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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 9. Die Karlsbader Beschlüsse.
richtsverfassungen konnte es gar nicht ausbleiben, daß die Urtheile der
Gerichte über die Demagogen einander widersprachen, und die Bundes-
behörde, welche die Untersuchungen leitete, also dem allgemeinen Haß und
Spott verfiel. Darum erwiderte Hardenberg, die Bundes-Centralcom-
mission sei nur dann wirksam, wenn sie auch richten dürfe; auch im alten
Reiche hätten die Reichsgerichte den Landfriedensbruch stets unmittelbar
vor ihr Forum gezogen.*) Er übersendete zugleich einen Entwurf für die
Errichtung eines provisorischen Bundesgerichts, welchen Bernstorff nun-
mehr vertheidigen mußte.

Die meisten der Karlsbader Staatsmänner zeigten sich anfangs dem
preußischen Vorschlage geneigt, auch Metternich stimmte aus vollem Herzen
bei. Da erhob sich ganz unerwartet ein mächtiger Gegner: Kaiser Franz.
Es war wohl der einzige menschlich versöhnende Zug in der Politik dieses
starren Despoten, daß er die bestehende Ordnung gegen Hoch und Niedrig
mit Ernst zu wahren suchte; seine Schmeichler nannten Gerechtigkeit,
was im Grunde nur ein pedantisches Haften am Althergebrachten war.
Wenn sich Rebellen wieder ihn selber erhoben, dann schrak er vor Kriegs-
gerichten und grausamen Ausnahmemaßregeln keineswegs zurück; aber so
lange ihm die Gefahr nicht nahe auf den Leib rückte, sollte die Justiz
ihren gewohnten Gang gehen. Dazu kam sein altes Mißtrauen gegen
die unruhigen Deutschen draußen im Reich; auf seine k. k. Gerichte konnte
er sich verlassen, deutschen Richtern wollte er einen österreichischen Hoch-
verräther nicht anvertrauen. Dazu kam endlich -- und dies war der
Humor der Sache -- daß er an die große deutsche Verschwörung selber
nicht recht glaubte und nur die Angst der anderen Höfe ausbeuten wollte;
darum befürchtete er, ein außerordentliches Bundesgericht werde vielleicht
gar kein ernstes Ergebniß bringen und also lächerlich werden. Sein
oberster Richter, Freiherr v. Gärtner, ein alter Reichsjurist aus Kamptz's
Schule, mußte für die Conferenzen ein Gutachten abfassen, das unter
Berufung auf die privilegia de non evocando der Kurfürsten ausführte,
die Souveränitätsrechte der deutschen Fürsten blieben nur dann gewahrt,
wenn die Bundes-Centralcommission sich auf die Leitung der Untersu-
chungen beschränke.

Umsonst versuchte Kamptz seinen alten Schüler zu belehren. "Die
in Karlsbad ausgesprochenen laudes Gaertnerianae -- schrieb er ihm
mit gewohnter Aufgeblasenheit -- waren mir um so angenehmer als sie
größtentheils mir gebühren, weil, wie Du hoffentlich noch jetzt dankbar
erkennst, Du meinem Beispiel und meinen guten Lehren das was Du
weißt verdankst." Dann setzte er ihm auseinander, wie gefährlich es sei,
wenn man das Urtheil über die Demagogen so vielen subalternen Richtern
überlasse, ihrer Schwäche, ihrem Buhlen um die Volksgunst, ihrer Furcht

*) Hardenberg an Bernstorff, 13. Aug. 1819.

II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe.
richtsverfaſſungen konnte es gar nicht ausbleiben, daß die Urtheile der
Gerichte über die Demagogen einander widerſprachen, und die Bundes-
behörde, welche die Unterſuchungen leitete, alſo dem allgemeinen Haß und
Spott verfiel. Darum erwiderte Hardenberg, die Bundes-Centralcom-
miſſion ſei nur dann wirkſam, wenn ſie auch richten dürfe; auch im alten
Reiche hätten die Reichsgerichte den Landfriedensbruch ſtets unmittelbar
vor ihr Forum gezogen.*) Er überſendete zugleich einen Entwurf für die
Errichtung eines proviſoriſchen Bundesgerichts, welchen Bernſtorff nun-
mehr vertheidigen mußte.

Die meiſten der Karlsbader Staatsmänner zeigten ſich anfangs dem
preußiſchen Vorſchlage geneigt, auch Metternich ſtimmte aus vollem Herzen
bei. Da erhob ſich ganz unerwartet ein mächtiger Gegner: Kaiſer Franz.
Es war wohl der einzige menſchlich verſöhnende Zug in der Politik dieſes
ſtarren Despoten, daß er die beſtehende Ordnung gegen Hoch und Niedrig
mit Ernſt zu wahren ſuchte; ſeine Schmeichler nannten Gerechtigkeit,
was im Grunde nur ein pedantiſches Haften am Althergebrachten war.
Wenn ſich Rebellen wieder ihn ſelber erhoben, dann ſchrak er vor Kriegs-
gerichten und grauſamen Ausnahmemaßregeln keineswegs zurück; aber ſo
lange ihm die Gefahr nicht nahe auf den Leib rückte, ſollte die Juſtiz
ihren gewohnten Gang gehen. Dazu kam ſein altes Mißtrauen gegen
die unruhigen Deutſchen draußen im Reich; auf ſeine k. k. Gerichte konnte
er ſich verlaſſen, deutſchen Richtern wollte er einen öſterreichiſchen Hoch-
verräther nicht anvertrauen. Dazu kam endlich — und dies war der
Humor der Sache — daß er an die große deutſche Verſchwörung ſelber
nicht recht glaubte und nur die Angſt der anderen Höfe ausbeuten wollte;
darum befürchtete er, ein außerordentliches Bundesgericht werde vielleicht
gar kein ernſtes Ergebniß bringen und alſo lächerlich werden. Sein
oberſter Richter, Freiherr v. Gärtner, ein alter Reichsjuriſt aus Kamptz’s
Schule, mußte für die Conferenzen ein Gutachten abfaſſen, das unter
Berufung auf die privilegia de non evocando der Kurfürſten ausführte,
die Souveränitätsrechte der deutſchen Fürſten blieben nur dann gewahrt,
wenn die Bundes-Centralcommiſſion ſich auf die Leitung der Unterſu-
chungen beſchränke.

