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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Parteiung in Frankreich.
geschah wie er weissagte: die Bauernhütte kannte bald keine andere Ge-
schichte mehr, Napoleon wurde den Massen der Nation in Nord- und
Mittelfrankreich der einzige Held des Jahrhunderts. Auch in den Staaten
des Rheinbunds war der kaum erst eingeschlummerte Napoleonscultus
bereits wieder erwacht. In jedem Wirthshause des deutschen Südens
hingen die Abbildungen der napoleonischen Schlachten, und mehrmals
mußte der Gesandte König Ludwigs beim Münchener Hofe Klage führen,
weil Bilder und Statuetten des Soldatenkaisers von unbekannter Hand
in der bairischen Armee vertheilt wurden.

So fand sich die beste und wohlthätigste Regierung, welche Frank-
reich seit der Revolution gesehen, von allen Seiten her bedroht. Die vier
Mächte aber, die bis in das Jahr 1817 hinein vor Allem die Parteiwuth
der Ultraroyalisten gefürchtet hatten, begannen jetzt die geheimen Um-
triebe der Radikalen und die Kriegslust der Bonapartisten als die gefähr-
lichsten Feinde des Bourbonenthrones zu betrachten. In der That ließ
sich der Ruf "Rache für Waterloo" bereits deutlich vernehmen. In dem-
selben Augenblicke, da die französischen Kammern die Räumung des Landes
von den Verbündeten forderten, genehmigten sie zugleich das neue Wehr-
gesetz und nöthigten den Kriegsminister, die Linienarmee noch um 50,000
Mann über seine eigene Forderung hinaus, bis auf 240,000 Mann zu
verstärken. Darauf wurde eine dichte Schaar kaiserlicher Offiziere wieder
in die Linie aufgenommen und eine starke Reserve-Armee gebildet, die fast
ausschließlich aus napoleonischen Veteranen bestand. Begreiflich genug,
daß alle diese Vorgänge in der preußischen Armee als Vorboten des
nahenden dritten punischen Krieges angesehen wurden; Gneisenau nament-
lich war und blieb der Ansicht, nur die vollständige Abdankung des bona-
partistischen Heeres könne die neue Ordnung der Dinge einigermaßen
sicherstellen.*)

Weder in London noch in Wien und Berlin täuschte man sich über
die Schwäche der bourbonischen Herrschaft; man erwartete ihren Sturz
sogar noch früher als er wirklich eintrat. Die Berichte Wellingtons, des
Oberbefehlshabers in Frankreich, lauteten fast hoffnungslos. Gleichwohl
erkannten Alle, daß das Ansehen der legitimen Dynastie durch die Anwesen-
heit der fremden Truppen nur noch mehr gefährdet wurde. Schon im
Mai 1818 waren die vier Mächte ohne förmliche Abrede einig in dem
Entschlusse, die Zeit der Occupation von fünf auf drei Jahre herabzu-
setzen und das Nähere auf dem bevorstehenden Fürstentage zu verein-
baren. Dem preußischen Hofe kostete es wenig Mühe, sich mit diesem
Gedanken zu befreunden, da Hardenberg von vornherein auf die Occu-
pationsarmee geringen Werth gelegt hatte. Weil der König von Spanien
sich durch seine Ausschließung gekränkt zeigte und auch andere Höfe ihre

*) Gneisenaus Bemerkungen zu Royers Berichten aus Paris, 28. Dec. 1819.

Parteiung in Frankreich.
geſchah wie er weiſſagte: die Bauernhütte kannte bald keine andere Ge-
ſchichte mehr, Napoleon wurde den Maſſen der Nation in Nord- und
Mittelfrankreich der einzige Held des Jahrhunderts. Auch in den Staaten
des Rheinbunds war der kaum erſt eingeſchlummerte Napoleonscultus
bereits wieder erwacht. In jedem Wirthshauſe des deutſchen Südens
hingen die Abbildungen der napoleoniſchen Schlachten, und mehrmals
mußte der Geſandte König Ludwigs beim Münchener Hofe Klage führen,
weil Bilder und Statuetten des Soldatenkaiſers von unbekannter Hand
in der bairiſchen Armee vertheilt wurden.

So fand ſich die beſte und wohlthätigſte Regierung, welche Frank-
reich ſeit der Revolution geſehen, von allen Seiten her bedroht. Die vier
Mächte aber, die bis in das Jahr 1817 hinein vor Allem die Parteiwuth
der Ultraroyaliſten gefürchtet hatten, begannen jetzt die geheimen Um-
triebe der Radikalen und die Kriegsluſt der Bonapartiſten als die gefähr-
lichſten Feinde des Bourbonenthrones zu betrachten. In der That ließ
ſich der Ruf „Rache für Waterloo“ bereits deutlich vernehmen. In dem-
ſelben Augenblicke, da die franzöſiſchen Kammern die Räumung des Landes
von den Verbündeten forderten, genehmigten ſie zugleich das neue Wehr-
geſetz und nöthigten den Kriegsminiſter, die Linienarmee noch um 50,000
Mann über ſeine eigene Forderung hinaus, bis auf 240,000 Mann zu
verſtärken. Darauf wurde eine dichte Schaar kaiſerlicher Offiziere wieder
in die Linie aufgenommen und eine ſtarke Reſerve-Armee gebildet, die faſt
ausſchließlich aus napoleoniſchen Veteranen beſtand. Begreiflich genug,
daß alle dieſe Vorgänge in der preußiſchen Armee als Vorboten des
nahenden dritten puniſchen Krieges angeſehen wurden; Gneiſenau nament-
lich war und blieb der Anſicht, nur die vollſtändige Abdankung des bona-
partiſtiſchen Heeres könne die neue Ordnung der Dinge einigermaßen
ſicherſtellen.*)

