doch bereit, die Zollfrage auf die Tagesordnung der bevorstehenden Wiener Conferenzen zu setzen. Er wußte wohl, was von solchen Berathungen zu erwarten sei.
Unterdessen hatte auch der beste Kopf unter den badischen Finanz- männern, Nebenius seine Gedanken über die Bedingungen der deutschen Verkehrsfreiheit in einer geistvollen Denkschrift niedergelegt, einer Privat- arbeit, welche zwar niemals, auch nicht mittelbar, auf die Entwicklung des Zollvereins irgend einen Einfluß ausgeübt hat, aber durch Klarheit und Bestimmtheit Alles übertraf was damals von Privatleuten über deutsche Handelspolitik geschrieben wurde. Der gelehrte Verfasser der badischen Constitution errang sich schon in jenen Jahren durch seine Schrift über die englische Staatswirthschaft ein wissenschaftliches Ansehen, das späterhin, seit dem Erscheinen seines Werkes "der öffentliche Credit" noch höher stieg; dies classische Buch kann niemals ganz veralten, es wird, wie Ricardos Werke, dem angehenden Nationalökonomen immer unschätzbar bleiben als eine Schule strengen methodischen Denkens. Auch seine um Neujahr 1819 verfaßte handelspolitische Denkschrift verräth überall den sicheren Blick des gewiegten Kenners. Sie wurde im April 1819 vertraulich den badischen Landtagsmitgliedern mitgetheilt und dann im Winter den Wiener Confe- renzen durch Berstett als ein beachtenswerthes Privatgutachten überreicht. Maassen freilich, Klewiz und die anderen Urheber des preußischen Zollge- setzes konnten aus den Rathschlägen des badischen Staatsmannes nichts lernen. Für sie war das Richtige in seiner Denkschrift nicht neu, das Neue nicht richtig.
Die Denkschrift tritt, in den behutsam schonenden Formen, welche Nebenius liebte, entschieden gegen das preußische Zollgesetz auf. Sie hebt die Uebelstände dieses Systems scharf heraus, ohne die Lichtseiten zu er- wähnen. Sie stellt den Satz hin: "kein deutscher Staat, Oesterreich aus- genommen, vermag sein Gebiet gegen überwiegende fremde Concurrenz wirksam zu schützen" -- eine Behauptung, welche Preußens Staatsmänner soeben durch die That zu widerlegen begannen. Die Urheber des Gesetzes vom 26. Mai gingen aus von den Bedürfnissen des preußischen Staats- haushalts, Nebenius hebt an mit der Betrachtung der Leiden des deutschen Verkehrs. Darum steht Jenen der finanzielle, Diesem der staatswirth- schaftliche Gesichtspunkt obenan. Darum wollen Jene die allmähliche Erweiterung des preußischen Zollwesens unter den Bedingungen, welche das Interesse der preußischen Finanzen vorschreibt. Nebenius hingegen fordert, ganz im Sinne der Durchschnittsmeinung der Zeit, ein System deutscher Bundeszölle, eine vom Bundestage abhängige Zollverwaltung. Er will mithin genau das Gegentheil der Politik, welche den wirklichen Zoll- verein geschaffen hat; der erste Schritt auf dem von Nebenius vorgeschla- genen Wege mußte offenbar zur Aufhebung des preußischen Zollgesetzes führen, also grade die Grundlage des späteren Zollvereins vernichten.
II. 10. Der Umſchwung am preußiſchen Hofe.
doch bereit, die Zollfrage auf die Tagesordnung der bevorſtehenden Wiener Conferenzen zu ſetzen. Er wußte wohl, was von ſolchen Berathungen zu erwarten ſei.
Unterdeſſen hatte auch der beſte Kopf unter den badiſchen Finanz- männern, Nebenius ſeine Gedanken über die Bedingungen der deutſchen Verkehrsfreiheit in einer geiſtvollen Denkſchrift niedergelegt, einer Privat- arbeit, welche zwar niemals, auch nicht mittelbar, auf die Entwicklung des Zollvereins irgend einen Einfluß ausgeübt hat, aber durch Klarheit und Beſtimmtheit Alles übertraf was damals von Privatleuten über deutſche Handelspolitik geſchrieben wurde. Der gelehrte Verfaſſer der badiſchen Conſtitution errang ſich ſchon in jenen Jahren durch ſeine Schrift über die engliſche Staatswirthſchaft ein wiſſenſchaftliches Anſehen, das ſpäterhin, ſeit dem Erſcheinen ſeines Werkes „der öffentliche Credit“ noch höher ſtieg; dies claſſiſche Buch kann niemals ganz veralten, es wird, wie Ricardos Werke, dem angehenden Nationalökonomen immer unſchätzbar bleiben als eine Schule ſtrengen methodiſchen Denkens. Auch ſeine um Neujahr 1819 verfaßte handelspolitiſche Denkſchrift verräth überall den ſicheren Blick des gewiegten Kenners. Sie wurde im April 1819 vertraulich den badiſchen Landtagsmitgliedern mitgetheilt und dann im Winter den Wiener Confe- renzen durch Berſtett als ein beachtenswerthes Privatgutachten überreicht. Maaſſen freilich, Klewiz und die anderen Urheber des preußiſchen Zollge- ſetzes konnten aus den Rathſchlägen des badiſchen Staatsmannes nichts lernen. Für ſie war das Richtige in ſeiner Denkſchrift nicht neu, das Neue nicht richtig.
