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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 9. Die Karlsbader Beschlüsse.
jeden Tag, um den früher Sie den k. Gesandten ermächtigen werden,
ein wahres Verdienst um Deutschland erwerben." Beigelegt war diesem
Schreiben nichts weiter als der Entwurf des provisorischen Bundes-Preß-
gesetzes.*) Wenn ein königlicher Hof mit so kärglichen Nachrichten abge-
speist wurde, so nahm man vollends auf die kleinen Staaten gar keine
Rücksicht. Den meisten traute man den Muth des Widerstandes nicht
zu und versagte ihnen jede Mittheilung. Andere wurden unter der Hand
bedroht; "gegen ungeziemende Bemerkungen der freien Städte haben wir
uns vorgesehen," meldete Bernstorff dem Staatskanzler.**) Um den
störrischen Kurfürsten von Hessen nicht allzu sehr zu reizen, lud man
nachträglich dessen Wiener Gesandten, Frhr. v. Münchhausen ein, der
sich dann noch an den sechs letzten Sitzungen betheiligen durfte. Minister
v. Fritsch dagegen ward mit offenbarem Hohne behandelt, als er im Auf-
trage des Großherzogs Karl August zu Karlsbad erschien, um zu erfahren,
was dort vorgehe. Metternich ließ ihn nur als Gast einer einzigen, wenig
bedeutsamen Sitzung beiwohnen und schickte ihn dann ohne jede weitere
Auskunft wieder heim; Gentz aber schrieb zufrieden in sein Tagebuch: die
unschuldige Gesellschaft habe jetzt Karlsbad verlassen.

Um die Ausführung der Nothgesetze wider die Demagogen zu sichern,
wurde zunächst eine provisorische Executionsordnung beschlossen, welche den
Bundestag ermächtigte, die Vollziehung aller Bundesbeschlüsse durch eine
Commission zu überwachen und nöthigenfalls gegen einen widersetzlichen
Bundesstaat militärische Zwangsmittel zu gebrauchen. Bernstorff, der
eine so weite Ausdehnung der Rechte des Bundes bedenklich fand, erhielt
aus Berlin die bestimmte Weisung zur Annahme des Gesetzes: "ohne
kräftige executive Maßregeln, schrieb ihm der Staatskanzler, werden wir
keinen Bundesbeschluß durchsetzen," sonst könnte selbst ein Staat wie
Bremen jede Wirksamkeit des Bundes vereiteln.***) So erhielt denn der
Bundestag eine Befugniß zugewiesen, welche scharf gehandhabt wohl
zur Bändigung des Partikularismus führen konnte; aber selbst diese
an sich heilsame Verstärkung der Centralgewalt erregte im Volke nur Un-
willen, weil sie lediglich den Zwecken der Demagogenverfolgung dienen sollte.

Darauf folgte der zweite Gesetzentwurf über die Universitäten. Gentz
hatte dazu einen einleitenden Präsidialvortrag ausgearbeitet, der von fri-
volen Anschuldigungen überfloß. Er behauptete, die Hochschulen seien
ihrem ursprünglichen Charakter, ihrem in besseren Zeiten erworbenen
Ruhme fremd geworden, und beschuldigte "einen großen Theil der akade-
mischen Lehrer", daß sie die Köpfe der Jugend mit dem Phantom einer
sogenannten weltbürgerlichen Bildung erfüllt hätten -- wahrlich das

*) Metternich und Bernstorff an Minister Rosenkrantz in Kopenhagen, 18. Aug. 1819.
**) Bernstorff an Hardenberg, 2. Sept. 1819.
***) Hardenberg an Bernstorff, 17. August 1819.

II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe.
jeden Tag, um den früher Sie den k. Geſandten ermächtigen werden,
ein wahres Verdienſt um Deutſchland erwerben.“ Beigelegt war dieſem
Schreiben nichts weiter als der Entwurf des proviſoriſchen Bundes-Preß-
geſetzes.*) Wenn ein königlicher Hof mit ſo kärglichen Nachrichten abge-
ſpeiſt wurde, ſo nahm man vollends auf die kleinen Staaten gar keine
Rückſicht. Den meiſten traute man den Muth des Widerſtandes nicht
zu und verſagte ihnen jede Mittheilung. Andere wurden unter der Hand
bedroht; „gegen ungeziemende Bemerkungen der freien Städte haben wir
uns vorgeſehen,“ meldete Bernſtorff dem Staatskanzler.**) Um den
ſtörriſchen Kurfürſten von Heſſen nicht allzu ſehr zu reizen, lud man
nachträglich deſſen Wiener Geſandten, Frhr. v. Münchhauſen ein, der
ſich dann noch an den ſechs letzten Sitzungen betheiligen durfte. Miniſter
v. Fritſch dagegen ward mit offenbarem Hohne behandelt, als er im Auf-
trage des Großherzogs Karl Auguſt zu Karlsbad erſchien, um zu erfahren,
was dort vorgehe. Metternich ließ ihn nur als Gaſt einer einzigen, wenig
bedeutſamen Sitzung beiwohnen und ſchickte ihn dann ohne jede weitere
Auskunft wieder heim; Gentz aber ſchrieb zufrieden in ſein Tagebuch: die
unſchuldige Geſellſchaft habe jetzt Karlsbad verlaſſen.

