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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Turnplätze und Turnfahrten.
Beweglichkeit des Geistes um die Bedeutung des neuen Wehrgesetzes zu
verstehen. Da nach dem Frieden manche unnütze Paradekünste wieder
aufkamen und die eleganten Gardeoffiziere Berlins die langhaarigen
Rüpel der Hasenhaide ersichtlich nur mit mäßigem Wohlgefallen be-
trachteten, so meinte Jahn, die Armee sei wieder in den Zustand von
1806 zurückgesunken, und polterte nach seiner alten Weise wider "die ge-
worbenen Söldnerschaaren, die auf dem Prahlplatze gedrillt werden". Die
gedankenlose Jugend verfiel natürlich nicht auf die einfache Frage: wo
denn in Preußen die geworbenen Söldnerschaaren sein sollten? -- son-
dern ging gelehrig auf den Hohn ein und sang jubelnd:

Es hat der Held- und Kraft-Uhlan
Sich einen Schnürleib angethan,
Damit das Herz dem braven Mann
Nicht in die Hosen fallen kann.

Die Turnplätze wurden die fruchtbaren Heimathstätten jener Partei-
legenden, welche dem Volke die Geschichte seines Befreiungskrieges ver-
fälschten: nicht die Künste der Männer des Corporalstocks, sondern die Begei-
sterung der Landwehr, des Landsturmes und vornehmlich der Freischaaren
hatte den Sieg errungen. Alle die Großthaten, welche Jahn mit seinen
Lützowern vorgehabt aber leider nicht zu Stande gebracht hatte, vollendeten
sich jetzt nachträglich in den prahlerischen Gesprächen seiner Turngenossen.
Wer diesen Kraftmenschen glaubte, mußte die Ueberzeugung gewinnen,
daß beim nächsten Einfall der Franzosen die deutsche Turnerschaft nur
eine einzige ungeheure Bauchwelle zu schlagen brauchte um den Feind zu
zermalmen. "Wir Sturmerprobten, versicherte das Turnlied, wir zittern
vor Söldnerschlachten nicht" -- und wieder:

Sold mag hinaus senden zum Strauß
Buntes Gewürme:
Thürme und Stürme
Sind wir, die Zügel und Flügel im Strauß!

Wie mit dem Heere, so wollte Jahn auch mit den Schulen nichts
gemein haben: seine Turnplätze sollten eine Welt für sich bleiben, die
Pflegestätten der Deutschheit, durchaus von seinem Geiste erfüllt. So
fromm und ehrlich er war, die unmäßige Bewunderung, die ihm von so
vielen begabteren Männern gespendet ward, brachte ihn doch aus dem Gleich-
gewichte. Mußte er sich nicht endlich selber für den Schutzheiligen der
deutschen Jugend halten, seit Schenkendorf über das schöne Lied: "Wenn
Alle untreu werden, so bleiben wir doch treu" die Aufschrift gesetzt hatte:
"Erneuter Schwur an den Jahn!" Da stand es ja klärlich zu lesen,
daß wenn Alle falschen Götzen trauen, der Jahn allein und seine Ge-
treuen noch "predigen und sprechen vom heiligen deutschen Reich". Zwei
Universitäten, Jena und Kiel, sendeten ihm fast gleichzeitig ihr Doctor-
diplom und feierten mit dem ganzen Pompe akademischer Amtsberedsamkeit

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Turnplätze und Turnfahrten.
Beweglichkeit des Geiſtes um die Bedeutung des neuen Wehrgeſetzes zu
verſtehen. Da nach dem Frieden manche unnütze Paradekünſte wieder
aufkamen und die eleganten Gardeoffiziere Berlins die langhaarigen
Rüpel der Haſenhaide erſichtlich nur mit mäßigem Wohlgefallen be-
trachteten, ſo meinte Jahn, die Armee ſei wieder in den Zuſtand von
1806 zurückgeſunken, und polterte nach ſeiner alten Weiſe wider „die ge-
worbenen Söldnerſchaaren, die auf dem Prahlplatze gedrillt werden“. Die
gedankenloſe Jugend verfiel natürlich nicht auf die einfache Frage: wo
denn in Preußen die geworbenen Söldnerſchaaren ſein ſollten? — ſon-
dern ging gelehrig auf den Hohn ein und ſang jubelnd:

Es hat der Held- und Kraft-Uhlan
Sich einen Schnürleib angethan,
Damit das Herz dem braven Mann
Nicht in die Hoſen fallen kann.

Die Turnplätze wurden die fruchtbaren Heimathſtätten jener Partei-
legenden, welche dem Volke die Geſchichte ſeines Befreiungskrieges ver-
fälſchten: nicht die Künſte der Männer des Corporalſtocks, ſondern die Begei-
ſterung der Landwehr, des Landſturmes und vornehmlich der Freiſchaaren
hatte den Sieg errungen. Alle die Großthaten, welche Jahn mit ſeinen
Lützowern vorgehabt aber leider nicht zu Stande gebracht hatte, vollendeten
ſich jetzt nachträglich in den prahleriſchen Geſprächen ſeiner Turngenoſſen.
Wer dieſen Kraftmenſchen glaubte, mußte die Ueberzeugung gewinnen,
daß beim nächſten Einfall der Franzoſen die deutſche Turnerſchaft nur
eine einzige ungeheure Bauchwelle zu ſchlagen brauchte um den Feind zu
zermalmen. „Wir Sturmerprobten, verſicherte das Turnlied, wir zittern
vor Söldnerſchlachten nicht“ — und wieder:

Sold mag hinaus ſenden zum Strauß
Buntes Gewürme:
Thürme und Stürme
Sind wir, die Zügel und Flügel im Strauß!

