die Lebensbedingungen eines großen Staates zu verstehen, stellten die kleinen Höfe alles Ernstes die Forderung, Preußen müsse jene reiflich erwogene, in alle Zweige des Gemeinwesens tief einschneidende Reform sofort wieder rückgängig machen, noch bevor sie die Probe der Erfahrung bestanden hatte -- und halb Deutschland stimmte dem thörichten Ansinnen zu.
Außerhalb der preußischen Beamtenkreise wagten in diesen ersten Jahren nur zwei namhafte Schriftsteller das Werk Maassens unbedingt zu ver- theidigen. Der unermüdliche Benzenberg bewährte in seinem Buche "über Preußens Geldhaushalt und neues Steuersystem" wieder einmal seinen praktischen Takt. Im Verkehre mit Hardenberg hatte er gelernt, den Staatshaushalt von oben, vom Standpunkte der Regierenden zu betrachten. Er wußte, daß jede ernsthafte Kritik eines Steuersystems beginnen muß mit der Frage: welche Ausgaben dem Staate unerläßlich seien? -- einer Frage, die von den meisten Publicisten jener Zeit gar nicht berührt wurde. So gelingt ihm nachzuweisen, daß Preußen seiner Zolleinkünfte nicht ent- behren könne. Er scheut sich nicht das Wehrgesetz und die neuen Steuer- gesetze als die größten Wohlthaten der jüngsten Epoche Friedrich Wilhelms III. zu loben; er verlangt, daß man sie gegen jeden Widerstand aufrecht halte, fordert die Nachbarstaaten auf, der Einladung des Königs zu folgen und mit Preußen wegen gegenseitiger Aufhebung der Zölle zu verhandeln. Dem Traumgebilde der Bundeszölle geht er hart zu Leibe. Er richtet an F. List (August 1819) einen offenen Brief und fragt, wie denn der Bundestag, "der keine Art von Legislation hat", eine solche Reform schaffen oder gar die Zollverwaltung leiten solle? und sei denn die Aufhebung der Binnenmauthen möglich ohne gleichmäßige Besteuerung des inneren Con- sums? Die Stimme des nüchternen Mannes verhallte in dem allgemeinen Toben; war er doch längst schon den Liberalen verdächtig, weil er ein offenes Auge für die Eigenart des preußischen Staates besaß.
Auch einer der tüchtigsten Kaufleute Deutschlands, E. W. Arnoldi in Gotha begrüßte das preußische Zollgesetz schon im Januar 1819 als den ersten Keim eines Vereines aller deutschen Staaten. Nur herzhaft einge- schlagen in die dargebotene Hand: -- so sprach er sich im Allgemeinen Anzeiger aus -- Preußen stellt ja den Grundsatz der Gegenseitigkeit an die Spitze seines Gesetzes und erklärt sich bereit zu Verträgen mit den Nachbarn. Der treffliche Mann hatte einst in Hamburg noch zu den Füßen des alten Büsch gesessen und sich dort eine freie Ansicht vom Welt- handel gebildet, welche der binnenländischen Kleinlebigkeit der Mehrzahl seiner Standesgenossen noch ganz fremd war. Ihn wurmte die kindliche Unmündigkeit dieser Geschäftswelt, die so gar nichts that um sich das Joch einer widersinnigen Handelsgesetzgebung vom Nacken zu schütteln. Schon seit Jahren trug er sich mit dem Gedanken eines Bundes der deutschen Fabri- kanten zur Vertretung ihrer gemeinsamen Interessen. Dann stiftete er in
Treitschke, Deutsche Geschichte. II. 39
Benzenberg. Arnoldi.
die Lebensbedingungen eines großen Staates zu verſtehen, ſtellten die kleinen Höfe alles Ernſtes die Forderung, Preußen müſſe jene reiflich erwogene, in alle Zweige des Gemeinweſens tief einſchneidende Reform ſofort wieder rückgängig machen, noch bevor ſie die Probe der Erfahrung beſtanden hatte — und halb Deutſchland ſtimmte dem thörichten Anſinnen zu.
Außerhalb der preußiſchen Beamtenkreiſe wagten in dieſen erſten Jahren nur zwei namhafte Schriftſteller das Werk Maaſſens unbedingt zu ver- theidigen. Der unermüdliche Benzenberg bewährte in ſeinem Buche „über Preußens Geldhaushalt und neues Steuerſyſtem“ wieder einmal ſeinen praktiſchen Takt. Im Verkehre mit Hardenberg hatte er gelernt, den Staatshaushalt von oben, vom Standpunkte der Regierenden zu betrachten. Er wußte, daß jede ernſthafte Kritik eines Steuerſyſtems beginnen muß mit der Frage: welche Ausgaben dem Staate unerläßlich ſeien? — einer Frage, die von den meiſten Publiciſten jener Zeit gar nicht berührt wurde. So gelingt ihm nachzuweiſen, daß Preußen ſeiner Zolleinkünfte nicht ent- behren könne. Er ſcheut ſich nicht das Wehrgeſetz und die neuen Steuer- geſetze als die größten Wohlthaten der jüngſten Epoche Friedrich Wilhelms III. zu loben; er verlangt, daß man ſie gegen jeden Widerſtand aufrecht halte, fordert die Nachbarſtaaten auf, der Einladung des Königs zu folgen und mit Preußen wegen gegenſeitiger Aufhebung der Zölle zu verhandeln. Dem Traumgebilde der Bundeszölle geht er hart zu Leibe. Er richtet an F. Liſt (Auguſt 1819) einen offenen Brief und fragt, wie denn der Bundestag, „der keine Art von Legislation hat“, eine ſolche Reform ſchaffen oder gar die Zollverwaltung leiten ſolle? und ſei denn die Aufhebung der Binnenmauthen möglich ohne gleichmäßige Beſteuerung des inneren Con- ſums? Die Stimme des nüchternen Mannes verhallte in dem allgemeinen Toben; war er doch längſt ſchon den Liberalen verdächtig, weil er ein offenes Auge für die Eigenart des preußiſchen Staates beſaß.
