Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Feuergericht auf dem Wartenberge.
beschlossen nunmehr den Plan des Meisters auf eigene Faust auszuführen,
was der Ausschuß um des Friedens willen nicht gradezu verbieten wollte.
Kaum war auf dem Wartenberge das letzte ernste Lied der die Flammen
umringenden Burschen verklungen und die eigentliche Feier beendet, so
trat Maßmann plötzlich hervor und forderte in einer schwülstigen Rede
die Brüder auf, zu schauen, wie nach Luthers Vorbilde in zehrendem
Fegefeuer Gericht gehalten werde über die Schandschriften des Vater-
landes. Jetzt sei die heilige Stunde gekommen, "daß alle deutsche Welt
schaue was wir wollen; daß sie wisse, weß sie dereinst sich von uns zu
versehen habe."

Darauf trugen seine Gesellen einige Ballen alten Druckpapiers her-
bei, die mit den Titeln der vervehmten Bücher beschrieben waren. Auf
eine Mistgabel aufgespießt flogen dann die Werke der Vaterlandsverräther
unter tobendem Gejohle in das höllische Feuer: eine wunderlich gemischte
Gesellschaft von etwa zwei Dutzend guten und schlechten Büchern, Alles
was grade in jüngster Zeit den Zorn der Isis und ähnlicher Blätter her-
vorgerufen hatte. Da brannten Wadzeck, Scherer und, der Vollständigkeit
halber, gleich "alle andern schreibenden, schreienden und schweigenden Feinde
der löblichen Turnkunst", desgleichen die Alemannia "und alle andern
das Vaterland schändenden und entehrenden Zeitungen"; dann natür-
lich drei Schriften von dem verhaßten Schmalz ("Gänse-, Schweine- und
Hundeschmalz" brüllte der Chor) und der Codex der Gensdarmerie von
seinem Genossen Kamptz. Neben dem Code Napoleon, Kotzebues Deut-
scher Geschichte und Saul Aschers Germanomanie, der ein "Wehe über
die Juden" nachgerufen ward, wanderte auch Hallers Restauration in die
Flammen: -- "der Gesell will keine Verfassung des deutschen Vater-
landes", hieß es zur Erläuterung, da doch keiner von den Burschen das
ernste Buch gelesen hatte. Aber auch die Liberalen Benzenberg und
Wangenheim mußten den Grimm der Jugend erfahren, weil die Jenenser
Publicisten ihre Schriften nicht verstanden. Zuletzt wurden noch ein
Uhlanenschnürleib, ein Zopf und ein Corporalstock verbrannt, als "Flügel-
männer des Kamaschendienstes, die Schmach des ernsten heiligen Wehr-
standes", und mit einem dreimaligen Pere-Pereat auf "die schuft'gen
Schmalzgesellen" gingen die Vehmrichter aus einander.

Es war eine unbeschreiblich abgeschmackte Posse, an sich nicht ärger
als viele ähnliche Ausbrüche akademischer Roheit, bedenklich nur durch
den maßlosen Hochmuth und die jakobinische Unduldsamkeit, die sich in
den Schimpfreden der jungen Leute ankündigten. Darum sprach sich Stein
in den schärfsten Worten über "die Fratze auf der Wartburg" aus, und
der immer schwarzsichtige Niebuhr schrieb besorgt: "Freiheit ist ganz un-
möglich, wenn die Jugend ohne Ehrerbietung und Bescheidenheit ist."
Seine Wahrhaftigkeit fühlte sich angeekelt von dieser "religiösen Komödie":
dort der kühne Reformator, der sich gegen die höchste und heiligste Gewalt

Das Feuergericht auf dem Wartenberge.
beſchloſſen nunmehr den Plan des Meiſters auf eigene Fauſt auszuführen,
was der Ausſchuß um des Friedens willen nicht gradezu verbieten wollte.
