Gründe; denn seit dem Tage der Uebernahme seines Amts arbeitete Hum- boldt unablässig darauf hin, sich und den übrigen Ministern die selb- ständige, verantwortliche Stellung zu erobern, welche nach seiner Ueber- zeugung nothwendig aber mit den Rechten des Staatskanzlers unvereinbar war. Sein letztes Ziel blieb der Sturz Hardenbergs; er verbarg es kaum noch, daß er den Staatskanzler für einen unheilvollen Mann hielt, und alsbald bot sich ihm die Gelegenheit den Kampf zu eröffnen. Am 9. August hatte der König dem Ministerium sein berechtigtes Mißfallen kundgegeben, weil die Cabinets-Ordre vom 11. Januar noch immer nicht beantwortet war.*) Der Ministerrath trat zusammen um dem königlichen Befehle endlich zu genügen, und es gelang dem neu eingetretenen Mitgliede, die weit auseinander gehenden Meinungen seiner Amtsgenossen auf einen be- stimmten Gedanken zu vereinigen.
Humboldt fand den tiefsten Grund der vorhandenen Mißstände in der Machtstellung des Staatskanzlers und gewann die Mehrheit der Mi- nister für sich, da Bernstorff und Klewiz abwesend waren, Wittgenstein den Sitzungen behutsam fern blieb. Umsonst versuchte Hardenberg abzu- mahnen; kaum acht Tage nach Humboldts Eintritt war die Stimmung im Ministerium schon so schwierig, daß der Staatskanzler bereits die Nothwendigkeit eines Ministerwechsels voraussah.**) Am 26. August unter- zeichnete das Staatsministerium ein von Humboldt verfaßtes Antwort- schreiben an den König, das von den früher abgegebenen Gutachten der einzelnen Minister seltsam abstach. Die Hauptfragen der Cabinetsordre vom 11. Januar, hinsichtlich des Erziehungswesens, der Presse, der Unbot- mäßigkeit der Beamten, berührte Humboldts Bericht nur obenhin; der Kern seiner Ausführungen lag in der mehrfach wiederholten Behauptung, daß in Folge der Stellung des Staatskanzlers "von dem Begriff einer Centralisirung der Verwaltung im Staatsministerium mit gemeinsamer Verantwortlichkeit kaum eine Spur zu erkennen sei". Er verlangte demnach völlige Verschmelzung des Staatskanzleramts mit dem Ministerium, so daß der Staatskanzler den Vorsitz im Staatsministerium führen, über Alles Auskunft erhalten, in dringenden Fällen auch unmittelbar verfügen sollte; die Protokolle des Staatsministeriums seien fortan dem Könige einzureichen, und kein Vorschlag dürfe an den Monarchen gelangen ohne Vorwissen des betheiligten Ministers.
Im Uebrigen wußten die Minister nur wenig positive Vorschläge auf- zustellen. Sie deuteten leise an, daß "Einige von uns" mit noch stärkerer Zuversicht als Se. Majestät auf den gesunden Sinn der Mehrheit der Nation vertrauen; sie sprachen die Hoffnung aus, über die letzten polizei- lichen Untersuchungen noch näher unterrichtet zu werden, und wünschten,
*) Cabinetsordre an das Staatsministerium, 9. Aug. 1819.
**) Hardenbergs Tagebuch, 19. Aug. 1819.
II. 10. Der Umſchwung am preußiſchen Hofe.
Gründe; denn ſeit dem Tage der Uebernahme ſeines Amts arbeitete Hum- boldt unabläſſig darauf hin, ſich und den übrigen Miniſtern die ſelb- ſtändige, verantwortliche Stellung zu erobern, welche nach ſeiner Ueber- zeugung nothwendig aber mit den Rechten des Staatskanzlers unvereinbar war. Sein letztes Ziel blieb der Sturz Hardenbergs; er verbarg es kaum noch, daß er den Staatskanzler für einen unheilvollen Mann hielt, und alsbald bot ſich ihm die Gelegenheit den Kampf zu eröffnen. Am 9. Auguſt hatte der König dem Miniſterium ſein berechtigtes Mißfallen kundgegeben, weil die Cabinets-Ordre vom 11. Januar noch immer nicht beantwortet war.*) Der Miniſterrath trat zuſammen um dem königlichen Befehle endlich zu genügen, und es gelang dem neu eingetretenen Mitgliede, die weit auseinander gehenden Meinungen ſeiner Amtsgenoſſen auf einen be- ſtimmten Gedanken zu vereinigen.
