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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 7. Die Burschenschaft.
gefleischte Bonapartist, wagte seine Herren Stände nicht anzutasten. Der
Adel war von dem Bürgerthum durch Kastenstolz und mannichfache Pri-
vilegien scharf getrennt, obwohl er sich weder durch reichen Besitz noch
durch historischen Ruhm auszeichnete. Im Gothaischen Landtage spielten
die beiden Bürgermeister eine traurige Rolle neben der stolzen Grafencurie,
die aus dem einen Vertreter des Hohenlohischen Hauses bestand, und der
dichten Schaar der Ritterschaft: wer einen Antheil an einem Ritterlehen
besaß war Landstand, so daß einst zweiundzwanzig Wangenheime auf ein-
mal erschienen. Auch der sprichwörtliche Jammer des thüringischen Heer-
wesens war unverändert geblieben. Noch erzählte sich das Volk gern von
den Schrecken des Wasunger Kriegs: wie damals die Gothaer und die
Meininger in dem thüringischen Abdera Wasungen feindlich auf einander
gestoßen und beide Kriegsheere mehr vorsichtig als heldenmüthig von dem
wichtigen Platze wieder abgezogen waren. Aber auch in den ernsten Kriegen
der jüngsten Zeit hatte sich die Hilflosigkeit dieser Kleinstaaterei ebenso
tragikomisch gezeigt. Im siebenjährigen Kriege stellte der Herzog von Gotha
einige Bataillone gegen englische Subsidien in das Heer Ferdinands von
Braunschweig, während sein Reichscontingent gegen Preußen focht; im
Jahr 1813 stand ein Theil der Weimarischen Truppen beim Yorkschen
Corps, ein anderer unter Napoleons Fahnen. Durch das Machtgebot
des Imperators war endlich einige Ordnung in das Gewirr dieser win-
zigen Contingente gekommen; mehrere der allerkleinsten hatte er, ohne alle
Ehrerbietung für den Unterschied des Rudolstädter und des Sondershäusener
Nationalcharakters, in einem anonymen Bataillon des Princes untergesteckt.
Nach dem Kriege aber wurde der größte Theil der Truppen zur Freude des
Volks wieder entlassen. Für den Schutz des Landes mochte Preußen
sorgen. Die friedfertigen Thüringer erfreuten sich lieber an dem herr-
lichen Anblick der gothaischen Gardereiter, die mit breiten Schlachtschwertern,
mit hohen Reiterstiefeln und klirrenden Sporen einherstolzirten; es waren
biedere Handwerker, die gegen billigen Tagelohn das Waffenhandwerk als
Reihedienst besorgten und bei der Ablösung die Uniformen der Abmar-
schirenden anzogen; Pferde waren dieser Reiterei ebenso unbekannt wie
den gleich prächtigen weimarischen Husaren. Zum Ueberfluß besaß Gotha
eine Festung auf dem Gipfel des einen der Drei Gleichen; drohend blickten
die vier Feuerschlünde der Wachsenburg nach den beiden anderen Gleichen
hinüber, welche ihr neuer Landesherr, der König von Preußen, leicht-
sinnigerweise unbefestigt ließ.

Auch für die Förderung des Verkehrs reichten die dürftigen Mittel
nirgends aus, da der Ertrag des reichen Kammerguts großentheils für
den Unterhalt der Höfe verwendet wurde. Alle Welt lachte über den
scheußlichen Zustand der gothaischen Landstraßen, Niemand herzlicher als
die preußischen Zollbeamten bei Langensalza; denn regelmäßig pflegten die
Frachtwagen dicht vor dem preußischen Schlagbaum in dem berüchtigten

II. 7. Die Burſchenſchaft.
gefleiſchte Bonapartiſt, wagte ſeine Herren Stände nicht anzutaſten. Der
Adel war von dem Bürgerthum durch Kaſtenſtolz und mannichfache Pri-
vilegien ſcharf getrennt, obwohl er ſich weder durch reichen Beſitz noch
durch hiſtoriſchen Ruhm auszeichnete. Im Gothaiſchen Landtage ſpielten
die beiden Bürgermeiſter eine traurige Rolle neben der ſtolzen Grafencurie,
die aus dem einen Vertreter des Hohenlohiſchen Hauſes beſtand, und der
dichten Schaar der Ritterſchaft: wer einen Antheil an einem Ritterlehen
beſaß war Landſtand, ſo daß einſt zweiundzwanzig Wangenheime auf ein-
mal erſchienen. Auch der ſprichwörtliche Jammer des thüringiſchen Heer-
weſens war unverändert geblieben. Noch erzählte ſich das Volk gern von
den Schrecken des Waſunger Kriegs: wie damals die Gothaer und die
Meininger in dem thüringiſchen Abdera Waſungen feindlich auf einander
geſtoßen und beide Kriegsheere mehr vorſichtig als heldenmüthig von dem
wichtigen Platze wieder abgezogen waren. Aber auch in den ernſten Kriegen
der jüngſten Zeit hatte ſich die Hilfloſigkeit dieſer Kleinſtaaterei ebenſo
tragikomiſch gezeigt. Im ſiebenjährigen Kriege ſtellte der Herzog von Gotha
einige Bataillone gegen engliſche Subſidien in das Heer Ferdinands von
Braunſchweig, während ſein Reichscontingent gegen Preußen focht; im
Jahr 1813 ſtand ein Theil der Weimariſchen Truppen beim Yorkſchen
Corps, ein anderer unter Napoleons Fahnen. Durch das Machtgebot
des Imperators war endlich einige Ordnung in das Gewirr dieſer win-
zigen Contingente gekommen; mehrere der allerkleinſten hatte er, ohne alle
Ehrerbietung für den Unterſchied des Rudolſtädter und des Sondershäuſener
Nationalcharakters, in einem anonymen Bataillon des Princes untergeſteckt.
Nach dem Kriege aber wurde der größte Theil der Truppen zur Freude des
Volks wieder entlaſſen. Für den Schutz des Landes mochte Preußen
ſorgen. Die friedfertigen Thüringer erfreuten ſich lieber an dem herr-
lichen Anblick der gothaiſchen Gardereiter, die mit breiten Schlachtſchwertern,
mit hohen Reiterſtiefeln und klirrenden Sporen einherſtolzirten; es waren
biedere Handwerker, die gegen billigen Tagelohn das Waffenhandwerk als
Reihedienſt beſorgten und bei der Ablöſung die Uniformen der Abmar-
ſchirenden anzogen; Pferde waren dieſer Reiterei ebenſo unbekannt wie
den gleich prächtigen weimariſchen Huſaren. Zum Ueberfluß beſaß Gotha
eine Feſtung auf dem Gipfel des einen der Drei Gleichen; drohend blickten
die vier Feuerſchlünde der Wachſenburg nach den beiden anderen Gleichen
hinüber, welche ihr neuer Landesherr, der König von Preußen, leicht-
ſinnigerweiſe unbefeſtigt ließ.

