II. 3. Geistige Strömungen der ersten Friedensjahre.
belästigen: zuletzt konnte er den strahlenden Augen der begeisterten Brause- köpfe doch nicht zürnen und meinte gütig: es wäre thöricht zu verlangen: komm, ältle Du mit mir! Jungen Dichtern aber wußte er nur zu rathen was ihn selber die Natur gelehrt hatte: sie sollten sich vorerst be- mühen Männer zu werden, reich im Herzen wie im Kopfe, und ihre Seele offen halten jedem Hauche der Zeit: "poetischer Gehalt ist Gehalt des eignen Lebens; man halte sich an's fortschreitende Leben und prüfe sich von Zeit zu Zeit, ob man lebendig ist!"
Einzelne eifrige Renegaten, wie Friedrich Schlegel, unterstanden sich wohl, von dem abgetakelten alten Herrgott zu reden; die Edleren wußten, daß man diesen Mann nicht antasten konnte ohne die Nation selber zu beschimpfen. Wenn der Freiherr vom Stein die Zurückhaltung Goethes in den napoleonischen Tagen beklagte, so fügte er bescheiden hinzu: Aber er ist doch zu groß! Nirgends fand der Dichter wärmere Bewunderer als in den Kennerkreisen Berlins. Hier wurde die Goethe-Verehrung wie ein Geheimdienst getrieben; die ewig schwärmende Hohepriesterin Rahel Varnhagen verkündete von ihrem Dreifuß herunter unermüdlich in ora- kelhaften Reden den Ruhm des Vergötterten. Der alte Herr sah sich die Weihrauchswolken, die vor seinem Altar an der Spree emporstiegen, aus der Ferne gelassen an und gab gelegentlich in seinem umständlichen Ge- heimraths-Stile eine höfliche Antwort. Doch näher auf den Leib durften ihm diese Huldigenden nicht heranrücken; er fühlte, daß bei ihnen zur anspruchsvollen Doktrin wurde was ihm selber die Natur in die Wiege gelegt hatte. Der nixenhaften kleinen Rahel schlug ein dankbares, from- mes, menschenfreundliches Herz im Busen; mitten in der gemachten Ek- stase dieser tief eingeweihten Dilettanten und Halbkünstler bewahrte sie sich das sichere Gefühl des Weibes für das Große und Starke: war doch Fichte einst viele Jahre lang neben Goethe ihr Abgott gewesen. Aber dicht neben solchen liebenswürdigen Zügen lag eine halb unbewußte und eben darum unermeßliche Eitelkeit, die in der Bewunderung des ersten deutschen Dichters die Größe des eigenen Ichs genoß und sich über das stille Gefühl der Unfruchtbarkeit tröstete mit dem erhabenen Gedanken: der im Unendlichen schwebende Geist verschmähe sich einzubannen in die Kreise der Sprachkunst! "Warum sollte ich nicht natürlich sein? -- sagte sie arglos -- ich wüßte doch nichts Besseres und Mannichfaltigeres zu affektiren!" Und wie wenig Inhalt lag doch in allen den gebildeten Redens- arten dieser ästhetischen Theecirkel. Vieles was man dort Geist nannte lief im Grunde hinaus auf die Mißhandlung der deutschen Sprache, auf das verblüffende Zusammenstellen ungehöriger Wörter. Wenn Rahel ein edel und feurig vorgetragenes Musikstück "einen gebildeten Sturmwind" nannte, dann jauchzte die Priesterschaar der höheren Bildung, und der eunuchenhafte Gatte trug die Albernheit mit seinen zierlichsten Schrift- zügen in seine Tagebücher ein. Der alte Heros in Weimar aber kannte