Um die Ausführung der Nothgeſetze wider die Demagogen zu ſichern,
wurde zunächſt eine proviſoriſche Executionsordnung beſchloſſen, welche den
Bundestag ermächtigte, die Vollziehung aller Bundesbeſchlüſſe durch eine
Commiſſion zu überwachen und nöthigenfalls gegen einen widerſetzlichen
Bundesſtaat militäriſche Zwangsmittel zu gebrauchen. Bernſtorff, der
eine ſo weite Ausdehnung der Rechte des Bundes bedenklich fand, erhielt
aus Berlin die beſtimmte Weiſung zur Annahme des Geſetzes: „ohne
kräftige executive Maßregeln, ſchrieb ihm der Staatskanzler, werden wir
keinen Bundesbeſchluß durchſetzen,“ ſonſt könnte ſelbſt ein Staat wie
Bremen jede Wirkſamkeit des Bundes vereiteln.***) So erhielt denn der
Bundestag eine Befugniß zugewieſen, welche ſcharf gehandhabt wohl
zur Bändigung des Partikularismus führen konnte; aber ſelbſt dieſe
an ſich heilſame Verſtärkung der Centralgewalt erregte im Volke nur Un-
willen, weil ſie lediglich den Zwecken der Demagogenverfolgung dienen ſollte.

Darauf folgte der zweite Geſetzentwurf über die Univerſitäten. Gentz
hatte dazu einen einleitenden Präſidialvortrag ausgearbeitet, der von fri-
volen Anſchuldigungen überfloß. Er behauptete, die Hochſchulen ſeien
ihrem urſprünglichen Charakter, ihrem in beſſeren Zeiten erworbenen
Ruhme fremd geworden, und beſchuldigte „einen großen Theil der akade-
miſchen Lehrer“, daß ſie die Köpfe der Jugend mit dem Phantom einer
ſogenannten weltbürgerlichen Bildung erfüllt hätten — wahrlich das

*) Metternich und Bernſtorff an Miniſter Roſenkrantz in Kopenhagen, 18. Aug. 1819.
**) Bernſtorff an Hardenberg, 2. Sept. 1819.
***) Hardenberg an Bernſtorff, 17. Auguſt 1819.
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[560/0574] II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe. jeden Tag, um den früher Sie den k. Geſandten ermächtigen werden, ein wahres Verdienſt um Deutſchland erwerben.“ Beigelegt war dieſem Schreiben nichts weiter als der Entwurf des proviſoriſchen Bundes-Preß- geſetzes. *) Wenn ein königlicher Hof mit ſo kärglichen Nachrichten abge- ſpeiſt wurde, ſo nahm man vollends auf die kleinen Staaten gar keine Rückſicht. Den meiſten traute man den Muth des Widerſtandes nicht zu und verſagte ihnen jede Mittheilung. Andere wurden unter der Hand bedroht; „gegen ungeziemende Bemerkungen der freien Städte haben wir uns vorgeſehen,“ meldete Bernſtorff dem Staatskanzler. **) Um den ſtörriſchen Kurfürſten von Heſſen nicht allzu ſehr zu reizen, lud man nachträglich deſſen Wiener Geſandten, Frhr. v. Münchhauſen ein, der ſich dann noch an den ſechs letzten Sitzungen betheiligen durfte. Miniſter v. Fritſch dagegen ward mit offenbarem Hohne behandelt, als er im Auf- trage des Großherzogs Karl Auguſt zu Karlsbad erſchien, um zu erfahren, was dort vorgehe. Metternich ließ ihn nur als Gaſt einer einzigen, wenig bedeutſamen Sitzung beiwohnen und ſchickte ihn dann ohne jede weitere Auskunft wieder heim; Gentz aber ſchrieb zufrieden in ſein Tagebuch: die unſchuldige Geſellſchaft habe jetzt Karlsbad verlaſſen. Um die Ausführung der Nothgeſetze wider die Demagogen zu ſichern, wurde zunächſt eine proviſoriſche Executionsordnung beſchloſſen, welche den Bundestag ermächtigte, die Vollziehung aller Bundesbeſchlüſſe durch eine Commiſſion zu überwachen und nöthigenfalls gegen einen widerſetzlichen Bundesſtaat militäriſche Zwangsmittel zu gebrauchen. Bernſtorff, der eine ſo weite Ausdehnung der Rechte des Bundes bedenklich fand, erhielt aus Berlin die beſtimmte Weiſung zur Annahme des Geſetzes: „ohne kräftige executive Maßregeln, ſchrieb ihm der Staatskanzler, werden wir keinen Bundesbeſchluß durchſetzen,“ ſonſt könnte ſelbſt ein Staat wie Bremen jede Wirkſamkeit des Bundes vereiteln. ***) So erhielt denn der Bundestag eine Befugniß zugewieſen, welche ſcharf gehandhabt wohl zur Bändigung des Partikularismus führen konnte; aber ſelbſt dieſe an ſich heilſame Verſtärkung der Centralgewalt erregte im Volke nur Un- willen, weil ſie lediglich den Zwecken der Demagogenverfolgung dienen ſollte. Darauf folgte der zweite Geſetzentwurf über die Univerſitäten. Gentz hatte dazu einen einleitenden Präſidialvortrag ausgearbeitet, der von fri- volen Anſchuldigungen überfloß. Er behauptete, die Hochſchulen ſeien ihrem urſprünglichen Charakter, ihrem in beſſeren Zeiten erworbenen Ruhme fremd geworden, und beſchuldigte „einen großen Theil der akade- miſchen Lehrer“, daß ſie die Köpfe der Jugend mit dem Phantom einer ſogenannten weltbürgerlichen Bildung erfüllt hätten — wahrlich das *) Metternich und Bernſtorff an Miniſter Roſenkrantz in Kopenhagen, 18. Aug. 1819. **) Bernſtorff an Hardenberg, 2. Sept. 1819. ***) Hardenberg an Bernſtorff, 17. Auguſt 1819.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 560. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/574>, abgerufen am 22.11.2024.