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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 7. Die Burschenschaft.
den Park schritt; doch über der hohen Stirn, den großen Augen und den
breiten Ernestinischen Kinnladen lag ein eigenthümlicher Ausdruck selbstbe-
wußter Hoheit, und wer ihm näher trat fühlte bald, daß hier ein ge-
borener Fürst stand, der sich durch eigene Kraft auf den Höhen der Mensch-
heit behauptete. Als er im Alter sich eine Zeit lang in Mailand auf-
hielt, da erinnerte er die Italiener lebhaft an die großen Fürstengestalten
ihres Cinquecento und sie nannten ihn il principe uomo.

Aber pflichtgetreuer als die Visconti und die Sforza wußte er mit
der Lust am Schönen den stillen Fleiß des sorgsamen Landesherrn zu
verbinden; kein Geschäft der Verwaltung war ihm zu gering, und nie-
mals hat sein kleines Land unter dem Glanze des kunstsinnigen Hofes
gelitten. Es ist seine historische Größe, daß er die vorherrschende Rich-
tung zweier Zeitalter, den literarischen Idealismus des achtzehnten, den
politischen des neunzehnten Jahrhunderts mit freiem Sinne erkannte und,
wie Niemand sonst unter den Zeitgenossen, beiden gerecht zu werden ver-
stand. Das Verständniß für den Staat hatten ihm schon in der Jugend
seine Lehrer geweckt, erst Graf Görtz, der eifrige diplomatische Gehilfe
Friedrichs des Großen, dann Wieland, der einzige unter unseren Classikern,
der den Wendungen der Tagespolitik mit reger Theilnahme folgte; und mit
derselben glücklichen Sicherheit des Urtheils, die ihn die echten Helden
deutscher Kunst erkennen ließ, wendete er sich auch in der Politik dem
Wahren, dem Lebendigen zu. Auf Preußen standen alle seine Hoffnungen,
als er seine kühnen Pläne für den Fürstenbund schmiedete; mit Preußen
dachte er im Jahre 1806 zu stehen oder zu fallen. Auf dem Rückzuge
nach der Jenaer Schlacht sagte er einmal, am Wachefeuer auf einer
Trommel sitzend, gelassen zu den Kameraden: "Herzog von Weimar und
Eisenach wären wir nun einstweilen gewesen." Erst auf das ausdrück-
liche Verlangen des Königs verließ er die Armee und schloß seinen Frieden
mit dem Imperator. Jahre lang war er dann im Stillen thätig um
den Befreiungskampf vorzubereiten.

Als er nun auf dem niederländischen Kriegsschauplatz nochmals seine
Kriegerpflicht erfüllt hatte und endlich tief verstimmt von den Enttäu-
schungen des Wiener Congresses heimkehrte, da erschien ihm die Ausführung
des Art. 13 als ein Gebot der Ehre und der Klugheit. Nicht als ob er
eine Vorliebe für die neuen liberalen Theorien gehegt hätte. Die fran-
zösische Revolution ließ ihn von Haus aus kalt, weil die Unsittlichkeit dieser
Klassenkämpfe sein gesundes Gefühl abstieß: "die Unterdrücker unterdrücken
ihre alten Beherrscher, nicht das mindeste Moralische liegt dabei zu Grunde."
Aber er verstand die Zeit, er wußte, daß sie der constitutionellen Formen
nicht mehr entbehren konnte, und was konnte er, der die Furcht nie ge-
kannt, von einem kleinen Landtage besorgen? Wohl mochte er hoffen,
durch sein Beispiel einzelne Aengstliche unter den kleinen Fürsten zu einem
nothwendigen Entschlusse zu ermuthigen; doch nichts lag seinem klaren

II. 7. Die Burſchenſchaft.
den Park ſchritt; doch über der hohen Stirn, den großen Augen und den
breiten Erneſtiniſchen Kinnladen lag ein eigenthümlicher Ausdruck ſelbſtbe-
wußter Hoheit, und wer ihm näher trat fühlte bald, daß hier ein ge-
borener Fürſt ſtand, der ſich durch eigene Kraft auf den Höhen der Menſch-
heit behauptete. Als er im Alter ſich eine Zeit lang in Mailand auf-
hielt, da erinnerte er die Italiener lebhaft an die großen Fürſtengeſtalten
ihres Cinquecento und ſie nannten ihn il principe uomo.

