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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 9. Die Karlsbader Beschlüsse.
katholischen Gesinnung in den Augen des Kaisers hochverdächtig erscheinen
ließ. Der politische Zweck der Reise wurde scheinbar erreicht. Kaiser
Franz sah sich überall von der höfischen Welt als der Protector Italiens
begrüßt, wohnte im Vatikan als Gast des Papstes, der den Beherrscher
der ersten katholischen Macht mit Ehrenbezeigungen überschüttete und den
Erzherzog Rudolf mit dem Cardinalspurpur schmückte. Dies genügte,
um Metternichs Urtheil zu bestimmen; warum hätte er sich auch über
die römischen Verhältnisse bei dem preußischen Gesandten Niebuhr unter-
richten sollen, der trotz seinen conservativen Neigungen, trotz seiner Ach-
tung für die Milde des Papstes und die Klugheit des Cardinals Con-
salvi rasch zu der Einsicht gelangt war, daß die ewige Stadt unter Na-
poleon sich weit glücklicher befunden hatte, als unter der wiederhergestellten
Priesterherrschaft? Der österreichische Staatsmann fand die Zustände im
Kirchenstaate ganz vortrefflich, die neapolitanischen Lazzaroni unter dem
Segen der Bourbonenherrschaft "hundertmal civilisirter als vor zwanzig
Jahren". Daß die schreienden aber muthlosen Italiener jemals eine Schild-
erhebung wagen könnten, erklärte er für ganz unmöglich -- kaum ein
Jahr bevor die Revolution in Neapel und Piemont zugleich ausbrach.

Die nämliche Sicherheit staatsmännischen Blickes bewährte er bei
der Beurtheilung der deutschen Dinge. Dies ermüdete Volk schien ihm
längst überreif zur Revolution; "ich stehe dafür, schrieb er seiner Ge-
mahlin, die Welt befand sich im Jahre 1789 in voller Gesundheit, ver-
glichen mit ihrem heutigen Zustande!" Schon nach dem Wartburgfeste
hatte er mit den süddeutschen Gesandten mehrfach die Frage erwogen,
ob man nicht in Wien ein gemeinsames "Foyer" zur Beobachtung der
deutschen Revolution errichten solle. Jetzt kam ein Hilferuf nach dem an-
deren von den kleinen Höfen; alle klagten ihre eigene Sorglosigkeit an
und bewunderten den durchbohrenden Scharfblick des großen Staatsmannes,
der allein die ruchlosen Absichten der Burschen von vornherein durch-
schaut hatte. Wie hätte der eitelste der Menschen sich jetzt vor wahn-
sinniger Selbstberäucherung bewahren sollen? Seit der einzige Riese des
achtzehnten Jahrhunderts dahingegangen war -- er meinte wohl Fried-
rich II. -- fand Metternich das Menschengeschlecht bis zur Erbärmlich-
keit klein. "Mein Geist, so gestand er, begreift nichts Enges; ich beherr-
sche ein unendlich weiteres Gebiet, als die anderen Staatsmänner sehen
oder sehen wollen. Ich kann mich nicht enthalten, mir zwanzigmal am
Tage zu sagen: guter Gott, wie sehr habe ich recht, und wie sehr haben
sie unrecht! Und wie leicht ist es doch, dies so klare, so einfache, so
natürliche Rechte zu finden!" So trat der idealistischen Anmaßung der
deutschen Jugend der kalte Dünkel eines Weltmannes entgegen, der nie-
mals für eine Idee sich erwärmt, niemals über eines der großen Cultur-
interessen der Menschheit nachgedacht hatte, der die gemeinste der mensch-
lichen Leidenschaften, die Angst als seinen natürlichen Bundesgenossen

