Um so berechtigter schien die Erwartung, daß die übrigen Kleinen dem Beispiel Sondershausens folgen würden. Im Eingange des Vertrags hatte der König nochmals erklären lassen, daß er bereit sei ähnliche Abkommen mit anderen Bundesfürsten zu schließen. Rudolstadt begann schon zu ver- handeln. Auch mit Braunschweig, Weimar, Gotha dachte Hoffmann binnen Kurzem ins Reine zu kommen und bereits ging er mit seinen Entwürfen über die Grundsätze des Enclavensystems hinaus. Die unglückliche zer- rissene Gestalt seines Gebietes zwang den preußischen Staat, auch wenn er auf alle Eroberungspläne verzichtete, mindestens zum handelspolitischen Ehr- geiz; er konnte sein Steuersystem kaum durchführen, wenn er nicht außer den Enclaven auch noch einige nur halb umschlossene Nachbarlandschaften seinem Zollgesetze unterwarf. Da lag Anhalt-Bernburg, das auf eine kleine Strecke Weges nicht an Preußen grenzte und also gewissenhaft als Aus- land behandelt wurde. Was war der Dank? Ein ungeheuerer Schmuggel, der von Monat zu Monat anwuchs und die Zolleinnahme der Provinz Sachsen zu verschlingen drohte. Schon im Oktober wurden 4023 Centner, zumeist Colonialwaaren, in die anhaltischen Harzstädtchen bei Ballenstedt eingeführt um alsbald spurlos zu verschwinden. Mindestens dies Vorland, meinte Hoffmann, müsse sogleich in die Zolllinie eintreten; werde der Ver- trag mit Sondershausen nur erst bekannt, dann könnten sich die kleinen Nachbarn nicht länger mehr wider ihren eigenen Vortheil sträuben.*)
Die Hoffnung trog. Jener Zoll-Vertrag, der uns heute so selbstver- ständlich erscheint, sollte während mehrerer Jahre der einzige bleiben. Kaum ward er ruchbar, so erscholl an allen Höfen ein Schrei des Zornes. Fürst Anton Günther mußte von seinen durchlauchtigen Genossen ernste Vorwürfe hören, weil er das Kleinod der Souveränität so würdelos preisgegeben; die anderen kleinen Nachbarn, die seinem Vorgange bereits folgen wollten, traten, eingeschüchtert durch die allgemeine Entrüstung, von den Verhand- lungen zurück. An die Spitze der Gegner Preußens stellte sich der Herzog von Cöthen. Der erklärte im Namen der kleinen Fürsten: "freiwillig können und werden sie sich nicht unterwerfen, wenn sie nicht die heiligsten Pflichten gegen ihre Unterthanen, gegen ihre Häuser und gegen ihre eigene Ehre verletzen wollen;" dann forderte er getrost, Preußen solle ihm einen fünf Stunden breiten Streifen zollfreien preußischen Gebietes bis zur sächsischen Grenze zur Verfügung stellen, damit das Haus Anhalt freien Zugang zum Welthandel erlange. Gemüthlich lauernd und im Stillen schürend stand hinter den erbitterten Kleinen der treue Bundesgenosse Preußens, Oesterreich. Die Höfe beschlossen insgeheim, auf den Wiener Conferenzen mit vereinter Kraft die Aufhebung des preußischen Zollgesetzes durchzusetzen; nur wenn der vorhandene Anfang deutscher Zolleinheit vom Erdboden verschwand, konnte der Bundestag die nationale Handelspolitik begründen! Und an
*) Lestocq an Bernstorff 29. Okt., Hoffmann an Bernstorff 18. Dec. 1819.
Treitschke, Deutsche Geschichte. II. 40
Der erſte Zollanſchluß-Vertrag.
