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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 3. Geistige Strömungen der ersten Friedensjahre.
der Boisserees in Heidelberg besucht. Sie Alle verhehlten nicht, wie dürftig
ihnen das Berliner Kunstleben neben dem Reichthum des Westens er-
schien, und waren mit dem König einig in dem Entschlusse, daß der
Staat nimmermehr in das banausische Wesen des alten Jahrhunderts
zurücksinken dürfe. Als Altenstein bald darauf an die Spitze des Unter-
richtswesens trat, nahm er sich vor, das mit der Berliner Universität be-
gonnene Werk Wilhelm Humboldts fortzuführen und die preußische Haupt-
stadt auch zu einer Heimstätte deutscher Kunst zu erheben. Das Mäce-
natenthum König Friedrichs I. hatte immer zunächst an den Glanz des
Hofes gedacht; jetzt da die preußische Krone sich zum zweiten male der
bildenden Künste mit Eifer annahm war sie sich der großen Culturauf-
gaben des Staates endlich bewußt geworden. Die Pflege der Kunst er-
schien ihr nunmehr als eine Pflicht der sittlichen Volkserziehung, damit
"aus dem Publikum etwas werde", wie Schinkel zu sagen pflegte; sie dachte
groß von der Freiheit des Künstlers und begnügte sich, den schöpferischen
Köpfen würdige Aufgaben zu stellen ohne sie in ihrer Eigenart zu mei-
stern. Aber dieser vornehmen Gesinnung des Königs entsprachen die Kräfte
des erschöpften Staatshaushalts keineswegs. Preußen mußte wieder ein-
mal, wie schon so oft, versuchen mit armseligen Mitteln Großes zu schaffen,
und zur rechten Zeit erschien der rechte Mann.

Ein universaler Geist, wie die deutsche Kunst seit Dürers Tagen
keinen mehr gesehen, zugleich Baumeister, Bildhauer, Maler, Musiker
und, wenn er schrieb, immer des edelsten, wirksamsten Wortes sicher,
hielt Karl Friedrich Schinkel seine Augen unverwandt auf die höchsten
Ziele der Kunst gerichtet: das Kunstwerk war ihm "ein Bild der sittlichen
Ideale der Zeit". Thätig, schöpferisch in jedem Augenblicke, ein Verächter
der Trägheit, nannte er das Phlegma einen sündhaften Zustand in Zeiten
der Bildung, einen thierischen in den Zeiten der Barbarei. Mit gan-
zem Herzen hing er an seiner märkischen Heimath. Nun er diesen Staat
im Glanze siegreicher Waffen strahlen und den Kampf des Lichtes gegen
die Finsterniß, der ihn selbst so oft in seinen Künstlerträumen beschäftigte,
glorreich beendigt sah, schien ihm die Zeit gekommen auch die Anmuth
und die Fülle einer gereiften Cultur in das preußische Leben einzuführen
und Berlin in einen heiteren Sitz der Musen zu verwandeln. Wie einst
Palladio seinem Vicenza so dachte er der preußischen Hauptstadt den
Stempel seines Geistes aufzuprägen: in der Mitte das Schloß, die Uni-
versität, die Theater und Museen, ringsumher statt der eintönigen Zeilen
niederer Häuser stattliche Palazzi und freundliche Villen mit fließenden
Brunnen, Alles im frischen Grün der Gebüsche versteckt, an der Stadt-
mauer prächtige Thore und draußen vor dem Leipziger Platze ein hoher
gothischer Dom, das Siegesdenkmal des Befreiungskrieges. Aber wäh-
rend jenem glücklichen Vicentiner ein Geschlecht reicher Signoren uner-
schöpfliche Mittel darbot und ihm die Vaterstadt wie einen Haufen weichen