Kaum war auf dem Wartenberge das letzte ernſte Lied der die Flammen
umringenden Burſchen verklungen und die eigentliche Feier beendet, ſo
trat Maßmann plötzlich hervor und forderte in einer ſchwülſtigen Rede
die Brüder auf, zu ſchauen, wie nach Luthers Vorbilde in zehrendem
Fegefeuer Gericht gehalten werde über die Schandſchriften des Vater-
landes. Jetzt ſei die heilige Stunde gekommen, „daß alle deutſche Welt
ſchaue was wir wollen; daß ſie wiſſe, weß ſie dereinſt ſich von uns zu
verſehen habe.“

Darauf trugen ſeine Geſellen einige Ballen alten Druckpapiers her-
bei, die mit den Titeln der vervehmten Bücher beſchrieben waren. Auf
eine Miſtgabel aufgeſpießt flogen dann die Werke der Vaterlandsverräther
unter tobendem Gejohle in das hölliſche Feuer: eine wunderlich gemiſchte
Geſellſchaft von etwa zwei Dutzend guten und ſchlechten Büchern, Alles
was grade in jüngſter Zeit den Zorn der Iſis und ähnlicher Blätter her-
vorgerufen hatte. Da brannten Wadzeck, Scherer und, der Vollſtändigkeit
halber, gleich „alle andern ſchreibenden, ſchreienden und ſchweigenden Feinde
der löblichen Turnkunſt“, desgleichen die Alemannia „und alle andern
das Vaterland ſchändenden und entehrenden Zeitungen“; dann natür-
lich drei Schriften von dem verhaßten Schmalz („Gänſe-, Schweine- und
Hundeſchmalz“ brüllte der Chor) und der Codex der Gensdarmerie von
ſeinem Genoſſen Kamptz. Neben dem Code Napoleon, Kotzebues Deut-
ſcher Geſchichte und Saul Aſchers Germanomanie, der ein „Wehe über
die Juden“ nachgerufen ward, wanderte auch Hallers Reſtauration in die
Flammen: — „der Geſell will keine Verfaſſung des deutſchen Vater-
landes“, hieß es zur Erläuterung, da doch keiner von den Burſchen das
ernſte Buch geleſen hatte. Aber auch die Liberalen Benzenberg und
Wangenheim mußten den Grimm der Jugend erfahren, weil die Jenenſer
Publiciſten ihre Schriften nicht verſtanden. Zuletzt wurden noch ein
Uhlanenſchnürleib, ein Zopf und ein Corporalſtock verbrannt, als „Flügel-
männer des Kamaſchendienſtes, die Schmach des ernſten heiligen Wehr-
ſtandes“, und mit einem dreimaligen Pere-Pereat auf „die ſchuft’gen
Schmalzgeſellen“ gingen die Vehmrichter aus einander.

Es war eine unbeſchreiblich abgeſchmackte Poſſe, an ſich nicht ärger
als viele ähnliche Ausbrüche akademiſcher Roheit, bedenklich nur durch
den maßloſen Hochmuth und die jakobiniſche Unduldſamkeit, die ſich in
den Schimpfreden der jungen Leute ankündigten. Darum ſprach ſich Stein
in den ſchärfſten Worten über „die Fratze auf der Wartburg“ aus, und
der immer ſchwarzſichtige Niebuhr ſchrieb beſorgt: „Freiheit iſt ganz un-
möglich, wenn die Jugend ohne Ehrerbietung und Beſcheidenheit iſt.“
Seine Wahrhaftigkeit fühlte ſich angeekelt von dieſer „religiöſen Komödie“:
dort der kühne Reformator, der ſich gegen die höchſte und heiligſte Gewalt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0441" n="427"/><fw place="top" type="header">Das Feuergericht auf dem Wartenberge.</fw><lb/>
be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en nunmehr den Plan des Mei&#x017F;ters auf eigene Fau&#x017F;t auszuführen,<lb/>
was der Aus&#x017F;chuß um des Friedens willen nicht gradezu verbieten wollte.<lb/>
Kaum war auf dem Wartenberge das letzte ern&#x017F;te Lied der die Flammen<lb/>
umringenden Bur&#x017F;chen verklungen und die eigentliche Feier beendet, &#x017F;o<lb/>
trat Maßmann plötzlich hervor und forderte in einer &#x017F;chwül&#x017F;tigen Rede<lb/>