Um ſo berechtigter ſchien die Erwartung, daß die übrigen Kleinen dem Beiſpiel Sondershauſens folgen würden. Im Eingange des Vertrags hatte der König nochmals erklären laſſen, daß er bereit ſei ähnliche Abkommen mit anderen Bundesfürſten zu ſchließen. Rudolſtadt begann ſchon zu ver- handeln. Auch mit Braunſchweig, Weimar, Gotha dachte Hoffmann binnen Kurzem ins Reine zu kommen und bereits ging er mit ſeinen Entwürfen über die Grundſätze des Enclavenſyſtems hinaus. Die unglückliche zer- riſſene Geſtalt ſeines Gebietes zwang den preußiſchen Staat, auch wenn er auf alle Eroberungspläne verzichtete, mindeſtens zum handelspolitiſchen Ehr- geiz; er konnte ſein Steuerſyſtem kaum durchführen, wenn er nicht außer den Enclaven auch noch einige nur halb umſchloſſene Nachbarlandſchaften ſeinem Zollgeſetze unterwarf. Da lag Anhalt-Bernburg, das auf eine kleine Strecke Weges nicht an Preußen grenzte und alſo gewiſſenhaft als Aus- land behandelt wurde. Was war der Dank? Ein ungeheuerer Schmuggel, der von Monat zu Monat anwuchs und die Zolleinnahme der Provinz Sachſen zu verſchlingen drohte. Schon im Oktober wurden 4023 Centner, zumeiſt Colonialwaaren, in die anhaltiſchen Harzſtädtchen bei Ballenſtedt eingeführt um alsbald ſpurlos zu verſchwinden. Mindeſtens dies Vorland, meinte Hoffmann, müſſe ſogleich in die Zolllinie eintreten; werde der Ver- trag mit Sondershauſen nur erſt bekannt, dann könnten ſich die kleinen Nachbarn nicht länger mehr wider ihren eigenen Vortheil ſträuben.*)
Die Hoffnung trog. Jener Zoll-Vertrag, der uns heute ſo ſelbſtver- ſtändlich erſcheint, ſollte während mehrerer Jahre der einzige bleiben. Kaum ward er ruchbar, ſo erſcholl an allen Höfen ein Schrei des Zornes. Fürſt Anton Günther mußte von ſeinen durchlauchtigen Genoſſen ernſte Vorwürfe hören, weil er das Kleinod der Souveränität ſo würdelos preisgegeben; die anderen kleinen Nachbarn, die ſeinem Vorgange bereits folgen wollten, traten, eingeſchüchtert durch die allgemeine Entrüſtung, von den Verhand- lungen zurück. An die Spitze der Gegner Preußens ſtellte ſich der Herzog von Cöthen. Der erklärte im Namen der kleinen Fürſten: „freiwillig können und werden ſie ſich nicht unterwerfen, wenn ſie nicht die heiligſten Pflichten gegen ihre Unterthanen, gegen ihre Häuſer und gegen ihre eigene Ehre verletzen wollen;“ dann forderte er getroſt, Preußen ſolle ihm einen fünf Stunden breiten Streifen zollfreien preußiſchen Gebietes bis zur ſächſiſchen Grenze zur Verfügung ſtellen, damit das Haus Anhalt freien Zugang zum Welthandel erlange. Gemüthlich lauernd und im Stillen ſchürend ſtand hinter den erbitterten Kleinen der treue Bundesgenoſſe Preußens, Oeſterreich. Die Höfe beſchloſſen insgeheim, auf den Wiener Conferenzen mit vereinter Kraft die Aufhebung des preußiſchen Zollgeſetzes durchzuſetzen; nur wenn der vorhandene Anfang deutſcher Zolleinheit vom Erdboden verſchwand, konnte der Bundestag die nationale Handelspolitik begründen! Und an
*) Leſtocq an Bernſtorff 29. Okt., Hoffmann an Bernſtorff 18. Dec. 1819.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 40
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Der erſte Zollanſchluß-Vertrag.
