Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.Hardenberg gegen die alten Stände. bader Beschlüssen immer dreister auftraten, bestärkte den Staatskanzler nurin seinen constitutionellen Plänen. "Durch die neuesten Beschlüsse der hohen deutschen Bundesversammlung mit Trost und Hoffnung erfüllt", wendete sich die westhavelländische Ritterschaft an den König (17. November), um ihre Entrüstung über "die unanständige Vermessenheit der sogenannten Volksrepräsentanten anderer deutschen Länder" auszusprechen. "Bekannt mit der Stimmung des kräftigsten Theiles der Nation, des Landvolks, dürfen wir behaupten, daß dieser im Allgemeinen weit davon entfernt sei, den überall verbreiteten volksverführenden Umtrieben Gehör zu geben, sondern vielmehr das Fortbestehen früherer Einrichtungen, aus denen das Günstige seiner bisherigen Lage erwächst, eifrig wünscht. Alle deutschen Länder ver- danken ihr Glück seit einem halben Jahrtausend dem Bestand von land- ständischen Verfassungen, an denen nur durch Vertrag geändert werden konnte." Darauf die Bitte um Wiederherstellung des alten Rechts, und dazu noch ein trotziges Begleitschreiben an Hardenberg, das die Aufhebung der ständischen Vorrechte als einen Eingriff in das Eigenthum verdammte. Bald nachher verlangten die Stände der Grafschaft Ruppin, die Krone möge erwählte Deputirte der alten Stände aus den einzelnen Provinzen nach einander in den Verfassungsausschuß berufen -- eine Bitte, die bald praktische Bedeutung erhalten sollte. Beide Eingaben wies der Staats- kanzler scharf zurück.*) Gleichwohl gewann seine neue Verfassungscommission kein kräftiges Nach Beendigung seiner Frankfurter Geschäfte war Humboldt erst am *) Eingabe der Ritterschaft des westhavelländischen und zauchischen Kreises an den König, 17. Nov.; desgl. der Stände der Grafschaft Ruppin, 21. Dec. 1819. **) Protokolle der Verfassungscommission, 12., 28. Okt. Ancillon und Eichhorn, Ideen zu der landständischen Verfassung. Treitschke, Deutsche Geschichte. II. 38
Hardenberg gegen die alten Stände. bader Beſchlüſſen immer dreiſter auftraten, beſtärkte den Staatskanzler nurin ſeinen conſtitutionellen Plänen. „Durch die neueſten Beſchlüſſe der hohen deutſchen Bundesverſammlung mit Troſt und Hoffnung erfüllt“, wendete ſich die weſthavelländiſche Ritterſchaft an den König (17. November), um ihre Entrüſtung über „die unanſtändige Vermeſſenheit der ſogenannten Volksrepräſentanten anderer deutſchen Länder“ auszuſprechen. „Bekannt mit der Stimmung des kräftigſten Theiles der Nation, des Landvolks, dürfen wir behaupten, daß dieſer im Allgemeinen weit davon entfernt ſei, den überall verbreiteten volksverführenden Umtrieben Gehör zu geben, ſondern vielmehr das Fortbeſtehen früherer Einrichtungen, aus denen das Günſtige ſeiner bisherigen Lage erwächſt, eifrig wünſcht. Alle deutſchen Länder ver- danken ihr Glück ſeit einem halben Jahrtauſend dem Beſtand von land- ſtändiſchen Verfaſſungen, an denen nur durch Vertrag geändert werden konnte.“ Darauf die Bitte um Wiederherſtellung des alten Rechts, und dazu noch ein trotziges Begleitſchreiben an Hardenberg, das die Aufhebung der ſtändiſchen Vorrechte als einen Eingriff in das Eigenthum verdammte. Bald nachher verlangten die Stände der Grafſchaft Ruppin, die Krone möge erwählte Deputirte der alten Stände aus den einzelnen Provinzen nach einander in den Verfaſſungsausſchuß berufen — eine Bitte, die bald praktiſche Bedeutung erhalten ſollte. Beide Eingaben wies der Staats- kanzler ſcharf zurück.*) Gleichwohl gewann ſeine neue Verfaſſungscommiſſion kein kräftiges Nach Beendigung ſeiner Frankfurter Geſchäfte war Humboldt erſt am *) Eingabe der Ritterſchaft des weſthavelländiſchen und zauchiſchen Kreiſes an den König, 17. Nov.; desgl. der Stände der Grafſchaft Ruppin, 21. Dec. 1819. **) Protokolle der Verfaſſungscommiſſion, 12., 28. Okt. Ancillon und Eichhorn, Ideen zu der landſtändiſchen Verfaſſung. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 38
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Hardenberg gegen die alten Stände.
