Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.Thüringische Gemüthlichkeit. Henningslebener Loche stecken zu bleiben oder umzuwerfen, also daß dasZollgeschäft mit Sicherheit und Gemüthsruhe besorgt werden konnte. Auf der Leipzig-Frankfurter Straße erhob der weimarische Geleitsreiter uner- bittlich das Geleitsgeld, obgleich die Fuhrleute seit unvordenklicher Zeit nicht mehr von geharnischten Reisigen begleitet wurden. Die mit grund- herrlichen Gefällen stark belasteten Bauern führten ihre Wirthschaft noch ganz nach der Urväter Weise; nur des heiligen Reiches Gärtner, die Er- furter, behaupteten den alten Ruhm ihrer kunstvollen Blumenzucht. Ueberall trieb der Gemeindehirt noch das gesammte Vieh des Dorfes, Pferde, Rinder, Ziegen und Gänse bunt durch einander, auf die unver- theilte Gemeinheit. Der Gewerbfleiß arbeitete ausschließlich. für den be- scheidenen Bedarf der nachbarlichen Kundschaft; fast allein die Strümpfe von Apolda und die Sonneberger Waaren, die niedlichen Spielsachen der Hausindustrie der Walddörfer, gelangten in den großen Weltverkehr. In harmloser Fröhlichkeit, liederlustig wie die Singvögel, die in keinem Hause droben auf dem Walde fehlen durften, unendlich genügsam trieben die kleinen Leute ihr bescheidenes Tagewerk, zufrieden wenn sie sich dann und wann auf dem Tanzboden bei dünnem Bier oder sauerem Naumburger Weine erholen konnten. Der gutmüthige Rationalismus, der in den ge- bildeten Ständen vorherrschte und an dem Gothaer Superintendenten Bretschneider einen gewandten Wortführer fand, störte das Volk wenig in seinen naiven religiösen Gefühlen; Bonifacius, der Apostel Thüringens war noch unvergessen, das Bild Luthers mit dem Schwane hing in un- zähligen Kirchen, einzelne abgelegene Gemeinden auf dem Walde hatten sich auch noch die feierliche alte lutherische Liturgie mit ihren Chorknaben und weißen Priestergewändern bewahrt. Von seinen Fürsten verlangte das Volk vor allem Leutseligkeit. Wie Treitschke, Deutsche Geschichte. II. 26
Thüringiſche Gemüthlichkeit. Henningslebener Loche ſtecken zu bleiben oder umzuwerfen, alſo daß dasZollgeſchäft mit Sicherheit und Gemüthsruhe beſorgt werden konnte. Auf der Leipzig-Frankfurter Straße erhob der weimariſche Geleitsreiter uner- bittlich das Geleitsgeld, obgleich die Fuhrleute ſeit unvordenklicher Zeit nicht mehr von geharniſchten Reiſigen begleitet wurden. Die mit grund- herrlichen Gefällen ſtark belaſteten Bauern führten ihre Wirthſchaft noch ganz nach der Urväter Weiſe; nur des heiligen Reiches Gärtner, die Er- furter, behaupteten den alten Ruhm ihrer kunſtvollen Blumenzucht. Ueberall trieb der Gemeindehirt noch das geſammte Vieh des Dorfes, Pferde, Rinder, Ziegen und Gänſe bunt durch einander, auf die unver- theilte Gemeinheit. Der Gewerbfleiß arbeitete ausſchließlich. für den be- ſcheidenen Bedarf der nachbarlichen Kundſchaft; faſt allein die Strümpfe von Apolda und die Sonneberger Waaren, die niedlichen Spielſachen der Hausinduſtrie der Walddörfer, gelangten in den großen Weltverkehr. In harmloſer Fröhlichkeit, liederluſtig wie die Singvögel, die in keinem Hauſe droben auf dem Walde fehlen durften, unendlich genügſam trieben die kleinen Leute ihr beſcheidenes Tagewerk, zufrieden wenn ſie ſich dann und wann auf dem Tanzboden bei dünnem Bier oder ſauerem Naumburger Weine erholen konnten. Der gutmüthige Rationalismus, der in den ge- bildeten Ständen vorherrſchte und an dem Gothaer Superintendenten Bretſchneider einen gewandten Wortführer fand, ſtörte das Volk wenig in ſeinen naiven religiöſen Gefühlen; Bonifacius, der Apoſtel Thüringens war noch unvergeſſen, das Bild Luthers mit dem Schwane hing in un- zähligen Kirchen, einzelne abgelegene Gemeinden auf dem Walde hatten ſich auch noch die feierliche alte lutheriſche Liturgie mit ihren Chorknaben und weißen Prieſtergewändern bewahrt. Von ſeinen Fürſten verlangte das Volk vor allem Leutſeligkeit. Wie Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 26
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Thüringiſche Gemüthlichkeit.
