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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 8. Der Aachener Congreß.
cisten beunruhigte, regten ihn nicht so fieberisch auf wie der Anblick
eines bärtigen Studenten. In Heidelberg ward ihm sogar die Freude an
der schönen Landschaft, fast das einzige jugendliche Gefühl, das er sich
in seinem fröstelnden Herzen noch bewahrt hatte, ganz verdorben, denn
auf den Straßen zeigten sich "die grotesken und widerlichen Figuren, die
in schmutzigen altdeutschen Trachten, Gott und den Menschen ein ge-
rechter Gräuel, mit Büchern unter dem Arme, die falsche Weisheit ihrer
ruchlosen Professoren einholen gingen." Auch dieser Gräuel mußte jetzt
ein Ende nehmen; eine große Denkschrift über die Reform der Univer-
sitäten war bereits in Arbeit. Der Congreß bot die Mittel zur Ver-
ständigung mit dem preußischen Hofe, und dann sollte der Bundestag
die vernichtenden Schläge gegen die Demagogen führen. Unterdessen
ward das Publikum durch einen orakelhaften Artikel des Oesterreichischen
Beobachters nachdrücklich zum Vertrauen auf die Weisheit der verbün-
deten Monarchen vermahnt: "Erhaltung, nicht Auflösung oder Umsturz
wird jeden ihrer Schritte bezeichnen." --

Um den Bundestag gefügig zu stimmen nahmen Metternich und
Gentz ihren Weg über Frankfurt und fanden dort bei den bedienten-
haften kleinen Diplomaten, welche Gentz im Kreise der Eingeweihten
kurzweg als Gesindel zu bezeichnen pflegte, einen glänzenden, alle Er-
wartungen überbietenden Empfang. Seinem Kaiser meldete Metternich
triumphirend: seit seinem Erscheinen in Frankfurt habe sich "eine mora-
lische Revolution am Bundestage vollzogen; ganz unglaublich, auf welcher
moralischen Höhe der kaiserliche Hof jetzt stehe." An seine Gemahlin
schrieb er noch weit prahlerischer: "Ich bin eine Art moralischer Macht
geworden in Deutschland und Europa; ich bin nach Frankfurt gekommen
wie der Messias um die Sünder zu erlösen" -- und versicherte dann, die
zwölf Tage seiner Anwesenheit hätten genügt um am Bundestage Alles
zu erledigen, was niemals fertig zu werden schien. In Wahrheit ließ
sich der Bundestag in seinem gesunden Schlafe durchaus nicht stören;
die Gesandten trieben das beliebte Versteckenspiel mit der Einholung
neuer Instruktionen fröhlich fort, und von allen den unerledigten Ge-
schäften der Bundesversammlung wurde nur ein einziges durch Metter-
nichs Eingreifen um einen winzigen Schritt weiter gebracht, die Ver-
handlung über das Bundesheer.

Noch immer stritt man sich über die Zusammensetzung der gemisch-
ten Armeecorps, noch immer behaupteten die Mittelstaaten hartnäckig,
daß Kurhessen zu Süddeutschland gehöre, und soeben hatte Wangenheim
den Zorn der beiden Großmächte erregt durch eine Reihe bissiger
"Notamina" zur Bundeskriegsverfassung, welche den Hintergedanken der
deutschen Trias deutlich durchschimmern ließen. Als Metternich den
Württemberger ernstlich zur Rede stellte, enthüllte ihm dieser in einer
kindlich offenherzigen Antwort (16. Sept.) seine geheimsten Pläne. "Die

II. 8. Der Aachener Congreß.
ciſten beunruhigte, regten ihn nicht ſo fieberiſch auf wie der Anblick
eines bärtigen Studenten. In Heidelberg ward ihm ſogar die Freude an
der ſchönen Landſchaft, faſt das einzige jugendliche Gefühl, das er ſich
in ſeinem fröſtelnden Herzen noch bewahrt hatte, ganz verdorben, denn
auf den Straßen zeigten ſich „die grotesken und widerlichen Figuren, die
in ſchmutzigen altdeutſchen Trachten, Gott und den Menſchen ein ge-
rechter Gräuel, mit Büchern unter dem Arme, die falſche Weisheit ihrer
ruchloſen Profeſſoren einholen gingen.“ Auch dieſer Gräuel mußte jetzt
ein Ende nehmen; eine große Denkſchrift über die Reform der Univer-
ſitäten war bereits in Arbeit. Der Congreß bot die Mittel zur Ver-
ſtändigung mit dem preußiſchen Hofe, und dann ſollte der Bundestag
die vernichtenden Schläge gegen die Demagogen führen. Unterdeſſen
ward das Publikum durch einen orakelhaften Artikel des Oeſterreichiſchen
Beobachters nachdrücklich zum Vertrauen auf die Weisheit der verbün-
deten Monarchen vermahnt: „Erhaltung, nicht Auflöſung oder Umſturz
wird jeden ihrer Schritte bezeichnen.“ —