II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe.
katholiſchen Geſinnung in den Augen des Kaiſers hochverdächtig erſcheinen
ließ. Der politiſche Zweck der Reiſe wurde ſcheinbar erreicht. Kaiſer
Franz ſah ſich überall von der höfiſchen Welt als der Protector Italiens
begrüßt, wohnte im Vatikan als Gaſt des Papſtes, der den Beherrſcher
der erſten katholiſchen Macht mit Ehrenbezeigungen überſchüttete und den
Erzherzog Rudolf mit dem Cardinalspurpur ſchmückte. Dies genügte,
um Metternichs Urtheil zu beſtimmen; warum hätte er ſich auch über
die römiſchen Verhältniſſe bei dem preußiſchen Geſandten Niebuhr unter-
richten ſollen, der trotz ſeinen conſervativen Neigungen, trotz ſeiner Ach-
tung für die Milde des Papſtes und die Klugheit des Cardinals Con-
ſalvi raſch zu der Einſicht gelangt war, daß die ewige Stadt unter Na-
poleon ſich weit glücklicher befunden hatte, als unter der wiederhergeſtellten
Prieſterherrſchaft? Der öſterreichiſche Staatsmann fand die Zuſtände im
Kirchenſtaate ganz vortrefflich, die neapolitaniſchen Lazzaroni unter dem
Segen der Bourbonenherrſchaft „hundertmal civiliſirter als vor zwanzig
Jahren“. Daß die ſchreienden aber muthloſen Italiener jemals eine Schild-
erhebung wagen könnten, erklärte er für ganz unmöglich — kaum ein
Jahr bevor die Revolution in Neapel und Piemont zugleich ausbrach.

Die nämliche Sicherheit ſtaatsmänniſchen Blickes bewährte er bei
der Beurtheilung der deutſchen Dinge. Dies ermüdete Volk ſchien ihm
längſt überreif zur Revolution; „ich ſtehe dafür, ſchrieb er ſeiner Ge-
mahlin, die Welt befand ſich im Jahre 1789 in voller Geſundheit, ver-
glichen mit ihrem heutigen Zuſtande!“ Schon nach dem Wartburgfeſte
hatte er mit den ſüddeutſchen Geſandten mehrfach die Frage erwogen,
ob man nicht in Wien ein gemeinſames „Foyer“ zur Beobachtung der
deutſchen Revolution errichten ſolle. Jetzt kam ein Hilferuf nach dem an-
deren von den kleinen Höfen; alle klagten ihre eigene Sorgloſigkeit an
und bewunderten den durchbohrenden Scharfblick des großen Staatsmannes,
der allein die ruchloſen Abſichten der Burſchen von vornherein durch-
ſchaut hatte. Wie hätte der eitelſte der Menſchen ſich jetzt vor wahn-
ſinniger Selbſtberäucherung bewahren ſollen? Seit der einzige Rieſe des
achtzehnten Jahrhunderts dahingegangen war — er meinte wohl Fried-
rich II. — fand Metternich das Menſchengeſchlecht bis zur Erbärmlich-
keit klein. „Mein Geiſt, ſo geſtand er, begreift nichts Enges; ich beherr-
ſche ein unendlich weiteres Gebiet, als die anderen Staatsmänner ſehen
oder ſehen wollen. Ich kann mich nicht enthalten, mir zwanzigmal am
Tage zu ſagen: guter Gott, wie ſehr habe ich recht, und wie ſehr haben
ſie unrecht! Und wie leicht iſt es doch, dies ſo klare, ſo einfache, ſo
natürliche Rechte zu finden!“ So trat der idealiſtiſchen Anmaßung der
deutſchen Jugend der kalte Dünkel eines Weltmannes entgegen, der nie-
mals für eine Idee ſich erwärmt, niemals über eines der großen Cultur-
intereſſen der Menſchheit nachgedacht hatte, der die gemeinſte der menſch-
lichen Leidenſchaften, die Angſt als ſeinen natürlichen Bundesgenoſſen

