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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Metternich in Italien.
betrachtete und mitten in den Thorheiten polizeilicher Verfolgungssucht
sich noch einbildete, ein weiser Vertreter staatsmännischer Mäßigung zu
sein: "die heilige Mittellinie, auf der die Wahrheit steht, ist nur Wenigen
vorbehalten."

Ohne nach Beweisen auch nur zu fragen, hielt er für ausgemacht,
daß die "Jenenser Vehme" ihre Mordgesellen nach dem Loose über Deutsch-
land aussende; gegen eine so furchtbare Verschwörung reichte die Macht
der einzelnen deutschen Staaten nicht aus. Darum gab Metternich eine
ausweichende Antwort, als König Max Joseph auch den Wiener, wie den
Berliner Hof wegen der Aufhebung der bairischen Verfassung befragte.
Durch das gemeinsame Handeln aller Bundesstaaten, unter Oesterreichs
Führung sollten die Presse, die Universitäten, die Kammern geknebelt
werden; "mit Gottes Hilfe hoffe ich die deutsche Revolution zu schlagen,
ganz so wie ich den Eroberer der Welt besiegt habe!" An seinem Mon-
archen fand er einen festen Rückhalt. Kaiser Franz wollte, wie immer,
Ruhe haben; nimmermehr durfte das Stillleben seiner Presse, seiner
Postulatenlandtage und jener Schulen, die man im alten Oesterreich
Universitäten nannte, durch die Tollheiten der deutschen Nachbarn gestört
werden. Er billigte aus ganzer Seele die Theorie seines Ministers, daß
jeder Bundesfürst "Felonie gegen den Bund" begehe, wenn er der Presse
Freiheiten gestatte, die bei der Gemeinsamkeit der Sprache auch das deutsche
Oesterreich anstecken konnten. Mit cynischer Offenheit sprach er aus,
daß man die Furcht dieser schwachen Regierungen benutzen müsse, und
bevollmächtigte seine Staatsmänner, nöthigenfalls mit dem Austritt Oester-
reichs aus dem Bunde zu drohen.

Preußen war endlich gewonnen. Auf die alten Freunde, die Hoch-
torys von England-Hannover, durfte man sich verlassen, da Graf Münster
zu den festen Stützen der reaktionären Politik zählte und das englische
Parlament sich um Deutschlands innere Angelegenheiten selten bekümmerte.
Auch von Rußland stand kein Widerspruch zu befürchten. Zwar Kapo-
distrias, der gerade in einem italienischen Bade verweilte, erschien den
Oesterreichern noch immer hochverdächtig, er hatte soeben eine Einladung
Metternichs ausgeschlagen, weil er peinliche Auseinandersetzungen ver-
meiden wollte. Aber die Ansichten des Griechen galten in jenem Augen-
blicke am Petersburger Hofe wenig neben den Rathschlägen Nesselrodes,
der immer mit Metternich übereinstimmte und den deutschen Gesandten
beharrlich wiederholte: unbegreiflich, daß eine so geistvolle Nation die ge-
fährliche Ausnahmestellung ihrer Universitäten fortbestehen lasse! Um ein
Uebriges zu thun, schrieb Kaiser Franz persönlich an den Czaren, sprach
ihm wegen der Ermordung Kotzebues sein Beileid aus, und beschwerte
sich zugleich über den Erzieher Alexanders, Laharpe, weil dieser in Italien
den Namen seines kaiserlichen Zöglings mißbrauche, die römischen Unzu-
friedenen im Namen Rußlands aufstachele. Dieser kaiserlichen Denun-

Metternich in Italien.
betrachtete und mitten in den Thorheiten polizeilicher Verfolgungsſucht
ſich noch einbildete, ein weiſer Vertreter ſtaatsmänniſcher Mäßigung zu
ſein: „die heilige Mittellinie, auf der die Wahrheit ſteht, iſt nur Wenigen
vorbehalten.“

Ohne nach Beweiſen auch nur zu fragen, hielt er für ausgemacht,
daß die „Jenenſer Vehme“ ihre Mordgeſellen nach dem Looſe über Deutſch-
land ausſende; gegen eine ſo furchtbare Verſchwörung reichte die Macht
der einzelnen deutſchen Staaten nicht aus. Darum gab Metternich eine
ausweichende Antwort, als König Max Joſeph auch den Wiener, wie den
Berliner Hof wegen der Aufhebung der bairiſchen Verfaſſung befragte.
Durch das gemeinſame Handeln aller Bundesſtaaten, unter Oeſterreichs
Führung ſollten die Preſſe, die Univerſitäten, die Kammern geknebelt
werden; „mit Gottes Hilfe hoffe ich die deutſche Revolution zu ſchlagen,
ganz ſo wie ich den Eroberer der Welt beſiegt habe!“ An ſeinem Mon-
archen fand er einen feſten Rückhalt. Kaiſer Franz wollte, wie immer,
Ruhe haben; nimmermehr durfte das Stillleben ſeiner Preſſe, ſeiner
Poſtulatenlandtage und jener Schulen, die man im alten Oeſterreich
Univerſitäten nannte, durch die Tollheiten der deutſchen Nachbarn geſtört
werden. Er billigte aus ganzer Seele die Theorie ſeines Miniſters, daß
jeder Bundesfürſt „Felonie gegen den Bund“ begehe, wenn er der Preſſe
Freiheiten geſtatte, die bei der Gemeinſamkeit der Sprache auch das deutſche
Oeſterreich anſtecken konnten. Mit cyniſcher Offenheit ſprach er aus,
daß man die Furcht dieſer ſchwachen Regierungen benutzen müſſe, und
bevollmächtigte ſeine Staatsmänner, nöthigenfalls mit dem Austritt Oeſter-
reichs aus dem Bunde zu drohen.

