anlassung geschehen!*) Um einer so frevelhaften Mißdeutung vorzubeugen, be- schloß die Bundesversammlung nur, daß man sich späterhin einmal mit dem Art. 19 beschäftigen wolle. Einige Wochen nachher (22. Juli) erinnerten die ernestinischen Höfe den Bundestag nochmals an den unglücklichen Ar- tikel; Lists Freund E. Weber und die Fabrikanten des Thüringer Waldes ließen ihnen keine Ruhe. Diesmal ergingen sich Baden, Württemberg, beide Hessen und die Ernestiner in wohlgemeinten, aber auch sehr wohlfeilen Reden zum Preise der deutschen Verkehrsfreiheit und begeisterten die Ver- sammlung dermaßen, daß sie nunmehr wirklich beschloß, nach den Ferien, also 1820, solle eine Commission eingesetzt werden. Das war die Hilfe, welche Deutschlands Handel in Frankfurt zu erwarten hatte. Der preußische Gesandte aber fand es mit Recht unbegreiflich, daß diese Versammlung sich's zutraue, so schwierige Arbeiten auch nur in die Hand zu nehmen.**)
Trotz solcher Erfahrungen sollten noch viele Jahre vergehen, bis die Unausführbarkeit der leeren Versprechungen des Art. 19 allgemein erkannt wurde. Mit großer Hartnäckigkeit hielt namentlich die badische Regierung an dem Traumbilde des Bundeszollwesens fest; ihr langgestrecktes, auf die Durchfuhr angewiesenes Land litt unter dem Jammer der Binnenmauthen besonders schwer, und nicht ohne Besorgniß betrachtete Minister Berstett die wachsende Erbitterung im Volke. Der beschränkte Mann hoffte durch wirthschaftliches Gedeihen die Nation mit ihrer schimpflichen Zersplitterung zu versöhnen, ihr "einen materiellen Ersatz für den Verlust mancher chimä- rischen, aber liebgewordenen Ideen" zu geben. Darum empfahl er auf den Karlsbader Conferenzen in einer langen Denkschrift (15. August) die Ein- führung eines Bundes-Douanensystems, das für dreißig Millionen Men- schen freien Verkehr schaffen müsse; über die große Frage, wie es möglich sein sollte, Hannover, Holstein, Luxemburg, Deutsch-Oesterreich einem natio- nalen Zollwesen einzufügen, ging das überaus unklare, widerspruchsvolle Schriftstück schweigend hinweg. Metternich wurde durch diesen Antrag, welchem Oesterreich sich schlechterdings nicht fügen konnte, unangenehm überrascht und versuchte sogar die Competenz des Bundes in Zweifel zu ziehen. "Der Handel -- so behauptete er -- seine Ausdehnung wie seine Beschränkung gehört zu den ersten Befugnissen der Souveränität." Zur Mißhandlung der Universitäten, von denen die Bundesakte kein Wort sagte, war der Bund, nach der k. k. Doctrin, unzweifelhaft befugt; aber die Verkehrsfreiheit, welche der Bundesvertrag ausdrücklich in Aussicht stellte, verstieß gegen die Souveränität der Bundesstaaten. Drastischer konnte das Verhältniß der Hofburg zu den Lebensfragen der deutschen Nation unmöglich bezeichnet werden. Auf das wiederholte Andrängen Ba- dens und Württembergs erklärte sich der österreichische Staatsmann zuletzt
*) Berkheims Bericht, Frankfurt 25. Juni 1819.
**) Goltz's Bericht, 20. Juli 1819.
Der Bundestag und die Verkehrsfreiheit.
anlaſſung geſchehen!*) Um einer ſo frevelhaften Mißdeutung vorzubeugen, be- ſchloß die Bundesverſammlung nur, daß man ſich ſpäterhin einmal mit dem Art. 19 beſchäftigen wolle. Einige Wochen nachher (22. Juli) erinnerten die erneſtiniſchen Höfe den Bundestag nochmals an den unglücklichen Ar- tikel; Liſts Freund E. Weber und die Fabrikanten des Thüringer Waldes ließen ihnen keine Ruhe. Diesmal ergingen ſich Baden, Württemberg, beide Heſſen und die Erneſtiner in wohlgemeinten, aber auch ſehr wohlfeilen Reden zum Preiſe der deutſchen Verkehrsfreiheit und begeiſterten die Ver- ſammlung dermaßen, daß ſie nunmehr wirklich beſchloß, nach den Ferien, alſo 1820, ſolle eine Commiſſion eingeſetzt werden. Das war die Hilfe, welche Deutſchlands Handel in Frankfurt zu erwarten hatte. Der preußiſche Geſandte aber fand es mit Recht unbegreiflich, daß dieſe Verſammlung ſich’s zutraue, ſo ſchwierige Arbeiten auch nur in die Hand zu nehmen.**)
Trotz ſolcher Erfahrungen ſollten noch viele Jahre vergehen, bis die Unausführbarkeit der leeren Verſprechungen des Art. 19 allgemein erkannt wurde. Mit großer Hartnäckigkeit hielt namentlich die badiſche Regierung an dem Traumbilde des Bundeszollweſens feſt; ihr langgeſtrecktes, auf die Durchfuhr angewieſenes Land litt unter dem Jammer der Binnenmauthen beſonders ſchwer, und nicht ohne Beſorgniß betrachtete Miniſter Berſtett die wachſende Erbitterung im Volke. Der beſchränkte Mann hoffte durch wirthſchaftliches Gedeihen die Nation mit ihrer ſchimpflichen Zerſplitterung zu verſöhnen, ihr „einen materiellen Erſatz für den Verluſt mancher chimä- riſchen, aber liebgewordenen Ideen“ zu geben. Darum empfahl er auf den Karlsbader Conferenzen in einer langen Denkſchrift (15. Auguſt) die Ein- führung eines Bundes-Douanenſyſtems, das für dreißig Millionen Men- ſchen freien Verkehr ſchaffen müſſe; über die große Frage, wie es möglich ſein ſollte, Hannover, Holſtein, Luxemburg, Deutſch-Oeſterreich einem natio- nalen Zollweſen einzufügen, ging das überaus unklare, widerſpruchsvolle Schriftſtück ſchweigend hinweg. Metternich wurde durch dieſen Antrag, welchem Oeſterreich ſich ſchlechterdings nicht fügen konnte, unangenehm überraſcht und verſuchte ſogar die Competenz des Bundes in Zweifel zu ziehen. „Der Handel — ſo behauptete er — ſeine Ausdehnung wie ſeine Beſchränkung gehört zu den erſten Befugniſſen der Souveränität.“ Zur Mißhandlung der Univerſitäten, von denen die Bundesakte kein Wort ſagte, war der Bund, nach der k. k. Doctrin, unzweifelhaft befugt; aber die Verkehrsfreiheit, welche der Bundesvertrag ausdrücklich in Ausſicht ſtellte, verſtieß gegen die Souveränität der Bundesſtaaten. Draſtiſcher konnte das Verhältniß der Hofburg zu den Lebensfragen der deutſchen Nation unmöglich bezeichnet werden. Auf das wiederholte Andrängen Ba- dens und Württembergs erklärte ſich der öſterreichiſche Staatsmann zuletzt
*) Berkheims Bericht, Frankfurt 25. Juni 1819.