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[532/0546] II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe. katholiſchen Geſinnung in den Augen des Kaiſers hochverdächtig erſcheinen ließ. Der politiſche Zweck der Reiſe wurde ſcheinbar erreicht. Kaiſer Franz ſah ſich überall von der höfiſchen Welt als der Protector Italiens begrüßt, wohnte im Vatikan als Gaſt des Papſtes, der den Beherrſcher der erſten katholiſchen Macht mit Ehrenbezeigungen überſchüttete und den Erzherzog Rudolf mit dem Cardinalspurpur ſchmückte. Dies genügte, um Metternichs Urtheil zu beſtimmen; warum hätte er ſich auch über die römiſchen Verhältniſſe bei dem preußiſchen Geſandten Niebuhr unter- richten ſollen, der trotz ſeinen conſervativen Neigungen, trotz ſeiner Ach- tung für die Milde des Papſtes und die Klugheit des Cardinals Con- ſalvi raſch zu der Einſicht gelangt war, daß die ewige Stadt unter Na- poleon ſich weit glücklicher befunden hatte, als unter der wiederhergeſtellten Prieſterherrſchaft? Der öſterreichiſche Staatsmann fand die Zuſtände im Kirchenſtaate ganz vortrefflich, die neapolitaniſchen Lazzaroni unter dem Segen der Bourbonenherrſchaft „hundertmal civiliſirter als vor zwanzig Jahren“. Daß die ſchreienden aber muthloſen Italiener jemals eine Schild- erhebung wagen könnten, erklärte er für ganz unmöglich — kaum ein Jahr bevor die Revolution in Neapel und Piemont zugleich ausbrach. Die nämliche Sicherheit ſtaatsmänniſchen Blickes bewährte er bei der Beurtheilung der deutſchen Dinge. Dies ermüdete Volk ſchien ihm längſt überreif zur Revolution; „ich ſtehe dafür, ſchrieb er ſeiner Ge- mahlin, die Welt befand ſich im Jahre 1789 in voller Geſundheit, ver- glichen mit ihrem heutigen Zuſtande!“ Schon nach dem Wartburgfeſte hatte er mit den ſüddeutſchen Geſandten mehrfach die Frage erwogen, ob man nicht in Wien ein gemeinſames „Foyer“ zur Beobachtung der deutſchen Revolution errichten ſolle. Jetzt kam ein Hilferuf nach dem an- deren von den kleinen Höfen; alle klagten ihre eigene Sorgloſigkeit an und bewunderten den durchbohrenden Scharfblick des großen Staatsmannes, der allein die ruchloſen Abſichten der Burſchen von vornherein durch- ſchaut hatte. Wie hätte der eitelſte der Menſchen ſich jetzt vor wahn- ſinniger Selbſtberäucherung bewahren ſollen? Seit der einzige Rieſe des achtzehnten Jahrhunderts dahingegangen war — er meinte wohl Fried- rich II. — fand Metternich das Menſchengeſchlecht bis zur Erbärmlich- keit klein. „Mein Geiſt, ſo geſtand er, begreift nichts Enges; ich beherr- ſche ein unendlich weiteres Gebiet, als die anderen Staatsmänner ſehen oder ſehen wollen. Ich kann mich nicht enthalten, mir zwanzigmal am Tage zu ſagen: guter Gott, wie ſehr habe ich recht, und wie ſehr haben ſie unrecht! Und wie leicht iſt es doch, dies ſo klare, ſo einfache, ſo natürliche Rechte zu finden!“ So trat der idealiſtiſchen Anmaßung der deutſchen Jugend der kalte Dünkel eines Weltmannes entgegen, der nie- mals für eine Idee ſich erwärmt, niemals über eines der großen Cultur- intereſſen der Menſchheit nachgedacht hatte, der die gemeinſte der menſch- lichen Leidenſchaften, die Angſt als ſeinen natürlichen Bundesgenoſſen

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 532. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/546>, abgerufen am 22.11.2024.