Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.Thüringische Kleinstaaterei. vertreib; glücklich der Hof, der unter seinen Prinzen einen "durch-lauchtigen achtjährigen Prediger", wie Wilhelm Ernst von Weimar, auf- weisen konnte. Späterhin drangen mit der weltlichen Bildung auch viele Sünden des höfischen Absolutismus ein. Grobe Sittenlosigkeit war unter den ehrbaren Ernestinern selten, aber die Soldatenspielerei und der Menschenverkauf nahmen arg überhand, und der allwissende Bevormundungseifer der neuen fürstlichen Vollgewalt verstieg sich in dieser kleinen Welt oft bis zum Aberwitz. Noch im fridericianischen Zeit- alter erfand Ernst August von Weimar die berühmten mit kabbalistischen Zeichen bemalten Feuerteller, welche in die Flammen geworfen jeden Brand sofort ersticken sollten, und zwang alle seine Gemeinden zur An- schaffung dieses Löschgeräths. Erst durch Karl August kam wieder ein freierer Zug in das thürin- O Weimar, dir fiel ein besonder Loos, Wie Bethlehem in Juda klein und groß! Und es war wirklich "vortheilhaft, den Genius bewirthen", wie Goethe Die unausrottbaren Gebrechen der Kleinstaaterei konnten freilich durch Thüringiſche Kleinſtaaterei. vertreib; glücklich der Hof, der unter ſeinen Prinzen einen „durch-lauchtigen achtjährigen Prediger“, wie Wilhelm Ernſt von Weimar, auf- weiſen konnte. Späterhin drangen mit der weltlichen Bildung auch viele Sünden des höfiſchen Abſolutismus ein. Grobe Sittenloſigkeit war unter den ehrbaren Erneſtinern ſelten, aber die Soldatenſpielerei und der Menſchenverkauf nahmen arg überhand, und der allwiſſende Bevormundungseifer der neuen fürſtlichen Vollgewalt verſtieg ſich in dieſer kleinen Welt oft bis zum Aberwitz. Noch im fridericianiſchen Zeit- alter erfand Ernſt Auguſt von Weimar die berühmten mit kabbaliſtiſchen Zeichen bemalten Feuerteller, welche in die Flammen geworfen jeden Brand ſofort erſticken ſollten, und zwang alle ſeine Gemeinden zur An- ſchaffung dieſes Löſchgeräths. Erſt durch Karl Auguſt kam wieder ein freierer Zug in das thürin- O Weimar, dir fiel ein beſonder Loos, Wie Bethlehem in Juda klein und groß! Und es war wirklich „vortheilhaft, den Genius bewirthen“, wie Goethe Die unausrottbaren Gebrechen der Kleinſtaaterei konnten freilich durch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0413" n="399"/><fw place="top" type="header">Thüringiſche Kleinſtaaterei.</fw><lb/> vertreib; glücklich der Hof, der unter ſeinen Prinzen einen „durch-<lb/> lauchtigen achtjährigen Prediger“, wie Wilhelm Ernſt von Weimar, auf-<lb/> weiſen konnte. Späterhin drangen mit der weltlichen Bildung auch<lb/> viele Sünden des höfiſchen Abſolutismus ein. 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Thüringiſche Kleinſtaaterei.
vertreib; glücklich der Hof, der unter ſeinen Prinzen einen „durch-
lauchtigen achtjährigen Prediger“, wie Wilhelm Ernſt von Weimar, auf-
weiſen konnte. Späterhin drangen mit der weltlichen Bildung auch
viele Sünden des höfiſchen Abſolutismus ein. Grobe Sittenloſigkeit
war unter den ehrbaren Erneſtinern ſelten, aber die Soldatenſpielerei
und der Menſchenverkauf nahmen arg überhand, und der allwiſſende
Bevormundungseifer der neuen fürſtlichen Vollgewalt verſtieg ſich in
dieſer kleinen Welt oft bis zum Aberwitz. Noch im fridericianiſchen Zeit-
alter erfand Ernſt Auguſt von Weimar die berühmten mit kabbaliſtiſchen
Zeichen bemalten Feuerteller, welche in die Flammen geworfen jeden
Brand ſofort erſticken ſollten, und zwang alle ſeine Gemeinden zur An-
ſchaffung dieſes Löſchgeräths.
Erſt durch Karl Auguſt kam wieder ein freierer Zug in das thürin-
giſche Leben. Zum dritten male ward die Mitte Deutſchlands der warme
Heerd unſerer nationalen Cultur. Wieder wie in den Tagen Hermanns
des Milden rief eine hochherzige Gaſtfreundſchaft die Helden deutſcher
Dichtkunſt aus Nord und Süd herbei, und herrlicher als einſt der Ruhm
der Wartburg leuchtete jetzt der Name der kleinen Stadt an der Ilm:
O Weimar, dir fiel ein beſonder Loos,
Wie Bethlehem in Juda klein und groß!
Und es war wirklich „vortheilhaft, den Genius bewirthen“, wie Goethe
ſeinem fürſtlichen Freunde geſagt. Denn obwohl die großen Gäſte Thü-
ringens der ganzen Nation angehörten und in ihrer kleinen Umgebung
niemals völlig heimiſch wurden, ſo ließen ſie doch der Landſchaft, die ſie
ſo traulich aufgenommen, das Gaſtgeſchenk des Genius zurück. In der
kurzen Blüthezeit der Univerſität Jena wuchs eine neue Generation von
tüchtigen Lehrern und Beamten auf. Die meiſten der kleinen Höfe und
ein großer Theil des Adels ſuchten nach dem Maße ihrer Kräfte mit der
jungen Literatur Schritt zu halten; wie oft iſt Goethe zu dem gothaiſchen
Miniſter Frankenberg hinübergefahren um ſich in der guten Schmiede zu
Siebeleben an geiſtreicher Geſelligkeit zu erfreuen. In Gotha lehrten zur
Zeit des Wiener Congreſſes Döring, Roſt und Wüſtemann am Gym-
naſium, Stieler begann ſeine kartographiſchen Arbeiten und bald nach-
her ſchlug Perthes dort ſeine große Buchhandlung auf. Auch dem An-
ſehen des Erneſtiniſchen Hauſes in der Welt brachte die Wirkſamkeit des
großen menſchlichen Fürſten, wie Humboldt ihn nannte, bleibenden Ge-
winn; die halbvergeſſene ruhmreiche Dynaſtie gewann ſich von Neuem
die dankbare Liebe der Nation und ſühnte in der edelſten Weiſe die noch
immer nicht verſchmerzten Schläge des ſchmalkaldiſchen Krieges.
Die unausrottbaren Gebrechen der Kleinſtaaterei konnten freilich durch
den literariſchen Ruhm nicht geheilt werden. Ueber die altſtändiſchen
Verfaſſungen dieſer kleinen Territorien gingen die Stürme der napoleo-
niſchen Kriege ſpurlos dahin; ſelbſt Herzog Auguſt von Gotha, der ein-
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