Asmus Carstens, des kühnen Rebellen gegen die akademische Kunst, sich zuerst gebildet und von ihm gelernt, was in den Werken des Alterthums wahrhaft lebendig und für alle Zeiten giltig sei.
Derweil also die altdeutsche und die classische Richtung noch in un- entschiedenem Kampfe lagen, geschah in Berlin eine folgenreiche Wendung. Während der harten Jahre, da der preußische Staat am Rande des Bankerotts stand, verbot sich die Errichtung monumentaler Kunstwerke von selbst. Nur einen künstlerischen Plan mochte der unglückliche König nicht aufgeben: er wollte seiner Gemahlin ein würdiges Grabmal errich- ten, und sein gesundes natürliches Gefühl führte ihn auch hier auf den rechten Weg, obwohl er sich selber bescheiden nur einen Laien in Kunst- sachen nannte. Sein Herz sehnte sich nach einem verklärten Bilde der Geliebten; und da er dunkel empfand, daß die Gothik, die seinem nüch- ternen Wesen ohnehin zu phantastisch vorkam, den Adel der menschlichen Gestalt nicht zur vollen Geltung gelangen läßt, so wollte er von einer altdeutschen Grabkapelle nichts hören. Umsonst betheuerte ihm Schinkel, der während jener Kriegsjahre noch ganz in teutonischen Anschauungen befangen war: die Architektur des Heidenthums sei für uns kalt, die harte Schicksalsreligion der Alten könne den Gedanken des Todes nicht mit der liebevollen, tröstenden Heiterkeit des Christenthums darstellen. Friedrich Wilhelm ließ inmitten der düsteren Fichten des Charlottenburger Parkes einen kleinen dorischen Tempel erbauen, der nur die einfach ernste Hülle für das Grab der Königin bilden sollte; mit der Ausführung des Denk- mals selbst wurde Christian Rauch beauftragt, der einst im Dienste der Verstorbenen aufgewachsen, durch sie in die Kunst eingeführt, jetzt mit der ganzen Wärme künstlerischer Begeisterung und persönlicher Verehrung sein Werk begann. Tausende strömten herbei, als dies Mausoleum im Frühjahr 1815 eröffnet wurde, die Meisten zuerst nur um das Angesicht der geliebten Fürstin noch einmal zu sehen. Aber wie sie so dalag, die liebliche Gestalt in ihrer stillen Hoheit, lebensvoll als ob sie athme, schön wie ein hellenisches Weib, fromm und friedlich wie eine Christin, jede Ader der Hände und jede Falte des weißen Marmorgewandes mit der höchsten technischen Sicherheit und Sorgfalt behandelt, da verspürten selbst diese nordischen Massen, denen die Sculptur unter allen Künsten am fernsten liegt, einen Hauch vom Geiste der Antike. Der Zug der Wall- fahrer währte fort, jahraus, jahrein; Jedermann fühlte, die deutsche Kunst hatte einen ihrer großen Schritte gethan. Rauchs classisch geschulter, for- menstrenger Realismus errang einen durchschlagenden Erfolg. Die gothi- sche Kunstschwärmerei verschwand bald aus der Berliner Gesellschaft, selbst der romantische Kronprinz wendete sich allmählich den classischen Idealen zu.
Mittlerweile waren die Staatsmänner aus Paris heimgekehrt, Har- denberg noch ganz erfüllt von den mächtigen Eindrücken der Louvre- Gallerie; Altenstein und Eichhorn hatten unterwegs auch die Sammlung
Rauch.
Asmus Carſtens, des kühnen Rebellen gegen die akademiſche Kunſt, ſich zuerſt gebildet und von ihm gelernt, was in den Werken des Alterthums wahrhaft lebendig und für alle Zeiten giltig ſei.
Derweil alſo die altdeutſche und die claſſiſche Richtung noch in un- entſchiedenem Kampfe lagen, geſchah in Berlin eine folgenreiche Wendung. Während der harten Jahre, da der preußiſche Staat am Rande des Bankerotts ſtand, verbot ſich die Errichtung monumentaler Kunſtwerke von ſelbſt. Nur einen künſtleriſchen Plan mochte der unglückliche König nicht aufgeben: er wollte ſeiner Gemahlin ein würdiges Grabmal errich- ten, und ſein geſundes natürliches Gefühl führte ihn auch hier auf den rechten Weg, obwohl er ſich ſelber beſcheiden nur einen Laien in Kunſt- ſachen nannte. Sein Herz ſehnte ſich nach einem verklärten Bilde der Geliebten; und da er dunkel empfand, daß die Gothik, die ſeinem nüch- ternen Weſen ohnehin zu phantaſtiſch vorkam, den Adel der menſchlichen Geſtalt nicht zur vollen Geltung gelangen läßt, ſo wollte er von einer altdeutſchen Grabkapelle nichts hören. Umſonſt betheuerte ihm Schinkel, der während jener Kriegsjahre noch ganz in teutoniſchen Anſchauungen befangen war: die Architektur des Heidenthums ſei für uns kalt, die harte Schickſalsreligion der Alten könne den Gedanken des Todes nicht mit der liebevollen, tröſtenden Heiterkeit des Chriſtenthums darſtellen. Friedrich Wilhelm ließ inmitten der düſteren Fichten des Charlottenburger Parkes einen kleinen doriſchen Tempel erbauen, der nur die einfach ernſte Hülle für das Grab der Königin bilden ſollte; mit der Ausführung des Denk- mals ſelbſt wurde Chriſtian Rauch beauftragt, der einſt im Dienſte der Verſtorbenen aufgewachſen, durch ſie in die Kunſt eingeführt, jetzt mit der ganzen Wärme künſtleriſcher Begeiſterung und perſönlicher Verehrung ſein Werk begann. Tauſende ſtrömten herbei, als dies Mauſoleum im Frühjahr 1815 eröffnet wurde, die Meiſten zuerſt nur um das Angeſicht der geliebten Fürſtin noch einmal zu ſehen. Aber wie ſie ſo dalag, die liebliche Geſtalt in ihrer ſtillen Hoheit, lebensvoll als ob ſie athme, ſchön wie ein helleniſches Weib, fromm und friedlich wie eine Chriſtin, jede Ader der Hände und jede Falte des weißen Marmorgewandes mit der höchſten techniſchen Sicherheit und Sorgfalt behandelt, da verſpürten ſelbſt dieſe nordiſchen Maſſen, denen die Sculptur unter allen Künſten am fernſten liegt, einen Hauch vom Geiſte der Antike. Der Zug der Wall- fahrer währte fort, jahraus, jahrein; Jedermann fühlte, die deutſche Kunſt hatte einen ihrer großen Schritte gethan. Rauchs claſſiſch geſchulter, for- menſtrenger Realismus errang einen durchſchlagenden Erfolg. Die gothi- ſche Kunſtſchwärmerei verſchwand bald aus der Berliner Geſellſchaft, ſelbſt der romantiſche Kronprinz wendete ſich allmählich den claſſiſchen Idealen zu.