Um den Bundestag gefügig zu ſtimmen nahmen Metternich und
Gentz ihren Weg über Frankfurt und fanden dort bei den bedienten-
haften kleinen Diplomaten, welche Gentz im Kreiſe der Eingeweihten
kurzweg als Geſindel zu bezeichnen pflegte, einen glänzenden, alle Er-
wartungen überbietenden Empfang. Seinem Kaiſer meldete Metternich
triumphirend: ſeit ſeinem Erſcheinen in Frankfurt habe ſich „eine mora-
liſche Revolution am Bundestage vollzogen; ganz unglaublich, auf welcher
moraliſchen Höhe der kaiſerliche Hof jetzt ſtehe.“ An ſeine Gemahlin
ſchrieb er noch weit prahleriſcher: „Ich bin eine Art moraliſcher Macht
geworden in Deutſchland und Europa; ich bin nach Frankfurt gekommen
wie der Meſſias um die Sünder zu erlöſen“ — und verſicherte dann, die
zwölf Tage ſeiner Anweſenheit hätten genügt um am Bundestage Alles
zu erledigen, was niemals fertig zu werden ſchien. In Wahrheit ließ
ſich der Bundestag in ſeinem geſunden Schlafe durchaus nicht ſtören;
die Geſandten trieben das beliebte Verſteckenſpiel mit der Einholung
neuer Inſtruktionen fröhlich fort, und von allen den unerledigten Ge-
ſchäften der Bundesverſammlung wurde nur ein einziges durch Metter-
nichs Eingreifen um einen winzigen Schritt weiter gebracht, die Ver-
handlung über das Bundesheer.

Noch immer ſtritt man ſich über die Zuſammenſetzung der gemiſch-
ten Armeecorps, noch immer behaupteten die Mittelſtaaten hartnäckig,
daß Kurheſſen zu Süddeutſchland gehöre, und ſoeben hatte Wangenheim
den Zorn der beiden Großmächte erregt durch eine Reihe biſſiger
„Notamina“ zur Bundeskriegsverfaſſung, welche den Hintergedanken der
deutſchen Trias deutlich durchſchimmern ließen. Als Metternich den
Württemberger ernſtlich zur Rede ſtellte, enthüllte ihm dieſer in einer
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[464/0478] II. 8. Der Aachener Congreß. ciſten beunruhigte, regten ihn nicht ſo fieberiſch auf wie der Anblick eines bärtigen Studenten. In Heidelberg ward ihm ſogar die Freude an der ſchönen Landſchaft, faſt das einzige jugendliche Gefühl, das er ſich in ſeinem fröſtelnden Herzen noch bewahrt hatte, ganz verdorben, denn auf den Straßen zeigten ſich „die grotesken und widerlichen Figuren, die in ſchmutzigen altdeutſchen Trachten, Gott und den Menſchen ein ge- rechter Gräuel, mit Büchern unter dem Arme, die falſche Weisheit ihrer ruchloſen Profeſſoren einholen gingen.“ Auch dieſer Gräuel mußte jetzt ein Ende nehmen; eine große Denkſchrift über die Reform der Univer- ſitäten war bereits in Arbeit. Der Congreß bot die Mittel zur Ver- ſtändigung mit dem preußiſchen Hofe, und dann ſollte der Bundestag die vernichtenden Schläge gegen die Demagogen führen. Unterdeſſen ward das Publikum durch einen orakelhaften Artikel des Oeſterreichiſchen Beobachters nachdrücklich zum Vertrauen auf die Weisheit der verbün- deten Monarchen vermahnt: „Erhaltung, nicht Auflöſung oder Umſturz wird jeden ihrer Schritte bezeichnen.“ — Um den Bundestag gefügig zu ſtimmen nahmen Metternich und Gentz ihren Weg über Frankfurt und fanden dort bei den bedienten- haften kleinen Diplomaten, welche Gentz im Kreiſe der Eingeweihten kurzweg als Geſindel zu bezeichnen pflegte, einen glänzenden, alle Er- wartungen überbietenden Empfang. Seinem Kaiſer meldete Metternich triumphirend: ſeit ſeinem Erſcheinen in Frankfurt habe ſich „eine mora- liſche Revolution am Bundestage vollzogen; ganz unglaublich, auf welcher moraliſchen Höhe der kaiſerliche Hof jetzt ſtehe.“ An ſeine Gemahlin ſchrieb er noch weit prahleriſcher: „Ich bin eine Art moraliſcher Macht geworden in Deutſchland und Europa; ich bin nach Frankfurt gekommen wie der Meſſias um die Sünder zu erlöſen“ — und verſicherte dann, die zwölf Tage ſeiner Anweſenheit hätten genügt um am Bundestage Alles zu erledigen, was niemals fertig zu werden ſchien. In Wahrheit ließ ſich der Bundestag in ſeinem geſunden Schlafe durchaus nicht ſtören; die Geſandten trieben das beliebte Verſteckenſpiel mit der Einholung neuer Inſtruktionen fröhlich fort, und von allen den unerledigten Ge- ſchäften der Bundesverſammlung wurde nur ein einziges durch Metter- nichs Eingreifen um einen winzigen Schritt weiter gebracht, die Ver- handlung über das Bundesheer. Noch immer ſtritt man ſich über die Zuſammenſetzung der gemiſch- ten Armeecorps, noch immer behaupteten die Mittelſtaaten hartnäckig, daß Kurheſſen zu Süddeutſchland gehöre, und ſoeben hatte Wangenheim den Zorn der beiden Großmächte erregt durch eine Reihe biſſiger „Notamina“ zur Bundeskriegsverfaſſung, welche den Hintergedanken der deutſchen Trias deutlich durchſchimmern ließen. Als Metternich den Württemberger ernſtlich zur Rede ſtellte, enthüllte ihm dieſer in einer kindlich offenherzigen Antwort (16. Sept.) ſeine geheimſten Pläne. „Die

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 464. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/478>, abgerufen am 22.11.2024.