II. 3. Geiſtige Strömungen der erſten Friedensjahre.
der Boiſſerees in Heidelberg beſucht. Sie Alle verhehlten nicht, wie dürftig
ihnen das Berliner Kunſtleben neben dem Reichthum des Weſtens er-
ſchien, und waren mit dem König einig in dem Entſchluſſe, daß der
Staat nimmermehr in das banauſiſche Weſen des alten Jahrhunderts
zurückſinken dürfe. Als Altenſtein bald darauf an die Spitze des Unter-
richtsweſens trat, nahm er ſich vor, das mit der Berliner Univerſität be-
gonnene Werk Wilhelm Humboldts fortzuführen und die preußiſche Haupt-
ſtadt auch zu einer Heimſtätte deutſcher Kunſt zu erheben. Das Mäce-
natenthum König Friedrichs I. hatte immer zunächſt an den Glanz des
Hofes gedacht; jetzt da die preußiſche Krone ſich zum zweiten male der
bildenden Künſte mit Eifer annahm war ſie ſich der großen Culturauf-
gaben des Staates endlich bewußt geworden. Die Pflege der Kunſt er-
ſchien ihr nunmehr als eine Pflicht der ſittlichen Volkserziehung, damit
„aus dem Publikum etwas werde“, wie Schinkel zu ſagen pflegte; ſie dachte
groß von der Freiheit des Künſtlers und begnügte ſich, den ſchöpferiſchen
Köpfen würdige Aufgaben zu ſtellen ohne ſie in ihrer Eigenart zu mei-
ſtern. Aber dieſer vornehmen Geſinnung des Königs entſprachen die Kräfte
des erſchöpften Staatshaushalts keineswegs. Preußen mußte wieder ein-
mal, wie ſchon ſo oft, verſuchen mit armſeligen Mitteln Großes zu ſchaffen,
und zur rechten Zeit erſchien der rechte Mann.

Ein univerſaler Geiſt, wie die deutſche Kunſt ſeit Dürers Tagen
keinen mehr geſehen, zugleich Baumeiſter, Bildhauer, Maler, Muſiker
und, wenn er ſchrieb, immer des edelſten, wirkſamſten Wortes ſicher,
hielt Karl Friedrich Schinkel ſeine Augen unverwandt auf die höchſten
Ziele der Kunſt gerichtet: das Kunſtwerk war ihm „ein Bild der ſittlichen
Ideale der Zeit“. Thätig, ſchöpferiſch in jedem Augenblicke, ein Verächter
der Trägheit, nannte er das Phlegma einen ſündhaften Zuſtand in Zeiten
der Bildung, einen thieriſchen in den Zeiten der Barbarei. Mit gan-
zem Herzen hing er an ſeiner märkiſchen Heimath. Nun er dieſen Staat
im Glanze ſiegreicher Waffen ſtrahlen und den Kampf des Lichtes gegen
die Finſterniß, der ihn ſelbſt ſo oft in ſeinen Künſtlerträumen beſchäftigte,
glorreich beendigt ſah, ſchien ihm die Zeit gekommen auch die Anmuth
und die Fülle einer gereiften Cultur in das preußiſche Leben einzuführen
und Berlin in einen heiteren Sitz der Muſen zu verwandeln. Wie einſt
Palladio ſeinem Vicenza ſo dachte er der preußiſchen Hauptſtadt den
Stempel ſeines Geiſtes aufzuprägen: in der Mitte das Schloß, die Uni-
verſität, die Theater und Muſeen, ringsumher ſtatt der eintönigen Zeilen
niederer Häuſer ſtattliche Palazzi und freundliche Villen mit fließenden
Brunnen, Alles im friſchen Grün der Gebüſche verſteckt, an der Stadt-
mauer prächtige Thore und draußen vor dem Leipziger Platze ein hoher
gothiſcher Dom, das Siegesdenkmal des Befreiungskrieges. Aber wäh-
rend jenem glücklichen Vicentiner ein Geſchlecht reicher Signoren uner-
ſchöpfliche Mittel darbot und ihm die Vaterſtadt wie einen Haufen weichen