Aber pflichtgetreuer als die Visconti und die Sforza wußte er mit
der Luſt am Schönen den ſtillen Fleiß des ſorgſamen Landesherrn zu
verbinden; kein Geſchäft der Verwaltung war ihm zu gering, und nie-
mals hat ſein kleines Land unter dem Glanze des kunſtſinnigen Hofes
gelitten. Es iſt ſeine hiſtoriſche Größe, daß er die vorherrſchende Rich-
tung zweier Zeitalter, den literariſchen Idealismus des achtzehnten, den
politiſchen des neunzehnten Jahrhunderts mit freiem Sinne erkannte und,
wie Niemand ſonſt unter den Zeitgenoſſen, beiden gerecht zu werden ver-
ſtand. Das Verſtändniß für den Staat hatten ihm ſchon in der Jugend
ſeine Lehrer geweckt, erſt Graf Görtz, der eifrige diplomatiſche Gehilfe
Friedrichs des Großen, dann Wieland, der einzige unter unſeren Claſſikern,
der den Wendungen der Tagespolitik mit reger Theilnahme folgte; und mit
derſelben glücklichen Sicherheit des Urtheils, die ihn die echten Helden
deutſcher Kunſt erkennen ließ, wendete er ſich auch in der Politik dem
Wahren, dem Lebendigen zu. Auf Preußen ſtanden alle ſeine Hoffnungen,
als er ſeine kühnen Pläne für den Fürſtenbund ſchmiedete; mit Preußen
dachte er im Jahre 1806 zu ſtehen oder zu fallen. Auf dem Rückzuge
nach der Jenaer Schlacht ſagte er einmal, am Wachefeuer auf einer
Trommel ſitzend, gelaſſen zu den Kameraden: „Herzog von Weimar und
Eiſenach wären wir nun einſtweilen geweſen.“ Erſt auf das ausdrück-
liche Verlangen des Königs verließ er die Armee und ſchloß ſeinen Frieden
mit dem Imperator. Jahre lang war er dann im Stillen thätig um
den Befreiungskampf vorzubereiten.

Als er nun auf dem niederländiſchen Kriegsſchauplatz nochmals ſeine
Kriegerpflicht erfüllt hatte und endlich tief verſtimmt von den Enttäu-
ſchungen des Wiener Congreſſes heimkehrte, da erſchien ihm die Ausführung
des Art. 13 als ein Gebot der Ehre und der Klugheit. Nicht als ob er
eine Vorliebe für die neuen liberalen Theorien gehegt hätte. Die fran-
zöſiſche Revolution ließ ihn von Haus aus kalt, weil die Unſittlichkeit dieſer
Klaſſenkämpfe ſein geſundes Gefühl abſtieß: „die Unterdrücker unterdrücken
ihre alten Beherrſcher, nicht das mindeſte Moraliſche liegt dabei zu Grunde.“
Aber er verſtand die Zeit, er wußte, daß ſie der conſtitutionellen Formen
nicht mehr entbehren konnte, und was konnte er, der die Furcht nie ge-
kannt, von einem kleinen Landtage beſorgen? Wohl mochte er hoffen,
durch ſein Beiſpiel einzelne Aengſtliche unter den kleinen Fürſten zu einem
nothwendigen Entſchluſſe zu ermuthigen; doch nichts lag ſeinem klaren

