weiten Turnfahrt auf; über Stock und Stein ging es dann vorwärts bei Wind und Wetter, in gewaltigen Märſchen, bis nach Rügen oder ins ſchleſiſche Gebirge. Nachts lagerten ſich die Graujacken gern beim Wach- feuer unter freiem Himmel, Alles zur Mehrung der frommen Deutſch- heit, und ſtolz erklang das Turnwanderlied des biderben Maßmann: Stubenwacht, Ofenpacht, hat die Herzen weich gemacht. Wanderfahrt, Turnerart Macht ſie frank und hart. Zur Nahrung diente oft nur trockenes Brot, und ſelten ward etwas Anderes als Milch oder Waſſer getrunken; denn auch die Mäßigkeit rechnete der Turnvater zu den eigenthümlichen Tugenden der Deutſchen, was vor ihm noch nie ein Sterblicher behauptet hatte. Langſame Köpfe durften nicht murren, wenn ihnen der jähzornige Meiſter durch Verab- reichung einer „Dachtel“ die Gedankenarbeit beſchleunigte; das war keine gemeine Ohrfeige, ſondern hing, nach Jahns Etymologie, mit „Denken“ zuſammen. Verging ſich aber Einer gar zu gröblich gegen die Grund- ſätze des Deutſchthums oder begegnete der waidlichen Schaar ſonſt etwas Anſtößiges, etwa eine franzöſiſche Inſchrift oder ein geputzter Modegeck, ein „Schnürling“, dann wurde „Entſatz gemacht“, dann kauerten ſich die jungen Unholde im Kreiſe um den Gegenſtand des Entſetzens, reckten die Zeigefinger vor und brüllten: äh äh! In tapferen Völkern müſſen alle ſchulmäßigen Leibesübungen kriege- riſchen Zwecken dienen, wenn ſie nicht zu läppiſcher Spielerei ausarten ſollen. Eingefügt in den regelmäßigen Schulunterricht konnte das Turnen der überfeinerten Bildung der Zeit ein heilſames Gegengewicht bieten und die Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht erleichtern. In dieſem Sinne hatte Gneiſenau ſchon vor Jahren die kriegeriſche Ausbildung der geſammten Jugend empfohlen; ähnlich, wenngleich etwas überſchwänglich, äußerte ſich noch jetzt ein Breslauer Turnfreund, Hauptmann v. Schme- ling in ſeiner Schrift „Turnen und Landwehr“. Jener wunderliche Heilige aber, der ſich ſchon bei Lebzeiten durch ſeine Eulenſpiegeleien zu einer ſagenhaften Perſon erhoben ſah, konnte auch das Vernünftige nur auf närriſche Weiſe betreiben. Er war aufgewachſen im Haſſe gegen den Kamaſchendienſt des alten Heeres und beſaß weder die Bildung noch die

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/400>, abgerufen am 22.11.2024.