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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 6. Die Burschenschaft.
der Zeit empörte, und hier das ungefährliche Feuergericht großsprecherischer
junger Burschen über eine Reihe von Schriften, woraus sie kaum eine
Zeile kannten -- welche ein lächerlicher Contrast! Auf der Burschenver-
sammlung am nächsten Tage sprachen die Studenten wieder ruhiger,
verständiger mindestens als ihr Lehrer Fries, der ihnen eine unglaublich ge-
schmacklose, von mystischer Bibelweisheit und sachsen-weimarischem Frei-
heitsdünkel strotzende Rede schriftlich zurückgelassen hatte: "Kehret wieder zu
den Eurigen und saget: Ihr waret im Lande deutscher Volksfreiheit, deut-
scher Gedankenfreiheit ... Hier lasten keine stehenden Truppen! Ein
kleines Land zeigt Euch die Ziele! Aber alle deutschen Fürsten haben dasselbe
Wort gegeben u. s. w." Wahrlich, Stein wußte wohl, warum er die
Jenenser Professoren als faselnde Metapolitiker verdammte, und Goethe
nicht minder, warum er seinen Fluch aussprach über alles deutsche poli-
tische Gerede; denn was ließ sich von der Jugend erwarten, wenn ihr
gefeierter Lehrer die unberittenen weimarischen Husaren dem übrigen
Deutschland als ruhmreiches Vorbild darstellte! Dieselbe widerliche Ver-
mischung von Religion und Politik, die schon aus Fries' Rede sprach,
offenbarte sich dann noch einmal am Nachmittage, als einige der Bur-
schen auf den Einfall kamen noch das Abendmahl zu nehmen. Der Super-
intendent Nebe gab sich in der That dazu her, den aufgeregten und zum
Theil angetrunkenen jungen Männern das Sakrament 'zu spenden --
ein charakteristisches Probstück jener jämmerlichen Schlaffheit, welche die
weltlichen wie die geistlichen Behörden der Kleinstaaterei in unruhigen
Tagen immer ausgezeichnet hat.

Trotz allen Thorheiten Einzelner war das Fest im Ganzen doch glück-
lich und unschuldig verlaufen. Als man am Abend unter strömenden
Thränen sich trennte, blieb den Meisten eine Erinnerung für das ganze
Leben, strahlend wie ein Maientag der Jugend -- so gesteht Heinrich Leo;
sie hatten sich brüderlich zusammengefunden mit den Genossen aus Süd
und Nord, sie meinten die Einheit des zerrissenen Vaterlandes schon mit
Händen zu greifen, und wenn die öffentliche Meinung verständig genug
war die jungen Feuerköpfe sich selber und ihren Träumen zu überlassen,
so konnten die guten Vorsätze, welche mancher wackere Jüngling in jenen
erregten Stunden gefaßt hatte, noch heilsame Früchte bringen.

Aber in der tiefen Stille, die über dem deutschen Norden lagerte,
hallten die kecken Reden der Burschen nur allzu laut wieder; es war als
ob Freund und Feind sich verschworen hätten, die Todsünde der Jugend,
die ihr den ehrlichen Enthusiasmus verdarb, die krankhafte Selbstüber-
schätzung, bis zum Unsinn zu steigern, als ob Jedermann mit einstimmte in
die ruhmredige Versicherung eines der Wartburg-Redner, Carove, der die
Universitäten als die natürlichen Vertheidiger der Volksehre gefeiert hatte.
Mit lächerlicher Ernsthaftigkeit priesen die liberalen Zeitungen dies erste
Erwachen des öffentlichen Lebens der Nation, "diesen Silberblick unserer

II. 6. Die Burſchenſchaft.
der Zeit empörte, und hier das ungefährliche Feuergericht großſprecheriſcher
junger Burſchen über eine Reihe von Schriften, woraus ſie kaum eine
Zeile kannten — welche ein lächerlicher Contraſt! Auf der Burſchenver-
ſammlung am nächſten Tage ſprachen die Studenten wieder ruhiger,
verſtändiger mindeſtens als ihr Lehrer Fries, der ihnen eine unglaublich ge-
ſchmackloſe, von myſtiſcher Bibelweisheit und ſachſen-weimariſchem Frei-
heitsdünkel ſtrotzende Rede ſchriftlich zurückgelaſſen hatte: „Kehret wieder zu
den Eurigen und ſaget: Ihr waret im Lande deutſcher Volksfreiheit, deut-
ſcher Gedankenfreiheit … Hier laſten keine ſtehenden Truppen! Ein
kleines Land zeigt Euch die Ziele! Aber alle deutſchen Fürſten haben daſſelbe
Wort gegeben u. ſ. w.“ Wahrlich, Stein wußte wohl, warum er die
Jenenſer Profeſſoren als faſelnde Metapolitiker verdammte, und Goethe
nicht minder, warum er ſeinen Fluch ausſprach über alles deutſche poli-
tiſche Gerede; denn was ließ ſich von der Jugend erwarten, wenn ihr
gefeierter Lehrer die unberittenen weimariſchen Huſaren dem übrigen
Deutſchland als ruhmreiches Vorbild darſtellte! Dieſelbe widerliche Ver-
miſchung von Religion und Politik, die ſchon aus Fries’ Rede ſprach,
offenbarte ſich dann noch einmal am Nachmittage, als einige der Bur-
ſchen auf den Einfall kamen noch das Abendmahl zu nehmen. Der Super-
intendent Nebe gab ſich in der That dazu her, den aufgeregten und zum
Theil angetrunkenen jungen Männern das Sakrament ’zu ſpenden —
ein charakteriſtiſches Probſtück jener jämmerlichen Schlaffheit, welche die
weltlichen wie die geiſtlichen Behörden der Kleinſtaaterei in unruhigen
Tagen immer ausgezeichnet hat.