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[404/0418] II. 7. Die Burſchenſchaft. den Park ſchritt; doch über der hohen Stirn, den großen Augen und den breiten Erneſtiniſchen Kinnladen lag ein eigenthümlicher Ausdruck ſelbſtbe- wußter Hoheit, und wer ihm näher trat fühlte bald, daß hier ein ge- borener Fürſt ſtand, der ſich durch eigene Kraft auf den Höhen der Menſch- heit behauptete. Als er im Alter ſich eine Zeit lang in Mailand auf- hielt, da erinnerte er die Italiener lebhaft an die großen Fürſtengeſtalten ihres Cinquecento und ſie nannten ihn il principe uomo. Aber pflichtgetreuer als die Visconti und die Sforza wußte er mit der Luſt am Schönen den ſtillen Fleiß des ſorgſamen Landesherrn zu verbinden; kein Geſchäft der Verwaltung war ihm zu gering, und nie- mals hat ſein kleines Land unter dem Glanze des kunſtſinnigen Hofes gelitten. Es iſt ſeine hiſtoriſche Größe, daß er die vorherrſchende Rich- tung zweier Zeitalter, den literariſchen Idealismus des achtzehnten, den politiſchen des neunzehnten Jahrhunderts mit freiem Sinne erkannte und, wie Niemand ſonſt unter den Zeitgenoſſen, beiden gerecht zu werden ver- ſtand. Das Verſtändniß für den Staat hatten ihm ſchon in der Jugend ſeine Lehrer geweckt, erſt Graf Görtz, der eifrige diplomatiſche Gehilfe Friedrichs des Großen, dann Wieland, der einzige unter unſeren Claſſikern, der den Wendungen der Tagespolitik mit reger Theilnahme folgte; und mit derſelben glücklichen Sicherheit des Urtheils, die ihn die echten Helden deutſcher Kunſt erkennen ließ, wendete er ſich auch in der Politik dem Wahren, dem Lebendigen zu. Auf Preußen ſtanden alle ſeine Hoffnungen, als er ſeine kühnen Pläne für den Fürſtenbund ſchmiedete; mit Preußen dachte er im Jahre 1806 zu ſtehen oder zu fallen. Auf dem Rückzuge nach der Jenaer Schlacht ſagte er einmal, am Wachefeuer auf einer Trommel ſitzend, gelaſſen zu den Kameraden: „Herzog von Weimar und Eiſenach wären wir nun einſtweilen geweſen.“ Erſt auf das ausdrück- liche Verlangen des Königs verließ er die Armee und ſchloß ſeinen Frieden mit dem Imperator. Jahre lang war er dann im Stillen thätig um den Befreiungskampf vorzubereiten. Als er nun auf dem niederländiſchen Kriegsſchauplatz nochmals ſeine Kriegerpflicht erfüllt hatte und endlich tief verſtimmt von den Enttäu- ſchungen des Wiener Congreſſes heimkehrte, da erſchien ihm die Ausführung des Art. 13 als ein Gebot der Ehre und der Klugheit. Nicht als ob er eine Vorliebe für die neuen liberalen Theorien gehegt hätte. Die fran- zöſiſche Revolution ließ ihn von Haus aus kalt, weil die Unſittlichkeit dieſer Klaſſenkämpfe ſein geſundes Gefühl abſtieß: „die Unterdrücker unterdrücken ihre alten Beherrſcher, nicht das mindeſte Moraliſche liegt dabei zu Grunde.“ Aber er verſtand die Zeit, er wußte, daß ſie der conſtitutionellen Formen nicht mehr entbehren konnte, und was konnte er, der die Furcht nie ge- kannt, von einem kleinen Landtage beſorgen? Wohl mochte er hoffen, durch ſein Beiſpiel einzelne Aengſtliche unter den kleinen Fürſten zu einem nothwendigen Entſchluſſe zu ermuthigen; doch nichts lag ſeinem klaren

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/418>, abgerufen am 22.11.2024.