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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Auslegung des Art. 13.
gegen das Repräsentativsystem, dies fremde auf einen alten Stamm ge-
pfropfte Reis ausgesprochen hatte, fand es jetzt doch räthlich, um der
Eintracht willen "die Verlegenheiten der württembergischen Regierung nach
Möglichkeit zu berücksichtigen".*)

Man beschloß endlich, wie Oesterreich ursprünglich beabsichtigt hatte,
die bundesgesetzliche Auslegung des Art. 13 auf die Wiener Conferenzen
zu verschieben und sich vorderhand mit der Aufstellung eines allgemeinen
Grundsatzes zu begnügen, welchem alle Bundesstaaten beistimmen könnten.
Gentz mußte seine Denkschrift vorläufig zurücklegen und arbeitete nun-
mehr einen Präsidialvortrag aus, der als Einleitung der Karlsbader Be-
schlüsse dem Bundestage vorgelesen werden sollte: darin ward feierlich
Verwahrung eingelegt gegen die demokratischen Grundsätze, mit denen man
das unzweideutige landständische Princip fälschlicherweise verwechselt habe,
und die Erwartung ausgesprochen, daß die deutschen Regierungen, bis
zum Erlaß eines Bundesgesetzes, dem Art. 13 nur eine "der Aufrecht-
erhaltung des monarchischen Princips und des Bundesvereins vollkommen
angemessene Auslegung" geben würden. Diese neue Formel fand ein-
stimmige Annahme und sie entsprach auch, trotz ihrer gefährlichen Dehn-
barkeit, den gegebenen Zuständen besser als die alte, da dieser Bund mit
seiner absolutistischen Centralgewalt nur bestehen konnte, wenn in seinen
Gliederstaaten die monarchische Macht lebendig blieb. Dergestalt ward der
Versuch einer gänzlichen Umdeutung des Art. 13 für diesmal vereitelt,
allerdings durch den Widerspruch der süddeutschen Höfe, aber wahrlich
nicht durch ihre Verfassungstreue, sondern durch ihre Furcht vor den
alten Ständen.

Die anderen Verhandlungen dagegen verliefen so leicht und schnell,
daß Bernstorff selbst durch dies Uebermaß der Einmüthigkeit in Verlegen-
heit gerieth und dem österreichischen Minister erklärte: sein König sei nur
an die Teplitzer Punktation gebunden und müsse sich für alles Weitere
die Genehmigung vorbehalten.**) Das Geheimniß der Berathungen blieb
unverbrüchlich bewahrt. Buol und Goltz in Frankfurt empfingen nur
den lakonischen Befehl, den Beginn der Ferien des Bundestags für jetzt
noch hinauszuschieben. Erst am 18. August, als die Verhandlungen
sich schon dem Ende zuneigten, sendeten Metternich und Bernstorff an
den König von Dänemark, als Herzog von Holstein, eine kurze vertrau-
liche Mittheilung über den Zweck der Conferenzen und baten zugleich das
Kopenhagener Cabinet, seinen Bundesgesandten zur unbedingten Annahme
der bevorstehenden Präsidialanträge anzuweisen: Eile sei nöthig, wegen
der nahenden Ferien des Bundestags, desgleichen volle Einträchtigkeit,
wegen des Eindrucks auf die Nation; also "wetden Ew. Exc. Sich durch

*) Bernstorff an Hardenberg, 25. August 1819.
**) Bernstorff an Hardenberg, 13. Aug. 1819.

Auslegung des Art. 13.
gegen das Repräſentativſyſtem, dies fremde auf einen alten Stamm ge-
pfropfte Reis ausgeſprochen hatte, fand es jetzt doch räthlich, um der
Eintracht willen „die Verlegenheiten der württembergiſchen Regierung nach
Möglichkeit zu berückſichtigen“.*)

Man beſchloß endlich, wie Oeſterreich urſprünglich beabſichtigt hatte,
die bundesgeſetzliche Auslegung des Art. 13 auf die Wiener Conferenzen
zu verſchieben und ſich vorderhand mit der Aufſtellung eines allgemeinen
Grundſatzes zu begnügen, welchem alle Bundesſtaaten beiſtimmen könnten.
Gentz mußte ſeine Denkſchrift vorläufig zurücklegen und arbeitete nun-
mehr einen Präſidialvortrag aus, der als Einleitung der Karlsbader Be-
ſchlüſſe dem Bundestage vorgeleſen werden ſollte: darin ward feierlich
Verwahrung eingelegt gegen die demokratiſchen Grundſätze, mit denen man
das unzweideutige landſtändiſche Princip fälſchlicherweiſe verwechſelt habe,
und die Erwartung ausgeſprochen, daß die deutſchen Regierungen, bis
zum Erlaß eines Bundesgeſetzes, dem Art. 13 nur eine „der Aufrecht-
erhaltung des monarchiſchen Princips und des Bundesvereins vollkommen
angemeſſene Auslegung“ geben würden. Dieſe neue Formel fand ein-
ſtimmige Annahme und ſie entſprach auch, trotz ihrer gefährlichen Dehn-
barkeit, den gegebenen Zuſtänden beſſer als die alte, da dieſer Bund mit
ſeiner abſolutiſtiſchen Centralgewalt nur beſtehen konnte, wenn in ſeinen
Gliederſtaaten die monarchiſche Macht lebendig blieb. Dergeſtalt ward der
Verſuch einer gänzlichen Umdeutung des Art. 13 für diesmal vereitelt,
allerdings durch den Widerſpruch der ſüddeutſchen Höfe, aber wahrlich
nicht durch ihre Verfaſſungstreue, ſondern durch ihre Furcht vor den
alten Ständen.