Umſonſt verſuchte Kamptz ſeinen alten Schüler zu belehren. „Die
in Karlsbad ausgeſprochenen laudes Gaertnerianae — ſchrieb er ihm
mit gewohnter Aufgeblaſenheit — waren mir um ſo angenehmer als ſie
größtentheils mir gebühren, weil, wie Du hoffentlich noch jetzt dankbar
erkennſt, Du meinem Beiſpiel und meinen guten Lehren das was Du
weißt verdankſt.“ Dann ſetzte er ihm auseinander, wie gefährlich es ſei,
wenn man das Urtheil über die Demagogen ſo vielen ſubalternen Richtern
überlaſſe, ihrer Schwäche, ihrem Buhlen um die Volksgunſt, ihrer Furcht

*) Hardenberg an Bernſtorff, 13. Aug. 1819.
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[564/0578] II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe. richtsverfaſſungen konnte es gar nicht ausbleiben, daß die Urtheile der Gerichte über die Demagogen einander widerſprachen, und die Bundes- behörde, welche die Unterſuchungen leitete, alſo dem allgemeinen Haß und Spott verfiel. Darum erwiderte Hardenberg, die Bundes-Centralcom- miſſion ſei nur dann wirkſam, wenn ſie auch richten dürfe; auch im alten Reiche hätten die Reichsgerichte den Landfriedensbruch ſtets unmittelbar vor ihr Forum gezogen. *) Er überſendete zugleich einen Entwurf für die Errichtung eines proviſoriſchen Bundesgerichts, welchen Bernſtorff nun- mehr vertheidigen mußte. Die meiſten der Karlsbader Staatsmänner zeigten ſich anfangs dem preußiſchen Vorſchlage geneigt, auch Metternich ſtimmte aus vollem Herzen bei. Da erhob ſich ganz unerwartet ein mächtiger Gegner: Kaiſer Franz. Es war wohl der einzige menſchlich verſöhnende Zug in der Politik dieſes ſtarren Despoten, daß er die beſtehende Ordnung gegen Hoch und Niedrig mit Ernſt zu wahren ſuchte; ſeine Schmeichler nannten Gerechtigkeit, was im Grunde nur ein pedantiſches Haften am Althergebrachten war. Wenn ſich Rebellen wieder ihn ſelber erhoben, dann ſchrak er vor Kriegs- gerichten und grauſamen Ausnahmemaßregeln keineswegs zurück; aber ſo lange ihm die Gefahr nicht nahe auf den Leib rückte, ſollte die Juſtiz ihren gewohnten Gang gehen. Dazu kam ſein altes Mißtrauen gegen die unruhigen Deutſchen draußen im Reich; auf ſeine k. k. Gerichte konnte er ſich verlaſſen, deutſchen Richtern wollte er einen öſterreichiſchen Hoch- verräther nicht anvertrauen. Dazu kam endlich — und dies war der Humor der Sache — daß er an die große deutſche Verſchwörung ſelber nicht recht glaubte und nur die Angſt der anderen Höfe ausbeuten wollte; darum befürchtete er, ein außerordentliches Bundesgericht werde vielleicht gar kein ernſtes Ergebniß bringen und alſo lächerlich werden. Sein oberſter Richter, Freiherr v. Gärtner, ein alter Reichsjuriſt aus Kamptz’s Schule, mußte für die Conferenzen ein Gutachten abfaſſen, das unter Berufung auf die privilegia de non evocando der Kurfürſten ausführte, die Souveränitätsrechte der deutſchen Fürſten blieben nur dann gewahrt, wenn die Bundes-Centralcommiſſion ſich auf die Leitung der Unterſu- chungen beſchränke. Umſonſt verſuchte Kamptz ſeinen alten Schüler zu belehren. „Die in Karlsbad ausgeſprochenen laudes Gaertnerianae — ſchrieb er ihm mit gewohnter Aufgeblaſenheit — waren mir um ſo angenehmer als ſie größtentheils mir gebühren, weil, wie Du hoffentlich noch jetzt dankbar erkennſt, Du meinem Beiſpiel und meinen guten Lehren das was Du weißt verdankſt.“ Dann ſetzte er ihm auseinander, wie gefährlich es ſei, wenn man das Urtheil über die Demagogen ſo vielen ſubalternen Richtern überlaſſe, ihrer Schwäche, ihrem Buhlen um die Volksgunſt, ihrer Furcht *) Hardenberg an Bernſtorff, 13. Aug. 1819.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 564. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/578>, abgerufen am 22.11.2024.