II. 3. Geiſtige Strömungen der erſten Friedensjahre.
beläſtigen: zuletzt konnte er den ſtrahlenden Augen der begeiſterten Brauſe- köpfe doch nicht zürnen und meinte gütig: es wäre thöricht zu verlangen: komm, ältle Du mit mir! Jungen Dichtern aber wußte er nur zu rathen was ihn ſelber die Natur gelehrt hatte: ſie ſollten ſich vorerſt be- mühen Männer zu werden, reich im Herzen wie im Kopfe, und ihre Seele offen halten jedem Hauche der Zeit: „poetiſcher Gehalt iſt Gehalt des eignen Lebens; man halte ſich an’s fortſchreitende Leben und prüfe ſich von Zeit zu Zeit, ob man lebendig iſt!“
Einzelne eifrige Renegaten, wie Friedrich Schlegel, unterſtanden ſich wohl, von dem abgetakelten alten Herrgott zu reden; die Edleren wußten, daß man dieſen Mann nicht antaſten konnte ohne die Nation ſelber zu beſchimpfen. Wenn der Freiherr vom Stein die Zurückhaltung Goethes in den napoleoniſchen Tagen beklagte, ſo fügte er beſcheiden hinzu: Aber er iſt doch zu groß! Nirgends fand der Dichter wärmere Bewunderer als in den Kennerkreiſen Berlins. Hier wurde die Goethe-Verehrung wie ein Geheimdienſt getrieben; die ewig ſchwärmende Hoheprieſterin Rahel Varnhagen verkündete von ihrem Dreifuß herunter unermüdlich in ora- kelhaften Reden den Ruhm des Vergötterten. Der alte Herr ſah ſich die Weihrauchswolken, die vor ſeinem Altar an der Spree emporſtiegen, aus der Ferne gelaſſen an und gab gelegentlich in ſeinem umſtändlichen Ge- heimraths-Stile eine höfliche Antwort. Doch näher auf den Leib durften ihm dieſe Huldigenden nicht heranrücken; er fühlte, daß bei ihnen zur anſpruchsvollen Doktrin wurde was ihm ſelber die Natur in die Wiege gelegt hatte. Der nixenhaften kleinen Rahel ſchlug ein dankbares, from- mes, menſchenfreundliches Herz im Buſen; mitten in der gemachten Ek- ſtaſe dieſer tief eingeweihten Dilettanten und Halbkünſtler bewahrte ſie ſich das ſichere Gefühl des Weibes für das Große und Starke: war doch Fichte einſt viele Jahre lang neben Goethe ihr Abgott geweſen. Aber dicht neben ſolchen liebenswürdigen Zügen lag eine halb unbewußte und eben darum unermeßliche Eitelkeit, die in der Bewunderung des erſten deutſchen Dichters die Größe des eigenen Ichs genoß und ſich über das ſtille Gefühl der Unfruchtbarkeit tröſtete mit dem erhabenen Gedanken: der im Unendlichen ſchwebende Geiſt verſchmähe ſich einzubannen in die Kreiſe der Sprachkunſt! „Warum ſollte ich nicht natürlich ſein? — ſagte ſie arglos — ich wüßte doch nichts Beſſeres und Mannichfaltigeres zu affektiren!“ Und wie wenig Inhalt lag doch in allen den gebildeten Redens- arten dieſer äſthetiſchen Theecirkel. Vieles was man dort Geiſt nannte lief im Grunde hinaus auf die Mißhandlung der deutſchen Sprache, auf das verblüffende Zuſammenſtellen ungehöriger Wörter. Wenn Rahel ein edel und feurig vorgetragenes Muſikſtück „einen gebildeten Sturmwind“ nannte, dann jauchzte die Prieſterſchaar der höheren Bildung, und der eunuchenhafte Gatte trug die Albernheit mit ſeinen zierlichſten Schrift- zügen in ſeine Tagebücher ein. Der alte Heros in Weimar aber kannte
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beläſtigen: zuletzt konnte er den ſtrahlenden Augen der begeiſterten Brauſe-