Trotz allen Thorheiten Einzelner war das Feſt im Ganzen doch glück-
lich und unſchuldig verlaufen. Als man am Abend unter ſtrömenden
Thränen ſich trennte, blieb den Meiſten eine Erinnerung für das ganze
Leben, ſtrahlend wie ein Maientag der Jugend — ſo geſteht Heinrich Leo;
ſie hatten ſich brüderlich zuſammengefunden mit den Genoſſen aus Süd
und Nord, ſie meinten die Einheit des zerriſſenen Vaterlandes ſchon mit
Händen zu greifen, und wenn die öffentliche Meinung verſtändig genug
war die jungen Feuerköpfe ſich ſelber und ihren Träumen zu überlaſſen,
ſo konnten die guten Vorſätze, welche mancher wackere Jüngling in jenen
erregten Stunden gefaßt hatte, noch heilſame Früchte bringen.

Aber in der tiefen Stille, die über dem deutſchen Norden lagerte,
hallten die kecken Reden der Burſchen nur allzu laut wieder; es war als
ob Freund und Feind ſich verſchworen hätten, die Todſünde der Jugend,
die ihr den ehrlichen Enthuſiasmus verdarb, die krankhafte Selbſtüber-
ſchätzung, bis zum Unſinn zu ſteigern, als ob Jedermann mit einſtimmte in
die ruhmredige Verſicherung eines der Wartburg-Redner, Carové, der die
Univerſitäten als die natürlichen Vertheidiger der Volksehre gefeiert hatte.
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Erwachen des öffentlichen Lebens der Nation, „dieſen Silberblick unſerer

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[428/0442] II. 6. Die Burſchenſchaft. der Zeit empörte, und hier das ungefährliche Feuergericht großſprecheriſcher junger Burſchen über eine Reihe von Schriften, woraus ſie kaum eine Zeile kannten — welche ein lächerlicher Contraſt! Auf der Burſchenver- ſammlung am nächſten Tage ſprachen die Studenten wieder ruhiger, verſtändiger mindeſtens als ihr Lehrer Fries, der ihnen eine unglaublich ge- ſchmackloſe, von myſtiſcher Bibelweisheit und ſachſen-weimariſchem Frei- heitsdünkel ſtrotzende Rede ſchriftlich zurückgelaſſen hatte: „Kehret wieder zu den Eurigen und ſaget: Ihr waret im Lande deutſcher Volksfreiheit, deut- ſcher Gedankenfreiheit … Hier laſten keine ſtehenden Truppen! Ein kleines Land zeigt Euch die Ziele! Aber alle deutſchen Fürſten haben daſſelbe Wort gegeben u. ſ. w.“ Wahrlich, Stein wußte wohl, warum er die Jenenſer Profeſſoren als faſelnde Metapolitiker verdammte, und Goethe nicht minder, warum er ſeinen Fluch ausſprach über alles deutſche poli- tiſche Gerede; denn was ließ ſich von der Jugend erwarten, wenn ihr gefeierter Lehrer die unberittenen weimariſchen Huſaren dem übrigen Deutſchland als ruhmreiches Vorbild darſtellte! Dieſelbe widerliche Ver- miſchung von Religion und Politik, die ſchon aus Fries’ Rede ſprach, offenbarte ſich dann noch einmal am Nachmittage, als einige der Bur- ſchen auf den Einfall kamen noch das Abendmahl zu nehmen. Der Super- intendent Nebe gab ſich in der That dazu her, den aufgeregten und zum Theil angetrunkenen jungen Männern das Sakrament ’zu ſpenden — ein charakteriſtiſches Probſtück jener jämmerlichen Schlaffheit, welche die weltlichen wie die geiſtlichen Behörden der Kleinſtaaterei in unruhigen Tagen immer ausgezeichnet hat. Trotz allen Thorheiten Einzelner war das Feſt im Ganzen doch glück- lich und unſchuldig verlaufen. Als man am Abend unter ſtrömenden Thränen ſich trennte, blieb den Meiſten eine Erinnerung für das ganze Leben, ſtrahlend wie ein Maientag der Jugend — ſo geſteht Heinrich Leo; ſie hatten ſich brüderlich zuſammengefunden mit den Genoſſen aus Süd und Nord, ſie meinten die Einheit des zerriſſenen Vaterlandes ſchon mit Händen zu greifen, und wenn die öffentliche Meinung verſtändig genug war die jungen Feuerköpfe ſich ſelber und ihren Träumen zu überlaſſen, ſo konnten die guten Vorſätze, welche mancher wackere Jüngling in jenen erregten Stunden gefaßt hatte, noch heilſame Früchte bringen. Aber in der tiefen Stille, die über dem deutſchen Norden lagerte, hallten die kecken Reden der Burſchen nur allzu laut wieder; es war als ob Freund und Feind ſich verſchworen hätten, die Todſünde der Jugend, die ihr den ehrlichen Enthuſiasmus verdarb, die krankhafte Selbſtüber- ſchätzung, bis zum Unſinn zu ſteigern, als ob Jedermann mit einſtimmte in die ruhmredige Verſicherung eines der Wartburg-Redner, Carové, der die Univerſitäten als die natürlichen Vertheidiger der Volksehre gefeiert hatte. Mit lächerlicher Ernſthaftigkeit prieſen die liberalen Zeitungen dies erſte Erwachen des öffentlichen Lebens der Nation, „dieſen Silberblick unſerer

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/442>, abgerufen am 22.11.2024.