Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.II. 9. Die Karlsbader Beschlüsse. prinzen von Preußen, der hier endlich eine meisterhafte Formulirung seinereigenen Ideen fand, und bildete späterhin, als sie auch weiteren Kreisen bekannt wurde, lange Zeit hindurch das große Arsenal, aus dem sich die altständische Partei in Preußen ihre Waffen holte. In jenem Augenblicke aber war sie ein schwerer politischer Fehler, nachtheilig für Metternichs eigene Pläne. Die Vertreter von Baiern und Baden wetteiferten mit dem Grafen Münster in scharfen Anklagen wider den Uebermuth der Kammern. Wintzingerode empfahl dringend, durch ein Bundesgesetz das Wahlrecht auf die ansehnlichen Grundbesitzer zu beschränken und vornehmlich die Oeffentlichkeit der Landtagsverhandlungen zu unter- sagen, diese ausländische Erfindung, die von allen Staatsmännern in Karlsbad einstimmig als schlechthin demagogisch gebrandmarkt wurde; er beantragte dies, sicherlich nicht ohne Ermächtigung, in demselben Augen- blicke, da sein König dem Landtage in Ludwigsburg die Oeffentlichkeit und ein wenig beschränktes Wahlrecht anbieten ließ. Bei solcher Gesin- nung der süddeutschen Höfe ließ sich ein Bundesgesetz, das die Rechte der Landtage zu Gunsten der Kronen beschränkte, unfehlbar durchsetzen, wenn Oesterreich klug verfuhr. Statt dessen verlangte Metternich die Rückkehr zu den alten Land- II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe. prinzen von Preußen, der hier endlich eine meiſterhafte Formulirung ſeinereigenen Ideen fand, und bildete ſpäterhin, als ſie auch weiteren Kreiſen bekannt wurde, lange Zeit hindurch das große Arſenal, aus dem ſich die altſtändiſche Partei in Preußen ihre Waffen holte. In jenem Augenblicke aber war ſie ein ſchwerer politiſcher Fehler, nachtheilig für Metternichs eigene Pläne. Die Vertreter von Baiern und Baden wetteiferten mit dem Grafen Münſter in ſcharfen Anklagen wider den Uebermuth der Kammern. Wintzingerode empfahl dringend, durch ein Bundesgeſetz das Wahlrecht auf die anſehnlichen Grundbeſitzer zu beſchränken und vornehmlich die Oeffentlichkeit der Landtagsverhandlungen zu unter- ſagen, dieſe ausländiſche Erfindung, die von allen Staatsmännern in Karlsbad einſtimmig als ſchlechthin demagogiſch gebrandmarkt wurde; er beantragte dies, ſicherlich nicht ohne Ermächtigung, in demſelben Augen- blicke, da ſein König dem Landtage in Ludwigsburg die Oeffentlichkeit und ein wenig beſchränktes Wahlrecht anbieten ließ. Bei ſolcher Geſin- nung der ſüddeutſchen Höfe ließ ſich ein Bundesgeſetz, das die Rechte der Landtage zu Gunſten der Kronen beſchränkte, unfehlbar durchſetzen, wenn Oeſterreich klug verfuhr. Statt deſſen verlangte Metternich die Rückkehr zu den alten Land- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0572" n="558"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> 9. 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II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe.
prinzen von Preußen, der hier endlich eine meiſterhafte Formulirung ſeiner
eigenen Ideen fand, und bildete ſpäterhin, als ſie auch weiteren Kreiſen
bekannt wurde, lange Zeit hindurch das große Arſenal, aus dem ſich die
altſtändiſche Partei in Preußen ihre Waffen holte. In jenem Augenblicke
aber war ſie ein ſchwerer politiſcher Fehler, nachtheilig für Metternichs
eigene Pläne. Die Vertreter von Baiern und Baden wetteiferten mit
dem Grafen Münſter in ſcharfen Anklagen wider den Uebermuth der
Kammern. Wintzingerode empfahl dringend, durch ein Bundesgeſetz
das Wahlrecht auf die anſehnlichen Grundbeſitzer zu beſchränken und
vornehmlich die Oeffentlichkeit der Landtagsverhandlungen zu unter-
ſagen, dieſe ausländiſche Erfindung, die von allen Staatsmännern in
Karlsbad einſtimmig als ſchlechthin demagogiſch gebrandmarkt wurde; er
beantragte dies, ſicherlich nicht ohne Ermächtigung, in demſelben Augen-
blicke, da ſein König dem Landtage in Ludwigsburg die Oeffentlichkeit
und ein wenig beſchränktes Wahlrecht anbieten ließ. Bei ſolcher Geſin-
nung der ſüddeutſchen Höfe ließ ſich ein Bundesgeſetz, das die Rechte der
Landtage zu Gunſten der Kronen beſchränkte, unfehlbar durchſetzen, wenn
Oeſterreich klug verfuhr.
Statt deſſen verlangte Metternich die Rückkehr zu den alten Land-
ſtänden, und dies war für den Württemberger „der Uebel ärgſtes“, eine
ſchlechthin unannehmbare Zumuthung. In ſeinem langen Streite mit
den Altrechtlern hatte König Wilhelm nur zu ſchmerzlich erfahren, daß
die gerühmten altdeutſchen Stände leicht gefährlicher werden konnten als
eine moderne Volksvertretung. Hier blieb er feſt, nicht aus Liberalismus,
ſondern weil er für die Macht ſeiner Krone fürchtete. Eine ganze Reihe
württembergiſcher Denkſchriften, zweideutig, widerſpruchsvoll, in allen
Farben ſchillernd, wie die Politik des Schwabenkönigs ſelber, bekämpfte
den Vorſchlag Oeſterreichs. Einmal verſtieg ſich Wintzingerode zu der
kühnen Behauptung: der Grundſatz der Volksſouveränität ſei bereits zu-
geſtanden: „die Partie iſt angefangen, die Regierungen haben dieſen Point
vergeben zu können geglaubt; wie ſehr ſie es bereuen mögen, die Partie
muß ausgeſpielt werden.“ Ein andermal wollte er umgekehrt dies gefähr-
liche Princip von Bundeswegen verboten wiſſen. In allen dieſen Win-
dungen und Wendungen blieb nur Eines ſicher: daß der württembergiſche
Miniſter die Wiederherſtellung der alten Landſtände unter keinen Um-
ſtänden zugeben durfte. Inzwiſchen war es ihm auch gelungen, die
Miniſter von Baiern, Baden und Naſſau zu ſich hinüberzuziehen; alle
dieſe rheinbündiſchen Höfe kannten keinen ſchlimmeren Feind ihrer monar-
chiſchen Vollgewalt als den Adel, der durch die Erneuerung der alten
Landſtände unvermeidlich an Macht gewinnen mußte. So trat die mo-
dern-bureaukratiſche Staatsanſicht des Südens mit einem male den alt-
ſtändiſchen Anſchauungen Oeſterreichs und der norddeutſchen Mittelſtaaten
ſcharf und beſtimmt gegenüber. Der preußiſche Miniſter, der ſich lebhaft
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