bader Beſchlüſſen immer dreiſter auftraten, beſtärkte den Staatskanzler nur
in ſeinen conſtitutionellen Plänen. „Durch die neueſten Beſchlüſſe der hohen
deutſchen Bundesverſammlung mit Troſt und Hoffnung erfüllt“, wendete
ſich die weſthavelländiſche Ritterſchaft an den König (17. November), um
ihre Entrüſtung über „die unanſtändige Vermeſſenheit der ſogenannten
Volksrepräſentanten anderer deutſchen Länder“ auszuſprechen. „Bekannt
mit der Stimmung des kräftigſten Theiles der Nation, des Landvolks, dürfen
wir behaupten, daß dieſer im Allgemeinen weit davon entfernt ſei, den
überall verbreiteten volksverführenden Umtrieben Gehör zu geben, ſondern
vielmehr das Fortbeſtehen früherer Einrichtungen, aus denen das Günſtige
ſeiner bisherigen Lage erwächſt, eifrig wünſcht. Alle deutſchen Länder ver-
danken ihr Glück ſeit einem halben Jahrtauſend dem Beſtand von land-
ſtändiſchen Verfaſſungen, an denen nur durch Vertrag geändert werden
konnte.“ Darauf die Bitte um Wiederherſtellung des alten Rechts, und
dazu noch ein trotziges Begleitſchreiben an Hardenberg, das die Aufhebung
der ſtändiſchen Vorrechte als einen Eingriff in das Eigenthum verdammte.
Bald nachher verlangten die Stände der Grafſchaft Ruppin, die Krone
möge erwählte Deputirte der alten Stände aus den einzelnen Provinzen
nach einander in den Verfaſſungsausſchuß berufen — eine Bitte, die bald
praktiſche Bedeutung erhalten ſollte. Beide Eingaben wies der Staats-
kanzler ſcharf zurück. *)
Gleichwohl gewann ſeine neue Verfaſſungscommiſſion kein kräftiges
Leben. Sie beſchloß zunächſt einen allgemeinen Plan für das Ganze der
ſtändiſchen Einrichtungen zu entwerfen, alsdann ſchrittweiſe aufſteigend zu
der Communalordnung, dann zu den Kreis-, den Provinzial- und den
Reichsſtänden überzugehen. Aber ſie hielt bis zum Jahresſchluſſe nur zwei
Sitzungen, und nur zwei ihrer Mitglieder, Ancillon und Eichhorn, äußerten
ſich ſchriftlich über den allgemeinen Plan; Beide forderten das Zweikammer-
ſyſtem und für die Reichsſtände „nicht allein eine berathende, ſondern eine
geſetzgebende Stimme“. **) Die Wirkſamkeit des Ausſchuſſes ward von Haus
aus gelähmt durch die Feindſchaft Hardenbergs und Humboldts, die eben
jetzt in einem erbitterten Ringen ſich mit einander maßen. —
Nach Beendigung ſeiner Frankfurter Geſchäfte war Humboldt erſt am
12. Auguſt in das Miniſterium eingetreten und hatte vom erſten Tage
an das beleidigende Mißtrauen Hardenbergs ertragen müſſen. Der Mi-
niſter für die ſtändiſchen Angelegenheiten erfuhr wochenlang kein Wort
von den „Ideen“ des Staatskanzlers und war als der Verfaſſungsplan
endlich zu Tage kam ganz ebenſo überraſcht wie die übrigen Mitglieder
des Ausſchuſſes. Dieſe kränkende Haltung Hardenbergs hatte freilich gute
*) Eingabe der Ritterſchaft des weſthavelländiſchen und zauchiſchen Kreiſes an den
König, 17. Nov.; desgl. der Stände der Grafſchaft Ruppin, 21. Dec. 1819.
**) Protokolle der Verfaſſungscommiſſion, 12., 28. Okt. Ancillon und Eichhorn,
Ideen zu der landſtändiſchen Verfaſſung.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 38
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