die Mehrzahl der großen Tonsetzer gehörte durch die Geburt oder durch langen Aufenthalt den österreichischen Landen an, die an der Arbeit unserer Dichtung so wenig Antheil nahmen, und fand grade dort das freudigste Verständniß.
Noch bei Mozarts Lebzeiten trat jener Gegensatz des Naiven und des Sentimentalen hervor, der, im Wesen aller Künste begründet, in den Zeiten ihrer reichsten Entfaltung sich unfehlbar offenbaren muß. Wie einst Michel Angelo neben Raphael, Schiller neben Goethe, so erschien Beethoven neben Mozart, ein pathetischer Genius, der mit dämonischer Kraft fast über die Schranken seiner Kunst hinaus in's Unendliche strebte, ein Sänger der Freiheit, des männlichen Stolzes, ganz erfüllt von den Ideen der Menschenrechte. Die Widmung seiner Eroica, die er dem Erben der Revolution, Bonaparte zugedacht hatte, zerriß er und trat sie mit Füßen als er von den Gewaltthaten des Despoten erfuhr. Nie schuf er Größeres als wenn er den uralten Lieblingsgedanken der freien Ger- manen, den Sieg des hellen Geistes über das dumpfe Verhängniß schil- derte, wie in der C moll Symphonie. War er doch selber, der taube Beherrscher der Töne, ein lebendiger Zeuge für die Wunderkraft des gott- begeisterten Willens. Selbst die blasirte Gesellschaft des Wiener Con- gresses riß er hin durch das hohe Lied der Treue, den Fidelio; dem ver- wegenen Fluge seiner symphonischen Tondichtungen aber vermochte erst ein späteres Geschlecht ganz zu folgen.
Die Entwicklung unserer Musik trug von Haus aus einen rein nationalen Charakter, sie konnte daher auch von den romantischen Stim- mungen und den großen Ereignissen der Zeit nicht unberührt bleiben. Gleich nach dem Kriege gab Karl Maria v. Weber dem Schwertliede, dem Liede von Lützows wilder Jagd und anderen Gesängen Körners die musikalische Gestaltung, die ihnen erst die Unvergänglichkeit sicherte und in tausenden junger Herzen die Begeisterung des Befreiungskrieges wach hielt. Ein bewußter Vorkämpfer vaterländischer Gesinnung und Bildung, übernahm er sodann die Leitung der neugegründeten deutschen Opernge- sellschaft in Dresden, und ihm gelang, die italienische Opernbühne, die der Hof nach der Gewohnheit des alten Jahrhunderts noch als die vor- nehmere begünstigte, gänzlich in den Schatten zu stellen; selbst die Presse rief er zu Hilfe um seine Landsleute in das Verständniß der heimischen Kunst einzuweihen. Der gemüthvolle Holste war auf weiten Wander- fahrten fast in jedem Winkel deutscher Erde mit Land und Leuten wohl vertraut geworden; und recht aus dem Herzen seines Volkes heraus schuf er die erste deutsche romantische Oper, den Freischütz, ein Werk voll jugendlicher Frische, das alle Lust und allen Spuk des deutschen Waldes so naiv und treu schilderte, daß die Nachwelt sich heute kaum vorstellen kann, es hätte jemals eine Zeit gegeben, da der deutsche Waidmann noch nicht zu den Klängen des Waldhorns sang: was gleicht wohl auf Erden
K. M. v. Weber.
die Mehrzahl der großen Tonſetzer gehörte durch die Geburt oder durch langen Aufenthalt den öſterreichiſchen Landen an, die an der Arbeit unſerer Dichtung ſo wenig Antheil nahmen, und fand grade dort das freudigſte Verſtändniß.
Noch bei Mozarts Lebzeiten trat jener Gegenſatz des Naiven und des Sentimentalen hervor, der, im Weſen aller Künſte begründet, in den Zeiten ihrer reichſten Entfaltung ſich unfehlbar offenbaren muß. Wie einſt Michel Angelo neben Raphael, Schiller neben Goethe, ſo erſchien Beethoven neben Mozart, ein pathetiſcher Genius, der mit dämoniſcher Kraft faſt über die Schranken ſeiner Kunſt hinaus in’s Unendliche ſtrebte, ein Sänger der Freiheit, des männlichen Stolzes, ganz erfüllt von den Ideen der Menſchenrechte. Die Widmung ſeiner Eroica, die er dem Erben der Revolution, Bonaparte zugedacht hatte, zerriß er und trat ſie mit Füßen als er von den Gewaltthaten des Despoten erfuhr. Nie ſchuf er Größeres als wenn er den uralten Lieblingsgedanken der freien Ger- manen, den Sieg des hellen Geiſtes über das dumpfe Verhängniß ſchil- derte, wie in der C moll Symphonie. War er doch ſelber, der taube Beherrſcher der Töne, ein lebendiger Zeuge für die Wunderkraft des gott- begeiſterten Willens. Selbſt die blaſirte Geſellſchaft des Wiener Con- greſſes riß er hin durch das hohe Lied der Treue, den Fidelio; dem ver- wegenen Fluge ſeiner ſymphoniſchen Tondichtungen aber vermochte erſt ein ſpäteres Geſchlecht ganz zu folgen.
