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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Metternich gegen das preußische Zollgesetz.
Zollgesetz veranlaßt hatten, entzogen sich dem Urtheil des österreichischen
Staatsmannes gänzlich; seine Unwissenheit in allen nationalökonomischen
Dingen war wahrhaft staunenswerth, und er fühlte diesen Mangel nie-
mals, da nach der alten Tradition der Hofburg solche schlicht bürgerliche
Geschäfte tief unter der Würde eines österreichischen Cavaliers standen.
Selbst Gentz, vor Jahren ein tiefer Kenner des Finanzwesens, hatte zu
Wien, im Verlaufe einer einseitig diplomatischen Thätigkeit, das sichere
Verständniß staatswirthschaftlicher Fragen nach und nach verloren. Wie
er während der napoleonischen Tage heillose Sophismen über die Staats-
schuld Großbritanniens in die Welt hinaussandte, weil die englische Allianz
dem österreichischen Interesse entsprach, so schrieb er jetzt ebenso verkehrte
Aufsätze über die blühenden Finanzen Oesterreichs. Da Oesterreich an
einem deutschen Zollvereine nicht theilnehmen konnte, so verdammte er
alle dahin zielenden Pläne als Hirngespinste, als kindische Versuche, "den
Mond in eine Sonne zu verwandeln". Von der nationalen Bedeutung
des preußischen Zollgesetzes ahnte man in der Hofburg gar nichts. Aber
Metternich fürchtete Alles, was die Staatseinheit Preußens fördern konnte
und witterte revolutionäre Absichten hinter einer Reform, die von den
verdächtigen Berliner Geheimen Räthen ausging. Auch hielt er sein
Oesterreich wirklich für einen Musterstaat; dies lockere Nebeneinander halb-
selbständiger Kronländer und die Kirchhofsruhe, die über diesem Chaos
lag, entsprachen seinen Neigungen, und es that ihm wohl zu vernehmen,
wie lebhaft damals das patriarchalische Glück der Völker Oesterreichs an
den meisten Höfen beneidet wurde. Die k. k. Provinzalmauthen, welche
die Kronländer der Monarchie von einander absperrten, bewunderte er
um so aufrichtiger, da er von der Einrichtung dieser weisen Anstalten
nicht die mindeste Kenntniß besaß. Daher warnte er den Grafen Bern-
storff väterlich vor den Wirren, welche die Zollreform hervorrufen werde.
Er erinnerte ihn an Josephs II. verfehlte Centralisationsversuche, schilderte
beredt die Vorzüge der österreichischen Binnenmauthen und meinte ge-
müthlich, auch für Preußen würden Provinzialzölle am heilsamsten sein;
so bleibe der Staat bewahrt vor lästigen Verhandlungen mit den Nach-
barstaaten.*) Aber Bernstorff und Hardenberg wiesen alle solche Zumu-
thungen nachdrücklich zurück.

Auch Metternichs wiederholte freundliche Warnungen vor der Durch-
führung des Verfassungswerks fielen bei dem Staatskanzler auf unfrucht-
baren Boden. Der Oesterreicher merkte bald, daß Hardenberg seine constitu-
tionellen Pläne in vollem Ernste betrieb. Um so eifriger suchte er sich die

*) Als Metternich im Jahre 1828, nach dem Abschluß des preußisch-hessischen Zoll-
vereins, dem Gesandten v. Maltzahn diese Ansichten vortrug, bemerkte Graf Bernstorff
dazu: genau die nämlichen Rathschläge habe ihm der österreichische Kanzler schon auf dem
Aachener Congresse gegeben. (Maltzahns Bericht, Wien 14. April 1828.)

Metternich gegen das preußiſche Zollgeſetz.
Zollgeſetz veranlaßt hatten, entzogen ſich dem Urtheil des öſterreichiſchen
Staatsmannes gänzlich; ſeine Unwiſſenheit in allen nationalökonomiſchen
Dingen war wahrhaft ſtaunenswerth, und er fühlte dieſen Mangel nie-
mals, da nach der alten Tradition der Hofburg ſolche ſchlicht bürgerliche
Geſchäfte tief unter der Würde eines öſterreichiſchen Cavaliers ſtanden.
Selbſt Gentz, vor Jahren ein tiefer Kenner des Finanzweſens, hatte zu
Wien, im Verlaufe einer einſeitig diplomatiſchen Thätigkeit, das ſichere
Verſtändniß ſtaatswirthſchaftlicher Fragen nach und nach verloren. Wie
er während der napoleoniſchen Tage heilloſe Sophismen über die Staats-
ſchuld Großbritanniens in die Welt hinausſandte, weil die engliſche Allianz
dem öſterreichiſchen Intereſſe entſprach, ſo ſchrieb er jetzt ebenſo verkehrte
Aufſätze über die blühenden Finanzen Oeſterreichs. Da Oeſterreich an
einem deutſchen Zollvereine nicht theilnehmen konnte, ſo verdammte er
alle dahin zielenden Pläne als Hirngeſpinſte, als kindiſche Verſuche, „den
Mond in eine Sonne zu verwandeln“. Von der nationalen Bedeutung
des preußiſchen Zollgeſetzes ahnte man in der Hofburg gar nichts. Aber
Metternich fürchtete Alles, was die Staatseinheit Preußens fördern konnte
und witterte revolutionäre Abſichten hinter einer Reform, die von den
verdächtigen Berliner Geheimen Räthen ausging. Auch hielt er ſein
Oeſterreich wirklich für einen Muſterſtaat; dies lockere Nebeneinander halb-
ſelbſtändiger Kronländer und die Kirchhofsruhe, die über dieſem Chaos
lag, entſprachen ſeinen Neigungen, und es that ihm wohl zu vernehmen,
wie lebhaft damals das patriarchaliſche Glück der Völker Oeſterreichs an
den meiſten Höfen beneidet wurde. Die k. k. Provinzalmauthen, welche
die Kronländer der Monarchie von einander abſperrten, bewunderte er
um ſo aufrichtiger, da er von der Einrichtung dieſer weiſen Anſtalten
nicht die mindeſte Kenntniß beſaß. Daher warnte er den Grafen Bern-
ſtorff väterlich vor den Wirren, welche die Zollreform hervorrufen werde.
Er erinnerte ihn an Joſephs II. verfehlte Centraliſationsverſuche, ſchilderte
beredt die Vorzüge der öſterreichiſchen Binnenmauthen und meinte ge-
müthlich, auch für Preußen würden Provinzialzölle am heilſamſten ſein;
ſo bleibe der Staat bewahrt vor läſtigen Verhandlungen mit den Nach-
barſtaaten.*) Aber Bernſtorff und Hardenberg wieſen alle ſolche Zumu-
thungen nachdrücklich zurück.