die Brüder auf, zu &#x017F;chauen, wie nach Luthers Vorbilde in zehrendem<lb/>
Fegefeuer Gericht gehalten werde über die Schand&#x017F;chriften des Vater-<lb/>
landes. Jetzt &#x017F;ei die heilige Stunde gekommen, &#x201E;daß alle deut&#x017F;che Welt<lb/>
&#x017F;chaue was wir wollen; daß &#x017F;ie wi&#x017F;&#x017F;e, weß &#x017F;ie derein&#x017F;t &#x017F;ich von uns zu<lb/>
ver&#x017F;ehen habe.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Darauf trugen &#x017F;eine Ge&#x017F;ellen einige Ballen alten Druckpapiers her-<lb/>
bei, die mit den Titeln der vervehmten Bücher be&#x017F;chrieben waren. Auf<lb/>
eine Mi&#x017F;tgabel aufge&#x017F;pießt flogen dann die Werke der Vaterlandsverräther<lb/>
unter tobendem Gejohle in das hölli&#x017F;che Feuer: eine wunderlich gemi&#x017F;chte<lb/>
Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft von etwa zwei Dutzend guten und &#x017F;chlechten Büchern, Alles<lb/>
was grade in jüng&#x017F;ter Zeit den Zorn der I&#x017F;is und ähnlicher Blätter her-<lb/>
vorgerufen hatte. Da brannten Wadzeck, Scherer und, der Voll&#x017F;tändigkeit<lb/>
halber, gleich &#x201E;alle andern &#x017F;chreibenden, &#x017F;chreienden und &#x017F;chweigenden Feinde<lb/>
der löblichen Turnkun&#x017F;t&#x201C;, desgleichen die Alemannia &#x201E;und alle andern<lb/>
das Vaterland &#x017F;chändenden und entehrenden Zeitungen&#x201C;; dann natür-<lb/>
lich drei Schriften von dem verhaßten Schmalz (&#x201E;Gän&#x017F;e-, Schweine- und<lb/>
Hunde&#x017F;chmalz&#x201C; brüllte der Chor) und der Codex der Gensdarmerie von<lb/>
&#x017F;einem Geno&#x017F;&#x017F;en Kamptz. Neben dem Code Napoleon, Kotzebues Deut-<lb/>
&#x017F;cher Ge&#x017F;chichte und Saul A&#x017F;chers Germanomanie, der ein &#x201E;Wehe über<lb/>
die Juden&#x201C; nachgerufen ward, wanderte auch Hallers Re&#x017F;tauration in die<lb/>
Flammen: &#x2014; &#x201E;der Ge&#x017F;ell will keine Verfa&#x017F;&#x017F;ung des deut&#x017F;chen Vater-<lb/>
landes&#x201C;, hieß es zur Erläuterung, da doch keiner von den Bur&#x017F;chen das<lb/>
ern&#x017F;te Buch gele&#x017F;en hatte. Aber auch die Liberalen Benzenberg und<lb/>
Wangenheim mußten den Grimm der Jugend erfahren, weil die Jenen&#x017F;er<lb/>
Publici&#x017F;ten ihre Schriften nicht ver&#x017F;tanden. Zuletzt wurden noch ein<lb/>
Uhlanen&#x017F;chnürleib, ein Zopf und ein Corporal&#x017F;tock verbrannt, als &#x201E;Flügel-<lb/>
männer des Kama&#x017F;chendien&#x017F;tes, die Schmach des ern&#x017F;ten heiligen Wehr-<lb/>
&#x017F;tandes&#x201C;, und mit einem dreimaligen Pere-Pereat auf &#x201E;die &#x017F;chuft&#x2019;gen<lb/>
Schmalzge&#x017F;ellen&#x201C; gingen die Vehmrichter aus einander.</p><lb/>
          <p>Es war eine unbe&#x017F;chreiblich abge&#x017F;chmackte Po&#x017F;&#x017F;e, an &#x017F;ich nicht ärger<lb/>
als viele ähnliche Ausbrüche akademi&#x017F;cher Roheit, bedenklich nur durch<lb/>
den maßlo&#x017F;en Hochmuth und die jakobini&#x017F;che Unduld&#x017F;amkeit, die &#x017F;ich in<lb/>
den Schimpfreden der jungen Leute ankündigten. Darum &#x017F;prach &#x017F;ich Stein<lb/>
in den &#x017F;chärf&#x017F;ten Worten über &#x201E;die Fratze auf der Wartburg&#x201C; aus, und<lb/>
der immer &#x017F;chwarz&#x017F;ichtige Niebuhr &#x017F;chrieb be&#x017F;orgt: &#x201E;Freiheit i&#x017F;t ganz un-<lb/>
möglich, wenn die Jugend ohne Ehrerbietung und Be&#x017F;cheidenheit i&#x017F;t.&#x201C;<lb/>