Um ſo berechtigter ſchien die Erwartung, daß die übrigen Kleinen dem
Beiſpiel Sondershauſens folgen würden. Im Eingange des Vertrags hatte
der König nochmals erklären laſſen, daß er bereit ſei ähnliche Abkommen
mit anderen Bundesfürſten zu ſchließen. Rudolſtadt begann ſchon zu ver-
handeln. Auch mit Braunſchweig, Weimar, Gotha dachte Hoffmann binnen
Kurzem ins Reine zu kommen und bereits ging er mit ſeinen Entwürfen
über die Grundſätze des Enclavenſyſtems hinaus. Die unglückliche zer-
riſſene Geſtalt ſeines Gebietes zwang den preußiſchen Staat, auch wenn er
auf alle Eroberungspläne verzichtete, mindeſtens zum handelspolitiſchen Ehr-
geiz; er konnte ſein Steuerſyſtem kaum durchführen, wenn er nicht außer
den Enclaven auch noch einige nur halb umſchloſſene Nachbarlandſchaften
ſeinem Zollgeſetze unterwarf. Da lag Anhalt-Bernburg, das auf eine kleine
Strecke Weges nicht an Preußen grenzte und alſo gewiſſenhaft als Aus-
land behandelt wurde. Was war der Dank? Ein ungeheuerer Schmuggel,
der von Monat zu Monat anwuchs und die Zolleinnahme der Provinz
Sachſen zu verſchlingen drohte. Schon im Oktober wurden 4023 Centner,
zumeiſt Colonialwaaren, in die anhaltiſchen Harzſtädtchen bei Ballenſtedt
eingeführt um alsbald ſpurlos zu verſchwinden. Mindeſtens dies Vorland,
meinte Hoffmann, müſſe ſogleich in die Zolllinie eintreten; werde der Ver-
trag mit Sondershauſen nur erſt bekannt, dann könnten ſich die kleinen
Nachbarn nicht länger mehr wider ihren eigenen Vortheil ſträuben. *)
Die Hoffnung trog. Jener Zoll-Vertrag, der uns heute ſo ſelbſtver-
ſtändlich erſcheint, ſollte während mehrerer Jahre der einzige bleiben. Kaum
ward er ruchbar, ſo erſcholl an allen Höfen ein Schrei des Zornes. Fürſt
Anton Günther mußte von ſeinen durchlauchtigen Genoſſen ernſte Vorwürfe
hören, weil er das Kleinod der Souveränität ſo würdelos preisgegeben;
die anderen kleinen Nachbarn, die ſeinem Vorgange bereits folgen wollten,
traten, eingeſchüchtert durch die allgemeine Entrüſtung, von den Verhand-
lungen zurück. An die Spitze der Gegner Preußens ſtellte ſich der Herzog
von Cöthen. Der erklärte im Namen der kleinen Fürſten: „freiwillig können
und werden ſie ſich nicht unterwerfen, wenn ſie nicht die heiligſten Pflichten
gegen ihre Unterthanen, gegen ihre Häuſer und gegen ihre eigene Ehre
verletzen wollen;“ dann forderte er getroſt, Preußen ſolle ihm einen fünf
Stunden breiten Streifen zollfreien preußiſchen Gebietes bis zur ſächſiſchen
Grenze zur Verfügung ſtellen, damit das Haus Anhalt freien Zugang zum
Welthandel erlange. Gemüthlich lauernd und im Stillen ſchürend ſtand
hinter den erbitterten Kleinen der treue Bundesgenoſſe Preußens, Oeſterreich.
Die Höfe beſchloſſen insgeheim, auf den Wiener Conferenzen mit vereinter
Kraft die Aufhebung des preußiſchen Zollgeſetzes durchzuſetzen; nur wenn
der vorhandene Anfang deutſcher Zolleinheit vom Erdboden verſchwand,
konnte der Bundestag die nationale Handelspolitik begründen! Und an
*) Leſtocq an Bernſtorff 29. Okt., Hoffmann an Bernſtorff 18. Dec. 1819.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 40
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 625. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/639>, abgerufen am 22.11.2024.
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