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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 8. Der Aachener Congreß.
Verstimmung nicht verbargen, so beschloß man, den Namen eines Congresses
sorglich zu vermeiden und sprach nur von einer Reunion, einer Entrevue.
Die Pariser Gesandtenconferenz erklärte den Mächten zweiten Ranges
(25. Mai), daß die Reunion lediglich den zweifachen Zweck habe den Vier-
bund von Neuem zu befestigen und unter Mitwirkung des Allerchrist-
lichsten Königs über die Räumung Frankreichs zu beschließen; die Theil-
nahme anderer Souveräne oder Staatsmänner würde der Zusammen-
kunft den Anschein eines Congresses geben und neue Beunruhigungen her-
vorrufen. Nicht ohne Mühe gelang es den Unwillen der kleinen Höfe,
deren Truppen doch auch in Frankreich standen, zu beschwichtigen. Zum
Versammlungsort ward Aachen bestimmt, weil diese Stadt, wie Metter-
nich sagte, so wenig Ressourcen bot: man war entschlossen diesmal rasch
und ernstlich zu arbeiten, jeden Widerspruch gegen die Dictatur der vier
Höfe durch die Macht der vollendeten Thatsachen zu ersticken.*)

Mittlerweile hatten die vier Mächte der bourbonischen Krone bereits
einen neuen Beweis freundlicher Gesinnung gegeben. Durch den zweiten
Pariser Frieden war König Ludwig verpflichtet, alle die auswärtigen Privat-
leute, Gemeinden und Corporationen zu befriedigen, welche noch von den
napoleonischen Tagen her Geldforderungen an die Krone Frankreich zu
stellen hatten. Als diese Zusage unterzeichnet wurde, ahnte Niemand was
sie bedeute; man dachte mit 100 Mill. Fr. Alles auszugleichen, da die
Kriegslasten und -Leistungen grundsätzlich unberücksichtigt bleiben sollten.
Welch ein Schreck, als sich nun nach und nach der ganze Umfang der
napoleonischen Plünderungen herausstellte. Im Sommer 1817 waren
außer 180 Mill. Fr. bereits anerkannter und theilweise befriedigter Schul-
den noch neue Forderungen im Betrage von 1390 Mill. angemeldet.
Einige frivole Ansprüche liefen freilich mit unter; so verlangte der Herzog
von Bernburg den Sold für eine Reiterschaar, welche einer seiner Ahnen
zur Zeit der Hugenottenkriege dem Heere Heinrichs IV. zugeführt hatte.
Aber weitaus die meisten Forderungen, mindestens eine Milliarde, ließen
sich rechtlich nicht anfechten; und das Alles hatte Napoleon zumeist in
befreundeten oder neutralen Ländern von Privaten erpreßt. Die Mehr-
zahl der Rechnungen kam aus Spanien, aus den deutschen Kleinstaaten
und vornehmlich aus Preußen, das unter dem Durchmarsch der großen
Armee so schwer gelitten und allein über ein Viertel der Gesammtsumme
zu fordern hatte; Oesterreich und England waren unverhältnißmäßig
weniger, Rußland fast gar nicht betheiligt. Die vier Mächte konnten sich
nicht verhehlen, daß die vollständige Befriedigung aller dieser Gläubiger
fast unmöglich war; jedes französische Cabinet, das einen solchen Vor-
schlag vor die Kammern gebracht hätte, wäre dem vereinten Ansturm aller

*) Ministerialschreiben an Krusemark, 20. Mai; Arnims Bericht, München 10. Juni;
Schölers Bericht, Petersburg 7. Febr. 1818.

II. 8. Der Aachener Congreß.
Verſtimmung nicht verbargen, ſo beſchloß man, den Namen eines Congreſſes
ſorglich zu vermeiden und ſprach nur von einer Réunion, einer Entrevue.
Die Pariſer Geſandtenconferenz erklärte den Mächten zweiten Ranges
(25. Mai), daß die Reunion lediglich den zweifachen Zweck habe den Vier-
bund von Neuem zu befeſtigen und unter Mitwirkung des Allerchriſt-
lichſten Königs über die Räumung Frankreichs zu beſchließen; die Theil-
nahme anderer Souveräne oder Staatsmänner würde der Zuſammen-
kunft den Anſchein eines Congreſſes geben und neue Beunruhigungen her-
vorrufen. Nicht ohne Mühe gelang es den Unwillen der kleinen Höfe,
deren Truppen doch auch in Frankreich ſtanden, zu beſchwichtigen. Zum
Verſammlungsort ward Aachen beſtimmt, weil dieſe Stadt, wie Metter-
nich ſagte, ſo wenig Reſſourcen bot: man war entſchloſſen diesmal raſch
und ernſtlich zu arbeiten, jeden Widerſpruch gegen die Dictatur der vier
Höfe durch die Macht der vollendeten Thatſachen zu erſticken.*)