Auch einer der tüchtigſten Kaufleute Deutſchlands, E. W. Arnoldi in Gotha begrüßte das preußiſche Zollgeſetz ſchon im Januar 1819 als den erſten Keim eines Vereines aller deutſchen Staaten. Nur herzhaft einge- ſchlagen in die dargebotene Hand: — ſo ſprach er ſich im Allgemeinen Anzeiger aus — Preußen ſtellt ja den Grundſatz der Gegenſeitigkeit an die Spitze ſeines Geſetzes und erklärt ſich bereit zu Verträgen mit den Nachbarn. Der treffliche Mann hatte einſt in Hamburg noch zu den Füßen des alten Büſch geſeſſen und ſich dort eine freie Anſicht vom Welt- handel gebildet, welche der binnenländiſchen Kleinlebigkeit der Mehrzahl ſeiner Standesgenoſſen noch ganz fremd war. Ihn wurmte die kindliche Unmündigkeit dieſer Geſchäftswelt, die ſo gar nichts that um ſich das Joch einer widerſinnigen Handelsgeſetzgebung vom Nacken zu ſchütteln. Schon ſeit Jahren trug er ſich mit dem Gedanken eines Bundes der deutſchen Fabri- kanten zur Vertretung ihrer gemeinſamen Intereſſen. Dann ſtiftete er in
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 39
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Benzenberg. Arnoldi.
die Lebensbedingungen eines großen Staates zu verſtehen, ſtellten die kleinen
Höfe alles Ernſtes die Forderung, Preußen müſſe jene reiflich erwogene,
in alle Zweige des Gemeinweſens tief einſchneidende Reform ſofort wieder
rückgängig machen, noch bevor ſie die Probe der Erfahrung beſtanden
hatte — und halb Deutſchland ſtimmte dem thörichten Anſinnen zu.
Außerhalb der preußiſchen Beamtenkreiſe wagten in dieſen erſten Jahren
nur zwei namhafte Schriftſteller das Werk Maaſſens unbedingt zu ver-
theidigen. Der unermüdliche Benzenberg bewährte in ſeinem Buche „über
Preußens Geldhaushalt und neues Steuerſyſtem“ wieder einmal ſeinen
praktiſchen Takt. Im Verkehre mit Hardenberg hatte er gelernt, den
Staatshaushalt von oben, vom Standpunkte der Regierenden zu betrachten.
Er wußte, daß jede ernſthafte Kritik eines Steuerſyſtems beginnen muß
mit der Frage: welche Ausgaben dem Staate unerläßlich ſeien? — einer
Frage, die von den meiſten Publiciſten jener Zeit gar nicht berührt wurde.
So gelingt ihm nachzuweiſen, daß Preußen ſeiner Zolleinkünfte nicht ent-
behren könne. Er ſcheut ſich nicht das Wehrgeſetz und die neuen Steuer-
geſetze als die größten Wohlthaten der jüngſten Epoche Friedrich Wilhelms III.
zu loben; er verlangt, daß man ſie gegen jeden Widerſtand aufrecht halte,
fordert die Nachbarſtaaten auf, der Einladung des Königs zu folgen und
mit Preußen wegen gegenſeitiger Aufhebung der Zölle zu verhandeln. Dem
Traumgebilde der Bundeszölle geht er hart zu Leibe. Er richtet an
F. Liſt (Auguſt 1819) einen offenen Brief und fragt, wie denn der
Bundestag, „der keine Art von Legislation hat“, eine ſolche Reform ſchaffen
oder gar die Zollverwaltung leiten ſolle? und ſei denn die Aufhebung der
Binnenmauthen möglich ohne gleichmäßige Beſteuerung des inneren Con-
ſums? Die Stimme des nüchternen Mannes verhallte in dem allgemeinen
Toben; war er doch längſt ſchon den Liberalen verdächtig, weil er ein
offenes Auge für die Eigenart des preußiſchen Staates beſaß.
Auch einer der tüchtigſten Kaufleute Deutſchlands, E. W. Arnoldi in
Gotha begrüßte das preußiſche Zollgeſetz ſchon im Januar 1819 als den
erſten Keim eines Vereines aller deutſchen Staaten. Nur herzhaft einge-
ſchlagen in die dargebotene Hand: — ſo ſprach er ſich im Allgemeinen
Anzeiger aus — Preußen ſtellt ja den Grundſatz der Gegenſeitigkeit an
die Spitze ſeines Geſetzes und erklärt ſich bereit zu Verträgen mit den
Nachbarn. Der treffliche Mann hatte einſt in Hamburg noch zu den
Füßen des alten Büſch geſeſſen und ſich dort eine freie Anſicht vom Welt-
handel gebildet, welche der binnenländiſchen Kleinlebigkeit der Mehrzahl
ſeiner Standesgenoſſen noch ganz fremd war. Ihn wurmte die kindliche
Unmündigkeit dieſer Geſchäftswelt, die ſo gar nichts that um ſich das Joch
einer widerſinnigen Handelsgeſetzgebung vom Nacken zu ſchütteln. Schon ſeit
Jahren trug er ſich mit dem Gedanken eines Bundes der deutſchen Fabri-
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Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 39
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 609. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/623>, abgerufen am 22.11.2024.
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