köpfe doch nicht zürnen und meinte gütig: es wäre thöricht zu verlangen:
komm, ältle Du mit mir! Jungen Dichtern aber wußte er nur zu
rathen was ihn ſelber die Natur gelehrt hatte: ſie ſollten ſich vorerſt be-
mühen Männer zu werden, reich im Herzen wie im Kopfe, und ihre
Seele offen halten jedem Hauche der Zeit: „poetiſcher Gehalt iſt Gehalt
des eignen Lebens; man halte ſich an’s fortſchreitende Leben und prüfe
ſich von Zeit zu Zeit, ob man lebendig iſt!“
Einzelne eifrige Renegaten, wie Friedrich Schlegel, unterſtanden ſich
wohl, von dem abgetakelten alten Herrgott zu reden; die Edleren wußten,
daß man dieſen Mann nicht antaſten konnte ohne die Nation ſelber zu
beſchimpfen. Wenn der Freiherr vom Stein die Zurückhaltung Goethes
in den napoleoniſchen Tagen beklagte, ſo fügte er beſcheiden hinzu: Aber
er iſt doch zu groß! Nirgends fand der Dichter wärmere Bewunderer
als in den Kennerkreiſen Berlins. Hier wurde die Goethe-Verehrung
wie ein Geheimdienſt getrieben; die ewig ſchwärmende Hoheprieſterin Rahel
Varnhagen verkündete von ihrem Dreifuß herunter unermüdlich in ora-
kelhaften Reden den Ruhm des Vergötterten. Der alte Herr ſah ſich die
Weihrauchswolken, die vor ſeinem Altar an der Spree emporſtiegen, aus
der Ferne gelaſſen an und gab gelegentlich in ſeinem umſtändlichen Ge-
heimraths-Stile eine höfliche Antwort. Doch näher auf den Leib durften
ihm dieſe Huldigenden nicht heranrücken; er fühlte, daß bei ihnen zur
anſpruchsvollen Doktrin wurde was ihm ſelber die Natur in die Wiege
gelegt hatte. Der nixenhaften kleinen Rahel ſchlug ein dankbares, from-
mes, menſchenfreundliches Herz im Buſen; mitten in der gemachten Ek-
ſtaſe dieſer tief eingeweihten Dilettanten und Halbkünſtler bewahrte ſie
ſich das ſichere Gefühl des Weibes für das Große und Starke: war doch
Fichte einſt viele Jahre lang neben Goethe ihr Abgott geweſen. Aber
dicht neben ſolchen liebenswürdigen Zügen lag eine halb unbewußte und
eben darum unermeßliche Eitelkeit, die in der Bewunderung des erſten
deutſchen Dichters die Größe des eigenen Ichs genoß und ſich über das
ſtille Gefühl der Unfruchtbarkeit tröſtete mit dem erhabenen Gedanken:
der im Unendlichen ſchwebende Geiſt verſchmähe ſich einzubannen in die
Kreiſe der Sprachkunſt! „Warum ſollte ich nicht natürlich ſein? — ſagte
ſie arglos — ich wüßte doch nichts Beſſeres und Mannichfaltigeres zu
affektiren!“ Und wie wenig Inhalt lag doch in allen den gebildeten Redens-
arten dieſer äſthetiſchen Theecirkel. Vieles was man dort Geiſt nannte
lief im Grunde hinaus auf die Mißhandlung der deutſchen Sprache, auf
das verblüffende Zuſammenſtellen ungehöriger Wörter. Wenn Rahel ein
edel und feurig vorgetragenes Muſikſtück „einen gebildeten Sturmwind“
nannte, dann jauchzte die Prieſterſchaar der höheren Bildung, und der
eunuchenhafte Gatte trug die Albernheit mit ſeinen zierlichſten Schrift-
zügen in ſeine Tagebücher ein. Der alte Heros in Weimar aber kannte
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/58>, abgerufen am 23.11.2024.
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