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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 7. Die Burschenschaft.
Verhöhnung Preußens als das sicherste Kennzeichen der Freisinnigkeit.
Während er dem Kaiser Franz schonende Ehrfurcht erwies und sogar die
lächerliche Frankfurter Eröffnungsrede des Grafen Buol mit Lob bedachte,
öffnete er die Spalten seiner Isis schadenfroh allen Feinden Preußens.
Heute begann ein Rheinländer ein schluchzendes "Rheinweinen" wegen
der vielen Protestanten in den preußischen Behörden: "man will nur dem
Lande schaden, es soll nur unser Selbstgefühl gedemüthigt werden." Morgen
bejammerte ein guter Schwede aus Greifswald die Verpreußung seines
Vaterlandes. Dann wieder klagten einige Aerzte aus der Provinz Sachsen
über brutale Beleidigung ihrer gelehrten Standesehre, weil sie jetzt, so
gut wie ihre Apotheker, ja wie gemeine Handwerker, die preußische Ge-
werbesteuer bezahlen mußten. Napoleon selbst hatte nie etwas so Em-
pörendes gethan wie Preußen mit dem Verbote des Rheinischen Merkurs;
was wollte, fragte die Isis, die Ermordung Palms daneben bedeuten?
Ueber die Universität Bonn, die den Glanz von Jena so bald überstrahlen
sollte, urtheilte Oken noch bevor sie eröffnet war: Alles ist schon so gut
als verdorben durch die Stückelgeschäfte und Stückelkenntnisse preußischer
Regierungs-Individuen. Der eigentliche Heerd aller preußischen Nichts-
würdigkeiten aber blieb das Heer mit seiner allgemeinen Wehrpflicht: war
es nicht unerhört, so führte die Nemesis aus, daß der Leutnant so viel
früher ins Brot kam als der Referendar? und war es nicht barbarisch,
so fragte Oken, daß man in Preußen "geistige Kräfte als gemeine Sol-
daten zu Pulverfutter verwendete?"

Jeder Nichtswürdige, der den Ernst des preußischen Gesetzes zu fühlen
bekam, konnte auf den Beistand dieser gelehrten Publicisten zählen, wenn
er sich nur als politischer Märtyrer gebärdete. Im Jahre 1817 bot
Massenbach die Handschrift eines neuen Bandes seiner verlogenen Denk-
würdigkeiten, bei denen er viele amtliche Papiere widerrechtlich benutzt hatte,
der preußischen Regierung für 11,500 Friedrichsdor zum Kaufe an; er
wurde darauf mit Genehmigung des Senats in Frankfurt verhaftet und,
nach einem sorgfältigen Berichte des Generals Grolman, auf Beschluß
des Staatsraths als ein ohne Abschied entlassener Offizier vor ein Kriegs-
gericht gestellt, das ihn wegen versuchter Erpressung und Verletzung der
Diensttreue zur Festungsstrafe verurtheilte. *) Und in diesem schmutzigen
Handel, dessen Verlauf der Staatskanzler sogleich veröffentlichen ließ, er-
griff Ludens Nemesis die Partei des Helden von Prenzlau: wer einem
Throne gegenüber so frei rede, wie Massenbach in Württemberg, könne
doch keiner Schlechtigkeit fähig sein! Der Frankfurter Senat aber ward
von den Aposteln der deutschen Einheit hart angelassen, weil er unein-
gedenk der Souveränität seines Staates einen gemeinen Verbrecher einem
anderen Bundesstaate ausgeliefert hatte!

*) Protokolle des Staatsraths, 7. Juli 1817.

II. 7. Die Burſchenſchaft.
Verhöhnung Preußens als das ſicherſte Kennzeichen der Freiſinnigkeit.
Während er dem Kaiſer Franz ſchonende Ehrfurcht erwies und ſogar die
lächerliche Frankfurter Eröffnungsrede des Grafen Buol mit Lob bedachte,
öffnete er die Spalten ſeiner Iſis ſchadenfroh allen Feinden Preußens.
Heute begann ein Rheinländer ein ſchluchzendes „Rheinweinen“ wegen
der vielen Proteſtanten in den preußiſchen Behörden: „man will nur dem
Lande ſchaden, es ſoll nur unſer Selbſtgefühl gedemüthigt werden.“ Morgen
bejammerte ein guter Schwede aus Greifswald die Verpreußung ſeines
Vaterlandes. Dann wieder klagten einige Aerzte aus der Provinz Sachſen
über brutale Beleidigung ihrer gelehrten Standesehre, weil ſie jetzt, ſo
gut wie ihre Apotheker, ja wie gemeine Handwerker, die preußiſche Ge-
werbeſteuer bezahlen mußten. Napoleon ſelbſt hatte nie etwas ſo Em-
pörendes gethan wie Preußen mit dem Verbote des Rheiniſchen Merkurs;
was wollte, fragte die Iſis, die Ermordung Palms daneben bedeuten?
Ueber die Univerſität Bonn, die den Glanz von Jena ſo bald überſtrahlen
ſollte, urtheilte Oken noch bevor ſie eröffnet war: Alles iſt ſchon ſo gut
als verdorben durch die Stückelgeſchäfte und Stückelkenntniſſe preußiſcher
Regierungs-Individuen. Der eigentliche Heerd aller preußiſchen Nichts-
würdigkeiten aber blieb das Heer mit ſeiner allgemeinen Wehrpflicht: war
es nicht unerhört, ſo führte die Nemeſis aus, daß der Leutnant ſo viel
früher ins Brot kam als der Referendar? und war es nicht barbariſch,
ſo fragte Oken, daß man in Preußen „geiſtige Kräfte als gemeine Sol-
daten zu Pulverfutter verwendete?“