Weder in London noch in Wien und Berlin täuſchte man ſich über
die Schwäche der bourboniſchen Herrſchaft; man erwartete ihren Sturz
ſogar noch früher als er wirklich eintrat. Die Berichte Wellingtons, des
Oberbefehlshabers in Frankreich, lauteten faſt hoffnungslos. Gleichwohl
erkannten Alle, daß das Anſehen der legitimen Dynaſtie durch die Anweſen-
heit der fremden Truppen nur noch mehr gefährdet wurde. Schon im
Mai 1818 waren die vier Mächte ohne förmliche Abrede einig in dem
Entſchluſſe, die Zeit der Occupation von fünf auf drei Jahre herabzu-
ſetzen und das Nähere auf dem bevorſtehenden Fürſtentage zu verein-
baren. Dem preußiſchen Hofe koſtete es wenig Mühe, ſich mit dieſem
Gedanken zu befreunden, da Hardenberg von vornherein auf die Occu-
pationsarmee geringen Werth gelegt hatte. Weil der König von Spanien
ſich durch ſeine Ausſchließung gekränkt zeigte und auch andere Höfe ihre

*) Gneiſenaus Bemerkungen zu Royers Berichten aus Paris, 28. Dec. 1819.
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[447/0461] Parteiung in Frankreich. geſchah wie er weiſſagte: die Bauernhütte kannte bald keine andere Ge- ſchichte mehr, Napoleon wurde den Maſſen der Nation in Nord- und Mittelfrankreich der einzige Held des Jahrhunderts. Auch in den Staaten des Rheinbunds war der kaum erſt eingeſchlummerte Napoleonscultus bereits wieder erwacht. In jedem Wirthshauſe des deutſchen Südens hingen die Abbildungen der napoleoniſchen Schlachten, und mehrmals mußte der Geſandte König Ludwigs beim Münchener Hofe Klage führen, weil Bilder und Statuetten des Soldatenkaiſers von unbekannter Hand in der bairiſchen Armee vertheilt wurden. So fand ſich die beſte und wohlthätigſte Regierung, welche Frank- reich ſeit der Revolution geſehen, von allen Seiten her bedroht. Die vier Mächte aber, die bis in das Jahr 1817 hinein vor Allem die Parteiwuth der Ultraroyaliſten gefürchtet hatten, begannen jetzt die geheimen Um- triebe der Radikalen und die Kriegsluſt der Bonapartiſten als die gefähr- lichſten Feinde des Bourbonenthrones zu betrachten. In der That ließ ſich der Ruf „Rache für Waterloo“ bereits deutlich vernehmen. In dem- ſelben Augenblicke, da die franzöſiſchen Kammern die Räumung des Landes von den Verbündeten forderten, genehmigten ſie zugleich das neue Wehr- geſetz und nöthigten den Kriegsminiſter, die Linienarmee noch um 50,000 Mann über ſeine eigene Forderung hinaus, bis auf 240,000 Mann zu verſtärken. Darauf wurde eine dichte Schaar kaiſerlicher Offiziere wieder in die Linie aufgenommen und eine ſtarke Reſerve-Armee gebildet, die faſt ausſchließlich aus napoleoniſchen Veteranen beſtand. Begreiflich genug, daß alle dieſe Vorgänge in der preußiſchen Armee als Vorboten des nahenden dritten puniſchen Krieges angeſehen wurden; Gneiſenau nament- lich war und blieb der Anſicht, nur die vollſtändige Abdankung des bona- partiſtiſchen Heeres könne die neue Ordnung der Dinge einigermaßen ſicherſtellen. *) Weder in London noch in Wien und Berlin täuſchte man ſich über die Schwäche der bourboniſchen Herrſchaft; man erwartete ihren Sturz ſogar noch früher als er wirklich eintrat. Die Berichte Wellingtons, des Oberbefehlshabers in Frankreich, lauteten faſt hoffnungslos. Gleichwohl erkannten Alle, daß das Anſehen der legitimen Dynaſtie durch die Anweſen- heit der fremden Truppen nur noch mehr gefährdet wurde. Schon im Mai 1818 waren die vier Mächte ohne förmliche Abrede einig in dem Entſchluſſe, die Zeit der Occupation von fünf auf drei Jahre herabzu- ſetzen und das Nähere auf dem bevorſtehenden Fürſtentage zu verein- baren. Dem preußiſchen Hofe koſtete es wenig Mühe, ſich mit dieſem Gedanken zu befreunden, da Hardenberg von vornherein auf die Occu- pationsarmee geringen Werth gelegt hatte. Weil der König von Spanien ſich durch ſeine Ausſchließung gekränkt zeigte und auch andere Höfe ihre *) Gneiſenaus Bemerkungen zu Royers Berichten aus Paris, 28. Dec. 1819.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 447. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/461>, abgerufen am 22.11.2024.