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[48/0062] II. 3. Geiſtige Strömungen der erſten Friedensjahre. der Boiſſerees in Heidelberg beſucht. Sie Alle verhehlten nicht, wie dürftig ihnen das Berliner Kunſtleben neben dem Reichthum des Weſtens er- ſchien, und waren mit dem König einig in dem Entſchluſſe, daß der Staat nimmermehr in das banauſiſche Weſen des alten Jahrhunderts zurückſinken dürfe. Als Altenſtein bald darauf an die Spitze des Unter- richtsweſens trat, nahm er ſich vor, das mit der Berliner Univerſität be- gonnene Werk Wilhelm Humboldts fortzuführen und die preußiſche Haupt- ſtadt auch zu einer Heimſtätte deutſcher Kunſt zu erheben. Das Mäce- natenthum König Friedrichs I. hatte immer zunächſt an den Glanz des Hofes gedacht; jetzt da die preußiſche Krone ſich zum zweiten male der bildenden Künſte mit Eifer annahm war ſie ſich der großen Culturauf- gaben des Staates endlich bewußt geworden. Die Pflege der Kunſt er- ſchien ihr nunmehr als eine Pflicht der ſittlichen Volkserziehung, damit „aus dem Publikum etwas werde“, wie Schinkel zu ſagen pflegte; ſie dachte groß von der Freiheit des Künſtlers und begnügte ſich, den ſchöpferiſchen Köpfen würdige Aufgaben zu ſtellen ohne ſie in ihrer Eigenart zu mei- ſtern. Aber dieſer vornehmen Geſinnung des Königs entſprachen die Kräfte des erſchöpften Staatshaushalts keineswegs. Preußen mußte wieder ein- mal, wie ſchon ſo oft, verſuchen mit armſeligen Mitteln Großes zu ſchaffen, und zur rechten Zeit erſchien der rechte Mann. Ein univerſaler Geiſt, wie die deutſche Kunſt ſeit Dürers Tagen keinen mehr geſehen, zugleich Baumeiſter, Bildhauer, Maler, Muſiker und, wenn er ſchrieb, immer des edelſten, wirkſamſten Wortes ſicher, hielt Karl Friedrich Schinkel ſeine Augen unverwandt auf die höchſten Ziele der Kunſt gerichtet: das Kunſtwerk war ihm „ein Bild der ſittlichen Ideale der Zeit“. Thätig, ſchöpferiſch in jedem Augenblicke, ein Verächter der Trägheit, nannte er das Phlegma einen ſündhaften Zuſtand in Zeiten der Bildung, einen thieriſchen in den Zeiten der Barbarei. Mit gan- zem Herzen hing er an ſeiner märkiſchen Heimath. Nun er dieſen Staat im Glanze ſiegreicher Waffen ſtrahlen und den Kampf des Lichtes gegen die Finſterniß, der ihn ſelbſt ſo oft in ſeinen Künſtlerträumen beſchäftigte, glorreich beendigt ſah, ſchien ihm die Zeit gekommen auch die Anmuth und die Fülle einer gereiften Cultur in das preußiſche Leben einzuführen und Berlin in einen heiteren Sitz der Muſen zu verwandeln. Wie einſt Palladio ſeinem Vicenza ſo dachte er der preußiſchen Hauptſtadt den Stempel ſeines Geiſtes aufzuprägen: in der Mitte das Schloß, die Uni- verſität, die Theater und Muſeen, ringsumher ſtatt der eintönigen Zeilen niederer Häuſer ſtattliche Palazzi und freundliche Villen mit fließenden Brunnen, Alles im friſchen Grün der Gebüſche verſteckt, an der Stadt- mauer prächtige Thore und draußen vor dem Leipziger Platze ein hoher gothiſcher Dom, das Siegesdenkmal des Befreiungskrieges. Aber wäh- rend jenem glücklichen Vicentiner ein Geſchlecht reicher Signoren uner- ſchöpfliche Mittel darbot und ihm die Vaterſtadt wie einen Haufen weichen

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/62>, abgerufen am 23.11.2024.