Jeder Nichtswürdige, der den Ernſt des preußiſchen Geſetzes zu fühlen
bekam, konnte auf den Beiſtand dieſer gelehrten Publiciſten zählen, wenn
er ſich nur als politiſcher Märtyrer gebärdete. Im Jahre 1817 bot
Maſſenbach die Handſchrift eines neuen Bandes ſeiner verlogenen Denk-
würdigkeiten, bei denen er viele amtliche Papiere widerrechtlich benutzt hatte,
der preußiſchen Regierung für 11,500 Friedrichsdor zum Kaufe an; er
wurde darauf mit Genehmigung des Senats in Frankfurt verhaftet und,
nach einem ſorgfältigen Berichte des Generals Grolman, auf Beſchluß
des Staatsraths als ein ohne Abſchied entlaſſener Offizier vor ein Kriegs-
gericht geſtellt, das ihn wegen verſuchter Erpreſſung und Verletzung der
Dienſttreue zur Feſtungsſtrafe verurtheilte. *) Und in dieſem ſchmutzigen
Handel, deſſen Verlauf der Staatskanzler ſogleich veröffentlichen ließ, er-
griff Ludens Nemeſis die Partei des Helden von Prenzlau: wer einem
Throne gegenüber ſo frei rede, wie Maſſenbach in Württemberg, könne
doch keiner Schlechtigkeit fähig ſein! Der Frankfurter Senat aber ward
von den Apoſteln der deutſchen Einheit hart angelaſſen, weil er unein-
gedenk der Souveränität ſeines Staates einen gemeinen Verbrecher einem
anderen Bundesſtaate ausgeliefert hatte!

*) Protokolle des Staatsraths, 7. Juli 1817.
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[410/0424] II. 7. Die Burſchenſchaft. Verhöhnung Preußens als das ſicherſte Kennzeichen der Freiſinnigkeit. Während er dem Kaiſer Franz ſchonende Ehrfurcht erwies und ſogar die lächerliche Frankfurter Eröffnungsrede des Grafen Buol mit Lob bedachte, öffnete er die Spalten ſeiner Iſis ſchadenfroh allen Feinden Preußens. Heute begann ein Rheinländer ein ſchluchzendes „Rheinweinen“ wegen der vielen Proteſtanten in den preußiſchen Behörden: „man will nur dem Lande ſchaden, es ſoll nur unſer Selbſtgefühl gedemüthigt werden.“ Morgen bejammerte ein guter Schwede aus Greifswald die Verpreußung ſeines Vaterlandes. Dann wieder klagten einige Aerzte aus der Provinz Sachſen über brutale Beleidigung ihrer gelehrten Standesehre, weil ſie jetzt, ſo gut wie ihre Apotheker, ja wie gemeine Handwerker, die preußiſche Ge- werbeſteuer bezahlen mußten. Napoleon ſelbſt hatte nie etwas ſo Em- pörendes gethan wie Preußen mit dem Verbote des Rheiniſchen Merkurs; was wollte, fragte die Iſis, die Ermordung Palms daneben bedeuten? Ueber die Univerſität Bonn, die den Glanz von Jena ſo bald überſtrahlen ſollte, urtheilte Oken noch bevor ſie eröffnet war: Alles iſt ſchon ſo gut als verdorben durch die Stückelgeſchäfte und Stückelkenntniſſe preußiſcher Regierungs-Individuen. Der eigentliche Heerd aller preußiſchen Nichts- würdigkeiten aber blieb das Heer mit ſeiner allgemeinen Wehrpflicht: war es nicht unerhört, ſo führte die Nemeſis aus, daß der Leutnant ſo viel früher ins Brot kam als der Referendar? und war es nicht barbariſch, ſo fragte Oken, daß man in Preußen „geiſtige Kräfte als gemeine Sol- daten zu Pulverfutter verwendete?“ Jeder Nichtswürdige, der den Ernſt des preußiſchen Geſetzes zu fühlen bekam, konnte auf den Beiſtand dieſer gelehrten Publiciſten zählen, wenn er ſich nur als politiſcher Märtyrer gebärdete. Im Jahre 1817 bot Maſſenbach die Handſchrift eines neuen Bandes ſeiner verlogenen Denk- würdigkeiten, bei denen er viele amtliche Papiere widerrechtlich benutzt hatte, der preußiſchen Regierung für 11,500 Friedrichsdor zum Kaufe an; er wurde darauf mit Genehmigung des Senats in Frankfurt verhaftet und, nach einem ſorgfältigen Berichte des Generals Grolman, auf Beſchluß des Staatsraths als ein ohne Abſchied entlaſſener Offizier vor ein Kriegs- gericht geſtellt, das ihn wegen verſuchter Erpreſſung und Verletzung der Dienſttreue zur Feſtungsſtrafe verurtheilte. *) Und in dieſem ſchmutzigen Handel, deſſen Verlauf der Staatskanzler ſogleich veröffentlichen ließ, er- griff Ludens Nemeſis die Partei des Helden von Prenzlau: wer einem Throne gegenüber ſo frei rede, wie Maſſenbach in Württemberg, könne doch keiner Schlechtigkeit fähig ſein! Der Frankfurter Senat aber ward von den Apoſteln der deutſchen Einheit hart angelaſſen, weil er unein- gedenk der Souveränität ſeines Staates einen gemeinen Verbrecher einem anderen Bundesſtaate ausgeliefert hatte! *) Protokolle des Staatsraths, 7. Juli 1817.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/424>, abgerufen am 22.11.2024.