Die Entwicklung unſerer Muſik trug von Haus aus einen rein nationalen Charakter, ſie konnte daher auch von den romantiſchen Stim- mungen und den großen Ereigniſſen der Zeit nicht unberührt bleiben. Gleich nach dem Kriege gab Karl Maria v. Weber dem Schwertliede, dem Liede von Lützows wilder Jagd und anderen Geſängen Körners die muſikaliſche Geſtaltung, die ihnen erſt die Unvergänglichkeit ſicherte und in tauſenden junger Herzen die Begeiſterung des Befreiungskrieges wach hielt. Ein bewußter Vorkämpfer vaterländiſcher Geſinnung und Bildung, übernahm er ſodann die Leitung der neugegründeten deutſchen Opernge- ſellſchaft in Dresden, und ihm gelang, die italieniſche Opernbühne, die der Hof nach der Gewohnheit des alten Jahrhunderts noch als die vor- nehmere begünſtigte, gänzlich in den Schatten zu ſtellen; ſelbſt die Preſſe rief er zu Hilfe um ſeine Landsleute in das Verſtändniß der heimiſchen Kunſt einzuweihen. Der gemüthvolle Holſte war auf weiten Wander- fahrten faſt in jedem Winkel deutſcher Erde mit Land und Leuten wohl vertraut geworden; und recht aus dem Herzen ſeines Volkes heraus ſchuf er die erſte deutſche romantiſche Oper, den Freiſchütz, ein Werk voll jugendlicher Friſche, das alle Luſt und allen Spuk des deutſchen Waldes ſo naiv und treu ſchilderte, daß die Nachwelt ſich heute kaum vorſtellen kann, es hätte jemals eine Zeit gegeben, da der deutſche Waidmann noch nicht zu den Klängen des Waldhorns ſang: was gleicht wohl auf Erden
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[55/0069]
K. M. v. Weber.
die Mehrzahl der großen Tonſetzer gehörte durch die Geburt oder durch
langen Aufenthalt den öſterreichiſchen Landen an, die an der Arbeit
unſerer Dichtung ſo wenig Antheil nahmen, und fand grade dort das
freudigſte Verſtändniß.
Noch bei Mozarts Lebzeiten trat jener Gegenſatz des Naiven und des
Sentimentalen hervor, der, im Weſen aller Künſte begründet, in den
Zeiten ihrer reichſten Entfaltung ſich unfehlbar offenbaren muß. Wie
einſt Michel Angelo neben Raphael, Schiller neben Goethe, ſo erſchien
Beethoven neben Mozart, ein pathetiſcher Genius, der mit dämoniſcher
Kraft faſt über die Schranken ſeiner Kunſt hinaus in’s Unendliche ſtrebte,
ein Sänger der Freiheit, des männlichen Stolzes, ganz erfüllt von den
Ideen der Menſchenrechte. Die Widmung ſeiner Eroica, die er dem
Erben der Revolution, Bonaparte zugedacht hatte, zerriß er und trat ſie
mit Füßen als er von den Gewaltthaten des Despoten erfuhr. Nie ſchuf
er Größeres als wenn er den uralten Lieblingsgedanken der freien Ger-
manen, den Sieg des hellen Geiſtes über das dumpfe Verhängniß ſchil-
derte, wie in der C moll Symphonie. War er doch ſelber, der taube
Beherrſcher der Töne, ein lebendiger Zeuge für die Wunderkraft des gott-
begeiſterten Willens. Selbſt die blaſirte Geſellſchaft des Wiener Con-
greſſes riß er hin durch das hohe Lied der Treue, den Fidelio; dem ver-
wegenen Fluge ſeiner ſymphoniſchen Tondichtungen aber vermochte erſt ein
ſpäteres Geſchlecht ganz zu folgen.
Die Entwicklung unſerer Muſik trug von Haus aus einen rein
nationalen Charakter, ſie konnte daher auch von den romantiſchen Stim-
mungen und den großen Ereigniſſen der Zeit nicht unberührt bleiben.
Gleich nach dem Kriege gab Karl Maria v. Weber dem Schwertliede,
dem Liede von Lützows wilder Jagd und anderen Geſängen Körners die
muſikaliſche Geſtaltung, die ihnen erſt die Unvergänglichkeit ſicherte und
in tauſenden junger Herzen die Begeiſterung des Befreiungskrieges wach
hielt. Ein bewußter Vorkämpfer vaterländiſcher Geſinnung und Bildung,
übernahm er ſodann die Leitung der neugegründeten deutſchen Opernge-
ſellſchaft in Dresden, und ihm gelang, die italieniſche Opernbühne, die
der Hof nach der Gewohnheit des alten Jahrhunderts noch als die vor-
nehmere begünſtigte, gänzlich in den Schatten zu ſtellen; ſelbſt die Preſſe
rief er zu Hilfe um ſeine Landsleute in das Verſtändniß der heimiſchen
Kunſt einzuweihen. Der gemüthvolle Holſte war auf weiten Wander-
fahrten faſt in jedem Winkel deutſcher Erde mit Land und Leuten wohl
vertraut geworden; und recht aus dem Herzen ſeines Volkes heraus ſchuf
er die erſte deutſche romantiſche Oper, den Freiſchütz, ein Werk voll
jugendlicher Friſche, das alle Luſt und allen Spuk des deutſchen Waldes
ſo naiv und treu ſchilderte, daß die Nachwelt ſich heute kaum vorſtellen
kann, es hätte jemals eine Zeit gegeben, da der deutſche Waidmann noch
nicht zu den Klängen des Waldhorns ſang: was gleicht wohl auf Erden
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/69>, abgerufen am 23.11.2024.
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