Seine Wahrhaftigkeit fühlte &#x017F;ich angeekelt von die&#x017F;er &#x201E;religiö&#x017F;en Komödie&#x201C;:<lb/>
dort der kühne Reformator, der &#x017F;ich gegen die höch&#x017F;te und heilig&#x017F;te Gewalt<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[427/0441] Das Feuergericht auf dem Wartenberge. beſchloſſen nunmehr den Plan des Meiſters auf eigene Fauſt auszuführen, was der Ausſchuß um des Friedens willen nicht gradezu verbieten wollte. Kaum war auf dem Wartenberge das letzte ernſte Lied der die Flammen umringenden Burſchen verklungen und die eigentliche Feier beendet, ſo trat Maßmann plötzlich hervor und forderte in einer ſchwülſtigen Rede die Brüder auf, zu ſchauen, wie nach Luthers Vorbilde in zehrendem Fegefeuer Gericht gehalten werde über die Schandſchriften des Vater- landes. Jetzt ſei die heilige Stunde gekommen, „daß alle deutſche Welt ſchaue was wir wollen; daß ſie wiſſe, weß ſie dereinſt ſich von uns zu verſehen habe.“ Darauf trugen ſeine Geſellen einige Ballen alten Druckpapiers her- bei, die mit den Titeln der vervehmten Bücher beſchrieben waren. Auf eine Miſtgabel aufgeſpießt flogen dann die Werke der Vaterlandsverräther unter tobendem Gejohle in das hölliſche Feuer: eine wunderlich gemiſchte Geſellſchaft von etwa zwei Dutzend guten und ſchlechten Büchern, Alles was grade in jüngſter Zeit den Zorn der Iſis und ähnlicher Blätter her- vorgerufen hatte. Da brannten Wadzeck, Scherer und, der Vollſtändigkeit halber, gleich „alle andern ſchreibenden, ſchreienden und ſchweigenden Feinde der löblichen Turnkunſt“, desgleichen die Alemannia „und alle andern das Vaterland ſchändenden und entehrenden Zeitungen“; dann natür- lich drei Schriften von dem verhaßten Schmalz („Gänſe-, Schweine- und Hundeſchmalz“ brüllte der Chor) und der Codex der Gensdarmerie von ſeinem Genoſſen Kamptz. Neben dem Code Napoleon, Kotzebues Deut- ſcher Geſchichte und Saul Aſchers Germanomanie, der ein „Wehe über die Juden“ nachgerufen ward, wanderte auch Hallers Reſtauration in die Flammen: — „der Geſell will keine Verfaſſung des deutſchen Vater- landes“, hieß es zur Erläuterung, da doch keiner von den Burſchen das ernſte Buch geleſen hatte. Aber auch die Liberalen Benzenberg und Wangenheim mußten den Grimm der Jugend erfahren, weil die Jenenſer Publiciſten ihre Schriften nicht verſtanden. Zuletzt wurden noch ein Uhlanenſchnürleib, ein Zopf und ein Corporalſtock verbrannt, als „Flügel- männer des Kamaſchendienſtes, die Schmach des ernſten heiligen Wehr- ſtandes“, und mit einem dreimaligen Pere-Pereat auf „die ſchuft’gen Schmalzgeſellen“ gingen die Vehmrichter aus einander. Es war eine unbeſchreiblich abgeſchmackte Poſſe, an ſich nicht ärger als viele ähnliche Ausbrüche akademiſcher Roheit, bedenklich nur durch den maßloſen Hochmuth und die jakobiniſche Unduldſamkeit, die ſich in den Schimpfreden der jungen Leute ankündigten. Darum ſprach ſich Stein in den ſchärfſten Worten über „die Fratze auf der Wartburg“ aus, und der immer ſchwarzſichtige Niebuhr ſchrieb beſorgt: „Freiheit iſt ganz un- möglich, wenn die Jugend ohne Ehrerbietung und Beſcheidenheit iſt.“ Seine Wahrhaftigkeit fühlte ſich angeekelt von dieſer „religiöſen Komödie“: dort der kühne Reformator, der ſich gegen die höchſte und heiligſte Gewalt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/441
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 427. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/441>, abgerufen am 22.11.2024.