Auch Metternichs wiederholte freundliche Warnungen vor der Durch-
führung des Verfaſſungswerks fielen bei dem Staatskanzler auf unfrucht-
baren Boden. Der Oeſterreicher merkte bald, daß Hardenberg ſeine conſtitu-
tionellen Pläne in vollem Ernſte betrieb. Um ſo eifriger ſuchte er ſich die

*) Als Metternich im Jahre 1828, nach dem Abſchluß des preußiſch-heſſiſchen Zoll-
vereins, dem Geſandten v. Maltzahn dieſe Anſichten vortrug, bemerkte Graf Bernſtorff
dazu: genau die nämlichen Rathſchläge habe ihm der öſterreichiſche Kanzler ſchon auf dem
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[487/0501] Metternich gegen das preußiſche Zollgeſetz. Zollgeſetz veranlaßt hatten, entzogen ſich dem Urtheil des öſterreichiſchen Staatsmannes gänzlich; ſeine Unwiſſenheit in allen nationalökonomiſchen Dingen war wahrhaft ſtaunenswerth, und er fühlte dieſen Mangel nie- mals, da nach der alten Tradition der Hofburg ſolche ſchlicht bürgerliche Geſchäfte tief unter der Würde eines öſterreichiſchen Cavaliers ſtanden. Selbſt Gentz, vor Jahren ein tiefer Kenner des Finanzweſens, hatte zu Wien, im Verlaufe einer einſeitig diplomatiſchen Thätigkeit, das ſichere Verſtändniß ſtaatswirthſchaftlicher Fragen nach und nach verloren. Wie er während der napoleoniſchen Tage heilloſe Sophismen über die Staats- ſchuld Großbritanniens in die Welt hinausſandte, weil die engliſche Allianz dem öſterreichiſchen Intereſſe entſprach, ſo ſchrieb er jetzt ebenſo verkehrte Aufſätze über die blühenden Finanzen Oeſterreichs. Da Oeſterreich an einem deutſchen Zollvereine nicht theilnehmen konnte, ſo verdammte er alle dahin zielenden Pläne als Hirngeſpinſte, als kindiſche Verſuche, „den Mond in eine Sonne zu verwandeln“. Von der nationalen Bedeutung des preußiſchen Zollgeſetzes ahnte man in der Hofburg gar nichts. Aber Metternich fürchtete Alles, was die Staatseinheit Preußens fördern konnte und witterte revolutionäre Abſichten hinter einer Reform, die von den verdächtigen Berliner Geheimen Räthen ausging. Auch hielt er ſein Oeſterreich wirklich für einen Muſterſtaat; dies lockere Nebeneinander halb- ſelbſtändiger Kronländer und die Kirchhofsruhe, die über dieſem Chaos lag, entſprachen ſeinen Neigungen, und es that ihm wohl zu vernehmen, wie lebhaft damals das patriarchaliſche Glück der Völker Oeſterreichs an den meiſten Höfen beneidet wurde. Die k. k. Provinzalmauthen, welche die Kronländer der Monarchie von einander abſperrten, bewunderte er um ſo aufrichtiger, da er von der Einrichtung dieſer weiſen Anſtalten nicht die mindeſte Kenntniß beſaß. Daher warnte er den Grafen Bern- ſtorff väterlich vor den Wirren, welche die Zollreform hervorrufen werde. Er erinnerte ihn an Joſephs II. verfehlte Centraliſationsverſuche, ſchilderte beredt die Vorzüge der öſterreichiſchen Binnenmauthen und meinte ge- müthlich, auch für Preußen würden Provinzialzölle am heilſamſten ſein; ſo bleibe der Staat bewahrt vor läſtigen Verhandlungen mit den Nach- barſtaaten. *) Aber Bernſtorff und Hardenberg wieſen alle ſolche Zumu- thungen nachdrücklich zurück. Auch Metternichs wiederholte freundliche Warnungen vor der Durch- führung des Verfaſſungswerks fielen bei dem Staatskanzler auf unfrucht- baren Boden. Der Oeſterreicher merkte bald, daß Hardenberg ſeine conſtitu- tionellen Pläne in vollem Ernſte betrieb. Um ſo eifriger ſuchte er ſich die *) Als Metternich im Jahre 1828, nach dem Abſchluß des preußiſch-heſſiſchen Zoll- vereins, dem Geſandten v. Maltzahn dieſe Anſichten vortrug, bemerkte Graf Bernſtorff dazu: genau die nämlichen Rathſchläge habe ihm der öſterreichiſche Kanzler ſchon auf dem Aachener Congreſſe gegeben. (Maltzahns Bericht, Wien 14. April 1828.)

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 487. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/501>, abgerufen am 22.11.2024.