**) Goltz’s Bericht, 20. Juli 1819.
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Der Bundestag und die Verkehrsfreiheit.
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ſchloß die Bundesverſammlung nur, daß man ſich ſpäterhin einmal mit
dem Art. 19 beſchäftigen wolle. Einige Wochen nachher (22. Juli) erinnerten
die erneſtiniſchen Höfe den Bundestag nochmals an den unglücklichen Ar-
tikel; Liſts Freund E. Weber und die Fabrikanten des Thüringer Waldes
ließen ihnen keine Ruhe. Diesmal ergingen ſich Baden, Württemberg, beide
Heſſen und die Erneſtiner in wohlgemeinten, aber auch ſehr wohlfeilen
Reden zum Preiſe der deutſchen Verkehrsfreiheit und begeiſterten die Ver-
ſammlung dermaßen, daß ſie nunmehr wirklich beſchloß, nach den Ferien,
alſo 1820, ſolle eine Commiſſion eingeſetzt werden. Das war die Hilfe,
welche Deutſchlands Handel in Frankfurt zu erwarten hatte. Der preußiſche
Geſandte aber fand es mit Recht unbegreiflich, daß dieſe Verſammlung ſich’s
zutraue, ſo ſchwierige Arbeiten auch nur in die Hand zu nehmen. **)
Trotz ſolcher Erfahrungen ſollten noch viele Jahre vergehen, bis die
Unausführbarkeit der leeren Verſprechungen des Art. 19 allgemein erkannt
wurde. Mit großer Hartnäckigkeit hielt namentlich die badiſche Regierung
an dem Traumbilde des Bundeszollweſens feſt; ihr langgeſtrecktes, auf die
Durchfuhr angewieſenes Land litt unter dem Jammer der Binnenmauthen
beſonders ſchwer, und nicht ohne Beſorgniß betrachtete Miniſter Berſtett
die wachſende Erbitterung im Volke. Der beſchränkte Mann hoffte durch
wirthſchaftliches Gedeihen die Nation mit ihrer ſchimpflichen Zerſplitterung
zu verſöhnen, ihr „einen materiellen Erſatz für den Verluſt mancher chimä-
riſchen, aber liebgewordenen Ideen“ zu geben. Darum empfahl er auf den
Karlsbader Conferenzen in einer langen Denkſchrift (15. Auguſt) die Ein-
führung eines Bundes-Douanenſyſtems, das für dreißig Millionen Men-
ſchen freien Verkehr ſchaffen müſſe; über die große Frage, wie es möglich
ſein ſollte, Hannover, Holſtein, Luxemburg, Deutſch-Oeſterreich einem natio-
nalen Zollweſen einzufügen, ging das überaus unklare, widerſpruchsvolle
Schriftſtück ſchweigend hinweg. Metternich wurde durch dieſen Antrag,
welchem Oeſterreich ſich ſchlechterdings nicht fügen konnte, unangenehm
überraſcht und verſuchte ſogar die Competenz des Bundes in Zweifel zu
ziehen. „Der Handel — ſo behauptete er — ſeine Ausdehnung wie ſeine
Beſchränkung gehört zu den erſten Befugniſſen der Souveränität.“ Zur
Mißhandlung der Univerſitäten, von denen die Bundesakte kein Wort
ſagte, war der Bund, nach der k. k. Doctrin, unzweifelhaft befugt; aber
die Verkehrsfreiheit, welche der Bundesvertrag ausdrücklich in Ausſicht
ſtellte, verſtieß gegen die Souveränität der Bundesſtaaten. Draſtiſcher
konnte das Verhältniß der Hofburg zu den Lebensfragen der deutſchen
Nation unmöglich bezeichnet werden. Auf das wiederholte Andrängen Ba-
dens und Württembergs erklärte ſich der öſterreichiſche Staatsmann zuletzt
*) Berkheims Bericht, Frankfurt 25. Juni 1819.
**) Goltz’s Bericht, 20. Juli 1819.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 613. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/627>, abgerufen am 18.06.2024.
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