Auch für die Förderung des Verkehrs reichten die dürftigen Mittel
nirgends aus, da der Ertrag des reichen Kammerguts großentheils für
den Unterhalt der Höfe verwendet wurde. Alle Welt lachte über den
ſcheußlichen Zuſtand der gothaiſchen Landſtraßen, Niemand herzlicher als
die preußiſchen Zollbeamten bei Langenſalza; denn regelmäßig pflegten die
Frachtwagen dicht vor dem preußiſchen Schlagbaum in dem berüchtigten

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[400/0414] II. 7. Die Burſchenſchaft. gefleiſchte Bonapartiſt, wagte ſeine Herren Stände nicht anzutaſten. Der Adel war von dem Bürgerthum durch Kaſtenſtolz und mannichfache Pri- vilegien ſcharf getrennt, obwohl er ſich weder durch reichen Beſitz noch durch hiſtoriſchen Ruhm auszeichnete. Im Gothaiſchen Landtage ſpielten die beiden Bürgermeiſter eine traurige Rolle neben der ſtolzen Grafencurie, die aus dem einen Vertreter des Hohenlohiſchen Hauſes beſtand, und der dichten Schaar der Ritterſchaft: wer einen Antheil an einem Ritterlehen beſaß war Landſtand, ſo daß einſt zweiundzwanzig Wangenheime auf ein- mal erſchienen. Auch der ſprichwörtliche Jammer des thüringiſchen Heer- weſens war unverändert geblieben. Noch erzählte ſich das Volk gern von den Schrecken des Waſunger Kriegs: wie damals die Gothaer und die Meininger in dem thüringiſchen Abdera Waſungen feindlich auf einander geſtoßen und beide Kriegsheere mehr vorſichtig als heldenmüthig von dem wichtigen Platze wieder abgezogen waren. Aber auch in den ernſten Kriegen der jüngſten Zeit hatte ſich die Hilfloſigkeit dieſer Kleinſtaaterei ebenſo tragikomiſch gezeigt. Im ſiebenjährigen Kriege ſtellte der Herzog von Gotha einige Bataillone gegen engliſche Subſidien in das Heer Ferdinands von Braunſchweig, während ſein Reichscontingent gegen Preußen focht; im Jahr 1813 ſtand ein Theil der Weimariſchen Truppen beim Yorkſchen Corps, ein anderer unter Napoleons Fahnen. Durch das Machtgebot des Imperators war endlich einige Ordnung in das Gewirr dieſer win- zigen Contingente gekommen; mehrere der allerkleinſten hatte er, ohne alle Ehrerbietung für den Unterſchied des Rudolſtädter und des Sondershäuſener Nationalcharakters, in einem anonymen Bataillon des Princes untergeſteckt. Nach dem Kriege aber wurde der größte Theil der Truppen zur Freude des Volks wieder entlaſſen. Für den Schutz des Landes mochte Preußen ſorgen. Die friedfertigen Thüringer erfreuten ſich lieber an dem herr- lichen Anblick der gothaiſchen Gardereiter, die mit breiten Schlachtſchwertern, mit hohen Reiterſtiefeln und klirrenden Sporen einherſtolzirten; es waren biedere Handwerker, die gegen billigen Tagelohn das Waffenhandwerk als Reihedienſt beſorgten und bei der Ablöſung die Uniformen der Abmar- ſchirenden anzogen; Pferde waren dieſer Reiterei ebenſo unbekannt wie den gleich prächtigen weimariſchen Huſaren. Zum Ueberfluß beſaß Gotha eine Feſtung auf dem Gipfel des einen der Drei Gleichen; drohend blickten die vier Feuerſchlünde der Wachſenburg nach den beiden anderen Gleichen hinüber, welche ihr neuer Landesherr, der König von Preußen, leicht- ſinnigerweiſe unbefeſtigt ließ. Auch für die Förderung des Verkehrs reichten die dürftigen Mittel nirgends aus, da der Ertrag des reichen Kammerguts großentheils für den Unterhalt der Höfe verwendet wurde. Alle Welt lachte über den ſcheußlichen Zuſtand der gothaiſchen Landſtraßen, Niemand herzlicher als die preußiſchen Zollbeamten bei Langenſalza; denn regelmäßig pflegten die Frachtwagen dicht vor dem preußiſchen Schlagbaum in dem berüchtigten

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 400. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/414>, abgerufen am 22.11.2024.