Mittlerweile hatten die vier Mächte der bourboniſchen Krone bereits
einen neuen Beweis freundlicher Geſinnung gegeben. Durch den zweiten
Pariſer Frieden war König Ludwig verpflichtet, alle die auswärtigen Privat-
leute, Gemeinden und Corporationen zu befriedigen, welche noch von den
napoleoniſchen Tagen her Geldforderungen an die Krone Frankreich zu
ſtellen hatten. Als dieſe Zuſage unterzeichnet wurde, ahnte Niemand was
ſie bedeute; man dachte mit 100 Mill. Fr. Alles auszugleichen, da die
Kriegslaſten und -Leiſtungen grundſätzlich unberückſichtigt bleiben ſollten.
Welch ein Schreck, als ſich nun nach und nach der ganze Umfang der
napoleoniſchen Plünderungen herausſtellte. Im Sommer 1817 waren
außer 180 Mill. Fr. bereits anerkannter und theilweiſe befriedigter Schul-
den noch neue Forderungen im Betrage von 1390 Mill. angemeldet.
Einige frivole Anſprüche liefen freilich mit unter; ſo verlangte der Herzog
von Bernburg den Sold für eine Reiterſchaar, welche einer ſeiner Ahnen
zur Zeit der Hugenottenkriege dem Heere Heinrichs IV. zugeführt hatte.
Aber weitaus die meiſten Forderungen, mindeſtens eine Milliarde, ließen
ſich rechtlich nicht anfechten; und das Alles hatte Napoleon zumeiſt in
befreundeten oder neutralen Ländern von Privaten erpreßt. Die Mehr-
zahl der Rechnungen kam aus Spanien, aus den deutſchen Kleinſtaaten
und vornehmlich aus Preußen, das unter dem Durchmarſch der großen
Armee ſo ſchwer gelitten und allein über ein Viertel der Geſammtſumme
zu fordern hatte; Oeſterreich und England waren unverhältnißmäßig
weniger, Rußland faſt gar nicht betheiligt. Die vier Mächte konnten ſich
nicht verhehlen, daß die vollſtändige Befriedigung aller dieſer Gläubiger
faſt unmöglich war; jedes franzöſiſche Cabinet, das einen ſolchen Vor-
ſchlag vor die Kammern gebracht hätte, wäre dem vereinten Anſturm aller

*) Miniſterialſchreiben an Kruſemark, 20. Mai; Arnims Bericht, München 10. Juni;
Schölers Bericht, Petersburg 7. Febr. 1818.
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[448/0462] II. 8. Der Aachener Congreß. Verſtimmung nicht verbargen, ſo beſchloß man, den Namen eines Congreſſes ſorglich zu vermeiden und ſprach nur von einer Réunion, einer Entrevue. Die Pariſer Geſandtenconferenz erklärte den Mächten zweiten Ranges (25. Mai), daß die Reunion lediglich den zweifachen Zweck habe den Vier- bund von Neuem zu befeſtigen und unter Mitwirkung des Allerchriſt- lichſten Königs über die Räumung Frankreichs zu beſchließen; die Theil- nahme anderer Souveräne oder Staatsmänner würde der Zuſammen- kunft den Anſchein eines Congreſſes geben und neue Beunruhigungen her- vorrufen. Nicht ohne Mühe gelang es den Unwillen der kleinen Höfe, deren Truppen doch auch in Frankreich ſtanden, zu beſchwichtigen. Zum Verſammlungsort ward Aachen beſtimmt, weil dieſe Stadt, wie Metter- nich ſagte, ſo wenig Reſſourcen bot: man war entſchloſſen diesmal raſch und ernſtlich zu arbeiten, jeden Widerſpruch gegen die Dictatur der vier Höfe durch die Macht der vollendeten Thatſachen zu erſticken. *) Mittlerweile hatten die vier Mächte der bourboniſchen Krone bereits einen neuen Beweis freundlicher Geſinnung gegeben. Durch den zweiten Pariſer Frieden war König Ludwig verpflichtet, alle die auswärtigen Privat- leute, Gemeinden und Corporationen zu befriedigen, welche noch von den napoleoniſchen Tagen her Geldforderungen an die Krone Frankreich zu ſtellen hatten. Als dieſe Zuſage unterzeichnet wurde, ahnte Niemand was ſie bedeute; man dachte mit 100 Mill. Fr. Alles auszugleichen, da die Kriegslaſten und -Leiſtungen grundſätzlich unberückſichtigt bleiben ſollten. Welch ein Schreck, als ſich nun nach und nach der ganze Umfang der napoleoniſchen Plünderungen herausſtellte. Im Sommer 1817 waren außer 180 Mill. Fr. bereits anerkannter und theilweiſe befriedigter Schul- den noch neue Forderungen im Betrage von 1390 Mill. angemeldet. Einige frivole Anſprüche liefen freilich mit unter; ſo verlangte der Herzog von Bernburg den Sold für eine Reiterſchaar, welche einer ſeiner Ahnen zur Zeit der Hugenottenkriege dem Heere Heinrichs IV. zugeführt hatte. Aber weitaus die meiſten Forderungen, mindeſtens eine Milliarde, ließen ſich rechtlich nicht anfechten; und das Alles hatte Napoleon zumeiſt in befreundeten oder neutralen Ländern von Privaten erpreßt. Die Mehr- zahl der Rechnungen kam aus Spanien, aus den deutſchen Kleinſtaaten und vornehmlich aus Preußen, das unter dem Durchmarſch der großen Armee ſo ſchwer gelitten und allein über ein Viertel der Geſammtſumme zu fordern hatte; Oeſterreich und England waren unverhältnißmäßig weniger, Rußland faſt gar nicht betheiligt. Die vier Mächte konnten ſich nicht verhehlen, daß die vollſtändige Befriedigung aller dieſer Gläubiger faſt unmöglich war; jedes franzöſiſche Cabinet, das einen ſolchen Vor- ſchlag vor die Kammern gebracht hätte, wäre dem vereinten Anſturm aller *) Miniſterialſchreiben an Kruſemark, 20. Mai; Arnims Bericht, München 10. Juni; Schölers Bericht, Petersburg 7. Febr. 1818.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 448. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/462>, abgerufen am 22.11.2024.