Henningslebener Loche ſtecken zu bleiben oder umzuwerfen, alſo daß das
Zollgeſchäft mit Sicherheit und Gemüthsruhe beſorgt werden konnte. Auf
der Leipzig-Frankfurter Straße erhob der weimariſche Geleitsreiter uner-
bittlich das Geleitsgeld, obgleich die Fuhrleute ſeit unvordenklicher Zeit
nicht mehr von geharniſchten Reiſigen begleitet wurden. Die mit grund-
herrlichen Gefällen ſtark belaſteten Bauern führten ihre Wirthſchaft noch
ganz nach der Urväter Weiſe; nur des heiligen Reiches Gärtner, die Er-
furter, behaupteten den alten Ruhm ihrer kunſtvollen Blumenzucht.
Ueberall trieb der Gemeindehirt noch das geſammte Vieh des Dorfes,
Pferde, Rinder, Ziegen und Gänſe bunt durch einander, auf die unver-
theilte Gemeinheit. Der Gewerbfleiß arbeitete ausſchließlich. für den be-
ſcheidenen Bedarf der nachbarlichen Kundſchaft; faſt allein die Strümpfe
von Apolda und die Sonneberger Waaren, die niedlichen Spielſachen der
Hausinduſtrie der Walddörfer, gelangten in den großen Weltverkehr. In
harmloſer Fröhlichkeit, liederluſtig wie die Singvögel, die in keinem Hauſe
droben auf dem Walde fehlen durften, unendlich genügſam trieben die
kleinen Leute ihr beſcheidenes Tagewerk, zufrieden wenn ſie ſich dann und
wann auf dem Tanzboden bei dünnem Bier oder ſauerem Naumburger
Weine erholen konnten. Der gutmüthige Rationalismus, der in den ge-
bildeten Ständen vorherrſchte und an dem Gothaer Superintendenten
Bretſchneider einen gewandten Wortführer fand, ſtörte das Volk wenig in
ſeinen naiven religiöſen Gefühlen; Bonifacius, der Apoſtel Thüringens
war noch unvergeſſen, das Bild Luthers mit dem Schwane hing in un-
zähligen Kirchen, einzelne abgelegene Gemeinden auf dem Walde hatten
ſich auch noch die feierliche alte lutheriſche Liturgie mit ihren Chorknaben
und weißen Prieſtergewändern bewahrt.
Von ſeinen Fürſten verlangte das Volk vor allem Leutſeligkeit. Wie
fühlte man ſich geehrt, als der Meininger Herzog bei der Taufe ſeines
Erbprinzen ſein ganzes Land zu Gevatter bat und dem Kleinen die ver-
heißungsvollen Namen Bernhard Erich Freund beilegte; als aus dieſem
Prinzen ein ſehr wackerer kleiner Landesherr geworden war, da pflegte er
am Geburtstage ſeiner Gemahlin in den anmuthigen Gärten des Alten-
ſteins ein Volksfeſt zu veranſtalten, wobei jeder Mann die Herzogin um
einen Tanz bitten durfte. Dafür ertrug man auch in Demuth die
Narrenſtreiche der Kleinſtaaterei. Im Jahre 1822 ſtarb der letzte regie-
rungsfähige Sproß des Hauſes Gotha-Altenburg, und die Stammesvettern
rüſteten ſich ſchon auf die neue Theilung. Da holte der Miniſter Lindenau
plötzlich den unzweifelhaft blödſinnigen Prinzen Friedrich herbei und ließ
ihm als Herzog huldigen, obgleich es ſchwer fiel den armen Kranken wäh-
rend der feierlichen Handlung ruhig auf dem Throne feſtzuhalten. So
wurde dem Reiche Gotha-Altenburg ſein Daſein noch um vier Jahre ver-
längert; die Gothaer aber freuten ſich ihres blödſinnigen Landesvaters
und mehr noch des Aergers der enttäuſchten Nachbarhöfe.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 26
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