Wie mit dem Heere, ſo wollte Jahn auch mit den Schulen nichts
gemein haben: ſeine Turnplätze ſollten eine Welt für ſich bleiben, die
Pflegeſtätten der Deutſchheit, durchaus von ſeinem Geiſte erfüllt. So
fromm und ehrlich er war, die unmäßige Bewunderung, die ihm von ſo
vielen begabteren Männern geſpendet ward, brachte ihn doch aus dem Gleich-
gewichte. Mußte er ſich nicht endlich ſelber für den Schutzheiligen der
deutſchen Jugend halten, ſeit Schenkendorf über das ſchöne Lied: „Wenn
Alle untreu werden, ſo bleiben wir doch treu“ die Aufſchrift geſetzt hatte:
„Erneuter Schwur an den Jahn!“ Da ſtand es ja klärlich zu leſen,
daß wenn Alle falſchen Götzen trauen, der Jahn allein und ſeine Ge-
treuen noch „predigen und ſprechen vom heiligen deutſchen Reich“. Zwei
Univerſitäten, Jena und Kiel, ſendeten ihm faſt gleichzeitig ihr Doctor-
diplom und feierten mit dem ganzen Pompe akademiſcher Amtsberedſamkeit

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[387/0401] Turnplätze und Turnfahrten. Beweglichkeit des Geiſtes um die Bedeutung des neuen Wehrgeſetzes zu verſtehen. Da nach dem Frieden manche unnütze Paradekünſte wieder aufkamen und die eleganten Gardeoffiziere Berlins die langhaarigen Rüpel der Haſenhaide erſichtlich nur mit mäßigem Wohlgefallen be- trachteten, ſo meinte Jahn, die Armee ſei wieder in den Zuſtand von 1806 zurückgeſunken, und polterte nach ſeiner alten Weiſe wider „die ge- worbenen Söldnerſchaaren, die auf dem Prahlplatze gedrillt werden“. Die gedankenloſe Jugend verfiel natürlich nicht auf die einfache Frage: wo denn in Preußen die geworbenen Söldnerſchaaren ſein ſollten? — ſon- dern ging gelehrig auf den Hohn ein und ſang jubelnd: Es hat der Held- und Kraft-Uhlan Sich einen Schnürleib angethan, Damit das Herz dem braven Mann Nicht in die Hoſen fallen kann. Die Turnplätze wurden die fruchtbaren Heimathſtätten jener Partei- legenden, welche dem Volke die Geſchichte ſeines Befreiungskrieges ver- fälſchten: nicht die Künſte der Männer des Corporalſtocks, ſondern die Begei- ſterung der Landwehr, des Landſturmes und vornehmlich der Freiſchaaren hatte den Sieg errungen. Alle die Großthaten, welche Jahn mit ſeinen Lützowern vorgehabt aber leider nicht zu Stande gebracht hatte, vollendeten ſich jetzt nachträglich in den prahleriſchen Geſprächen ſeiner Turngenoſſen. Wer dieſen Kraftmenſchen glaubte, mußte die Ueberzeugung gewinnen, daß beim nächſten Einfall der Franzoſen die deutſche Turnerſchaft nur eine einzige ungeheure Bauchwelle zu ſchlagen brauchte um den Feind zu zermalmen. „Wir Sturmerprobten, verſicherte das Turnlied, wir zittern vor Söldnerſchlachten nicht“ — und wieder: Sold mag hinaus ſenden zum Strauß Buntes Gewürme: Thürme und Stürme Sind wir, die Zügel und Flügel im Strauß! Wie mit dem Heere, ſo wollte Jahn auch mit den Schulen nichts gemein haben: ſeine Turnplätze ſollten eine Welt für ſich bleiben, die Pflegeſtätten der Deutſchheit, durchaus von ſeinem Geiſte erfüllt. So fromm und ehrlich er war, die unmäßige Bewunderung, die ihm von ſo vielen begabteren Männern geſpendet ward, brachte ihn doch aus dem Gleich- gewichte. Mußte er ſich nicht endlich ſelber für den Schutzheiligen der deutſchen Jugend halten, ſeit Schenkendorf über das ſchöne Lied: „Wenn Alle untreu werden, ſo bleiben wir doch treu“ die Aufſchrift geſetzt hatte: „Erneuter Schwur an den Jahn!“ Da ſtand es ja klärlich zu leſen, daß wenn Alle falſchen Götzen trauen, der Jahn allein und ſeine Ge- treuen noch „predigen und ſprechen vom heiligen deutſchen Reich“. Zwei Univerſitäten, Jena und Kiel, ſendeten ihm faſt gleichzeitig ihr Doctor- diplom und feierten mit dem ganzen Pompe akademiſcher Amtsberedſamkeit 25*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/401>, abgerufen am 22.11.2024.