Preußen war endlich gewonnen. Auf die alten Freunde, die Hoch-
torys von England-Hannover, durfte man ſich verlaſſen, da Graf Münſter
zu den feſten Stützen der reaktionären Politik zählte und das engliſche
Parlament ſich um Deutſchlands innere Angelegenheiten ſelten bekümmerte.
Auch von Rußland ſtand kein Widerſpruch zu befürchten. Zwar Kapo-
diſtrias, der gerade in einem italieniſchen Bade verweilte, erſchien den
Oeſterreichern noch immer hochverdächtig, er hatte ſoeben eine Einladung
Metternichs ausgeſchlagen, weil er peinliche Auseinanderſetzungen ver-
meiden wollte. Aber die Anſichten des Griechen galten in jenem Augen-
blicke am Petersburger Hofe wenig neben den Rathſchlägen Neſſelrodes,
der immer mit Metternich übereinſtimmte und den deutſchen Geſandten
beharrlich wiederholte: unbegreiflich, daß eine ſo geiſtvolle Nation die ge-
fährliche Ausnahmeſtellung ihrer Univerſitäten fortbeſtehen laſſe! Um ein
Uebriges zu thun, ſchrieb Kaiſer Franz perſönlich an den Czaren, ſprach
ihm wegen der Ermordung Kotzebues ſein Beileid aus, und beſchwerte
ſich zugleich über den Erzieher Alexanders, Laharpe, weil dieſer in Italien
den Namen ſeines kaiſerlichen Zöglings mißbrauche, die römiſchen Unzu-
friedenen im Namen Rußlands aufſtachele. Dieſer kaiſerlichen Denun-

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[533/0547] Metternich in Italien. betrachtete und mitten in den Thorheiten polizeilicher Verfolgungsſucht ſich noch einbildete, ein weiſer Vertreter ſtaatsmänniſcher Mäßigung zu ſein: „die heilige Mittellinie, auf der die Wahrheit ſteht, iſt nur Wenigen vorbehalten.“ Ohne nach Beweiſen auch nur zu fragen, hielt er für ausgemacht, daß die „Jenenſer Vehme“ ihre Mordgeſellen nach dem Looſe über Deutſch- land ausſende; gegen eine ſo furchtbare Verſchwörung reichte die Macht der einzelnen deutſchen Staaten nicht aus. Darum gab Metternich eine ausweichende Antwort, als König Max Joſeph auch den Wiener, wie den Berliner Hof wegen der Aufhebung der bairiſchen Verfaſſung befragte. Durch das gemeinſame Handeln aller Bundesſtaaten, unter Oeſterreichs Führung ſollten die Preſſe, die Univerſitäten, die Kammern geknebelt werden; „mit Gottes Hilfe hoffe ich die deutſche Revolution zu ſchlagen, ganz ſo wie ich den Eroberer der Welt beſiegt habe!“ An ſeinem Mon- archen fand er einen feſten Rückhalt. Kaiſer Franz wollte, wie immer, Ruhe haben; nimmermehr durfte das Stillleben ſeiner Preſſe, ſeiner Poſtulatenlandtage und jener Schulen, die man im alten Oeſterreich Univerſitäten nannte, durch die Tollheiten der deutſchen Nachbarn geſtört werden. Er billigte aus ganzer Seele die Theorie ſeines Miniſters, daß jeder Bundesfürſt „Felonie gegen den Bund“ begehe, wenn er der Preſſe Freiheiten geſtatte, die bei der Gemeinſamkeit der Sprache auch das deutſche Oeſterreich anſtecken konnten. Mit cyniſcher Offenheit ſprach er aus, daß man die Furcht dieſer ſchwachen Regierungen benutzen müſſe, und bevollmächtigte ſeine Staatsmänner, nöthigenfalls mit dem Austritt Oeſter- reichs aus dem Bunde zu drohen. Preußen war endlich gewonnen. Auf die alten Freunde, die Hoch- torys von England-Hannover, durfte man ſich verlaſſen, da Graf Münſter zu den feſten Stützen der reaktionären Politik zählte und das engliſche Parlament ſich um Deutſchlands innere Angelegenheiten ſelten bekümmerte. Auch von Rußland ſtand kein Widerſpruch zu befürchten. Zwar Kapo- diſtrias, der gerade in einem italieniſchen Bade verweilte, erſchien den Oeſterreichern noch immer hochverdächtig, er hatte ſoeben eine Einladung Metternichs ausgeſchlagen, weil er peinliche Auseinanderſetzungen ver- meiden wollte. Aber die Anſichten des Griechen galten in jenem Augen- blicke am Petersburger Hofe wenig neben den Rathſchlägen Neſſelrodes, der immer mit Metternich übereinſtimmte und den deutſchen Geſandten beharrlich wiederholte: unbegreiflich, daß eine ſo geiſtvolle Nation die ge- fährliche Ausnahmeſtellung ihrer Univerſitäten fortbeſtehen laſſe! Um ein Uebriges zu thun, ſchrieb Kaiſer Franz perſönlich an den Czaren, ſprach ihm wegen der Ermordung Kotzebues ſein Beileid aus, und beſchwerte ſich zugleich über den Erzieher Alexanders, Laharpe, weil dieſer in Italien den Namen ſeines kaiſerlichen Zöglings mißbrauche, die römiſchen Unzu- friedenen im Namen Rußlands aufſtachele. Dieſer kaiſerlichen Denun-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 533. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/547>, abgerufen am 22.11.2024.