Die Denkſchrift tritt, in den behutſam ſchonenden Formen, welche Nebenius liebte, entſchieden gegen das preußiſche Zollgeſetz auf. Sie hebt die Uebelſtände dieſes Syſtems ſcharf heraus, ohne die Lichtſeiten zu er- wähnen. Sie ſtellt den Satz hin: „kein deutſcher Staat, Oeſterreich aus- genommen, vermag ſein Gebiet gegen überwiegende fremde Concurrenz wirkſam zu ſchützen“ — eine Behauptung, welche Preußens Staatsmänner ſoeben durch die That zu widerlegen begannen. Die Urheber des Geſetzes vom 26. Mai gingen aus von den Bedürfniſſen des preußiſchen Staats- haushalts, Nebenius hebt an mit der Betrachtung der Leiden des deutſchen Verkehrs. Darum ſteht Jenen der finanzielle, Dieſem der ſtaatswirth- ſchaftliche Geſichtspunkt obenan. Darum wollen Jene die allmähliche Erweiterung des preußiſchen Zollweſens unter den Bedingungen, welche das Intereſſe der preußiſchen Finanzen vorſchreibt. Nebenius hingegen fordert, ganz im Sinne der Durchſchnittsmeinung der Zeit, ein Syſtem deutſcher Bundeszölle, eine vom Bundestage abhängige Zollverwaltung. Er will mithin genau das Gegentheil der Politik, welche den wirklichen Zoll- verein geſchaffen hat; der erſte Schritt auf dem von Nebenius vorgeſchla- genen Wege mußte offenbar zur Aufhebung des preußiſchen Zollgeſetzes führen, alſo grade die Grundlage des ſpäteren Zollvereins vernichten.
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doch bereit, die Zollfrage auf die Tagesordnung der bevorſtehenden Wiener
Conferenzen zu ſetzen. Er wußte wohl, was von ſolchen Berathungen zu
erwarten ſei.
Unterdeſſen hatte auch der beſte Kopf unter den badiſchen Finanz-
männern, Nebenius ſeine Gedanken über die Bedingungen der deutſchen
Verkehrsfreiheit in einer geiſtvollen Denkſchrift niedergelegt, einer Privat-
arbeit, welche zwar niemals, auch nicht mittelbar, auf die Entwicklung des
Zollvereins irgend einen Einfluß ausgeübt hat, aber durch Klarheit und
Beſtimmtheit Alles übertraf was damals von Privatleuten über deutſche
Handelspolitik geſchrieben wurde. Der gelehrte Verfaſſer der badiſchen
Conſtitution errang ſich ſchon in jenen Jahren durch ſeine Schrift über die
engliſche Staatswirthſchaft ein wiſſenſchaftliches Anſehen, das ſpäterhin,
ſeit dem Erſcheinen ſeines Werkes „der öffentliche Credit“ noch höher
ſtieg; dies claſſiſche Buch kann niemals ganz veralten, es wird, wie Ricardos
Werke, dem angehenden Nationalökonomen immer unſchätzbar bleiben als
eine Schule ſtrengen methodiſchen Denkens. Auch ſeine um Neujahr 1819
verfaßte handelspolitiſche Denkſchrift verräth überall den ſicheren Blick des
gewiegten Kenners. Sie wurde im April 1819 vertraulich den badiſchen
Landtagsmitgliedern mitgetheilt und dann im Winter den Wiener Confe-
renzen durch Berſtett als ein beachtenswerthes Privatgutachten überreicht.
Maaſſen freilich, Klewiz und die anderen Urheber des preußiſchen Zollge-
ſetzes konnten aus den Rathſchlägen des badiſchen Staatsmannes nichts
lernen. Für ſie war das Richtige in ſeiner Denkſchrift nicht neu, das
Neue nicht richtig.
Die Denkſchrift tritt, in den behutſam ſchonenden Formen, welche
Nebenius liebte, entſchieden gegen das preußiſche Zollgeſetz auf. Sie hebt
die Uebelſtände dieſes Syſtems ſcharf heraus, ohne die Lichtſeiten zu er-
wähnen. Sie ſtellt den Satz hin: „kein deutſcher Staat, Oeſterreich aus-
genommen, vermag ſein Gebiet gegen überwiegende fremde Concurrenz
wirkſam zu ſchützen“ — eine Behauptung, welche Preußens Staatsmänner
ſoeben durch die That zu widerlegen begannen. Die Urheber des Geſetzes
vom 26. Mai gingen aus von den Bedürfniſſen des preußiſchen Staats-
haushalts, Nebenius hebt an mit der Betrachtung der Leiden des deutſchen
Verkehrs. Darum ſteht Jenen der finanzielle, Dieſem der ſtaatswirth-
ſchaftliche Geſichtspunkt obenan. Darum wollen Jene die allmähliche
Erweiterung des preußiſchen Zollweſens unter den Bedingungen, welche das
Intereſſe der preußiſchen Finanzen vorſchreibt. Nebenius hingegen fordert,
ganz im Sinne der Durchſchnittsmeinung der Zeit, ein Syſtem deutſcher
Bundeszölle, eine vom Bundestage abhängige Zollverwaltung. Er will
mithin genau das Gegentheil der Politik, welche den wirklichen Zoll-
verein geſchaffen hat; der erſte Schritt auf dem von Nebenius vorgeſchla-
genen Wege mußte offenbar zur Aufhebung des preußiſchen Zollgeſetzes
führen, alſo grade die Grundlage des ſpäteren Zollvereins vernichten.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 614. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/628>, abgerufen am 22.11.2024.
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