Mittlerweile waren die Staatsmänner aus Paris heimgekehrt, Har- denberg noch ganz erfüllt von den mächtigen Eindrücken der Louvre- Gallerie; Altenſtein und Eichhorn hatten unterwegs auch die Sammlung
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Rauch.
Asmus Carſtens, des kühnen Rebellen gegen die akademiſche Kunſt, ſich
zuerſt gebildet und von ihm gelernt, was in den Werken des Alterthums
wahrhaft lebendig und für alle Zeiten giltig ſei.
Derweil alſo die altdeutſche und die claſſiſche Richtung noch in un-
entſchiedenem Kampfe lagen, geſchah in Berlin eine folgenreiche Wendung.
Während der harten Jahre, da der preußiſche Staat am Rande des
Bankerotts ſtand, verbot ſich die Errichtung monumentaler Kunſtwerke
von ſelbſt. Nur einen künſtleriſchen Plan mochte der unglückliche König
nicht aufgeben: er wollte ſeiner Gemahlin ein würdiges Grabmal errich-
ten, und ſein geſundes natürliches Gefühl führte ihn auch hier auf den
rechten Weg, obwohl er ſich ſelber beſcheiden nur einen Laien in Kunſt-
ſachen nannte. Sein Herz ſehnte ſich nach einem verklärten Bilde der
Geliebten; und da er dunkel empfand, daß die Gothik, die ſeinem nüch-
ternen Weſen ohnehin zu phantaſtiſch vorkam, den Adel der menſchlichen
Geſtalt nicht zur vollen Geltung gelangen läßt, ſo wollte er von einer
altdeutſchen Grabkapelle nichts hören. Umſonſt betheuerte ihm Schinkel,
der während jener Kriegsjahre noch ganz in teutoniſchen Anſchauungen
befangen war: die Architektur des Heidenthums ſei für uns kalt, die harte
Schickſalsreligion der Alten könne den Gedanken des Todes nicht mit der
liebevollen, tröſtenden Heiterkeit des Chriſtenthums darſtellen. Friedrich
Wilhelm ließ inmitten der düſteren Fichten des Charlottenburger Parkes
einen kleinen doriſchen Tempel erbauen, der nur die einfach ernſte Hülle
für das Grab der Königin bilden ſollte; mit der Ausführung des Denk-
mals ſelbſt wurde Chriſtian Rauch beauftragt, der einſt im Dienſte der
Verſtorbenen aufgewachſen, durch ſie in die Kunſt eingeführt, jetzt mit
der ganzen Wärme künſtleriſcher Begeiſterung und perſönlicher Verehrung
ſein Werk begann. Tauſende ſtrömten herbei, als dies Mauſoleum im
Frühjahr 1815 eröffnet wurde, die Meiſten zuerſt nur um das Angeſicht
der geliebten Fürſtin noch einmal zu ſehen. Aber wie ſie ſo dalag, die
liebliche Geſtalt in ihrer ſtillen Hoheit, lebensvoll als ob ſie athme, ſchön
wie ein helleniſches Weib, fromm und friedlich wie eine Chriſtin, jede
Ader der Hände und jede Falte des weißen Marmorgewandes mit der
höchſten techniſchen Sicherheit und Sorgfalt behandelt, da verſpürten ſelbſt
dieſe nordiſchen Maſſen, denen die Sculptur unter allen Künſten am
fernſten liegt, einen Hauch vom Geiſte der Antike. Der Zug der Wall-
fahrer währte fort, jahraus, jahrein; Jedermann fühlte, die deutſche Kunſt
hatte einen ihrer großen Schritte gethan. Rauchs claſſiſch geſchulter, for-
menſtrenger Realismus errang einen durchſchlagenden Erfolg. Die gothi-
ſche Kunſtſchwärmerei verſchwand bald aus der Berliner Geſellſchaft, ſelbſt
der romantiſche Kronprinz wendete ſich allmählich den claſſiſchen Idealen zu.
Mittlerweile waren die Staatsmänner aus Paris heimgekehrt, Har-
denberg noch ganz erfüllt von den mächtigen Eindrücken der Louvre-
Gallerie; Altenſtein und Eichhorn hatten unterwegs auch die Sammlung
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/61>, abgerufen am 27.11.2024.
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