Die anderen Verhandlungen dagegen verliefen ſo leicht und ſchnell,
daß Bernſtorff ſelbſt durch dies Uebermaß der Einmüthigkeit in Verlegen-
heit gerieth und dem öſterreichiſchen Miniſter erklärte: ſein König ſei nur
an die Teplitzer Punktation gebunden und müſſe ſich für alles Weitere
die Genehmigung vorbehalten.**) Das Geheimniß der Berathungen blieb
unverbrüchlich bewahrt. Buol und Goltz in Frankfurt empfingen nur
den lakoniſchen Befehl, den Beginn der Ferien des Bundestags für jetzt
noch hinauszuſchieben. Erſt am 18. Auguſt, als die Verhandlungen
ſich ſchon dem Ende zuneigten, ſendeten Metternich und Bernſtorff an
den König von Dänemark, als Herzog von Holſtein, eine kurze vertrau-
liche Mittheilung über den Zweck der Conferenzen und baten zugleich das
Kopenhagener Cabinet, ſeinen Bundesgeſandten zur unbedingten Annahme
der bevorſtehenden Präſidialanträge anzuweiſen: Eile ſei nöthig, wegen
der nahenden Ferien des Bundestags, desgleichen volle Einträchtigkeit,
wegen des Eindrucks auf die Nation; alſo „wetden Ew. Exc. Sich durch

*) Bernſtorff an Hardenberg, 25. Auguſt 1819.
**) Bernſtorff an Hardenberg, 13. Aug. 1819.
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[559/0573] Auslegung des Art. 13. gegen das Repräſentativſyſtem, dies fremde auf einen alten Stamm ge- pfropfte Reis ausgeſprochen hatte, fand es jetzt doch räthlich, um der Eintracht willen „die Verlegenheiten der württembergiſchen Regierung nach Möglichkeit zu berückſichtigen“. *) Man beſchloß endlich, wie Oeſterreich urſprünglich beabſichtigt hatte, die bundesgeſetzliche Auslegung des Art. 13 auf die Wiener Conferenzen zu verſchieben und ſich vorderhand mit der Aufſtellung eines allgemeinen Grundſatzes zu begnügen, welchem alle Bundesſtaaten beiſtimmen könnten. Gentz mußte ſeine Denkſchrift vorläufig zurücklegen und arbeitete nun- mehr einen Präſidialvortrag aus, der als Einleitung der Karlsbader Be- ſchlüſſe dem Bundestage vorgeleſen werden ſollte: darin ward feierlich Verwahrung eingelegt gegen die demokratiſchen Grundſätze, mit denen man das unzweideutige landſtändiſche Princip fälſchlicherweiſe verwechſelt habe, und die Erwartung ausgeſprochen, daß die deutſchen Regierungen, bis zum Erlaß eines Bundesgeſetzes, dem Art. 13 nur eine „der Aufrecht- erhaltung des monarchiſchen Princips und des Bundesvereins vollkommen angemeſſene Auslegung“ geben würden. Dieſe neue Formel fand ein- ſtimmige Annahme und ſie entſprach auch, trotz ihrer gefährlichen Dehn- barkeit, den gegebenen Zuſtänden beſſer als die alte, da dieſer Bund mit ſeiner abſolutiſtiſchen Centralgewalt nur beſtehen konnte, wenn in ſeinen Gliederſtaaten die monarchiſche Macht lebendig blieb. Dergeſtalt ward der Verſuch einer gänzlichen Umdeutung des Art. 13 für diesmal vereitelt, allerdings durch den Widerſpruch der ſüddeutſchen Höfe, aber wahrlich nicht durch ihre Verfaſſungstreue, ſondern durch ihre Furcht vor den alten Ständen. Die anderen Verhandlungen dagegen verliefen ſo leicht und ſchnell, daß Bernſtorff ſelbſt durch dies Uebermaß der Einmüthigkeit in Verlegen- heit gerieth und dem öſterreichiſchen Miniſter erklärte: ſein König ſei nur an die Teplitzer Punktation gebunden und müſſe ſich für alles Weitere die Genehmigung vorbehalten. **) Das Geheimniß der Berathungen blieb unverbrüchlich bewahrt. Buol und Goltz in Frankfurt empfingen nur den lakoniſchen Befehl, den Beginn der Ferien des Bundestags für jetzt noch hinauszuſchieben. Erſt am 18. Auguſt, als die Verhandlungen ſich ſchon dem Ende zuneigten, ſendeten Metternich und Bernſtorff an den König von Dänemark, als Herzog von Holſtein, eine kurze vertrau- liche Mittheilung über den Zweck der Conferenzen und baten zugleich das Kopenhagener Cabinet, ſeinen Bundesgeſandten zur unbedingten Annahme der bevorſtehenden Präſidialanträge anzuweiſen: Eile ſei nöthig, wegen der nahenden Ferien des Bundestags, desgleichen volle Einträchtigkeit, wegen des Eindrucks auf die Nation; alſo „wetden Ew. Exc. Sich durch *) Bernſtorff an Hardenberg, 25. Auguſt 1819. **) Bernſtorff an Hardenberg, 13. Aug. 1819.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 559. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/573>, abgerufen am 22.11.2024.