angenommen. Er kannte alle Herzensgeheimnisse der Kleinstaaterei, da sein Regierungsbezirk mit fast einem Dutzend kleiner Landesherrschaften im Gemenge lag; er war mit den beiden Weise als guter Nachbar vertraut geworden und erwarb sich jetzt um Deutschlands werdende Handelseinheit, die ihm bald noch Größeres verdanken sollte, sein erstes Verdienst, indem er den Freunden vorstellte, wie kindisch es sei an einer Zollhoheit festzu- halten, die doch niemals in Wirksamkeit treten konnte.*) Der kunstsinnige Fürst wünschte längst, im freundlichen Thale der Wipper ein Sonders- hausener Nationaltheater zu gründen, aber die Mittel fehlten; schloß er sich dem preußischen Zollwesen an, so war ihm aus der Noth geholfen. Diese Erwägung wirkte.
Gegen Ende September erschien der alte Weise wieder in Berlin, und da er diesmal ernstlich verhandeln wollte, so ward er mit großer Freund- lichkeit aufgenommen. Maassen und Hoffmann führten die Unterhandlung, unter beständiger Rücksprache mit Eichhorn. Noch unbekannt mit der Nebenius'schen Denkschrift stellte Hoffmann zuerst den Gedanken auf: das Einfachste sei doch, die gemeinsamen Zolleinnahmen ohne fiscalische Klein- lichkeit nach der Volkszahl zu vertheilen.**) Damit war jener Bevölkerungs- maßstab gefunden, der allen späteren Zollverträgen Preußens zur Grund- lage gedient hat. Weise ging sofort auf das günstige Anerbieten ein, und am 25. Okt. 1819 wurde der erste Zollanschluß-Vertrag unterzeichnet, kraft dessen der Fürst von Sondershausen "unbeschadet seiner landesherrlichen Hoheitsrechte" seine Unterherrschaft dem preußischen Zollgesetz unterwarf und dafür nach dem Maßstabe der Bevölkerung seinen Antheil an den Zoll- einnahmen -- vorläufig eine Bauschsumme von 15,000 Thlr. -- erhielt. Eine Mitwirkung bei der Zollgesetzgebung wurde dem kleinen Verbündeten nicht zugestanden; er mußte die Handelsverträge Preußens und alle anderen Aenderungen, welche das Finanzministerium beschloß, einfach annehmen. Im Uebrigen waren seine Hoheitsrechte sorgsam, fast ängstlich gewahrt; selbst die Steuervisitationen auf schwarzburgischem Gebiet sollten nur durch die fürstlichen Beamten vollzogen werden.
Im Wipperthale herrschte laute Freude. Der Fürst dankte tief gerührt für dies neue Zeichen königlicher Hochherzigkeit***); nun konnte er endlich sein berühmtes Rauchtheater eröffnen, wo er mit den Bürgern seiner Re- sidenz um die Wette den Musen des Dramas und der Rauchkunst huldigte. Finanziell betrachtet war das Abkommen unzweifelhaft ein Löwenvertrag zu Gunsten Sondershausens; Preußen brachte um des politischen Zweckes willen ein Geldopfer, denn das wenig bemittelte Thüringer Bergländchen verzehrte von den einträglichsten Zollartikeln, den Colonialwaaren weit weniger als der Durchschnitt der östlichen Provinzen.
*) Nach den Aufzeichnungen von Motz's Tochter, Frau v. Brinken.
**) Hoffmann an Maassen, 10. Okt. 1819.
***) Weise jun. an Hoffmann, Nov. 1819.
II. 10. Der Umſchwung am preußiſchen Hofe.
angenommen. Er kannte alle Herzensgeheimniſſe der Kleinſtaaterei, da ſein Regierungsbezirk mit faſt einem Dutzend kleiner Landesherrſchaften im Gemenge lag; er war mit den beiden Weiſe als guter Nachbar vertraut geworden und erwarb ſich jetzt um Deutſchlands werdende Handelseinheit, die ihm bald noch Größeres verdanken ſollte, ſein erſtes Verdienſt, indem er den Freunden vorſtellte, wie kindiſch es ſei an einer Zollhoheit feſtzu- halten, die doch niemals in Wirkſamkeit treten konnte.*) Der kunſtſinnige Fürſt wünſchte längſt, im freundlichen Thale der Wipper ein Sonders- hauſener Nationaltheater zu gründen, aber die Mittel fehlten; ſchloß er ſich dem preußiſchen Zollweſen an, ſo war ihm aus der Noth geholfen. Dieſe Erwägung wirkte.
Gegen Ende September erſchien der alte Weiſe wieder in Berlin, und da er diesmal ernſtlich verhandeln wollte, ſo ward er mit großer Freund- lichkeit aufgenommen. Maaſſen und Hoffmann führten die Unterhandlung, unter beſtändiger Rückſprache mit Eichhorn. Noch unbekannt mit der Nebenius’ſchen Denkſchrift ſtellte Hoffmann zuerſt den Gedanken auf: das Einfachſte ſei doch, die gemeinſamen Zolleinnahmen ohne fiscaliſche Klein- lichkeit nach der Volkszahl zu vertheilen.**) Damit war jener Bevölkerungs- maßſtab gefunden, der allen ſpäteren Zollverträgen Preußens zur Grund- lage gedient hat. Weiſe ging ſofort auf das günſtige Anerbieten ein, und am 25. Okt. 1819 wurde der erſte Zollanſchluß-Vertrag unterzeichnet, kraft deſſen der Fürſt von Sondershauſen „unbeſchadet ſeiner landesherrlichen Hoheitsrechte“ ſeine Unterherrſchaft dem preußiſchen Zollgeſetz unterwarf und dafür nach dem Maßſtabe der Bevölkerung ſeinen Antheil an den Zoll- einnahmen — vorläufig eine Bauſchſumme von 15,000 Thlr. — erhielt. Eine Mitwirkung bei der Zollgeſetzgebung wurde dem kleinen Verbündeten nicht zugeſtanden; er mußte die Handelsverträge Preußens und alle anderen Aenderungen, welche das Finanzminiſterium beſchloß, einfach annehmen. Im Uebrigen waren ſeine Hoheitsrechte ſorgſam, faſt ängſtlich gewahrt; ſelbſt die Steuerviſitationen auf ſchwarzburgiſchem Gebiet ſollten nur durch die fürſtlichen Beamten vollzogen werden.