Humboldt fand den tiefſten Grund der vorhandenen Mißſtände in der Machtſtellung des Staatskanzlers und gewann die Mehrheit der Mi- niſter für ſich, da Bernſtorff und Klewiz abweſend waren, Wittgenſtein den Sitzungen behutſam fern blieb. Umſonſt verſuchte Hardenberg abzu- mahnen; kaum acht Tage nach Humboldts Eintritt war die Stimmung im Miniſterium ſchon ſo ſchwierig, daß der Staatskanzler bereits die Nothwendigkeit eines Miniſterwechſels vorausſah.**) Am 26. Auguſt unter- zeichnete das Staatsminiſterium ein von Humboldt verfaßtes Antwort- ſchreiben an den König, das von den früher abgegebenen Gutachten der einzelnen Miniſter ſeltſam abſtach. Die Hauptfragen der Cabinetsordre vom 11. Januar, hinſichtlich des Erziehungsweſens, der Preſſe, der Unbot- mäßigkeit der Beamten, berührte Humboldts Bericht nur obenhin; der Kern ſeiner Ausführungen lag in der mehrfach wiederholten Behauptung, daß in Folge der Stellung des Staatskanzlers „von dem Begriff einer Centraliſirung der Verwaltung im Staatsminiſterium mit gemeinſamer Verantwortlichkeit kaum eine Spur zu erkennen ſei“. Er verlangte demnach völlige Verſchmelzung des Staatskanzleramts mit dem Miniſterium, ſo daß der Staatskanzler den Vorſitz im Staatsminiſterium führen, über Alles Auskunft erhalten, in dringenden Fällen auch unmittelbar verfügen ſollte; die Protokolle des Staatsminiſteriums ſeien fortan dem Könige einzureichen, und kein Vorſchlag dürfe an den Monarchen gelangen ohne Vorwiſſen des betheiligten Miniſters.
Im Uebrigen wußten die Miniſter nur wenig poſitive Vorſchläge auf- zuſtellen. Sie deuteten leiſe an, daß „Einige von uns“ mit noch ſtärkerer Zuverſicht als Se. Majeſtät auf den geſunden Sinn der Mehrheit der Nation vertrauen; ſie ſprachen die Hoffnung aus, über die letzten polizei- lichen Unterſuchungen noch näher unterrichtet zu werden, und wünſchten,
*) Cabinetsordre an das Staatsminiſterium, 9. Aug. 1819.
**) Hardenbergs Tagebuch, 19. Aug. 1819.
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Gründe; denn ſeit dem Tage der Uebernahme ſeines Amts arbeitete Hum-
boldt unabläſſig darauf hin, ſich und den übrigen Miniſtern die ſelb-
ſtändige, verantwortliche Stellung zu erobern, welche nach ſeiner Ueber-
zeugung nothwendig aber mit den Rechten des Staatskanzlers unvereinbar
war. Sein letztes Ziel blieb der Sturz Hardenbergs; er verbarg es kaum
noch, daß er den Staatskanzler für einen unheilvollen Mann hielt, und
alsbald bot ſich ihm die Gelegenheit den Kampf zu eröffnen. Am 9. Auguſt
hatte der König dem Miniſterium ſein berechtigtes Mißfallen kundgegeben,
weil die Cabinets-Ordre vom 11. Januar noch immer nicht beantwortet
war. *) Der Miniſterrath trat zuſammen um dem königlichen Befehle
endlich zu genügen, und es gelang dem neu eingetretenen Mitgliede, die
weit auseinander gehenden Meinungen ſeiner Amtsgenoſſen auf einen be-
ſtimmten Gedanken zu vereinigen.
Humboldt fand den tiefſten Grund der vorhandenen Mißſtände in
der Machtſtellung des Staatskanzlers und gewann die Mehrheit der Mi-
niſter für ſich, da Bernſtorff und Klewiz abweſend waren, Wittgenſtein
den Sitzungen behutſam fern blieb. Umſonſt verſuchte Hardenberg abzu-
mahnen; kaum acht Tage nach Humboldts Eintritt war die Stimmung
im Miniſterium ſchon ſo ſchwierig, daß der Staatskanzler bereits die
Nothwendigkeit eines Miniſterwechſels vorausſah. **) Am 26. Auguſt unter-
zeichnete das Staatsminiſterium ein von Humboldt verfaßtes Antwort-
ſchreiben an den König, das von den früher abgegebenen Gutachten der
einzelnen Miniſter ſeltſam abſtach. Die Hauptfragen der Cabinetsordre
vom 11. Januar, hinſichtlich des Erziehungsweſens, der Preſſe, der Unbot-
mäßigkeit der Beamten, berührte Humboldts Bericht nur obenhin; der
Kern ſeiner Ausführungen lag in der mehrfach wiederholten Behauptung,
daß in Folge der Stellung des Staatskanzlers „von dem Begriff einer
Centraliſirung der Verwaltung im Staatsminiſterium mit gemeinſamer
Verantwortlichkeit kaum eine Spur zu erkennen ſei“. Er verlangte demnach
völlige Verſchmelzung des Staatskanzleramts mit dem Miniſterium, ſo daß
der Staatskanzler den Vorſitz im Staatsminiſterium führen, über Alles
Auskunft erhalten, in dringenden Fällen auch unmittelbar verfügen ſollte;
die Protokolle des Staatsminiſteriums ſeien fortan dem Könige einzureichen,
und kein Vorſchlag dürfe an den Monarchen gelangen ohne Vorwiſſen des
betheiligten Miniſters.
Im Uebrigen wußten die Miniſter nur wenig poſitive Vorſchläge auf-
zuſtellen. Sie deuteten leiſe an, daß „Einige von uns“ mit noch ſtärkerer
Zuverſicht als Se. Majeſtät auf den geſunden Sinn der Mehrheit der
Nation vertrauen; ſie ſprachen die Hoffnung aus, über die letzten polizei-
lichen Unterſuchungen noch näher unterrichtet zu werden, und wünſchten,
*) Cabinetsordre an das Staatsminiſterium, 9. Aug. 1819.
**) Hardenbergs Tagebuch, 19. Aug. 1819.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 594. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/608>, abgerufen am 15.06.2024.
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