Im Wipperthale herrſchte laute Freude. Der Fürſt dankte tief gerührt für dies neue Zeichen königlicher Hochherzigkeit***); nun konnte er endlich ſein berühmtes Rauchtheater eröffnen, wo er mit den Bürgern ſeiner Re- ſidenz um die Wette den Muſen des Dramas und der Rauchkunſt huldigte. Finanziell betrachtet war das Abkommen unzweifelhaft ein Löwenvertrag zu Gunſten Sondershauſens; Preußen brachte um des politiſchen Zweckes willen ein Geldopfer, denn das wenig bemittelte Thüringer Bergländchen verzehrte von den einträglichſten Zollartikeln, den Colonialwaaren weit weniger als der Durchſchnitt der öſtlichen Provinzen.
*) Nach den Aufzeichnungen von Motz’s Tochter, Frau v. Brinken.
**) Hoffmann an Maaſſen, 10. Okt. 1819.
***) Weiſe jun. an Hoffmann, Nov. 1819.
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angenommen. Er kannte alle Herzensgeheimniſſe der Kleinſtaaterei, da
ſein Regierungsbezirk mit faſt einem Dutzend kleiner Landesherrſchaften im
Gemenge lag; er war mit den beiden Weiſe als guter Nachbar vertraut
geworden und erwarb ſich jetzt um Deutſchlands werdende Handelseinheit,
die ihm bald noch Größeres verdanken ſollte, ſein erſtes Verdienſt, indem
er den Freunden vorſtellte, wie kindiſch es ſei an einer Zollhoheit feſtzu-
halten, die doch niemals in Wirkſamkeit treten konnte. *) Der kunſtſinnige
Fürſt wünſchte längſt, im freundlichen Thale der Wipper ein Sonders-
hauſener Nationaltheater zu gründen, aber die Mittel fehlten; ſchloß er
ſich dem preußiſchen Zollweſen an, ſo war ihm aus der Noth geholfen.
Dieſe Erwägung wirkte.
Gegen Ende September erſchien der alte Weiſe wieder in Berlin, und
da er diesmal ernſtlich verhandeln wollte, ſo ward er mit großer Freund-
lichkeit aufgenommen. Maaſſen und Hoffmann führten die Unterhandlung,
unter beſtändiger Rückſprache mit Eichhorn. Noch unbekannt mit der
Nebenius’ſchen Denkſchrift ſtellte Hoffmann zuerſt den Gedanken auf: das
Einfachſte ſei doch, die gemeinſamen Zolleinnahmen ohne fiscaliſche Klein-
lichkeit nach der Volkszahl zu vertheilen. **) Damit war jener Bevölkerungs-
maßſtab gefunden, der allen ſpäteren Zollverträgen Preußens zur Grund-
lage gedient hat. Weiſe ging ſofort auf das günſtige Anerbieten ein, und am
25. Okt. 1819 wurde der erſte Zollanſchluß-Vertrag unterzeichnet, kraft
deſſen der Fürſt von Sondershauſen „unbeſchadet ſeiner landesherrlichen
Hoheitsrechte“ ſeine Unterherrſchaft dem preußiſchen Zollgeſetz unterwarf
und dafür nach dem Maßſtabe der Bevölkerung ſeinen Antheil an den Zoll-
einnahmen — vorläufig eine Bauſchſumme von 15,000 Thlr. — erhielt.
Eine Mitwirkung bei der Zollgeſetzgebung wurde dem kleinen Verbündeten
nicht zugeſtanden; er mußte die Handelsverträge Preußens und alle anderen
Aenderungen, welche das Finanzminiſterium beſchloß, einfach annehmen.
Im Uebrigen waren ſeine Hoheitsrechte ſorgſam, faſt ängſtlich gewahrt;
ſelbſt die Steuerviſitationen auf ſchwarzburgiſchem Gebiet ſollten nur durch
die fürſtlichen Beamten vollzogen werden.
Im Wipperthale herrſchte laute Freude. Der Fürſt dankte tief gerührt
für dies neue Zeichen königlicher Hochherzigkeit ***); nun konnte er endlich
ſein berühmtes Rauchtheater eröffnen, wo er mit den Bürgern ſeiner Re-
ſidenz um die Wette den Muſen des Dramas und der Rauchkunſt huldigte.
Finanziell betrachtet war das Abkommen unzweifelhaft ein Löwenvertrag zu
Gunſten Sondershauſens; Preußen brachte um des politiſchen Zweckes
willen ein Geldopfer, denn das wenig bemittelte Thüringer Bergländchen
verzehrte von den einträglichſten Zollartikeln, den Colonialwaaren weit
weniger als der Durchſchnitt der öſtlichen Provinzen.
*) Nach den Aufzeichnungen von Motz’s Tochter, Frau v. Brinken.
**) Hoffmann an Maaſſen, 10. Okt. 1819.
***) Weiſe jun. an Hoffmann, Nov. 1819.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 624. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/638>, abgerufen am 18.06.2024.
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